Freitag, 14. Februar 2003
91 Prozent der Deutschen sind gegen einen neuen Krieg am Golf. Die ganze Nation eine Friedensbewegung? Die taz stellt täglich vor, wer sich so rührt.
Er fordert die "Selbstbefreiung der Deutschen", war Ende der 80er-Jahre Bundestagsabgeordneter der Grünen, leitete ein "Friedenskomitee 2000" und ist schon lange bei der extremen Rechten zu Hause: Alfred Mechtersheimer, selbst ernannter Friedensforscher, will am Samstag auch mitdemonstrieren. "Von links bis rechts friedlich gegen den Krieg" ist der Slogan, mit dem er die extreme Rechte in die Friedensbewegung einschleusen will. Und Antiamerikanismus als Köder für die Linke auswirft.
Ungebeten zur Demo angekündigt haben sich neben DVU und NPD auch die militanten Freien Kameradschaften. Deren Sprüche sind oft erst beim zweiten Lesen als rechtsextrem zu erkennen. Wo von "zionistischem oneworld-Terror" oder "nationalem Widerstand" die Rede ist, sollte nicht nur genauer hingeguckt werden, sagt Attac. Transparente mit antisemitischen und rassistischen Slogans würden am Samstag schlichtweg entfernt. Die extreme Rechte habe auf der Demonstration nichts verloren. Zumindest die Ordner von Attac würden darauf achten.
Ein Vorsatz, der in den letzten Wochen etwa in Halle keineswegs umgesetzt wurde. Da marschierten 25 Neonazis unter Polizeischutz am Ende einer Friedensdemo mit. Damit es in Berlin so weit nicht kommt, sei daran erinnert: Springerstiefel und Glatze sind keineswegs mehr das Erkennungszeichen aller Neonazis. (www.apabiz.de)
Freitag, 14. Februar 2003
Veranstalter, Unterstützer und Politiker lassen sich vom Aufruf
der Rechten nicht beeindrucken
Von Sabine Beikler
und Annette Kögel
Nun erst recht: Auf diese Kurzformel lassen sich die Reaktionen von
Friedensbewegten auf die unerwartete Teilnahme auch rechter Parteien und
Personen an der Anti-Kriegs-Demo am Sonnabend bringen. Wie berichtet, haben
auch die Bundes-NPD sowie die politisch umstrittenen Persönlichkeiten Jamal
Karsli und Alfred Mechtersheimer zur Teilnahme an der Friedensdemo am
europaweiten Aktionstag, dem 15. Februar, aufgerufen. Wie eine Umfrage bei den
Veranstaltern und Unterstützern der Demo, bei Parteien und unter Berlinern
ergab, will sich aber niemand von der unerwünschten Rückendeckung aus dem
rechten Lager in seinem Engagement stoppen lassen.
SPD-Landeschef Peter Strieder beispielsweise hat zwar kein Verständnis dafür,
dass etwa Jamal Karsli auf der Unterstützer-Liste stehet und die rechtsextreme
NPD zur Veranstaltung aufruft. Dennoch nimmt er teil: Das eigentliche Anliegen
dürfe nicht in den Hintergrund treten – nämlich für „das letzte bisschen Chance
für Frieden“ wirklich alles zu mobilisieren.
Auch PDS-Landeschef Stefan Liebich plädiert ungeachtet der Aufrufe rechter Gruppen
für eine Demo-Teilnahme. „Je mehr kommen, umso weniger fallen Rechte auf.“ Die
Teilnahme rechter Parteien fördere indes nicht den „friedlichen Charakter“ der
Demo, sagte Grünen-Landesvorsitzende Regina Michalik. Sie erwartet von den
Veranstaltern, „deeskalierend“ einzuwirken.
Nach Informationen des Tagesspiegels soll der „arabische Block“ zwischen den
Grünen und der SPD laufen, um Anfänge möglicher antiisraelischer oder
antiamerikanischer Parolen im Keim zu ersticken. Kathrin Vogler vom
Demo-Trägerkreis sagte, „Blockbildungen“ sowie Anzeichen für Rassismus,
Antisemitismus, Intoleranz würden von den Veranstaltern entschieden abgelehnt.
Der eigene Ordnerdienst werde umgehend Transparente mit diskrimierenden
Aufschriften entfernen. Außerdem arbeite man gut mit der Polizei zusammen.
Vogler glaubt auch nicht, dass die Rechten in der großen Masse auffallen
werden. Unterdessen kündigte der für das Bühnenprogramm zuständige Regisseur
an, dass sich die Veranstalter auch bei der Kundgebung deutlich von rechten Unterstützern
und Teilnehmern distanzieren werden.
„Was die NPD da macht, ist doch Bauernfängerei“, sagte gestern auch Michael
Behrendt von der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär – auch
sie gehört zum Unterstützerkreis. In der Vergangenheit sei es immer wieder
vorgekommen, dass „Leute aus der nationalistischen Ecke versuchen, sich auch
auf diese Weise zu positionieren“. Aber auch Behrendt meinte, „alle anderen
müssen jetzt erst recht mitmachen“. Sicher werde es Diskussionen zwischen Rechten
und Linken geben. Ausschreitungen? „Erwarte ich nicht. So etwas gehört einfach
nicht zu einer Friedensdemo.“
Auch Monika Weber, Pfarrerin der Neukölner Martin-Luther-Kirchengemeinde,
zeigte sich herausgefordert. „Das darf und wird uns nicht hindern, unsere
Meinung zum Ausdruck zu bringen.“ Die Bevölkerung könne trotz der ungebetenen
Rückendeckung aus der rechten Szene „genau einordnen, welche Überzeugung die
Veranstalter vertreten“.
„Schön ist das nicht“, ärgerte sich gestern Volkmar Dirk, 32-jähriger Grafiker
aus Schöneberg, „aber ich gehe trotzdem hin“. Und auch Anton, 18-jähriger
Gymnasiast aus Kreuzberg, ist bei der Demo dabei. „Auf jeden Fall. Auch wenn
ich glaube, dass das leider nicht mehr allzu viel bringen wird“.
Freitag, 14. Februar 2003
Lange Abschiebehaft in der Kritik
Viele Suizidversuche in Berlin / Senat sagt Verbesserungen zu
Durch einen mehrwöchigen Hungerstreik und mehrere Suizidversuche ist die
Abschiebehaft in Berlin in die Diskussion geraten. Der Senat hat Zugeständnisse
gemacht, aber nach Ansicht der Häftlinge noch nicht genug.
Von Pitt von Bebenburg
BERLIN, 13. Februar. Zahlreiche
Ausländer, die in der Berliner Abschiebehaft sitzen, fordern mit
Protestaktionen ein Ende der "übermäßig langen Haftzeiten" und
bessere Lebensbedingungen in der Anstalt. Nach Angaben des Senats sind sechs
Menschen bereits länger als ein halbes Jahr in Haft. Mehr als 75 Häftlinge
haben sich im Laufe der vergangenen drei Wochen an Hungerstreiks beteiligt; am
Donnerstag setzten noch sieben Menschen diese Aktion fort. Mindestens elf
Gefangene verletzten sich selbst oder unternahmen Selbsttötungsversuche. Ein
28-jähriger Russe, der versucht hatte, sich zu erhängen, liegt auf der
Intensivstation.
Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist auf einige der Forderungen
eingegangen. So werden Trennscheiben zu Besucherplätzen und Gitter vor den
Zellenfenstern entfernt. Damit setzt er Forderungen des Abgeordnetenhauses um,
die bereits anderthalb Jahre alt sind. Außerdem versprach der Senator,
Arbeitsmöglichkeiten für länger Inhaftierte zu schaffen. Dem "menschlich
verständlichen Wunsch, nicht in Abschiebehaft genommen zu werden", könne
jedoch nicht nachgekommen werden, erklärte seine Sprecherin.
Flüchtlingsinitiativen wenden sich seit langem grundsätzlich gegen die
Abschiebehaft, bei der solche Menschen bis zu 18 Monate inhaftiert werden
können, die Deutschland verlassen müssen, aber nicht sofort abgeschoben werden
können. Die Haftdauer hängt meist davon ab, wie schnell das Herkunftsland
Papiere ausstellt. Berlins Flüchtlingsseelsorger Dieter Müller verwies darauf,
dass Indien dies fast nie in sechs Monaten erledige. Einige Gerichte in
Deutschland weigerten sich deswegen, Inder in Abschiebehaft zu schicken.
Dagegen seien in der Berliner Anstalt 70 der 320 Häftlinge aus Indien.
Der Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann meinte dazu: "Menschen, deren
Herkunftsländer sich weigern, die nötigen Reisepapiere auszustellen, gehören
nicht in Abschiebehaft." Ratzmann verwies darauf, dass die Flüchtlinge
"doppelt bestraft" würden, da für ihr Leben "in knastähnlichen
Verhältnissen" 60 Euro pro Tag in Rechnung gestellt würden.
Freitag, 14. Februar 2003
Bei der Zuwanderung versucht sich die FDP als
Blockierer der Blockade
Freidemokraten wollen "Giftliste" der Union im Bundesrat vorerst
bremsen / Verbände: "Migrationspolitische Steinzeit" droht
Die CDU/CSU könnte bei ihrer ersten großen Kraftprobe mit Rot-Grün nach
den gewonnenen Landtagswahlen einen Dämpfer erhalten. Bei der Abstimmung über
das Zuwanderungsgesetz am heutigen Freitag im Bundesrat wollen die hessische,
die baden-württembergische und die Hamburger FDP die Koalitionskarte ziehen.
Die Änderungsanträge der Union zu dem Gesetz fänden somit keine Mehrheit in der
Kammer.
Von Vera Gaserow (Berlin)
Dem
Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung wird der Bundesrat am Freitag
zwar im zweiten Anlauf die nötige Zustimmung verweigern. Zugleich dürfte jedoch
auch die Union mit ihrem 137 Anträge umfassenden Änderungspaket scheitern. Von
"rauchenden Köpfen" in der Union und einer "drohenden
Schlappe" sprachen deshalb Beobachter der Abstimmungsgespräche im Vorfeld
der Sitzung. Weil die FDP in Hessen, Hamburg und Baden-Württemberg der Union
bei den Anträgen zu einer weit reichenden Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes
die Gefolgschaft verweigern will, müssten sich die Länder gemäß ihren
Koalitionsabsprachen bei der Abstimmung über den Änderungskatalog enthalten.
Die Unionspläne, über die einzelnen Punkte abzustimmen und das
Zuwanderungsgesetz bestückt mit einem Forderungspaket an den Bundestag zu
leiten, wären damit vorerst gescheitert. Das Zuwanderungsgesetz ginge ohne eine
Stellungnahme der Länderkammer ans Parlament. Um diese Schlappe abzuwenden,
beauftragten die unionsgeführten Länder den saarländischen Ministerpräsidenten
Peter Müller, in aller Eile eine nur allgemein gehaltene Stellungnahme gegen
das rot-grüne Zuwanderungsgesetz zu entwerfen. Ob die FDP in den schwarz-gelben
Länderkoalitionen dieser Kompromissempfehlung zustimmt, entscheidet sich erst
kurz vor der Bundesratssitzung. Einen ersten Entwurf Müllers schickte Baden-Württemberg
auf Drängen der FDP am Donnerstag zumindest als "inakzeptabel"
zurück. "Für eine Blockadepolitik bei der Zuwanderung wird die FDP nicht
die Hand reichen", so FDP-Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck,
"die Union muss begreifen, dass sie ohne die FDP im Bundesrat nicht
mehrheitsfähig ist."
Sprecher unionsregierter Länder nannten die hektische Suche nach konsensfähigen
Mehrheiten ein "ganz normales Verfahren". Die eigentliche
Auseinandersetzung über das Zuwanderungsgesetz werde erst im Vermittlungsausschuss
stattfinden. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) drohte kurz vor
der Bundesratssitzung der Bundesregierung. Die Zuwanderungsfrage sei die
"Nagelprobe" für die Kooperationsfähigkeit von Rot-Grün. Wenn die
Regierung dort auf ihrer Linie beharre, könne Kanzler Gerhard Schröder "in
anderen Punkten nicht erwarten, dass wir der Koalition auch nur den kleinen
Finger reichen".
Die Unionsforderungen zur Zuwanderungsreform beinhalten unter anderem
drastische Verschärfungen des geltenden Ausländer- und Asylrechts. Einen Tag
vor der Bundesratssitzung kritisierte ein Bündnis von Wohlfahrtsorganisationen,
Menschenrechtsgruppen und Juristenvereinigungen diese Vorschläge als einen
"Rückfall in die migrationspolitische Steinzeit". In einem 35-Punkte-Katalog
fordern die Gruppen stattdessen weit reichende Verbesserungen am rot-grünen
Zuwanderungsgesetz. Sie warnten SPD und Grüne davor, sich wichtige
Errungenschaften von der Union wieder abhandeln zu lassen. Andernfalls würden
"die Ziele des Gesetzes in ihr Gegenteil verkehrt", und das Vorhaben
sollte lieber ganz aufgegeben werden.
Freitag, 14. Februar 2003
Rechtsextreme Parteien haben "keinen Rückhalt
mehr"
Analyse des Verfassungsschutzes: "Republikaner" in Hessen kaum
noch zu engagiertem Wahlkampf in der Lage
Die rechtsextremen Parteien spielen bei den hessischen Wählerinnen und
Wählern derzeit keine große Rolle. Diesen Schluss hat das Landesamt für
Verfassungsschutz aus einer Analyse der Landtagswahl vom 2. Februar gezogen.
Von Matthias Bartsch
WIESBADEN. Innenminister Volker Bouffier (CDU) stellte
zufrieden fest, dass extremistische Parteien insgesamt bei der Landtagswahl
"über einen Splitterstatus nicht hinausgekommen" seien. NPD und DVU
traten gar nicht erst an, und die "Republikaner" haben mit nur 1,3
Prozent ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 1999 mehr als halbiert.
Der zentralistisch von München aus geführten "Deutschen Volksunion"
(DVU) fehlte es nach Einschätzung der Verfassungsschützer sowohl an
"Personenpotenzial" als auch an finanziellen Mitteln der
Parteispitze, um zur Wahl überhaupt antreten zu können. Bei der NPD, die 1999
nur 0,1 Prozent der Stimmen erhielt, habe der Parteivorstand die ursprüngliche
Planung, an der Landtagswahl 2003 teilzunehmen, dann doch wieder gekippt. Und
die "Republikaner" (Reps), die vor vier Jahren noch in allen
hessischen Wahlkreisen Kandidaten aufgestellt hatten, boten diesmal nur noch in
acht Wahlkreisen Direktkandidaten auf.
Der "Republikaner"-Wahlkampf habe überdies gezeigt, "dass die
Partei derzeit nicht in der Lage ist, einen engagierten Wahlkampf mit
motivierten Mitgliedern zu führen", schreibt der hessische
Verfassungsschutz in seiner Analyse.
Ihre besten Ergebnisse erreichten die "Republikaner" im östlichen
Teil des Main-Kinzig-Kreises mit 2,3 Prozent (1621 Stimmen) sowie im
nordwestlichen Teil des Kreises Groß-Gerau und im Raum Hanau mit jeweils 2,1
Prozent. Die geringste Zustimmung hatten sie in zwei Wahlkreisen der Städte
Kassel und Darmstadt mit je 0,6 Prozent.
Insgesamt kamen die "Republikaner" in Hessen auf 34 553 Stimmen -
nach 75 114 im Jahr 1999. Vom Wahlverzicht der NPD und DVU konnten die
rechtsextreme Partei also nicht profitieren. Und auch die ebenfalls auf rechte
Wähler zielende Schill-Partei, die bei der Bundestagswahl im September in
Hessen noch 22 381 Stimmen geholt hatte, konnte bei der Landtagswahl nur noch
14 494 Wählerinnen und Wähler (0,5 Prozent) mobilisieren.