Freitag, 14. März 2003
BERLIN/KARLSRUHE,
13. März. Der letzte Versuch zur Rettung des NPD-Verbotsverfahrens ist offenbar
gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am Donnerstag, dass es
ungeachtet einer Intervention von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat an
dem für kommenden Dienstag anberaumten Verkündungstermin festhalte. Politiker
von Koalition und Opposition werteten die Entscheidung als Zeichen dafür, dass
das Verfahren platzen wird.
Das Verfassungsgericht
hatte das seit zwei Jahren laufende NPD-Verfahren Anfang 2002 gestoppt, weil
das Beweismaterial teilweise von V-Leuten des Verfassungsschutzes stammt. Vor
zweieinhalb Wochen setzte Karlsruhe den 18. März als Termin für "die
Verkündung einer Entscheidung" über die Fortsetzung des Verfahrens an.
Anschließend gab es Berichte, das Verfassungsgericht habe sich für ein Ende des
Verfahrens entschieden.
Daraufhin hatten die drei
Antragsteller - Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat - vor wenigen Tagen
einen letzten Versuch gestartet, das drohende Scheitern noch abzuwenden. In
einem Schriftsatz beantragten sie, vor einer möglichen Einstellung des
Verfahrens eine mündliche Verhandlung anzusetzen. Am Donnerstag teilte
Gerichtssprecherin Gudrun Schraft-Huber aber mit, der Zweite Senat habe nach
Beratung beschlossen, den Verkündungstermin aufrecht zu erhalten.
In Koalitionskreisen
zeigte man sich sicher, dass das Verfahren damit geplatzt ist. "Es wird
eine negative Entscheidung sein", hieß es. Das Bundesinnenministerium
wollte sich nicht an den Spekulationen beteiligen. "Das Bundesverfassungsgericht
sieht offenbar keine Notwendigkeit einer Erörterung mit den Antragstellern vor
dem 18. März", hieß es lediglich.
Der SPD-Innenexperte
Dieter Wiefelspütz griff das Bundesverfassungsgericht scharf an. Karlsruhe
hätte die Antragsteller darüber informieren müssen, welche Art von Entscheidung
es am kommenden Dienstag treffen wolle, sagte er. "Für jedes
Gerichtsverfahren gilt, dass es keine Überraschungsentscheidungen geben
darf." Das sei "im Grunde ein unglaublicher Vorgang".
Der FDP-Innenexperte Max
nannte Wiefelspütz´ Kritik nicht nachvollziehbar. "Es hat doch im Oktober
einen Erörterungstermin gegeben, da konnte doch jeder vortragen, was er für
notwendig hielt", sagte Stadler der Berliner Zeitung. "Dass Richter
nach einer solchen Erörterung eine Entscheidung verkünden, ist keine
Überraschung, das ist bei jedem Wald- und Wiesengericht üblich." Der
Versuch der Antragsteller, kurz vor Schluss noch eine mündliche Verhandlung zu
erzwingen, sei von vornherein aussichtslos gewesen. Es wisse doch jeder, dass
beim Bundesverfassungsgericht die Entscheidung längst gefallen sei und nach der
Bekanntgabe des Verkündungstermins nur noch die Begründung gefertigt werde,
sagte Stadler. "Niemand kann ernsthaft erwartet haben, mit einem
Schriftsatz die intern getroffene Entscheidung des Gerichts noch abändern zu
können."
Für den rechtspolitischen
Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, steht bereits der Schuldige am zu
erwartenden Scheitern des Verbotsantrages fest. Das Bundesinnenministerium,
dessen Informationen für die Klageschrift sich als falsch und unzulänglich
erwiesen hätten, und die Bundesregierung hätten dilettantisch gehandelt,
erklärte Röttgen am Donnerstag.
Freitag, 14. März 2003
Weichen wurden im Oktober 2000 gestellt
Nach
einer Reihe rechtsextremer Anschläge wird im Sommer 2000 der Ruf nach einem
Verbot der NPD laut. Im Oktober 2000 sieht
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Weichen für einen Verbotsantrag
gestellt. Die meisten Länder-Ministerpräsidenten befürworten das Vorgehen.
Nur Hessen und das Saarland stimmen dagegen. Im November und
Dezember 2000 beschließen Bundesrat und Bundestag, eigene Verbots- anträge zu
stellen. Im Januar 2001 reicht
die Bundesregierung ihren Antrag in Karlsruhe ein; Bundestag und Bundesrat
folgen im März. Im Januar 2002 setzt
das Gericht die für Februar geplanten Verhandlungstage aus. Der Grund:
Berichte über V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD. Am 8. Oktober 2002
weigern sich die Antragsteller in einem Erörterungstermin, die Namen der
V-Leute zu nennen. Am 26. Februar 2003
setzt das Gericht den 18. März als Termin für die Verkündung der Entscheidung
über das weitere Verfahren an. |
Freitag, 14. März 2003
DPA BLZ
Schauspielerin
Iris Berben und die Tagesthemen-Moderatorin Anne Will haben am Donnerstag im
Berliner Ensemble die dritte "Aktionswoche gegen Rassismus"
vorgestellt. Das Projekt vom 17. bis zum 21. März ist vom Verein "Gesicht
zeigen!" und vom Interkulturellen Rat initiiert worden. Bundesweit sind 50
Schulen und erstmals 23 Museen beteiligt - in Berlin das Haus der Kulturen der
Welt, das Ethnologische Museum, das Museum Europäischer Kulturen, das
Freilichtmuseum Domäne Dahlem, das Museum für Kindheit und Jugend sowie das
Jugendmuseum Schöneberg. Zeitzeugen und Prominente gestalten Unterrichtsstunden
zum Thema Rassismus. Schulen beteiligen sich mit eigenen Projekten. Geplant
sind Podiumsdiskussionen, Plakat- Wettbewerbe, Schreibwerkstätten und
Projektfahrten.
Bei der Präsentation
verlasen Iris Berben und Anne Will sichtlich bewegt 24 Meldungen von Straftaten
mit rechtsextremistischem Hintergrund, die in Deutschland verübt wurden.
"Ich bin fassungslos, wie viele rassistische Übergriffe es in Deutschland
noch gibt", sagte Berben. "Man darf nie vergessen, dass hinter jeder
Meldung eine persönliche Tragödie steckt."
Freitag, 14. März 2003
Es war ein Rettungsversuch: Bundesregierung, Bundesrat
und Bundestag wollten noch eine neue Erörterung durchsetzen. Das Gericht lehnte
ab. Seit zwei Jahren läuft das Verfahren gegen die rechte Partei. Am kommenden
Dienstag wird entschieden.
Berlin - Der letzte Versuch zur Rettung des NPD-Verbotsverfahrens ist offenbar gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass es an dem für kommenden Dienstag anberaumten Verkündungstermin festhalte. Ungeachtet einer Intervention von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Politiker von Koalition und Opposition werteten die Entscheidung als Zeichen dafür, dass das Verfahren platzen wird.
Das Bundesinnenministerium erklärte, die Bundesregierung beteilige sich nicht an den Spekulationen. "Das Bundesverfassungsgericht sieht offenbar keine Notwendigkeit einer Erörterung mit den Antragstellern vor dem 18. März", hieß es lediglich. Das Gericht selbst lehnte jede Interpretation seiner Entscheidung ab, an dem Verkündungstermin am 18. März festzuhalten.
Die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), sieht nur noch einen kleinen Hoffnungsschimmer für eine Rettung der Verbotsanträge. Es gebe Hinweise, dass Karlsruhe das Verfahren einstellen werde, sagte sie in Berlin. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz griff das Bundesverfassungsgericht scharf an. Karlsruhe hätte Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat darüber informieren müssen, welche Art von Entscheidung es am kommenden Dienstag treffen wolle, sagte er. "Für jedes Gerichtsverfahren gilt, dass es keine Überraschungsentscheidungen geben darf." Es sei erstaunlich, wie das Gericht mit den drei Verfassungsorganen umgehe. "Das Minimum ist doch, dass die Verfahrensbeteiligten wissen, was für eine Art von Entscheidung zu erwarten ist." Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck zeigte sich dagegen gelassen: "Ich habe nicht mit einer Terminverschiebung gerechnet." In Koalitionskreisen hieß es: "Es wird eine negative Entscheidung sein." Ähnlich äußerten sich Oppositionspolitiker. Die Karlsruher Entscheidung lege die Vermutung nahe, "dass das Bundesverfassungsgericht schon entschieden haben könnte, das Verbotsverfahren nicht weiterzuführen", sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach.
FDP-Innenexperte Max Stadler äußerte sich ähnlich. Schon der Versuch, auf das Gericht einzuwirken, zeige, dass die Antragsteller das Scheitern befürchteten.
Das Gericht hatte das seit zwei Jahren laufende NPD-Verfahren Anfang 2002 gestoppt, weil das Beweismaterial teilweise von V-Leuten des Verfassungsschutzes stammt. Die Antragsteller hatten vor wenigen Tagen eine weitere mündliche Verhandlung beantragt, um das sich abzeichnende Scheitern des Verfahrens noch in letzter Minute abzuwenden.
Freitag, 14. März 2003
"Sich zu bekennen, steht jedem gut zu Gesicht." Mit diesen Worten hat "Tagesthemen"-Moderatorin Anne Will ihr Engagement für den Verein "Gesicht zeigen!" bekräftigt, der mit einer bundesweiten Aktionswoche gegen Rassismus den Kampf für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit wieder mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken will. Das Projekt vom 17. bis 21. März ist von "Gesicht zeigen!" und vom Interkulturellen Rat initiiert worden. Der Verein "Gesicht zeigen!" wurde im August 2000 von Paul Spiegel (Vorsitzender des Zentralrats der Juden), Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye und Michel Friedman gegründet. Schirmherr ist Bundespräsident Johannes Rau. Auch Schauspielerin Iris Berben gehört zu den Unterstützern der Aktionswoche, die bereits zum dritten Mal veranstaltet wird. Bei der Präsentation des Projektes gestern Vormittag im Berliner Ensemble verlasen Berben und Will sichtlich bewegt 24 Meldungen von Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, die in den letzten Monaten in Deutschland verübt wurden. Die dunkelhaarige Anne Will hat selbst schon Erfahrungen der unangenehmen Art gemacht: "Weil ich vom Typ her auch Italienerin sein könnte, wurde mir schon ,Kanakenbraut' nachgerufen", erzählte sie und gab der Hoffnung Ausdruck, dass sie "mit der geliehenen Prominenz" als Tagesthemen-Moderatorin etwas bewirken könne.
Zu den Zeitzeugen, die seit Jahren erfolgreich mit Schülern und Schülerinnen über das Thema "Rassismus" diskutieren, gehört Eleonore Hertzberger, Autorin des Buches "Durch die Maschen des Netzes". Die 1917 in Berlin geborene Ex-Opernsängerin und Herausgeberin internationaler Modemagazine emigrierte mit den Eltern 1933 nach Holland. Die 85-Jährige wird in verschiedenen Berliner Schulen mit den Jungen und Mädchen diskutieren - heute mit einer 12. Klasse der Oskar-Schindler-Oberschule, Darßer Straße.
Die Domäne Dahlem veranstaltet während der Aktionswoche mit dem Kinder-Kunst-Museum das Projekt "Essen sprengt Grenzen". Dabei wird jeden Tag eine Schulklasse mit einer Botschaftergattin ein landestypisches Gericht zubereiten. Zugesagt haben Maria Candioti (Argentinien), Martina Lazarova (Tschechien), Um Sung-Won Hwang (Südkorea), Rebecca Magnussen (Ghana) und Shanti Casie Chetty (Sri Lanka). Barbara Jänichen
Freitag, 14. März 2003
Sein Vater, der Arzt Dr. Klaus-Michael Probst, gab ihm bewusst den Vornamen Christoph - nach dem Großvater. Dessen Name Christoph Probst ist bis heute untrennbar mit der "Weißen Rose" verbunden, den Helden des deutschen Widerstands: Am 22. Februar 1943 wurde der Student mit seiner Freundin Sophie Scholl und deren Bruder Hans hingerichtet. Christoph Probst war erst 23 Jahre alt.
Sein jetzt 37-jähriger Enkel, der Violoncellist Christoph Probst, kam am Mittwoch aus München nach Berlin. Mit seiner Mutter, der Konzertgitarristin Barbara Polásek, umrahmte er gestern Abend musikalisch eine Veranstaltung von Bundespräsident Johannes Rau, der unter dem Motto "Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt - Helfer und Retter in der NS-Zeit", ins Schloss Bellevue geladen hatte. Dabei wurde auch das Buch "Hilfe für Verfolgte in der NS-Zeit. Jugendliche forschen vor Ort" vorgestellt.
Über seinen Großvater, den er nie kennen lernen konnte, sagt der Musiker: "Natürlich bin ich stolz, dass es einen Menschen wie ihn in unserer Familie gegeben hat. Aber neben Stolz ist auch viel Trauer dabei, weil er so früh und auf diese schreckliche Weise sterben musste." An seinen ersten Berlin-Besuch 1995 hat Christoph Probst eine unauslöschliche Erinnerung: "Ich trat im Schloss Britz auf und hörte in einer Spielpause die erste Nachtigall meines Lebens. Das war wunderschön".
Freitag, 14. März 2003
Verfassungsrichter lehnen trotz Einspruchs der Politik eine
mündliche Verhandlung ab / SPD-Innenexperte: Unglaublicher Vorgang
Berlin. Das Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens ist offenbar besiegelt.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am Donnerstag trotz der
„Gegenvorstellungen“ von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat bekräftigt,
am kommenden Dienstag werde eine Entscheidung verkündet. „Damit ist das
Verfahren tot“, hieß es in Kreisen der drei Antragsteller. Mit den
Gegenvorstellungen hatten die drei Verfassunsorgane Ende vergangener Woche
einen letzten Versuch unternommen, doch noch eine mündliche Verhandlung zu erreichen.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz,
griff das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag scharf an. Die Richter hätten
die Antragsteller darüber informieren müssen, welche Art von Entscheidung es am
Dienstag treffen wolle. „Für jedes Gerichtsverfahren gilt, dass es keine
Überraschungsentscheidungen geben darf“, sagte Wiefelspütz. Das nun zu
erwartende Gegenteil sei „im Grunde ein unglaublicher Vorgang“.
Die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller hatten in ihren
„Gegenvorstellungen“ auch eine „Überraschungsentscheidung“ als problematisch
gewertet. Das Gericht habe die „ihm obliegende Sachaufklärung“ in einer
mündlichen Verhandlung bisher nicht vorgenommen, hieß es in dem Schriftsatz. Es
wäre die Pflicht des Gerichts gewesen, die Prozessparteien darauf hinzuweisen,
„dass die Möglichkeit eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommen könnte“
und dass sie in der für selbstverständlich gehaltenen mündlichen Verhandlung
sich dazu äußern könnten. Mit „Verfahrenshindernissen“ sind die spektakulären
V-Mann-Pannen gemeint.
Im Januar 2002 hatte das Bundesverfassungsgericht die mündliche Verhandlung
abgesetzt, nachdem das Bundesinnenministerium den ehemaligen
NPD-Spitzenfunktionär Wolfgang Frenz als früheren V-Mann genannt hatte.
Anschließend wurden weitere V-Leute enttarnt, unter ihnen der einstige
Vize-Bundesvorsitzende der NPD, Udo Holtmann. Ihn hatte der Verfassungsschutz
auch nach Eröffnung des Verbotsverfahrens im Oktober 2001 weiter als Spitzel
geführt. Damit bestand nach Ansicht von Experten die Gefahr, dass die
Antragsteller die Prozess-Strategie der NPD ausforschen konnten. Für die
rechtsextreme Partei wäre dann kein faires Verfahren mehr möglich.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete am Donnerstag unter Verweis auf
Verfahrensbeteiligte in Berlin, das Bundesverfassungsgericht werde in seiner
Entscheidung am 18. März einen prinzipiellen Hinweis geben: Demnach sei das
Verbot einer Partei ausgeschlossen, wenn in ihrer Führung V-Leute tätig sind.Frank
Jansen
Freitag,
14. März 2003
Woche gegen Rassismus
geplant
Höhepunkt ist ein Aktionsstand am 21. März im Oder-Center
Prenzlau (cm). Bereits traditionell gestalten Ural Memet,
Ausländerbeauftragter des Landkreises Uckermark, und die Mitglieder seines
Arbeitskreises am 21. März, dem Internationalen Antirassismustag,
Veranstaltungen, um öffentlichkeitswirksam gegen Rassendiskriminierung und für
Toleranz aufzutreten. Innerhalb der Internationalen Antirassismuswoche vom 17.
bis 23. März bestehen zudem vielfältige Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch,
teilte die Kreisverwaltung vorab mit. So werden Schüler des Städtischen
Gymnasiums und der Lindenschule Prenzlau am 17. und am 18. März im Plenarsaal
Prenzlau die Theateraufführung "Hallo Nazi" erleben und im Anschluss mit
den Akteuren ins Gespräch kommen. Höhepunkt der Woche wird jedoch ein
Aktionsstand sein, der am 21. März ab 15.30 Uhr im Schwedter Oder-Center das
Thema behandelt.
Freitag,
14. März 2003
Geschichten
der Opfer gehen unter die Haut |
Stralsunder
Jugendtheater StiC-er überzeugt mit „Jubiläum“ von Tabori |
Stralsund (OZ) Mizi hat einen zuckenden Mund. Stets scheint er etwas sagen zu wollen, was er nicht sagen kann. Nur sehr langsam kann das Mädchen darüber berichten, was ihren Körper in Unordnung gebracht hat. Ihre Familie kam im Konzentrationslager um, Mizi selbst wird von anonymen Anrufern belästigt. Als sie dies erzählt, ist es schon zu spät. Mizi (Vera Züge) hat vor langer Zeit schon Selbstmord begangen. Paula (Kate Zühlsdorff) hat einen großen, roten Mund. Ihr langer schwarzer Ledermantel reicht bis zum Boden. Paulas Mund ist wie das ganze Mädchen überaus lebendig. Sie schreit Nazi-Pa-rolen und sprüht Hakenkreuze auf Grabsteine. Auch auf Mizis.
Dem Zuschauer vergeht dabei das Lachen nicht, es kann gar nicht erst entstehen. Zu ernst ist das Thema, zu drastisch die Darstellung. Dabei sollte der ursprüngliche Text durchaus zum Lachen anregen: Das Stück „Jubiläum“ stammt von dem Dramatiker George Tabori, der in seinen Arbeiten Pathos und Betroffenheit zu vermeiden und durch Gelächter zu erreichen sucht, was gewöhnlich nur Furcht und Mitleid bewirken. Axel Zühlsdorff, der das Stück aus dem Jahr 1983 zusammen mit Jana Deters-Gonseth im STiC-er Theater inszenierte, verlagerte das Gewicht vom Grotesken weg zum Tragischen. Anlass ist der 70. Jahrestag der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die Darsteller sind acht Stralsunder Gymnasiasten.
„Jubiläum“ spielt auf einem Friedhof. Die Geister, die ihn bevölkern, sind schaurig anzusehen: Sie tragen wirres, graues Haar, ihre Gesichter sind bleich, die Zähne sind ihnen ausgefallen. Noch schlimmer als ihr Äußeres sind ihre Lebens- und Sterbegeschichten. Lotte und Arnold Stern (Maria Brauch und Konrad Löwe) kamen im KZ um, Mizi Stern starb an den Spätfolgen. Otto Flott (Albrecht Löwe) wurde als Homosexueller umgebracht, sein Geliebter Helmut Hansen (Thomas Krohn) erhängte sich als strammer Nazi. Wenn Menschen Kisten wären, könnte man ihnen ihre Geschichten einfach entnehmen. So aber stehen die Kisten als Grabsteine und Reisekoffer auf der Bühne, und die Figuren müssen die traurigen Tatsachen berichten. Dabei schlüpfen die Darsteller gekonnt von einer Rolle in die nächste, sie spielen Faschisten oder polnische Gastarbeiter und lassen dabei ein wenig von dem Witz hindurchschimmern, der Taboris grotesken Konstellationen innewohnt.
Holocaust und Drittes Reich lassen sich nicht im Rahmen weniger Geschichtsstunden abhandeln. Genau an dieser Stelle setzt Axel Zühlsdorff, Leiter des Theaters und Geschichtslehrer, mit seiner Inszenierung an. Zwar werde hierzulande breit über den Nationalsozialismus aufgeklärt, dennoch sei ein latenter Antisemitismus vorhanden. „Die Leute sind übersättigt“, sagt Zühlsdorff und hofft, eingefahrene Wahrnehmungen durch Provokation gegen den Strich zu bürsten. Mit Erfolg: Die enge Nachbarschaft von lautem Lachen und stummem Schrei auf der Bühne ist überzeugend umgesetzt: Maria Brauch, die allein gelassen in einer Telefonzelle verzweifelt, Kate Zühlsdorff, der das Nazi-Gröhlen beängstigend flüssig über die Lippen kommt. Das hinterlässt im Zuschauer Spuren.
Die Inszenierung ist dazu angetan, den Ruhm des Stralsunder Theaters zu mehren. Mehrfach räumten die STiC-er in den vergangenen Jahren nationale und internationale Preise ab. 150 Jugendliche und Erwachsene besuchen Kurse in diesem kreativen Zentrum im Herzen der Hansestadt. Derzeit wird ein weiteres Gebäude mit Theatersaal und Probenräumen saniert. Aus Mitteln der Europäischen Union. Die Stadt Stralsund ist da etwas sparsamer und kürzte im vergangenen Jahr den Etat um 25 000 Euro. Für Zühlsdorff ein herber Einschnitt, bestehe doch durch kleinteilige Amputation von Fördermitteln die Gefahr, dass das gesamte Projekt in die Mittelmäßigkeit abrutscht. Von der es derzeit allerdings weit entfernt ist.
Nächste Vorstellungen: Sonnabend, 19.30 Uhr; Montag 18 Uhr
Freitag, 14. März 2003
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Weimar. (tlz/bük/Gö)
Weimars Kirchen schlagen Alarm: Dass Rechtsradikale ausgerechnet am Osterwochenende
marschieren wollen, ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Für Weimars
Superintendent Wolfram Lässig ist es gar keine Frage, dass sich die Pfarrer
mitsamt den Kirchgemeinden gegen den erneuten Aufmarsch Ewiggestriger in
Weimar stellen werden. Die Schwierigkeit sei nur, dass der braune Pöbel seine
Demonstration für vier Tage - von Karfreitag bis Ostermontag - quasi gebucht
habe, der genaue Termin allerdings noch nicht benannt worden sei. "Das
macht es kompliziert, konkret etwas dagegen zu tun, doch unvorbereitet sind
wir keineswegs", so Lässig und verweist auf die Übereinkunft, nach den
Gottesdiensten am Ostermontag zum Osterspaziergang durch die Stadt "als
einem deutlichen Zeichen des Protests gegen Rechts" aufzurufen. Stiller Protest Sollte der Aufmarsch indes in die Karwoche fallen, wollen die Kirchen stillen Protest üben: An die Herderkirche soll dann ein riesiges Banner gepinnt werden, das dazu auffordern: "Suchet der Stadt Bestes". Aus der Erfahrung der vergangenen Jahre heraus hat sich die Kirchgemeinde Weimar dazu entschlossen, das Banner anfertigen zu lassen, auf dem auch das bekannte Logo vom "Bunten Haus Weimar" abgebildet ist. Zudem werden in diesem Jahr besonders die Touristiker der Stadt gefordert sein, den Rechten etwas entgegenzusetzen. Gerade der Ostersonntag ist wegen der Bezüge zu Fausts "Osterspaziergang" der Tag im Jahr, der den Saisonbeginn in der Weimarer Fremdenverkehrsbranche markiert. Viele Hotels sind ausgebucht - unerträglich ist der Gedanke, dass Touristen einen Aufmarsch des braunen Mobs als Eindruck von Weimar mitnehmen. Der Vorsitzende des Fremdenverkehrsvereins, Christian Lohmann, sagte dem Bündnis Unterstützung zu. Gleichwohl forderte er die Stadt auf, die Spielräume auszuschöpfen, um die geplante Demonstration zu verbieten. Wie bereits 2002, meldete der aus Nordhausen stammende Marco Polzius die Demo an. Sein Stellvertreter ist der bundesweit agierende Christian Worch. Am 20. April jährt sich Hitlers Geburtstag. Wieder soll an einem Symboltag ein Symbolort besetzt werden. Guten Morgen ! Treffen: "BürgerInnen gegen Rechtsextremismus" heute, 18 Uhr, "mon ami" |
Freitag, 14. März 2003
Rote Karte
NPD-Verbot offenbar gescheitert
Von Wolfgang Hübner
Jetzt scheint die Pleite unabwendbar zu sein: Am NPD-Verbotsverfahren ist
offensichtlich nichts mehr zu retten. Einen letzten verzweifelten Versuch von
Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, das Prestigeprojekt vor einem
schmählichen Ende zu bewahren, ließen gestern die Verfassungsrichter kalt
abblitzen. Ihre Weigerung, eine weitere mündliche Verhandlung anzusetzen,
bedeutet das faktische Aus, dessen offizielle Verkündung am kommenden Dienstag
nur noch Formsache sein dürfte.
Damit erhalten vor allem die Innenministerien von Bund und Ländern die Quittung
für ein schlampiges Verfahren. Hastig wurde ein Verbotsantrag zusammengenagelt,
ohne sich groß bei rechtlicher Korrektheit aufzuhalten. Angesichts der
zahlreichen, in den Verbotsanträgen enthaltenen Aussagen von V-Leuten des
Verfassungsschutzes stellte sich sogar die Frage, ob nicht eher der
Geheimdienst die NPD radikalisiert. Wenigstens wurde die oftmals unsägliche
V-Leute-Praxis endlich ein wichtiges öffentliches Thema.
Die Verfassungsrichter erweisen sich als so unabhängig, den höchsten
Verfassungsorganen notfalls die rote Karte zu zeigen. Grund zur Schadenfreude
ist das freilich kaum: Der Schaden, den die Demokratie erleidet, wenn sich eine
ausgewiesen nationalistische, rechtsradikale, ausländerfeindliche Partei stark
fühlen darf, ist noch gar nicht abzusehen.
Freitag, 14. März
2003
Verfassungsgericht lehnt neue mündliche Verhandlung
über NPD ab
Senat will Antragsteller von Bundesregierung,
Bundestag und Bundesrat im Verbotsverfahren zunächst nicht mehr anhören
Bundesregierung, Bundestag und
Bundesrat sind mit dem Versuch gescheitert, die befürchtete Einstellung des
NPD-Verbotsverfahrens in letzter Minute abzuwenden. Das
Bundesverfassungsgericht hat die von den drei Verfassungsorganen beantragte
neuerliche Erörterung abgelehnt. Während es aus der SPD Kritik am Gericht gab,
sprachen sich Politiker von CDU und Grünen für eine Reform des
Verfassungsschutzes aus.
Von Ursula Knapp und Thomas Kröter
KARLSRUHE / BERLIN, 13. März. Der Versuch der drei
Antragsteller, noch eine Beweisaufnahme über die Verbindungsleute des
Verfassungsschutzes innerhalb der NPD zu erreichen, ist offenbar endgültig
gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe teilte am Donnerstag
mit, dass es an dem Verkündungstermin am kommenden Dienstag festhält.
Während Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) erklären ließ, man beteilige sich
nicht an Spekulationen, hieß es in Koalitionskreisen: "Es wird eine
negative Entscheidung sein." CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte
der FR: "Nur ein Wunder kann das Verfahren noch retten." Grund
für solche Befürchtungen sind die zahlreichen V-Leute des Verfassungsschutzes
innerhalb der NPD, die erst nach Einreichung der Verbotsanträge bekannt wurden.
Am 8. Oktober 2002 hatte es dazu in Karlsruhe einen mündlichen
Erörterungstermin gegeben.
Damals beantragte die NPD die Einstellung des Verfahrens, weil unter Umständen
sogar die Verteidigungsstrategie der Partei dem Verfassungsschutz über Spitzel
bekannt sei. Die Antragsteller versicherten, dass sich im Bundesvorstand der
Partei keine V-Leute befinden. Als der Zweite Senat nach überraschend langer
Beratung einen Verkündungstermin bekannt gab, wurde das als Zeichen für ein
Ende des Verbotsverfahrens gewertet.
Die Antragsteller sind darüber verärgert. Sie halten das Verfassungsgericht
nicht für berechtigt, aufgrund der Erörterung am 8. Oktober 2002 das Verfahren
einzustellen. Deshalb hatten sie noch versucht, eine mündliche Verhandlung zu
erreichen. Sie argumentierten, dass über die Arbeit und die Anzahl der V-Leute
in der NPD noch kein Beweis erhoben wurde. Deshalb sei offen, ob ein
Verfahrenshindernis vorliege. Wenn das Gericht am Dienstag abschließend
entscheide, sei ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt.
Das Verfassungsgericht wies erneut alle Äußerungen über eine Beendigung des
Verfahrens als Spekulation zurück. Beim Verkündungstermin könne sowohl die
Fortsetzung des Verfahrens als auch seine Beendigung bekannt gegeben werden.
Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz nannte es "äußerst
erstaunlich", wie das Gericht mit den anderen Verfassungsorganen umgehe.
Er habe "erhebliche Bedenken", dass dies angemessen sei. Es sei das
"Minimum", dass die Verfahrensbeteiligten wüssten, "was für eine
Art von Entscheidung zu erwarten" sei.
FDP-Rechtsexperte Max Stadler konnte diese Kritik "nicht nachvollziehen".
Dadurch solle offenbar davon abgelenkt werden, "dass die Antragsteller die
V-Mann-Problematik unterschätzt haben".
Die Innenpolitikerin Silke Stokar (Grüne) wertete es als "Gewinn für den
Rechtsstaat, wenn das Verfassungsgericht die Praxis der Beweisaufnahme
beanstandet". Sie sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Reform der
Geheimdienste aus. Auch Bosbach sagte, wenn die V-Mann-Problematik zur
Einstellung des Verfahrens führen sollte, müsse man sich fragen, ob die
Nachrichtendienste in Deutschland richtig organisiert seien.
Freitag, 14. März 2003
Kommentar
Versemmelt
Von Thomas Kröter
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach hat wohl Recht: Nur ein
Wunder könnte das NPD-Verbotsverfahren noch retten. Alle Indizien sprechen
dafür: Im Bundesverfassungsgericht gibt es mindestens eine Sperrminorität, die
Nein sagt. Und nach allem, was man über ihre Gründe begründet spekulieren kann,
liegt es an der Durchsetzung der Partei mit V-Leuten bis in höchste Positionen.
Letzte Gewissheit gibt es jedoch erst in der kommenden Woche, wenn sich die
Karlsruher Richter in dieser Sache öffentlich äußern.
Der Schaden durch ein Scheitern des Verfahrens wäre beträchtlich. Denn der
Partei käme der höchstrichterliche Persilschein für ihre Propaganda zupass.
Dennoch sollten die möglichen Folgen auch nicht übertrieben werden. Dass die
NPD damit aus der politischen Schmuddelecke herausträte, steht nicht zu
erwarten. Zu eindeutig zielt sie auf finsterste Ressentiments ab, zu wenig
Vertrauen erweckend sind ihre düsteren Protagonisten, zu einhellig die Ablehnung
der Demokraten.
Wenn das Verbot scheiterte, läge es auch nicht an der Partei, sondern an den
Antragstellern. Sie haben die Sache, volkstümlich gesagt, versemmelt. Über den
Einsatz von V-Leuten kann man trefflich streiten. Die Position lässt sich
durchaus vertreten: Wo wären sie sinnvoll, wenn nicht hier? Kaum streiten lässt
sich darüber, dass die Richter darüber besser hätten informiert werden müssen.
Mindestens.
Ja, das Thema Geheimdienstreform steht nun an. Aber auch der Umgang der Politik
mit dem höchsten Gericht. Woran es ihr mangelt, bezeichnet ein altmodisches
Wort: Respekt.