Dienstag, 3. Dezember 2002

Projekte zum Holocaust-Tag

Das Abgeordnetenhaus lädt zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar Jugendliche zu einem «Treffpunkt der Ideen, Initiativen und Möglichkeiten» ein. Dabei haben Schulklassen, Gruppen und Verbände Gelegenheit, ihre Projekte zur Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus vorzustellen.

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2002

Reue von rechts

„Ich bin kein Mensch mehr“, sagt Orazio Giamblanco. Ein Skinhead hat ihn vor sechs Jahren zum Krüppel geschlagen. Der hat sich inzwischen von der Szene losgesagt und bittet sein Opfer um Vergebung. Die Geschichte einer schwierigen Annäherung.

Von Frank Jansen

Er sitzt da in seiner Bielefelder Wohnung, die Augen weit offen, als müssten sie beim Sprechen helfen. „Hat mich kaputtgemacht“, stammelt Orazio Giamblanco. Er ist schwer zu verstehen. Der Italiener kann nur nuscheln, in kurzen, abgehackten Sätzen. „Ich weiß nichts über den Tag. Ich habe die Leute nicht gekannt.“ Giamblanco lehnt sich zurück, den Blick auf die Wand gegenüber gerichtet. „Warum?“ Die Augen füllen sich mit Tränen. Giamblanco, ein kleiner, kompakter Mann von 61 Jahren, senkt den Kopf. Stille. Luftholen. „Ich bin kein Mensch mehr. Aber keine andere Wahl. Habe geschafft sechs Jahre. Muss weitergehen.“

Eine Woche zuvor, in einer Anwaltskanzlei in Berlin. Der kräftige Mann, die gegelten Haare gescheitelt, setzt mit leichtem Zittern den Kaffeebecher ab. „Ich hab’ ja in dem Moment nich’ nachgedacht.“ Jan Weicht fixiert einen imaginären Punkt auf der Tischplatte. „Det schmerzt ja immer wieder aufs Neue, auch bei mir!“ Aus den Augen laufen Tränen. „Die janze Situation is’ so aus den Fugen gelaufen.“ Der 28-Jährige umklammert den Becher, hebt ihn hoch, trinkt nicht, setzt ihn wieder ab. „Jeder fragt, warum“, die Tränen tropfen auf den Tisch. „Is’ ja nich’ nur die Familie von Herrn Giamblanco! Is’ ja meene ooch! Und ich selber ooch!“

Die beiden Männer sind einfache, aber typische Figuren aus dem dunkelsten Kapitel der Geschichte des wiedervereinten Deutschland. Jan Weicht war Skinhead. Orazio Giamblanco ist sein Opfer. Am Abend des 30. September 1996 schlägt Weicht im brandenburgischen Trebbin mit einer Baseballkeule Giamblanco fast tot. Kurz darauf stellt sich der Skinhead. Im April 1997 verurteilt ihn das Landgericht Potsdam zu 15 Jahren Haft wegen versuchten Mordes, zu verbüßen im Gefängnis Brandenburg/Havel. Im Sommer 2001 sagt sich Weicht von der rechten Szene los. Er bringt frühere Kumpane vor Gericht und will sich bei Orazio Giamblanco entschuldigen. Stopp, zurück – entschuldigen? Ist das überhaupt möglich?

Allein der Wunsch bereitet dem Täter und dem Opfer, das davon über den Tagesspiegel erfährt, höllische Schmerzen. Beide Männer kehren im Kopf an den Anfang der Tragödie zurück, die nahezu exemplarisch für die unzähligen rechten Gewalttaten im Osten steht. Mündet sie nun in eine Versöhnung?

Weicht und Giamblanco haben sich nur einmal getroffen, an jenem Spätsommerabend. Giamblanco, erst vor wenigen Tagen angereist, ist Hilfsbauarbeiter. Mit zwei italienischen Kollegen geht er zur gemeinsamen Unterkunft. Giamblanco will noch aus einem Telefonhäuschen bei seiner Freundin in Bielefeld anrufen. Der glatzköpfige Bundeswehrrekrut Weicht und sein ebenso kahlgeschorener Freund mit dem makaber mediterran klingenden Vornamen Francesco fahren im Trabant durch die Kleinstadt. Auf der Rückbank sitzen zwei Mädchen, die Skins haben sie gerade kennen gelernt. Gegen 22 Uhr 15 sehen sie die Italiener, nahe der Telefonzelle.

Kurz darauf schwingt Weicht seine Baseballkeule. Er trifft Giamblanco an der linken Schläfe. Francesco H. zückt eine Schreckschusspistole und tritt einem der anderen Italiener gegen den Hals. Dann steigen die beiden Skinheads wieder ins Auto. Weicht sinniert kurz, er habe „wohl zu doll“ zugeschlagen. Dennoch fahren sie weg. Orazio Giamblanco liegt vor der Telefonzelle. Im Koma.

Er hat überlebt. Doch ein Leben wie vor dem 30. September 1996 ist für Giamblanco, seine Lebensgefährtin und deren Tochter nicht mehr möglich. Der Italiener ist schwerstbehindert. Er leidet an spastischer Lähmung, kann nur kurze Strecken an Krücken laufen. Seine Sprache ist auf schwer verständliche Satzfetzen reduziert. Er hat Depressionen, Albträume – und Angst, auch vor dem Tag, an dem der Täter entlassen wird. Obwohl Weicht ein anderer zu sein scheint als der Schläger von damals.

Der Bruch mit der Szene

Wer ist Jan Weicht? Aufgewachsen in Trebbin, absolviert er nach dem Abschluss der achten Klasse erst eine Lehre als Melker, dann noch eine als Maurer. „So ’94, ’95“ gerät er in die rechte Szene, „weil mich die Korruption ankotzt“ und kriminelle Ausländer in Deutschland nichts zu suchen hätten. 1996 Wehrdienst. Die Eltern sind geschieden. Weichts großer Rückhalt ist die Mutter.

Bei dem Termin in der Berliner Anwaltskanzlei, für den er Sonderausgang bekommen hat, wirkt Weicht wie ein unauffälliger Sportsweartyp. Kraftvoll, aber auch überraschend empfindsam. Als die Tränen auf dem Tisch getrocknet sind, erzählt Weicht vom Bruch mit der rechten Szene. Das, was er erzählen will.

Bis zum Sommer 2000 hat Weicht Kontakt zu den Sauf- und Raufkumpels aus Trebbin. Die „Hilfsgemeinschaft für nationale Gefangene“, ein Neonazi-Verein, „kümmert“ sich um ihn, den Helden. Sein Anwalt ist Hans Günter Eisenecker, Spitzenfunktionär der NPD. Im Jahr 2000 erreicht den Häftling in seiner Einzelzelle ein Brief. Francesco H., der zu acht Jahren verurteilte Mittäter, kündigt ihm die Freundschaft auf: „Richtige Freundschaft gibt es nicht mehr.“ Der Satz trifft Jan Weicht. „Ich hab’ gedacht, wat is’n det? Et gab’ doch die Parole, einer für alle, alle für einen.“

Weicht fühlt sich verraten. Francesco H. hat sich offenbar auf die Seite der Kumpel in Trebbin geschlagen, „die mir all die Jahre verarscht haben“. Weicht und H. sind die einzigen, die für die Trebbiner Randalenacht büßen müssen. Außer Giamblanco wurden weitere Italiener geprügelt, doch Weicht hat dichtgehalten und Zweifel unterdrückt. Bis zum Brief von H., von dem Weicht sagt, er sei „wie ein großer Bruder“ gewesen und habe ihn in die rechte Szene eingeführt. Weicht sinnt auf Rache. Er packt bei der Staatsanwaltschaft Potsdam aus, die dann sieben junge Rechtsextremisten anklagt. Im September und vergangenen Mittwoch verkündet das Amtsgericht Luckenwalde die Urteile: Bewährungsstrafen, Verwarnungen, Zwangszahlungen an gemeinnützige Vereine. Weicht tritt als Zeuge auf. Die Angeklagten blicken ihn kaum an. Weicht belastet sie alle.

„Ich bin nicht Euer Held“

Die Rache ist zunächst Selbstzweck. Dann fängt Weicht an, über sein Leben nachzudenken. Er wendet sich an die Berliner Aussteigerhilfe „Exit“, beginnt Gespräche mit einer Gefängnispsychologin und einem Sozialarbeiter. Im Mai schreibt Weicht an Trebbiner Schüler einen offenen Brief, der bei einer Veranstaltung gegen Rechtsextremismus verlesen wird. „Ich bin nicht Euer Vorbild, Held oder was auch immer. (…) Ich war einfach nur der größte IDIOT der Welt. (…) Wenn ich heute auf mein Leben blicke, sehe ich einen dummen und naiven Jungen, der anerkannt und respektiert werden wollte (…) Es ist nicht mit einer Flasche Bier in der Hand und zwei starken Fäusten zu erlangen.“ Das Publikum ist beeindruckt. Und Weicht formuliert in dem Brief eine Botschaft nach Bielefeld: Es sei für ihn „von großer Bedeutung“, sich bei Orazio Giamblanco „von ganzem Herzen für die damalige Tat zu entschuldigen“.

Orazio Giamblanco kommt 1961 von Sizilien nach Deutschland. In Bielefeld führt er eine Pizzeria. Nach ein paar Jahren gerät er in finanzielle Probleme und muss das Restaurant aufgeben. Seine Ehe zerbricht. Schließlich sucht Giamblanco einen Job am Bau, trotz Zementallergie und gegen den Willen seiner Freundin. Er fährt in den Osten. Die Berichte über rechte Gewalt nimmt er nicht weiter ernst. In Bielefeld hat er nie keulenschwingende Glatzen gesehen.

Der Italiener sitzt in der Küche neben seiner griechischen Lebensgefährtin Angelica Berdes und deren erwachsener Tochter Efthimia. Giamblanco zweifelt an Weichts Worten. „Ein Mensch kann sich nicht so schnell ändern.“ Die Frauen reagieren härter. Sie sind verbittert, der Schlag mit der Keule hat auch ihr Leben ruiniert. Angelica Berdes sagt: „Ich kann dem Täter erst verzeihen, wenn er läuft wie Orazio, wenn er Schmerzen hat wie Orazio. Nicht wenn er sicher im Gefängnis sitzt und Fernsehen gucken kann.“ Tochter Efthimia explodiert, als sie hört, dass Weicht behauptet, er habe keinen ausländerfeindlichen Überfall geplant, sei betrunken gewesen, und Giamblanco habe mit Steinen in den Händen vor ihm gestanden. „Orazio war kein schlechter Mensch! Und so wie ich ihn damals gesehen hab’ im Krankenhaus Luckenwalde, der Kopf war aufgeplatzt, die Hände waren kaputt, da kann keiner erzählen, dass Weicht nicht mit Wut und Hass draufgehauen hat.“

Die Tochter erinnert sich an die Fahrt nach Luckenwalde: „Sogar die Ärzte haben uns gewarnt, nicht über Nacht zu bleiben, sonst würden uns vielleicht Anschläge passieren.“ Doch sie ist nicht auf Rache aus, „es wäre immerhin ein Schritt, wenn Weicht nachfühlt, was er gemacht hat. Orazio führt seinen Kampf, dass er uns nicht so belastet. So muss Weicht sein Leben auch in den Griff kriegen.“

Die beiden Frauen bewältigen ihr Schicksal nur mühsam. Die zierliche, 51 Jahre alte Angelica Berdes hat ihren Job aufgegeben, um Giamblanco zu pflegen. „Ich ziehe ihm die Strümpfe an, bringe ihn auf die Toilette, mache ihm das Essen, fahre mit ihm zur Gymnastik, bringe ihn ins Bett.“ Wenn er hinfällt, versucht Angelica Berdes, ihn wieder hochzuwuchten. „Letztens ist Orazio auf der Straße umgekippt.“ Giamblanco musste eine Woche ins Krankenhaus. Angelica Berdes kämpft mit Versorgungsämtern und Krankenkassen um Krücken, Rollstuhl, Therapien. Sie ist eigentlich selbst ein Pflegefall. Seit Jahren schluckt sie Beruhigungsmittel. Sie geht zum Psychiater, leidet unter Bluthochdruck – und hält doch irgendwie durch. „Ich bete immer zu Gott“, sagt Giamblanco, „dass meine Frau gesund bleibt. Habe keine andere Wahl.“

Efthimia Berdes, extrovertiert und kräftig, hat sich ein wenig Autonomie zurückerkämpft. Die ersten Jahre pflegt sie Giamblanco mit, verliert ihre Lehrstelle als Friseurin, bekommt Depressionen. Dann findet sie eine Stelle als Produktionshelferin in einer Schokoladenfabrik. Schichtdienst rund um die Uhr. Die 28-Jährige braucht jeden Cent für die Miete. Letztes Jahr ist sie mit der Mutter und Giamblanco in einen Neubau gezogenen. Die alte, gemeinsame Wohnung der drei war zu eng, Rollstuhlfahren kaum möglich. 2001 hat Giamblanco aus einem Opferfonds des Bundestages 300 000 Mark bekommen, sie reichen knapp für den Kauf der ebenerdigen Neubauwohnung. Efthimia Berdes mietet sich auf demselben Flur ein, um der Mutter und Giamblanco helfen zu können. Im März endet ihr Vertrag mit der Schokoladenfabrik. Wie es dann weitergeht, weiß sie nicht. Bis sich eine neue Stelle findet, muss sie vom Arbeitslosengeld leben – und von den Renten, die ihre Mutter und Giamblanco im Monat erhalten, insgesamt 1800 Euro.

Jan Weicht hofft auf „eine zweite Chance“. Er hat im Gefängnis den Abschluss der zehnten Klasse nachgeholt und für 200 Euro im Monat als Maurer gearbeitet. Jetzt will er einen Schweißerkurs machen „oder ’ne Umschulung im offenen Vollzug“. Er hat „massive Angst“ vor einer Rache der rechten Szene, aber verstecken will er sich nicht. „Sobald ich rauskomme, möchte ich ehrenamtlich mit Jugendlichen arbeiten, die auf die schiefe Bahn geraten sind.“ Vor der Fahrt zurück ins Gefängnis sagt er noch: „Ich hoffe auf Verständnis.“ Sein Bruch mit der Vergangenheit, seine Reue, sein Auftreten gegen rechte Gewalt – die Gesellschaft möge es erkennen, vor allem Giamblanco. „Sagen Sie ihm bitte, er braucht keine Angst vor mir zu haben, wenn ich wieder draußen bin.“

Giamblanco hat nach einigem Hickhack mit Behörden und Kasse einen Elektrorollstuhl bekommen, mit dem er auf einem Gehweg in dem Neubauareal herumfährt. Die Gesichtszüge wirken an diesem Tag zum ersten Mal entspannt. „Macht ein bisschen Spaß“, flüstert er. Es dämmert. „Komm Orazio“, sagt Angelica Berdes, „wir müssen rein.“ Im Flur hilft sie Giamblanco aus dem Gefährt. Er umklammert seine Krücken. Wenn es nicht regnet, dreht er morgen die nächste Runde.

 

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2002

Polizei erwartet neuen Demonstrationsrekord

Immer öfter blockieren Aufmärsche die Stadt. Gibt es dagegen wirklich kein Mittel? Innensenator Körting wagt einen neuen Versuch

Bis Ende Oktober dieses Jahres hat die Polizei bereits 2259 Demonstrationen gezählt. Von Großdemonstrationen wie dem jährliche Gedenkzug für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, den diverse Demonstrationen gegen die US-Politik oder den Demos zum 1. Mai von Autonomen, NPD und den Gewerkschaften bis zu den beinahe täglichen Protesten kleiner politischer Gruppen. Dazu kamen die häufigen Aktionen gegen die Politik des Senats – Kita-Proteste, Aufzüge gegen die Abwicklung des Klinikums Benjamin Franklin, Demonstrationen der Gewerkschaften. Im ganzen letzten Jahr verzeichnete die Polizei 2360 Demonstrationen, das Jahr davor waren es lediglich 2059.

Angesichts des zu erwartenden Demonstrationsrekords hat sich die Debatte jetzt verschärft, ob es gerechtfertigt sei, dass auch kleinste Splittergruppen zur Hauptverkehrszeit die Innenstadt lahmlegen dürfen, um ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) lehnt jedoch eine gesetzliche Einschränkung der Demonstrationsfreiheit ab. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit solle nicht angetastet werden (siehe Interview). Sein Vor-Vorgänger Eckart Werthebach (CDU) hatte noch befriedete Zonen etwa am Brandenburger Tor und an der Neuen Wache schaffen wollen. Körting dagegen stellt die Abwägung zwischen dem Demonstrationsrecht und der Behinderung anderer durch die Aufmarsch in den Vordergrund.

Die Möglichkeiten von Polizei und Politik, Demonstrationsrouten komplett zu verlegen, sind allerdings begrenzt. Erst jüngst berichtete Innenstaatssekretär Lutz Diwell etwa, die Konzentration von rechtsextremistischen Demonstrationen in Ost-Berlin könne nicht verhindert werden. „Wir haben keine rechtlichen Möglichkeiten, hierauf Einfluss zu nehmen“, sagte er. Um eine Stigmatisierung der betroffenen Bevölkerung – als „Nachbarn der Nazis“ – zu verhindern, könne nur versucht werden, auf die Wahl der Strecke Einfluss zu nehmen. Nach geltendem Recht könne eine angemeldete Demonstration nicht einfach in den Westteil der Stadt verlagert werden. Eine Streckenänderung sei nur möglich, wenn so genannte Gefährdungs-Tatbestände vorlägen. „Es ist Teil dieser Demokratie, dass Dritte Belästigungen ertragen müssen, die von Demonstrationen ausgehen“, so Diwell.

Geringe Änderungen der Wegeführung sind gleichwohl möglich. So durfte der „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ im September dieses Jahres mit seinen Panzerattrappen nicht bis zum Reichstag ziehen. Die Gegner des alljährlich im Bendlerblock abgehaltenen Gelöbnisses von Bundeswehrrekruten mussten im Juli gebührenden Abstand zum offiziellen Geschehen halten. Und am 1. Mai untersagte die Versammlungsbehörde der rechtsextremen NPD einen Marsch durch die Innenstadt. Statt dessen marschierten die Rechtsextremen am östlichen Stadtrand. Denn schon jetzt ist es gängige Praxis der Versammlungsbehörde, Demonstrationen nicht immer in den Straßen marschieren oder ziehen zu lassen, für die die Veranstalter ihre Proteste anmelden. Zumeist werden die Auflagen, die die Polizei in Absprache mit dem Innensenator macht, zumindest in Teilen von den Gerichten bestätigt. Barbara Junge

 

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2002

„Ich trete 2004 wieder als Spitzenkandidat an“

CDU-Landeschef und Innenminister Jörg Schönbohm über seine Zukunft, Ministerrücktritte, falsche Interviews und den Mord von Potzlow

Warum geben Sie dem Wochenblatt „Junge Freiheit“ nun schon zum zweiten Mal ein Interview, obwohl mehrere Verfassungsschutzbehörden die Zeitung dem rechtsextremen Lager zurechnen?

Ich habe die öffentliche Reaktion unterschätzt. Sie war für mich in ihrer Schärfe überraschend. Mit dem Inhalt meines Interviews hat sich leider niemand auseinander gesetzt. Ich hatte mir vorher die Liste derjenigen angeschaut, die der „Jungen Freiheit“ als Interviewpartner zur Verfügung gestanden haben. Es war eine breite Palette von links bis rechts.

Müssen Sie als Innenminister, der für die innere Sicherheit zuständig ist, nicht besonders sensibel darauf achten, sich gegenüber Rechtsextremisten abzugrenzen?

Ich grenze mich mit Worten und Taten zum Rechtsextremismus ab. In Brandenburg ist seit Gründung des Landes noch nie so viel gegen den Rechtsextremismus unternommen worden wie von mir.

Haben Sie sich die Ausgabe, in der das Interview erschienen ist, mal genau angeguckt?

Nein.

Darin wird unter anderem ein Buch über die Hitler-Jugend gelobt. Der HJ werden „sittliches Wollen“ und „Erziehungsideale“ bescheinigt.




Das ist nicht akzeptabel.

Würden Sie der „Jungen Freiheit“ nochmal ein Interview geben?

Unter diesen Bedingungen nicht.

Es gibt in Brandenburg immer wieder Mordanschläge mit rechtsextremem Hintergrund. Zuletzt starb in Potzlow ein 17-Jähriger. Die Leiche lag in einer Jauchegrube. Wie reagieren Sie darauf?

Zunächst habe ich mir überhaupt nicht vorstellen können, was da geschildert wurde. Was mich an der Tat erschreckt, sind zwei Dinge. Erstens die Kälte der jugendlichen Straftäter, die den 17-Jährigen umgebracht haben. Zweitens, dass einer der Täter damit noch angibt, dann eine Gruppe zum Tatort geht, sich das anschaut und die Tat dann erst bekannt wird. Ich sehe bei den Tätern ein unglaubliches Verrohungspotenzial. Nicht nur ich beklage als Erbe der DDR eine entbürgerlichte und entchristlichte Gesellschaft.

Was kann man dagegen tun?

Einerseits haben wir mit neuen Einsatzkonzepten der Polizei auf die extremistischen Straftaten reagiert. Im vergangenen Jahr wurde zusätzlich das Konzept der täterorientierten Maßnahmen gegen extremistische Gewalt „Tomeg“ in Angriff genommen, das auf die direkte Ansprache potenzieller Gewalttäter und ihres Umfeldes setzt. Erste Erfolge haben sich eingestellt. Die Zahl der extremistischen Straftaten, vor allem der Gewalttaten ist zurückgegangen. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen.

Was konkret den Landkreis Uckermark betrifft, wo Potzlow liegt, so habe ich vor einem halben Jahr mit der Fachhochschule Potsdam eigens ein Präventionsprojekt begonnen. In wenigen Wochen sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden. Dann wollen wir gemeinsam Konzepte erarbeiten: Jugendamt, Sportvereine – und alles, was mit Sport zusammenhängt –, Schule und Polizei sollen vernetzt werden und Informationen austauschen. Ich habe das Projekt veranlasst, weil mir aufgefallen war, dass die Zahl der Gewaltdelikte unter Jugendlichen im ländlichen Raum höher ist als in Städten.

Ein weiteres, rasant wachsendes Problem sind Brandenburgs Schulden. Sie haben gesagt, wegen der Finanzprobleme müsse sich der Staat auf Kernaufgaben reduzieren. Was heißt das?

Brandenburg hat seit der Gründung des Landes ständig über seine Verhältnisse gelebt. Wir haben die höchste Verschuldungsquote der neuen Bundesländer. Das ist die Folge von neun Jahren SPD-Regierung im Land. So geht es nicht mehr weiter. Hinzu kommt das Ergebnis der Wirtschafts- und Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die zu nicht vorhersehbaren Steuerausfällen geführt hat. Wir müssen jetzt alles auf den Prüfstand stellen. Die Menschen haben erkannt, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Jetzt geht es um mehr Eigenverantwortung statt staatlicher Umsorgung.

Werden Sie bei den Wahlen 2004 wieder als Spitzenkandidat antreten?

Ich habe mich entschlossen, 2004 noch mal als Spitzenkandidat anzutreten, und das wird von der Landes-CDU unterstützt.

In der Brandenburger CDU meinen viele, dass Sie mit dem vitalen Ulrich Junghanns als neuem Wirtschaftsminister eine Vorentscheidung für Ihre Nachfolge getroffen haben.

Der Wechsel von Fürniß zu Junghanns ist sehr gut vollzogen worden. Junghanns findet breite Zustimmung. Mit der Nachfolgefrage an der Spitze der Landespartei hat die Personalentscheidung aber nichts zu tun. Für eine Nachfolge gibt es mehrere in der CDU, die in Frage kommen.

Dass Sie den Wechsel von Herrn Fürniß auf Herrn Junghanns loben, ist menschlich verständlich, wenn man bedenkt, dass Sie ansonsten mit Ihren Ministerkollegen nicht immer Glück gehabt haben. Warum kippen in Brandenburg so viele Minister?

Die Gründe des Ausscheidens von Herrn Schelter und von Herrn Fürniß haben mich menschlich enttäuscht. Beide Minister haben für das Land sehr wichtige und gute Arbeit geleistet. Aber es gab im persönlichen Bereich Vorwürfe, die zwar nicht justiziabel sind, die man aber als Spitzenpolitiker anständiger Weise nur mit einem Rücktritt beantworten kann. Herr Schelter und Herr Fürniß haben sich da anders verhalten als zum Beispiel Herr Holter von der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, der immer noch an seinem Ministersessel klebt, obwohl ihm vorgeworfen wird, mit Steuerzahlergeldern ganz persönlich nicht korrekt umgegangen zu sein.

In Umfragen schneidet die Brandenburger CDU zur Zeit nicht besonders gut ab.

Das sind Umfragen von Anfang September unter dem Eindruck der Hochwasserkatastrophe, des Themas Irak und der Kriegspsychose, die die rot-grüne Bundesregierung geschürt hatte. Das Bild wird sich jetzt, wo die Haushaltssanierung in Brandenburg ansteht, wieder ändern. Das Jahr 2003 wird das Jahr der starken CDU-Präsenz in unserem Land und der aktiven Diskussion mit den Bürgern. Ein Kreisverband hat bereits die ersten 40 000 Fragebögen an Haushalte verteilt; die anderen Kreisverbände werden alle nachziehen. Wir wollen von den Bürgern im Vorfeld der Kommunalwahlen wissen, welche Sorgen sie haben, und welche Veränderungen sie wünschen.

Manfred Stolpe und Jörg Schönbohm, das waren unterschiedliche Lebensläufe, aber eine Generation. Es waren, salopp gesprochen, zwei alte Füchse, die sich respektierten. Wie ist Ihr Verhältnis zum neuen, jüngeren Ministerpräsidenten Matthias Platzeck?

Herr Platzeck und ich gehen loyal miteinander um. Darauf kommt es an, nicht auf die gleiche Generation. Die Bewährungsprobe für uns beide kommt, wenn sich zeigen muss, ob man auch unter schwierigen Bedingungen die Lasten gemeinsam trägt. Das betrifft vor allem den schwierigen Landeshaushalt 2003 und dann die Arbeit am Haushalt 2004.

Sie beantworten die Frage nur rein technisch-fachlich und nicht menschlich. Warum?

Ich dachte, der menschliche Faktor ist nicht so interessant.

Doch.

Gut. Herr Stolpe und ich haben gemeinsam bewegende Ereignisse erlebt nach der Bildung des Landes Brandenburg. Wir haben da sehr viel miteinander diskutiert. Herrn Platzeck kenne ich erst richtig, seitdem er Landesvorsitzender der SPD ist. Im persönlichen Umgang mit ihm habe ich überhaupt keine Probleme. Wir wissen beide, dass wir aus etwas unterschiedlichen Welten kommen, aber dass wir auch gemeinsam etwas vorhaben.

Haben Sie schon einen Rotwein mit ihm getrunken?

Ja, mehrmals. Er war zum Beispiel bei meinem Geburtstag. Edzard Hausmann veranstaltete eine Lesung aus den Liebesbriefen, die seine Mutter von Hermann Hesse bekommen hat. Am nächsten Tag sagte Herr Platzeck zu mir, das sei ein besonderer Abend für ihn gewesen. So etwas habe er noch nicht erlebt. Wir gehen also menschlich miteinander um.

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller und Frank Jansen.

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2002

 

Abgeordnetenhaus lädt zum Holocaust-Gedenktag Schüler-Projekte ein


berlin (ddp-bln). Das Berliner Abgeordnetenhaus lädt anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2003 Jugendliche zu einem «Treffpunkt der Ideen, Initiativen und Möglichkeiten» ein. Dabei erhalten Schulklassen, Gruppen und Verbände Gelegenheit, ihre Projekte zur Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit, mit Rechtsextremismus, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus öffentlich vorzustellen. Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) wies am Montag darauf hin, dass Jugendliche in die Vorbereitung des Treffens eng einbezogen werden, um möglichst viele Gruppen zum Mitmachen zu bewegen.

Darüber hinaus schreibt das Parlament einen Schreib- sowie Song-Wettbewerb aus. Dabei sollen sich die Teilnehmer mit den Themen Extremismus und Gewalt auseinandersetzen. (Weitere Informationen unter www.bedenkmal.de)

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2002

"Klare Normen und Grenzen vermittelt"

Jugendhaus will sich Fragen stellen
Von unserem Redaktionsmitglied
Heiko Schulze

Potzlow/Strehlow.
"Solche kleinen Orte wie unsere wissen nur schwer damit umzugehen. Ohne die Unterstützung des Mobilen Beratungsteams wären wir völlig überfordert", räumt Peter Feike, ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Oberuckersee und Mitarbeiter im Jugendhaus Strehlow, bereitwillig ein. Etwas über zwei Wochen sind seit dem Bekanntwerden des Mordes an dem 16-jährigen Marinus S. aus Gerswalde vergangen, und noch immer stehen die Bewohner in und um Potzlow, wo die Tat im Juli von drei Jugendlichen begangen wurde, unter Schock.
Karin Dörre und Jürgen Lorenz vom Mobilen Beratungsteam des Landes Brandenburg, versuchen mit psychologischen Gesprächen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu helfen, das Unfassbare zu verarbeiten, damit umzugehen. Doch über die Seelenlage der Bewohner, die mit den Tätern und dem Opfer lebten, können auch sie nur Vermutungen anstellen.
"Wo immer man sich trifft, auf der Straße, an der Kaufhalle, man kommt immer wieder darauf zu sprechen", schildert Karin Dörre. Angesichts der Demonstrationen der Antifa-Gruppen aus Berlin und der Uckermark, die am Wochenende mit Lautsprecherwagen, Musik und Reden durch Potzlow, Strehlow und später Prenzlau zogen, wirbt Wolfram Hülsemann, Leiter des Potsdamer Geschäftsstelle des Mobilen Beratungsteams, um Verständnis, dass diese Aktionen vor Ort auf wenig Verständnis stoßen: "Die ländliche Bevölkerung hat eine andere Art zu kommunizieren, mit Trauer umzugehen, als Großstädter."


Konfliktlinie gezogen

Was die Arbeit der Mobilen Beratungsteams als Teil des Handlungskonzeptes "Tolerantes Brandenburg" der Landesregierung betrifft, setzten sich die Mitarbeiter kritisch mit der praktizierten Jugendarbeit auseinander: "Wir kommen viel im Land herum und lassen uns nicht zukleistern." Gerade im Jugendhaus Strehlow, so Hülsemann, wären die Mitarbeiter alles andere als gleichgültig gegenüber rechten Verhaltensweisen. "Hier wurde eine Konfliktlinie gezogen, die sich deutlich an demokratischen Grundrechten orientiert. Wer in dieses Haus hereinkommt, erfährt klare Normen, Markierungen und Grenzen", weist er den Vorwurf zurück, dass das Haus in Strehlow sich zu einem "Hort für Rechte" entwickelt habe.
Um das Haus in freier Trägerschaft überhaupt als Angebot an Kinder und Jugendliche offen halten zu können, habe das Team um Petra Freiberg außerhalb seiner Arbeitszeit Dorffeste und Familienfeiern ausgerichtet, dabei im vergangenen Jahr 200 000 Mark erwirtschaften können. Vor der Gründung des Jugendhauses gab es nach Vorfällen im Jahr 1997 nur eine Stelle aus dem "610-Stellen-Programm" gegen "Gewalt, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit", zuständig für die Betreuung in 14 Gemeinden des damaligen Amtsbereiches Gramzow. Die Gründung des Strehlower Vereins war eine Reaktion darauf, um richtig arbeiten zu können: "Wir wollten mit dem Haus den Jugendlichen einen Platz schaffen, wo sie zusammen sein, sich auch anlehnen können. Wir wollen die Menschen sehen in ihrer ganzen Not, die da ist."
Den Besuchern werden dabei Normen und Werte vermittelt, auf deren Einhaltung sie inzwischen gegenseitig achten. Diese Form der praktizierten Jugendarbeit mit einer Balance zwischen Nähe und Distanz, betont Hülsemann, bedeute nicht, dass es eine alles hinnehmende Jugendarbeit sei.

An oberster Stelle

Bürgermeister Feike erinnerte daran, dass in den Fusionsverhandlungen der Dörfer zur Gemeinde Oberuckersee trotz schwieriger Finanzlage der Erhalt des Jugendhauses in Strehlow immer mit an oberster Stelle stand. Weitere Jugendklubs konnten erhalten werden: "Gegenwärtig stoßen wir an Grenzen, was die Unterstützung der Jugendarbeit betrifft." Eine Nullrunde soll es dennoch nicht geben: "Die Gemeindevertreter stellen sich klar hinter die Einrichtung in Strehlow. Wenn wir diese nicht erhalten, wird eine Jugendarbeit in unseren Dörfern kaum noch möglich sein." Dass der Mord an Marinus S., den Hülsemann als "Hinrichtung" bezeichnet, nie vergessen werden darf und zum intensiven Nachdenken zwingt, wie es überhaupt dazu kommen konnte, stellt Petra Freiberg heraus: "Die Tat hätten wir nicht verhindern können. Wir können nicht überall sein und die Tat ungeschehen machen. Aber können wir das Milieu, aus dem die Tat entstand, verhindern?"
Eine von vielen Fragen, über die intensiv nachgedacht werden muss. Nicht nur von Jugendarbeitern, betont Hülsemann, auch in Familien und Schulen: "Jene, die an der Lebenslinie zu Jugendlichen stehen, können nicht die Reparaturbrigade der gesamten Gesellschaft sein."

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2002

Gegen Sprachlosigkeit, für Streitkultur

Neustrelitzer Bürgermeister Rainer Günther zieht Bilanz des Projektes "Anstoß - Soziale Nachhaltigkeit"
Neustrelitz. Seit vier Jahren gibt es in Neustrelitz das Projekt "Anstoß - Soziale Nachhaltigkeit". Unser Redaktionsmitglied Mario Tumm befragte den Neustrelitzer Bürgermeister Rainer Günther (SPD) zu dem bisher Erreichten.
Vier Jahre "Soziale Nachhaltigkeit". Kann man das in Neustrelitz schon an etwas festmachen? Den Begriff "Soziale Nachhaltigkeit" zu greifen ist einfacher, als etwas Messbares darzustellen, weil dieses Projekt auf Langfristigkeit angelegt ist. Es geht gegen die Sprachlosigkeit gegenüber dem Rechtsextremismus, für eine gute Streitkultur in der Stadt und vor allem um Kommunikation auf verschiedenen Ebenen. Und da haben wir einiges erreichen können.
Wie ist das Projekt entstanden? Wir wurden in der Mitte der 90er Jahre speziell in den neuen Bundesländern mit dem Phänomen des Rechtsextremismus sehr stark konfrontiert. Die Tatsache, dass er existiert hat, hat mich nicht so sprachlos gemacht wie die Frage, wie kann man dagegen angehen. Wenn man überhaupt etwas ändern will, dann muss man ein Klima in der Stadt schaffen, das dem Rechtsextremismus den Nährboden entzieht. Das war eines der Anliegen. Wer arbeitet in dem Projekt, was passiert dort? Ich habe auf engagierte Bürger gesetzt und bin froh, dass ich diese Menschen auch gefunden habe. Sie engagieren sich vorwiegend in der Freizeit für diese Themen, haben verschiedene Projekte entwickelt und tragen die Idee weiter. Es geht um die Bereiche "Werte", "Schule", "Begegnung" und "Familie". Das Vorhaben hat inzwischen landesweit viel Aufsehen erregt und einige Preise gebracht. Diese Arbeit ist also nicht selbstverständlich. Ich wünsche mir, dass es in jeder Stadt so ein Projekt gibt. Dann würde man viel mehr erreichen, auch mehr Menschen. Ist der Rechtsextremismus weiterhin der Hauptinhalt? Wir haben am Anfang sehr darüber diskutiert, ob wir die Gefahr von Rechts als Aufhänger nehmen oder nicht. Wir haben uns dann darauf verständigt, dass wir generell in der Gemeinschaft dieser Stadt etwas verändern wollen und damit dann auch erreichen, dass der Rechtsextremismus keinen Nährboden mehr hat. Alles andere wäre zu plakativ. Welche Meilensteine sind bislang gesetzt worden? Es gibt einige. Das, was beispielsweise in Kiefernheide rund um das Kohlberg-Gelände passiert, soll nun auch in die Stadtmitte getragen werden. Wenn wir das schaffen, dann haben wir einen Riesensprung gemacht. Zweiter Komplex ist die Zusammen-arbeit von Eltern, Lehrern und Betreuern im außerschulischen Bereich. Dort soll es zu Gesprächen kommen, die nicht gleich eine Schuldzuweisung enthalten. Erst einmal sollen die Probleme benannt werden, darüber ge- redet und nach Lösungen gesucht werden. Das ist aber ein langwieriges Problem, bei dem auch viel Idealismus mit bei ist. Gibt es da nicht die Gefahr, einfach aufzugeben? Manchmal fühle ich mich wie Don Quichote, aber man muss es tun. Wenn man dann einiges geschafft hat und die richtigen Mitstreiter dabei sind, geht es immer weiter. Inwieweit das am Ende Früchte trägt, kann ich allerdings nicht sagen. Aber es verbessert das Klima. Und wenn ein Außenstehender sagt, es hat sich etwas verändert in Neustrelitz, außer dass die Häuser neu gemacht sind, dann nehme ich das wohlwollend entgegen. Er kann es auch nicht benennen, aber er fühlt es. Gibt es schon konkrete Pläne für die Innenstadt? Bislang gibt es den Bereich zwischen Nehru-Schule, Neuem Markt und Glambecker Straße. Es stehen auch schon Leute fest, die eingebunden werden sollen. Ein konkretes Projekt oder Objekt ist noch nicht fest- gemacht. Das wird sich aber finden. Wie geht es weiter? Das Projekt soll auf jeden Fall weitergehen, egal, ob ich als Bürgermeister im nächsten Jahr wiedergewählt werde. Ein weiterer Schwerpunkt ist beispielsweise noch die Sprachlosigkeit zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden. Das bringt Isolation, die mit weiteren Projekten überwunden werden soll. Es gibt eine Vielzahl von Mosaiksteinen. Ich bin richtig stolz auf das, was hier passiert. Braucht man dafür nicht viel Geld? Geld hat vordergründig nie die Rolle gespielt. Alle, die hier waren, haben klargemacht, dass das Ehrenamt die erste Geige spielt. Sicher wird einiges finanziell begleitet. Aber es war nie der Ansatz, dass zuerst Geld und Stellen da sein müssen. Es soll von innen heraus Gestalt annehmen. Das ist sehr idealistisch, hat aber schon zum Erfolg geführt. Hannelore Hildebrandt ist dort ein Beispiel, das Schule macht und weiter machen sollte.