Freitag, 4. April 2003

Kehraus zum 1. Mai

Die NPD marschiert, aber der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf will die Neonazis in ihre Schranken weisen: Mit einer Besen-Demonstration soll die Wegstrecke danach symbolisch gesäubert werden

von PLUTONIA PLARRE

Die NPD mit Ignoranz strafen, das braune Gedankengut mit Besen symbolisch von der Straße kehren: So soll die Aktion aussehen, mit der Bezirkspolitiker und Einwohner von Charlottenburg-Wilmersdorf am 1. Mai gegen den geplanten Aufmarsch der NPD durch den Bezirk protestieren wollen. "Wir wollen keine Diskussion mit den Neonazis. Wir wollen auch keine Konfrontation, aber wir wollen unmissverständlich zeigen, dass wir ihre Demonstration nicht hinnehmen," sagt Karin Nagel (Grüne) vom Bündnis "Demokratie Jetzt", die die Aktion bei der Polizei angemeldet hat.

Dass die NPD am 1. Mai durch Charlottenburg-Wilmersdorf marschieren wird, ist inzwischen amtlich. Auch die Route steht fest. Vom Treffpunkt S-Bahnhof Heerstraße soll es über die Preußenallee in Richtung Olympiastadion gehen. Beobachter der Szene befürchten, dass die Neonazis den Aufmarsch zu einer Siegesfeier nutzen werden, nachdem das NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. In den Vorjahren hatte sich die NPD am 1. Mai immer den Ostteil der Stadt als Ort ausgesucht, war aber auch dort auf zunehmenden Widerstand gestoßen.

Das soll nun auch in Charlottenburg-Wilmersdorf so sein. Auf derselben Wegstrecke, auf der die Braunen am 1. Mai marschieren, ist wenige Stunden später eine so genannte Besen-Demonstration als Gegenaktion angemeldet worden. Federführend an dem Aufruf mitgewirkt haben die Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen (SPD) und die Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Marianne Suhr, die alle Fraktionen hinter sich hat. Die Aktion ist in zwei Teile untergliedert: Wenn die Anhänger der NPD am Vormittag demonstrieren, ist die Bevölkerung laut Thiemen aufgefordert, keine Kulisse zu bieten. "Wir wollen erreichen, dass sie durch menschenleere Straßen laufen", so die Bezirksbürgermeisterin. Die Leute sollten die Straßen nicht als Schaulustige säumen, sondern die Neonazis sprichwörtlich "ins Leere" laufen lassen. Wenn der Aufmarsch zu Ende ist, beginnt die "Kehraus-Aktion": Die Wegstrecke der Rechtsextremen solle nun von den Gegendemonstranten abgelaufen und mit Besen "vom braunen Gedankengut" symbolisch gesäubert werden. Das Problem bei den Gegenaktion früherer Jahre sei gewesen, dass es zu körperlichen Auseinandersetzungen mit den NPD-Anhängern gekommen sei, begründet Thiemen die Aktion. Das habe dazu geführt, dass sich die Neonazis als Opfer darstellen konnten. Diesmal wolle man versuchen, sie auf "intelligente Art und Weise vorzuführen".

Der FDP-Bezirksverband hatte anfangs gezaudert. "Die Aktion erschien uns etwas mythisch, wir wollten lieber eine argumentativ fundierte Gegenveranstaltung machen", sagt der FDP-Verordnete Jürgen Dittberner. Damit sich der Protest aber nicht in Einzelaktionen verleppere, so Dittberner, "werden wir uns nun wohl doch beteiligen".

Die Polizei begrüßt das Vorhaben. Es sei "wohltuend", dass mit demokratischen Mitteln Flagge gegen die NPD gezeigt werden solle, sagt Direktionsleiter Michael Kreckel. Falls es dennoch zu Störungen und körperlichen Übergriffen komme, werde die Polizei aber sofort einschreiten.

 

 

Freitag, 4. April 2003

gegen nazis

Symbolik ja, nur welche?

Im Umgang mit Nazis, insbesondere der NPD, ist Berlin einiges gewohnt. Da gab es Aufmärsche in Hellersdorf, bei denen die Polizei die Glatzen vor Gegendemonstranten schützen musste. Es gab Gegendemonstrationen, die waren so stark, dass die Polizei den NPD-Aufmarsch auflöste. Und es gab die Versuche, vor allem von Ex-Innensenator Eckart Werthebach, die Nazidemos am Brandenburger Tor zu verbieten, oder, wenn das nicht klappt, gleich das ganze Demonstrationsrecht abzuschaffen.

Kommentar
von UWE RADA

Vor diesem Hintergrund ist der Charlottenburger Vorschlag tatsächlich etwas Neues, versucht er doch, das bisherige Dilemma zwischen Demo verhindern (drohende Krawalle) und Demo verbieten (Drohung gegen das Demonstrationsrecht) zugunsten einer Strategie der politischen Missachtung aufzulösen. Ein Aufmarsch der Glatzen in einer menschenleeren Straße, vor geschlossenen Geschäften und Fenstern oder im verlassenen Grün, wäre ein Kulisse, wie sie gespenstischer nicht sein könnte. Die Botschaft wäre nicht "Wir schauen weg", sondern: "Ihr bewegt euch im Leeren."

Doch leider bleibt es nicht bei dieser Missachtung. Vielmehr soll ein anschließender Kehraus die Gespensteratmosphäre wieder auflösen. Die Botschaft dieses - beinahe kathartischen - Rituals heißt: "Weg mit dem braunen Müll und der braunen Scheiße."

Das kann man geschmacklos finden oder auch nur daneben. Warum, bitteschön, will man wegkehren, was man vorher missachtet hat? Wäre es da nicht besser, hinterher ganz einfach auf der Straße präsent zu sein, mit Leuten, die aus den Fenstern schauen, und feiernden Menschen? Man kann sich eine gespenstische Kulisse auch zurückerobern, ohne in eine peinliche Symbolkiste greifen zu müssen.

 

 

Freitag, 4. April 2003

MOSCHEE-URTEIL

Revision eingelegt

Der ausländerfeindliche Brandanschlag auf eine Moschee in Wolfenbüttel wird nun den BGH beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig legte gegen das Urteil des Landgerichts Revision ein, da sie das Strafmaß von bis zu 45 Monaten für zu gering hält.

 

 

Freitag, 4. April 2003

Al-Nur-Moschee verschönt ihren Netzauftritt

Die vormals unkaschierten antisemitischen Äußerungen auf der Homepage des Moscheevereins wurden entschärft

Einige Tage nachdem die Neuköllner Al-Nur-Moschee (die taz berichtete) nun aufgrund von sich verdichtenden Beweisen über Kontakte zu al-Qaida ins Visier der Öffentlichkeit geriet, wurden auf der Homepage der Moschee kleine "Korrekturen" vorgenommen. Bislang machte der Moscheeverein aus seiner antiwestlichen und anitsemitischen Einstellung im Internet kein Geheimnis. Seitdem aber Generalbundesanwalt Kay Nehm seine Ermittlungen aufgenommen hat, wurden insbesondere die antisemitischen Textstellen entschärft. So schrieb zuvor Scheich Salim El Rafei, der Imam, in einem Frage-und Antwort-Spiel, dass im Koran stehe, "die Juden seien verflucht". Als Begründung folgte: "weil sie auf der Erde Unheil stiften". (siehe Koran-Sure Die Höhen, 7:167)

Nun sorgte offenbar die Frauengruppe der Moschee, in der deutsche Konvertitinnen aktiv sind, für mehr Gesetzestreue. Der Zusatz "weil sie … Unheil stiften" wurde entfernt. Noch nicht bearbeitet wurde jedoch ein weiteres, durchaus als antisemitisch zu interpretierendes Koran-Zitat, dass sich in einem Statement des Muslimats findet: "Die Schlange ist die Umwandlungsform der Dschinn, genauso wie die Affen und Schweine Umwandlungsformen der Juden sind."

Darin sieht der Verfassungsschutz bislang keinen Tatbestand der Volksverhetzung. Man habe die Internetseiten solcher Organisationen ständig im Blick, heißt es. Falls es dort etwas "Relevantes" gäbe, würde eingeschritten. Allerdings, so betonen die Verfassungshüter stets, gelte es, das sehr hoch angesiedelte Gut der freien Religionsausübung zu berücksichtigen.

Das BKA ermittelt gegen den Imam, einen 42-jährigen Libanese, und fünf weitere Männer aus dem Umfeld der Al-Nur-Moschee wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Haftbefehl erließ die Bundesstaatsanwaltschaft nur gegen den Tunesier Ihsan G. Imam El Rafei erklärte unterdessen, den wegen Verwicklungen in die Terroranschläge auf die USA zu 15 Jahren Haft verurteilten Marokkaner Mounir El Motassadeq zu kennen. Er habe ihn in Glaubensfragen kontaktiert. "Ich bin in Europa als Islamwissenschaftler sehr gefragt."

ADRIENNE WOLTERSDORF

 

 

Freitag, 4. April 2003

Lehrer wegen Mordversuch vor Gericht

 

Mit zwei Jugendlichen soll ein Lehrer versucht haben, einen Asia-Imbiss in Wismar in Brand zu setzen. Gestern begann der Prozess.

Schwerin (OZ) In Handschellen betraten sie gestern Nachmittag den Verhandlungssaal im Schweriner Landgericht. Guido S. (37) und seine beiden 19-jährigen Mitangeklagten Candy G. und Jens G. Polizisten sichern den Eingang ab. Auf dem Plan der Jugendkammer steht eine Verhandlung wegen versuchten Mordes und versuchter Brandstiftung.

   Ein Podium für die Drei, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Candy G., kurze Stoppelhaare, ein lässiges Grinsen im Gesicht. Jens G., der Junge mit der Glatze, knabbert nervös an den Fingernägeln. Im Mittelpunkt steht allerdings Guido S.. Ein Mann, der es gewohnt ist, dass alle Augen auf ihn blicken. Er genießt die Aufmerksamkeit der Besucher im Saal, scherzt mit seinem Anwalt. Bis November 2002 war er Musiklehrer im Gymnasium „Am Sonnenkamp“ in Neukloster. Ein strenger Lehrer, einer, der auf Disziplin achtete, seit er vor einem Jahr aus Krefeld an die Schule kam. Aber auch einer, mit dem man eigentlich gut auskommen konnte, meinen die Kollegen.

   Jetzt sind sie ratlos. Die Schweriner Staatsanwaltschaft wirft Guido S. Beihilfe zum versuchten Mord in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung vor. Zusammen mit Candy G. und Jens G. soll der Lehrer am 4. November 2002 versucht haben, einen von Vietnamesen betriebenen Asia-Imbiss am Wismarer Markt in Brand zu stecken. Das Motiv: Hass auf Ausländer.

   Guido S. habe damals die Mitangeklagten mit seinem Auto in Tatortnähe gebracht. Im Kofferraum ein Kanister mit Vergaserkraftstoff. Während er im Wagen wartete, drangen die Jugendlichen in das Haus ein. Der Versuch, das im Vorraum des Restaurants bereits ausgeschüttete Benzin in Flammen aufgehen zu lassen, sei nur gescheitert, weil ein Zeuge die Polizei alarmiert hatte. Sie hinderte die Angeklagten in letzter Minute daran, den Imbiss in Brand zu setzen.

   Für die Staatsanwaltschaft ein klarer Mordversuch. Die Drei hätten gewusst, dass sich in den Räumen über dem Imbiss Menschen befinden können, die bereits arg- und wehrlos schlafen würden.

   Guido S. sagt zu diesen Vorwürfen noch nichts. Erst in den kommenden Verhandlungstagen muss er erklären, was ihn veranlasst hat, die Jugendlichen bei einer Tat, wie dieser, zu unterstützen. Anlass für Spekulationen gibt es genug.

   Bei Hausdurchsuchungen waren in der Wismarer Wohnung des Lehrers eine Hakenkreuz-Fahne, ein Hitlerbild und rechtsextremistisches Propagandamaterial gefunden worden. Die Mitangeklagten soll Guido S. bei einem Treffen der rechtsextremistischen NPD kennen gelernt haben. Für die Nachbarn des Mannes in der braven Lübschen Straße kaum fassbar. Er sei sehr nett und zurückhaltend gewesen. Vielleicht auch etwas einsam, erzählt eine Bewohnerin. Eigentlich habe man ihn nur manchmal bemerkt, wenn er zu später Stunde in seiner Wohnung im Hinterhaus Klavier spielte.

   Aufmerksamkeit, die ihm der jetzt begonnene Prozess geben wird. Vorerst sechs Verhandlungstage hat das Gericht dafür vorgesehen. Anfang Mai soll das Urteil fallen.

 

 

 

Freitag, 4. April 2003

Musiklehrer auf der Anklagebank

Ausländerfeindlicher Anschlag in Wismar vor Gericht

Schwerin Der ehemalige Gymnasiallehrer Guido S. sei ein Gesinnungstäter. Er habe aus ausländerfeindlichen Motiven heraus Jugendlichen bei einem Mordanschlag geholfen, wirft die Staatsanwaltschaft dem dem 37-Jährigen vor. Gestern begann vor dem Schweriner Landgericht der Prozess.

Beim Verlesen der Anklage zeigt der Musiklehrer, der zuletzt in Neukloster unterrichtet hatte, wenig Regung. Er sieht bieder aus - im Gegensatz zu den beiden mit ihm angeklagten Glatzköpfen, die am 4. November 2002 einen Brandanschlag auf eine vietnamesische Gaststätte in Wismar verüben wollten und nur im letzten Moment von der Polizei gestoppt werden konnten. Das Benzin hatten die beiden 19-jährigen Lehrlinge bereits im Innenraum des Asia-Grills ausgeschüttet. Über der Gaststätte wohnten die vietnamesischen Betreiber. Die mutmaßlichen Brandstifter stehen wegen versuchten Mordes vor Gericht.

Wurde Angeklagter zur Hilfe genötigt?

In der Anklage wird dem aus Nordrhein-Westfalen stammenden Lehrer vorgeworfen, mit den Jugendlichen zur Tankstelle gefahren zu sein und ihnen das Benzin für den Brandanschlag gekauft zu haben. Er habe gewusst, dass ein Überfall auf den Asia-Grill geplant war, so die Staatsanwaltschaft. In seiner Wohnung hatte die Polizei rechtsextreme Schriften und eine Hakenkreuzfahne gefunden. Dem Mann wird Beihilfe zu versuchtem Mord vorgeworfen.

Guido S. bestreitet den Vorwurf. Sein Verteidiger sagte am Rande der Verhandlung, der Lehrer sei von den beiden Mitangeklagten unter Drohungen genötigt worden, das Benzin zu besorgen. Sein Mandant sei labil. Ein Gutachten soll Aufschluss über die Psyche des Lehrers geben.

Das Urteil wird voraussichtlich im Mai gesprochen.

Der Angeklagte, der sich zur Zeit in Bützow in U-Haft befindet, ist gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe vom Schuldienst suspendiert worden. Gegen seine Kündigung legte er beim Schweriner Arbeitsgericht Einspruch ein. Auch in diesem Verfahren gibt es noch keine Entscheidung.

Thomas Volgmann

 

 

 

Freitag, 4. April 2003

Thüringen arbeitet weiter mit V-Leuten

 

Erfurt. (dpa/tlz) Thüringens Innenminister Andreas Trautvetter (CDU) hält V-Männer für den Verfassungsschutz weiter für notwendig. Wenn sie abgeschafft würden, gebe es mehr rechtsextremistische Aktivitäten, sagte er. "Es ist wichtiger, den Rechtsextremismus zu bekämpfen als auf ein Verfassungsgerichtsurteil zum NPD-Verbot zu setzen."

Der Landtag lehnte mit Mehrheit die Forderung der PDS ab, die Mittel für V-Leute stattdessen für zivilgesellschaftliche Projekte auszugeben. Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) hatte sich nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens im März für eine weitere Beobachtung der NPD durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. Die PDS wirft der Regierung vor, dass sie durch den Spitzel und früheren NPD-Landesvize Tino Brandt Mitverantwortung am Scheitern trage.

 

 

 

 

Freitag, 4. April 2003

Projekt "Geschichte und Menschenrechte" gestartet

 

Zwangsarbeiter-Stiftung zahlte 2,1 Milliarden aus

 

Die Zwangsarbeiter-Stiftung hat bislang 2,1 Mrd. € Entschädigung an Nazi-Opfer in aller Welt ausgezahlt. Nach Planungen der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ sollen bis 2005 die Auszahlungen an 1,24 Mill. Nazi-Opfer abgeschlossen sein, sagte der Vorsitzende des Stiftungs-Kuratoriums, Dieter Kastrup, am Donnerstag in Berlin.

 

HB/dpa BERLIN. Die Zahlungen hatten im Juni 2001 begonnen. In den Entschädigungsfonds haben Staat und Wirtschaft gut fünf Mrd. € eingezahlt.

Bei seiner 12. Sitzung verständigte sich das Kuratorium auf ein Projekt, das die Lebensgeschichten der Sklaven- und Zwangsarbeiter festhalten soll. Laut Kastrup sollen 500 bis 1 000 Schicksale auf Videofilmen für Forschungs- und Dokumentationszwecke archiviert werden. Für die Interviews mit den ehemaligen Zwangsarbeitern sollen junge Menschen in Polen, Tschechien, Russland und anderswo gewonnen werden.

Das Kuratorium beschloss ferner, aus dem Erinnerungsfonds ein Projekt „Geschichte und Menschenrechte“ zu finanzieren. Damit will die Stiftung einen Beitrag im Kampf gegen Anti-Semitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit leisten. „Wir wollen die Erinnerung an die Leiden der ehemaligen Opfer der Zwangs- und Sklavenarbeit mit der Erziehung von jungen Menschen im Geiste der Aussöhnung verbinden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Michael Jansen.

Ein zunehmendes Problem bei der Auszahlung der Entschädigungen ist die steigende Zahl von Todesfällen unter den zum Teil hochbetagten Opfern. Nach dem Gesetz gehen die Leistungen auf die Erben über, die aber oft erst nach aufwendigen Recherchen ausfindig gemacht werden können. An der Spitze der Auszahlungen in bisher 79 Ländern steht Polen, wo 411 450 Opfer mit einer ersten Tranche von insgesamt 589 Mill. € entschädigt worden. Die Jewish Claims Conference (JCC) erhielt 609 Mill. € für 119 861 Opfer.

Insgesamt 222 880 Anträge musste die Stiftung bislang als unberechtigt ablehnen. Die meisten davon betrafen die Internationale Organisation für Migration (IOM), die nichtjüdische Opfer außerhalb Mittel- und Osteuropas vertritt. Von Seiten der IOM und der JCC gingen laut Stiftung auch die meisten Beschwerden ein. Ein erheblicher Teil betrifft ehemalige zur Arbeit gezwungene Kriegsgefangene, die aber nach den Bestimmungen des Gesetzes nicht entschädigt werden können.

 

 

 

Freitag, 4. April 2003

RECHTSEXTREMISMUS
Opferliste der "FR" wird noch geprüft

hkl BERLIN, 3. April. Die Liste von Todesopfern rechter Gewalt, die Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel im März dokumentierten, ist nach Angaben von Fritz Rudolf Körper, Staatssekretär beim Innenministerium, überprüft worden. Die zuständigen Landeskriminalämter (LKA) hätten die aufgelisteten Fälle geprüft. Das Ergebnis sei negativ, bei "13 Sachverhalten" lägen "keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine rechte Motivation der Tat beziehungsweise des Täters vor", sagte Körper im Bundestag. Er beantwortete damit eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Petra Pau.

Beim Bundeskriminalamt und beim LKA Brandenburg heißt es jedoch, die Überprüfung der Liste sei noch nicht beendet. Das Bundesinnenministerium verwies auf Nachfrage darauf, dass ein Ergebnis der Überprüfung der von FR und Tagesspiegel aufgeführten Todesfälle frühestens kommende Woche erwartet werde. In mindestens einem der 14 Verdachtsfälle hat es zudem gar keine neue Überprüfung gegeben. Ein Sprecher des LKA Saarland sagte, der gewaltsame Tod des 19-jährigen Achmed Sarlak sei nicht erneut überprüft worden. Eine Anfrage vom BKA habe man auch nicht erhalten. Der Türke war am 9. August 2002 in Sulzbach (Saarland) von einem polizeibekannten Neonazi erstochen worden. Gegen das Urteil, in dem ein fremdenfeindliches Motiv nicht genannt wurde, haben Vertreter der Nebenklage Revision eingelegt.

Während die Bundesregierung von 39 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 ausgeht, sind es nach Recherchen von FR und Tagesspiegel mindestens 99 Opfer.