Dienstag, 1. April 2003
Der Bundesrechnungshof sagt: Die Regierungsprogramme gegen "Rechtsextremismus" sind ineffektiv. Kosten und Nutzen stünden in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander, darum sollten sie gestoppt werden.
Das Statement ist aus zwei Gründen brisant: Zurzeit wird der Bundeshaushalt beraten, und nach dem Scheitern des NPD-Verbots rufen alle im Chor, die Neonazis müssten politisch bekämpft werden.
Doch dafür eignen sich die Regierungsprogramme "gegen rechts" nicht. Die Programme - unter den Logos Xenos, Entimon und Civitas - haben mit dem Verfassungsschutz eines gemeinsam: Wenn sie verschwänden, würde es niemandem auffallen. Im Unterschied zum Verfassungsschutz sollte man die Programme dennoch nicht ganz abwickeln. Sie wirken positiv, ohne dass die Initiatoren das beabsichtigt hätten. Das wird nicht so bleiben, und deshalb kommt der Warnschuss des Bundesrechnungshofs zur rechten Zeit: Es muss sich etwas radikal ändern im Kampf "gegen rechts".
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die "Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlicheit" evaluiert. Das Fazit: Gut gemeint ist meistens voll daneben. Vor Ort werden oft die schon bestehenden Projekte der allgemeinen Jugendarbeit gefördert. Die Kommunen hätten kein Geld dafür, und daher kann man nur begrüßen, dass die Bundesregierung Geld ausschüttet. Da sich Jugendarbeit aber selten professionell dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus widmet, handelt es sich eher um kurzfristige symbolische Politik.
Erfolge können sich nur einstellen, wenn demokratische Kultur sich langfristig in den Köpfen festsetzt. Dazu braucht es Profis, keine ABM-Kräfte, Projekte, die eine Perspektive haben, auch für die Mitarbeiter, langfristige Evaluation und kritische Begleitung, Experimentierfreude, da man vielerorts Neuland betritt. Nur selten treffen diese Kriterien zu.
Man hat aus den eher zweifelhaften oder nicht vorhandenen Ergebnissen bisheriger Programme gelernt: Es geht weder um "Gewalt" noch um abweichendes Verhalten jugendlicher Peer-Groups. "Gegen rechts" darf nicht heißen, Problemjugendliche mit Sonderleistungen zu belohnen. Das hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen. Rassismus ist ein Teil der politischen Kultur, kein "Jugendproblem". Dennoch wird die Zielgruppe "Jugend" bei den meisten Initiativen unter der Hand wieder eingeführt. Da die Träger oft die klassischen Institutionen der politischen Bildung sind, werden Haupt- und Realschüler meist nicht erreicht. Erwachsene, Eltern und ältere Menschen werden kaum in diese "Bürgernetzwerke" eingebunden.
Leider prägt der affirmative "Extremismus"-Diskurs immer noch den Mainstream der Projekte. Institutioneller Rassismus bleibt außen vor. Xenos, Entimon und Civitas widmen sich einem unausgesprochenen Mainstream, der oft das eigentliche Thema - die Ursachen rassistischer und antisemitischer Vorurteile - gar nicht erst in den Blick bekommt. Der Kampf etwa gegen die unstrittig menschenverachtende Abschiebepraxis Deutschlands, gegen den immer noch völkischen Konsens, die Definition der Nation und der Staatsbürgerschaft betreffend, gerät automatisch unter den Bannfluch "Extremismus".
Unter Rot-Grün hat sich der Schwerpunkt des Diskurses minimal verschoben. Eberhard Seidel macht den seit 1998 moderateren migrationspolitischen Diskurs für ein "bisher unbekanntes zivilgesellschaftliches Klima" verantwortlich. Wer es gut meint, wird auch den Projekten "gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" ihren Anteil an dieser Entwicklung geben. Beweisen lässt sich nichts.
Dennoch wird bisher vornehmlich an den Symptomen herumgedoktert. Und hier hat der Rechnungshof den Finger auf eine Wunde gelegt. Wer von der Bundesregierung und den von ihr beauftragten Trägern gefördert wird, richtet sich oft nach der Professionalität oder dem vermeintlichen gesellschaftlichen Prestige der Multiplikatoren, derer sich einige Projekte versichern konnten. Im Vorfeld des Kampfes um Staatsknete gab es internes Hauen und Stechen. Einige Projekte mit durchaus respektablem Renommee gingen leer aus.
Zwischen dem Selbstverständnis der von Xenos, Entimon und Civitas geförderten Projekte und der Realität klaffen Welten. Unkoordiniertes Wurschteln wird als Konzeption verkauft. Schon die zentralen Begriffe "Rechtsextremismus" und "Fremdenfeindlichkeit" sind fragwürdig und im internationalen Diskurs obsolet. Auch die Idee, bestimmte Gefühlszustände wie Toleranz, Zivilcourage und so weiter ließen sich durch die üblichen Verdächtigen und Berufsjugendlichen in die Köpfe der Klientel dauerhaft einpflanzen, ist nicht nur naiv, sondern schlicht falsch.
Toleranz können sich nur die leisten, die die Macht haben. Sinnfreie und nie gesagte Sätze wie "die Juden müssen tolerant gegenüber den Christen sein" oder "Afrodeutsche müssen tolerant gegenüber Rassisten sein" zeigen, dass es sich bei der Forderung, tolerant zu sein, eher um protestantische Gefühlsduselei denn um eine politische Aussage handelt.
Auch der viel beschworene "Dialog der Kulturen" (beziehungsweise der Religionen) wirkt, hat ihn ein Projekt auf seine Fahnen geschrieben, kontraproduktiv. Die übergroße Zahl der von der Bundesregierung geförderten Projekte verharrt auf dem intellektuellen Niveau der Siebzigerjahre - alias Multikulti oder: alle Neger trommeln. "Kultur" ist immer ein politisches Projekt, nie Realität. Darum verbirgt sich hinter dem "Dialog" fiktiver "Kulturen" ein entpolitisiertes und folkloristisches Verständnis von Migration.
In Wahrheit geht es um den gesellschaftlichen Umgang, um Teilhabe an der politischen Macht, um das Verhältnis von Individual- und Gruppenrechten, um Quotenregelungen und Vetorechte für Minderheiten. Ein "Dialog der Kulturen" kann nichts bewirken, weil es keine "Kulturen" gibt, die kommunizieren könnten. Die "türkische Kultur" in Deutschland ist selbst Produkt der Immigration und durch sie geschaffen. Jeder Ethnologe weiß das: In Deutschland aber gehört es immer noch zum guten Ton, nicht über den eigenen Tellerrand in andere europäische Länder zu sehen, sondern in der trüben begrifflichen Brühe des "Extremismus"-Diskurses herumzupaddeln.
Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesrechnungshof scheinen als einzige Institutionen begriffen zu haben, dass man der Realität im "Kampf gegen rechts" in die Augen sehen muss. Der Bundesrechnungshof fordert: Man muss ein konkretes Ziel haben und sich überlegen, wie man es erreichen will. Das war bisher nur selten der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, für die die NPD nur ein Symptom darstellt, kann nicht von der Justiz und der Polizei stellvertretend für die Gesellschaft geführt werden.
BURKHARD SCHRÖDER
Dienstag, 1. April 2003
Jens Blankennagel
POTSDAM.
Der bisher schwerste Anschlag auf eine NS-Gedenkstätte in Brandenburg konnte
bisher noch nicht aufgeklärt werden. An dem Fall, der vor mehr als einem halben
Jahr für Aufsehen gesorgt hatte, werde weiter mit hohem Personalaufwand
gearbeitet, sagte der Präsident des Polizeipräsidiums Potsdam, Bruno Küpper, am
Montag. "Seit Monaten sind 15 Beamte mit dem Fall beschäftigt", sagte
er. Die Sonderkommission solle auch weiter bestehen bleiben.
Unbekannte Täter hatten
in der Nacht zum 5. September mehrere Brandsätze in das Museum für die Opfer
des Todesmarsches in Below bei Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) geworfen und den
Hauptausstellungsraum weitgehend zerstört. Außerdem beschmierten sie eine
Mahnsäule auf dem Gelände kurz vor der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern mit
SS-Runen, Hakenkreuzen und Hetzparolen. Das Museum erinnert an hunderte
Häftlinge der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück, die beim
Todesmarsch in den Wäldern bei Below starben. Auf die Tat sei auch
international mit Empörung reagiert worden, sagte Polizeipräsident Küpper bei
der Vorstellung der Kriminalstatistik für das Jahr 2002.
Obwohl bisher 900
Personen in Brandenburg und Mecklenburg und 420 Spuren sowie Hinweise von
Bürgern überprüft wurden, konnten die Täter nicht ermittelt werden. Kurzzeitig
wurden drei Tatverdächtige aus Wittstock festgenommen. Obwohl sie Alibis hatten,
sind sie weiter verdächtig. "Noch fehlt aber der entscheidende
Hinweis", sagte der Chef der Potsdamer Kripo, Roger Höppner. Für die
Aufklärung des Falls ist insgesamt eine Belohnung von 27 500 Euro ausgesetzt.
Acht andere Taten geklärt
Als Erfolg können die
Kriminalisten verbuchen, dass sie bei den Ermittlungen zum Brandanschlag acht
andere Straftaten von Mitgliedern der rechtsextremen Szene aufklären konnten.
Außerdem wiesen sie nach, dass die Täter von Below sechs weitere politisch
motivierte Taten in Mecklenburg-Vorpommern sowie eine in Nordbrandenburg
begangen haben. In Below wurden DNA-Spuren sichergestellt, die zur sicheren
Identifizierung der Haupttäter führen könnten.
Ein solcher Beweis
mithilfe des genetischen Fingerabdrucks gelang im vergangenen Jahr
beispielsweise im Fall "Pauline". Eine junge Mutter hatte ihr
Neugeborenes in Brandenburg/Havel ausgesetzt. Bei einer freiwilligen
Speichelprobe von 40 für die Tat infrage kommenden Frauen wurde die Mutter
ermittelt.
Insgesamt ging die
Kriminalität im Bereich des Polizeipräsidiums im vergangenen Jahr leicht
zurück. "Es wurden 114 296 Straftaten registriert", sagte
Polizeipräsident Küpper. Das seien 1,8 Prozent weniger als im Jahr davor.
Trotzdem würden in Brandenburg vergleichsweise mehr Verbrechen begangen als in
anderen Teilen Deutschlands. Das Land rangiert vor Mecklenburg-Vorpommern auf
dem vorletzten Platz der Kriminalstatistik.
"Bei
Gewaltstraftaten wie Mord, Raub und Vergewaltigung liegen wir aber unter dem
Bundesdurchschnitt", sagte Küpper. Hingegen würden extrem viele Diebstähle
im Land begangen. Fast 55 Prozent aller Fälle konnten von den Beamten
aufgeklärt werden.
Als ein besonderes
Problem gilt die hohe Jugendkriminalität - knapp 32 Prozent der Täter sind
Kinder oder Jugendliche. So wurden 289 junge "Intensivtäter"
ermittelt, denen 3 096 Straftaten vorgeworfen wurden - elf pro Kopf.
Dienstag, 1. April 2003
DÜSSELDORF. Der Rechtsextremismus in
Nordrhein-Westfalen ist weiterhin "auf einem alarmierend hohen
Niveau". Nach Angaben von Nordrhein-Westfalens Innenminister Fritz Behrens
(SPD) am Montag in Düsseldorf, sind bei den Gewalttaten und bei den übrigen
politisch motivierten Straftaten 2002 fast 60 Prozent auf das Konto von Rechten
gegangen.
Dienstag, 1. April 2003
In Potsdam gibt es bis Juni eine Ausstellung zum
Thema „Feindbild“
Potsdam. Ursula Wagener hat die Ausstellungsräume in der Brandenburger Landeszentrale
für politische Bildung in Potsdam mit ihren Figuren zugestellt. Grazile,
drahtige Wesen sind das, lebensgroß und auf den ersten Blick alle gleichförmig.
Sie unterscheiden sich nur in dem jeweils einen Attribut, das ihnen wie ein
Preisschild angehängt ist: der Penner, der Islam-Halbmond, der Wessi, der Ossi,
der Davidstern und andere. Die Einordnung in die Gruppe nimmt den Figuren ihr
Gesicht, ihre Individualität.
In den letzten Wochen vor der Ausstellung „Feindbild“ wurde Ursula Wagener oft gefragt:
Wieso machst du nicht noch „den Ami“ dazu? „Um Gottes Willen!“, sagt die
Künstlerin dann. Sie wolle doch keine politische Agitation machen. Das Letzte,
was Ursula Wagener will, ist ihre Kunst von der aktuellen Politik vereinnahmen
zu lassen.
Schon vor gut zehn Jahren sind die ersten dieser Plastiken entstanden, in
Gemeinschaftsarbeit des Künstlerehepaares Wagener und Wagener. Neu
hinzugekommen sind auf Anregung der Landeszentrale für politische Bildung die
zwei Figuren Ossi und Wessi. Thomas Wagener ist vor gut einem Jahr gestorben,
seine Frau führt die Arbeit jetzt allein weiter. Aber wenn sie darüber spricht,
sagt sie heute noch manchmal „wir“.
Bei der Vernissage am Mittwoch wies der Bürgerrechtler und ehemalige
Bundestagsabgeordnete der Grünen, Wolfgang Ullmann, auf die Bedeutung der
Einzahl im Titel der Ausstellung hin. Es gehe eben nicht um unterschiedliche
Feindbilder, sondern um die immer gleiche Denkstruktur.
So sieht das auch Ursula Wagener. Von Assoziationen an Ausländerfeindlichkeit,
die in Brandenburg nicht fern liegen, will die in Berlin lebende Künstlerin
nichts wissen. Sie hat bewusst das Attribut „fremd“ gewählt statt die
Bezeichnung Ausländer. Denn alles Fremde mache den Menschen Angst.
So macht Ursula Wagener auch keinen Unterschied zwischen Kampagnen gegen rechts
oder gegen den Islam. Nach so etwas scheine es ein ständiges Bedürfnis zu
geben. Das basiere alles auf platten Stereotypen. Deswegen taucht wohl auch der
Nazi in der Reihe auf. „Rechts, was ist das denn überhaupt?“, fragt Wagener. Volker
Eckert
Die Ausstellung „Feindbild“ ist noch bis zum 13. Juni in Potsdam,
Heinrich-Mann-Allee 107, Haus 17, zu sehen. Mo,
Di, Mi 9-18 Uhr, Do, Fr 9-15 Uhr.
www.politische-bildung-brandenburg.de
Dienstag, 1. April 2003
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Gotha. (tlz/com) Für ihr im vergangenen Jahr ins Leben gerufenes Projekt "Die Welt ist bunt..." erhielt die Naturfreundejugend Gotha am gestrigen Montag einen Spendenscheck in Höhe von 400 Euro. Das Geld stammte aus der PDS-Initiative "Alternative 54". Dahinter steckt ein Projekt, dass die PDS-Landtagsfraktion 1995 ins Leben rief. Sämtliche Diätenerhöhungen im Landtag sollen gemeinnützigen Vereinen und Verbänden zugute kommen, erklärt Landtagsabgeordnete Heide Wildauer. Bereits 300 000 Euro wurden bisher ausgereicht. Neben der Naturfreundejugend erhielt gestern auch der Tierschutzverein in Uelleben einen Scheck von 300 Euro. In ihrem 90. Jahr befinden sich mittlerweile die Naturfreundejugend. Vor neun Jahren wurde die Gothaer Ortgruppe gebildet, die 95 Mitglieder insgesamt und somit die stärkste Ortsgruppe im Verband aufweist, sagt Anja Zachow von den Naturfreunden. Im Mittelpunkt des Verbandes steht der Natur- und Umweltschutz, politische Bildung und die Völkerverständigung. Mit ihrem neuen Projekt "Die Welt ist bunt..." bestreiten die Naturfreunde ganz andere Wege. In den kommenden Jahren will der Freizeitverband gemeinsam mit anderen Verbänden versuchen gegen den Rechtsextremismus in der Stadt vorzugehen. Ab Mai soll wieder ein Flyer mit den neuesten Informationen erscheinen und eine Fachtagung gegen Rechts durchgeführt werden. Zudem soll das Internet aktiviert werden, so Dana Bauer. Außerdem sind auf dem Hauptmarkt verschiedene Aktionen Ende Mai geplant. |
Dienstag, 1. April 2003
Berlin - Als Konsequenz aus dem
gescheiterten NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) soll
der Einsatz von V-Leuten nach einem Bericht der "Frankfurter
Rundschau" neu geregelt werden. Die Verfassungsschutz-Behörden von Bund
und Ländern hätten sich weitgehend darauf geeinigt, wie sie den Einsatz von
V-Leuten künftig koordinieren wollten, berichtete die Zeitung vorab aus ihrer
Dienstagsausgabe. Die Länderbehörden müssen demnach künftig den
Bundesverfassungsschutz über ihre V-Leute unterrichten. Das Bundesamt solle so
den Überblick erhalten, in welchen Organisationen und auf welcher Ebene die
Landesämter wie viele Quellen einsetzen. Damit sollten Pannen wie bei der
NPD-Beobachtung vermieden werden.
In der rechtsextremen Partei hatten mehrere
Geheimdienste von Bund und Ländern eigene Informanten als Führungskader, ohne
gegenseitig davon zu wissen. Dies hatte zu einem Eklat im NPD-Verbotsverfahren
geführt, weil dadurch der Verdacht entstand, dass die Partei sogar von V-Leuten
gesteuert worden sein könnte.
Die Namen ihrer V-Leute müssen die Behörden
dem Zeitungsbericht zufolge auch künftig nicht offenbaren. Anhand der Zahl der
Informanten auf bestimmten Ebenen von Organisationen solle aber erkennbar
werden, wann die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt sei. Für die Frage, wer
in diesem Fall den Informanten "abschalten" müsse, gebe es keine
Vorgabe. Darüber sollten sich die Amtsleiter verständigen.
Das neue Verfahren wurde laut
"Frankfurter Rundschau" bei einem Treffen der Verfassungsschutzchefs
vereinbart. AFP
Dienstag, 1. April 2003
Neue Regeln für V-Leute geplant
Verfassungsschutz zieht Konsequenzen aus NPD-Schlappe
Die Verfassungsschutz-Ämter der Länder müssen den Bundesverfassungsschutz
künftig über ihre V-Leute informieren. Einen entsprechenden Beschluss soll die
Innenministerkonferenz Mitte Mai fassen.
Von Pitt von Bebenburg
BERLIN, 31. März. Die Leiter der
Verfassungsschutz-Behörden von Bund und Ländern ziehen aus dem Scheitern des
NPD-Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht Konsequenzen. Nach
Informationen der FR haben sie sich weitgehend darauf geeinigt, wie sie
den Einsatz von V-Leuten künftig koordinieren.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln soll demnach den Überblick
erhalten, in welchen Organisationen und auf welcher Ebene die Landesämter wie viele
Quellen einsetzen. Damit sollen Pannen wie bei der Beobachtung der NPD
vermieden werden. In der Partei hatten mehrere Geheimdienste Führungskader als
Informanten, ohne gegenseitig davon zu wissen. So gab der
nordrhein-westfälische NPD-Landeschef Udo Holtmann Informationen an das
Bundesamt weiter, während sein Stellvertreter Wolfgang Frenz als V-Mann für den
NRW-Verfassungsschutz arbeitete. Die Namen ihrer V-Leute müssen die Behörden
einander auch künftig nicht offenbaren. Anhand der Zahl der Informanten in
bestimmten Ebenen der Organisationen soll erkennbar werden, wann die
Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist. Für die Frage, wer in diesem Fall
den Informanten "abschalten" muss, gibt es keine Vorgabe. Darüber
sollen sich die Amtsleiter verständigen.
Auch bisher hatten sich die Behörden, wenn auch weniger formalisiert, über ihre
V-Leute ausgetauscht. Allerdings war es dabei in der Regel um Organisationen
gegangen, in denen Informanten fehlten. Das Problem von zu vielen Quellen in
einer Gruppierung kam nach Angaben aus Sicherheitskreisen erst im Rahmen des
NPD-Verfahrens ans Tageslicht.
Das neue Verfahren wurde nach FR-Informationen bei einem Treffen der
Verfassungsschutz-Chefs am Freitag vereinbart. Nur ein Landesvertreter stimmte
dagegen. Die Ministerkonferenz soll die Neuregelung Mitte Mai in Erfurt
beschließen.
Dienstag, 1. April 2003
Kommentar
Weniger Geheimnisse
Von Pitt von Bebenburg
Das NPD-Verbotsverfahren war völlig verkorkst. Doch einen
positiven Randaspekt hatte es: Erstmals wurde der Öffentlichkeit klar, wie unkoordiniert
manche Geheimdienste vor sich hinwerkelten. Bei den V-Mann-Pannen verhielten
sie sich nach dem Motto: viel Geheimnis, wenig Dienst. Damit soll nun endlich
Schluss sein.
Die Verfassungsschützer müssen darüber im Bilde sein, wer wo seine V-Leute
sitzen hat. Sonst sind in Führungsgremien extremistischer Organisationen
plötzlich die Spitzel unter sich, und keine Behörde weiß davon. Das führt die
Überwachung verfassungsfeindlicher Gruppierungen wie der NPD ad absurdum.
Die Geheimdienste reagieren aber nicht nur, weil es im Sinne guter Arbeit
geboten ist. Sie reagieren unter größtem Druck. Wegen der V-Leute-Pannen hat
eine Debatte über die Neuordnung der Verfassungsschutz-Behörden begonnen. Der
Ruf nach Zentralisierung wird lauter. Den Landesämtern steht das Wasser bis zum
Hals. Wenn ihre Koordinierung nicht besser wird, droht ihnen das Aus.
Dabei hat die föderale Struktur der Sicherheitsbehörden durchaus ihren Sinn.
Vor Ort haben sie die regionalen Zusammenhänge der Verfassungsfeinde besser im
Blick, als es von einer zentralen Behörde aus möglich wäre. Zudem kann die
Konkurrenz verschiedener Geheimdienst-Strategien durchaus produktiv sein.
Letztlich aber hängt der Erfolg von der effizienten Beobachtung gefährlicher
Bestrebungen in der Bundesrepublik ab. Dazu wird jetzt ein Schritt getan - nach
dem Motto: weniger Geheimnis, mehr Dienst.