Samstag, 5. April 2003
FRANKFURT
(ODER). Unter Mordverdacht sind drei als Gewalttäter bekannte Männer aus
Frankfurt (Oder) in Untersuchungshaft genommen worden. Sie sollen einen 25-jährigen
Arbeitslosen getötet haben, sagte am Freitag ein Sprecher der Frankfurter
Staatsanwaltschaft. Die 19 bis 28 Jahre alten Beschuldigten hätten den Mann am
Wochenende in seiner Wohnung mit Flaschen verprügelt und ihm
Schnittverletzungen zugefügt. Das Opfer verstarb im Krankenhaus an seinem
Blutverlust. Der 19-jährige Beschuldigte sei wegen rechtsextremistischer
Straftaten bekannt. Allerdings spreche nichts für einen rechtsextremen
Hintergrund der Tat. Das Motiv sei vermutlich Habgier gewesen.
Samstag, 5. April
2003
von ANNE HANSEN
Den Film "Der Schwarzfahrer" kennt keiner. Als er dann läuft, schauen alle gebannt. Und "Kannst du nicht einmal pünktlich sein?", stöhnen fast alle im Chor, als ein Mitschüler zu spät kommt. Der setzt sich schnell in die hinterste Reihe.
So fängt das Projekt "FutureBus" immer an: Zwei Studenten gehen in eine Schulklasse, sagen kurz, worum es geht, und zeigen den preisgekrönten Kurzfilm, in dem ein Schwarzer in der S-Bahn von einer älteren Frau bepöbelt wird, ohne dass sich einer der Mitfahrenden einmischt. Anschließend besuchen alle zusammen den Bus. "Nachdem wir uns dort alles angesehen haben, werden wir in der Klasse darüber sprechen", erklärt Björn Blume.
So ist es geplant. Aber diesmal muss der Student die Schüler bremsen. Die neunte Klasse des Gymnasiums Bramfeld will jetzt schon diskutieren. Warum heißt der Bus FutureBus? Wie seid ihr dazu gekommen? Und ein Schüler sagt: "Der Film ist echt total krass." Doch Konstandina Kourkoula, die zweite Leiterin des Projekts, schreitet ein. "Diskussion gibt's hinterher, mitkommen."
Im Bus ist es dann ziemlich ruhig. Die Jugendlichen studieren die Schautafeln. Lesen, wie es zu Vorurteilen kommt, welche rechtsradikalen Parteien es in Deutschland gibt und wie sich ein Skinhead von einem Nazi unterscheidet. Manche Schüler hören über Walkman rechtsradikale Musik, andere stehen am Computer, der über alle Themen noch einmal genauer informiert. Doch plötzlich sind alle Jungs weg. Bis auf einen. Der hat die Musik auf volle Lautstärke gedreht und wippt im Takt mit. Wo die ganzen Jungs sind, will Björn Blume wissen. Ein Mädchen sagt: "Die Jungs kennen sich total gut aus in diesem Thema. Die sind ...", sie sucht nach dem richtigen Wort, "politisch." Die politischen Jungs spielen derweil Basketball auf dem Schulhof.
Zurück im Klassenzimmer. "Ich hoffe, die Diskussion wird was. Manchmal ist es wirklich schwer, etwas aus den Jugendlichen herauszukriegen." Konstandina Kourkoula weiß, wovon sie spricht. Vor einer Stunde war die zehnte Klasse des Gymnasiums zu Gast im "FutureBus".
Rückblick: 24 Schüler, davon zwölf nichtdeutscher Herkunft, schweigen. Alle 24. Geschlossen. Da ist man sich einig. Während sich Blume und Kourkoula am Lehrerpult engagieren, über Fremdenhass im Alltag sprechen, davon erzählen, wie wichtig es sei, nicht wegzusehen, kauen die Jugendlichen Kaugummi, tuscheln, kichern und behalten die Jacken an. Schließlich "klingelt es in 45 Minuten".
Ein paar Mädchen wollen schließlich immerhin Organisatorisches wissen: Wo es den Bus sonst noch gibt und wo der schon überall war. Und ein Schüler fragt die beiden Studenten: "Ihr seid also auch gegen Rechtsradikale?" "Nein, wir machen das nur fürs Geld", sagt Blume. Er lacht, die Klasse lacht, ein Mädchen haut den Fragenden in die Seite, der Lehrer schüttelt den Kopf.
In 45 Minuten klingelt es zwar auch in der neunten Klasse, aber noch bevor Kourkoula und Blume irgendetwas fragen können, diskutieren die Schüler schon. Wäre es nicht besser, die Ausstellung an einem festen Ort zu haben? Kann der "FutureBus" Vorurteile abbauen?
Wenn diese 14- und 15-Jährigen diskutieren, dann nennen sie den Namen von dem, der zuvor etwas gesagt hat, wiederholen die Aussage und bringen ihre eigenen Argumente. Wenn sie diskutieren, kommen Zwischenrufe, und schon reißen sie wieder die Arme hoch und diskutieren mit ihren Sitznachbarn kurz weiter.
Am Ende verteilen die Studenten Feedbackbögen. Alle sind ruhig, haben die Köpfe fast auf die Tischplatte gelegt und schreiben. Und fragen, ob sie "bei Ankreuzsachen auch neue Kategorien dazumachen dürfen".
Hinterher wird die Lehrerin sagen, dass es eben eine engagierte Klasse sei, die 14-jährige Michelle wird sagen, dass sie immer "Mega-Diskussionen" hätten, gerade bei Themen wie Krieg und Fremdenhass, und Björn Blume und Konstandina Kourkoula werden einfach dasitzen, am Lehrerpult, erschlagen, mit roten Wangen, und "baff" sein, "dass es solche Schüler gibt".
Samstag, 5. April 2003
Spiegelmacher soll aus NPD ausgetreten sein |
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Samstag, 5. April 2003
Über den Islam wird gerade heute viel geredet - auch wenn das Wissen darüber selten ebenso umfangreich ist. Das Xenos-Projekt will dagegen etwas tun - und führte jetzt Lehrer in Rostocks Moschee.
Donnerstag nachmittag, kurz vor halb drei. Zehn Pädagogen haben sich vor dem Interklub in der Erich-Schlesinger-Straße getroffen und blicken suchend um sich. "Eine Moschee? Gibt's hier nicht." Passanten reagieren mit Befremden auf die Frage nach dem islamischen Gotteshaus. Und erst Astrid Krebs, die das Projekt koordiniert, führt die Gruppe auf die andere Straßenseite, einen holprigen Weg entlang zu der schmucklosen Baracke. Im Eingang steht Dr. Ahmed Maher Fakhouri, Vorsitzender des islamischen Trägervereins und Sozialarbeiter bei Diên Hông. "Bitte Schuhe ausziehen & Handy ausmachen", so steht es auf einem Zettel im Flur. Auf das, was dann kommt, haben sich die Lehrerinnen vorbereitet: Sie packen die mitgebrachten Kopftücher aus und verhüllen damit ihre Haare. Gudrun Ostrouchowa, die an der Stadtschule unterrichtet, kommentiert: "Mit meinen Mädchen könnte ich gar nicht hier hergehen, die würden nur kichern." Als der Krieg im Irak anfing, hätten die Schüler viel darüber diskutieren wollen. Und die Lehrerin gesteht: "Manchmal ist man da ein bisschen hilflos. Wer kennt sich schon so genau mit dem Thema aus?"
Ahmed Fakhouri führt die Gruppe in den eigentlichen Gebetsraum. Die Wände sind mit dunklem Plastikfurnier verkleidet. Ein Bild der Ka'bah in Mekka hängt daran, ein paar Koransprüche, und in einer Ecke lehnt eine Tafel, an der der Nachwuchs unterrichtet wird. Vorne die Kanzel... viel mehr ist nicht da. "So soll es sein", erklärt Fakhouri, "schließlich wollen wir uns hier auf das Gebet konzentrieren." Fünfmal täglich ist es dem Muslim vorgeschrieben - auch wenn das im deutschen Arbeitsalltag oft schwer einzuhalten ist. Doch Fakhouri winkt gelassen ab: "Was ich tagsüber nicht schaffe, hole ich abends nach." 600 bis 800 Muslime leben in Rostock, so schätzt er. Etwa 120 von ihnen kämen regelmäßig in die Erich-Schlesinger Straße - die Frauen noch nicht mitgerechnet, denn die beten meist zu Hause.
Die Lehrer bekommen in der ungewohnten Umgebung zunächst einen Grundkursus über den Islam. Glaubensbekenntnis, Gebet, Zakat, also die jährliche Spende an Bedürftige, Fasten, Pilgerfahrt... Erst nach einer guten Stunde bringt Torsten Ruchhöft, der in der Gesamtschule Toitenwinkel Geschichte unterrichtet, das Gespräch auf den "Djihad", den sogenannten Heiligen Krieg.
Der Vereinsvorsitzende holt tief Luft.. Als Muslim sei man derzeit ständig im Kreuzfeuer. Doch er betont: "Eine unschuldige Seele zu töten, das ist, als ob man die gesamte Menschheit töten würde." So stehe es im Koran. Kinder, Frauen, alte oder kranke Menschen zu unterdrücken oder gar zu töten - im Islam sei das strikt verboten. Selbst Häuser abbrennen oder Pflanzen zerstören dürfe ein Muslim nicht. Und der Kampf sei ihm lediglich zur Verteidigung erlaubt.
Dass Saddam Hussein es wagt, Allah auf seine Fahnen zu schreiben... Fakhouri macht eine wegwerfende Geste. In der Rostocker Moschee treffen Gläubige aus unterschiedlichsten Ländern, von unterschiedlichsten Überzeugungen aufeinander. Doch darüber, dass Saddams Politik mit dem islamischen Glauben nichts zu tun hat, gäbe es keine Auseinandersetzungen. Klar sei aber auch, dass das Vorgehen der USA ebensowenig gerechtfertigt sei. Eigentlich, so kommentiert Fakhouri, müssten die 53 Länder der islamischen Konferenz konsequent durchgreifen. Und die Arabische Liga müsse das Problem lösen.
Der Mann, der selber 1984 aus Syrien nach Rostock gekommen ist, reibt sich nachdenklich die Stirn. "Jetzt sind wir ganz tief drin in der Politik. Dabei wollte ich das doch vermeiden..." Draußen vor der Tür drängen sich bereits Muslime. Zeit für das nächste Gebet.
Katja Bülow
Samstag, 5. April 2003
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Erfurt. (tlz/ceg) Klare Signale setzen, sich den Nazis in den Weg stellen, mit Jugendlichen sprechen, die Propaganda aufbrechen, all das ist heute wichtig, wenn die NPD zur Demonstration am Juri-Gagarin-Ring aufmarschiert. Jörg Fischer, Print- und Fernsehjournalist aus Köln, weiß wovon er spricht. Bei öffentlichen Naziauftritten in Köln organisiert er Gegenaktionen, auch Prominente wie Hella von Sinnen waren schon dabei. Fischer ist einer, der die politischen Fronten gewechselt hat. Neun Jahre war er Mitglied und Funktionsträger bei NPD und DVU, auch als Redakteur der Nationalzeitung tätig. "Diese Parteien setzen auf Führer- und Gefolgschaftsprinzip, vergleichbar mit religiösen Sekten, vertreten ein geschlossenes Weltbild und üben sozialen Druck aus", sagt Fischer. Die pogromartigen Überfälle auf Flüchtlingsheime im Jahr 1991, verbunden mit immer stärker werdenden Widersprüchen zwischen der Parteiideologie und dem Privatleben haben ihn dazu bewogen, auszutreten. Er musste sein soziales Umfeld und sein Menschen- und Weltbild neu aufbauen. Aktiv für Verfolgte des Naziregimes, hält der Journalist heute auch Vorträge über seine Vergangenheit in ganz Deutschland. Fischer weist darauf hin, dass Rechtsradikalismus nicht nur ein Problem bei Jugendlichen sei, er finde sich quer durch alle Berufsgruppen. Auch hätten es die Parteien im ehemaligen Osten jahrelang leicht gehabt, junge Leute zu binden. Die Gegenwehr sei hier noch immer schwächer als im Westen. Das NPD-Verbotsverfahren im März ist gescheitert. Trotzdem sieht der Ehemalige die Partei in einer schweren Krise, was nicht zuletzt die jüngste Bundestagswahl gezeigt habe. Auch V-Männer-Geschichten und finanzielle Schwierigkeiten nennt er als Merkmale. Jörg Fischer lebt aufgrund seiner Vergangenheit in einer ständigen Bedrohungssituation. Aber er versucht Abstand von der Angst zu gewinnen. |
Samstag, 5. April 2003
FESTNAHMEN
Mord war offenbar rechtsextrem motiviert
pit BERLIN, 4. April. Ein am vergangenen Wochenende in
Frankfurt/Oder begangener Mord an einem 25-jährigen Mann hat offenbar einen
rechtsextremistischen Hintergrund. Als mutmaßliche Täter wurden drei
polizeibekannte junge Männer festgenommen, für die der Haftrichter am
Donnerstag Haftbefehle ausstellte.
Einer von ihnen, der 19-jährige Stephan B., ist nach Angaben der
Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) bereits wegen des Verwendens von
Nazizeichen aufgefallen. Wie er seien auch die anderen Verdächtigen, die 20 und
28 Jahre alten Brüder Daniel und Marco S., wegen Eigentumsdelikten bei der
Justiz bekannt. Einer der Brüder soll das Opfer mit Springerstiefeln getreten
haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem
Raub aus "Habgier und Verdeckungsabsicht".