Freitag, 11. April 2003

CDU für Rücktritt von SPD-Politiker Diskussionen nach NPD-Auftritt

Fürstenwalde. Der Auftritt des NPD-Chefs Udo Vogt auf einer Friedensdemo in Fürstenwalde – genehmigt vom SPD-Stadtvorsteher – schlägt weiter Wellen. CDU-Landeschef und Innenminister Jörg Schönbohm kritisierte am Donnerstag die „Zurückhaltung" der Landes-SPD. Der Vorgang schade dem Ansehen Brandenburgs und habe landespolitische Bedeutung, sagte Schönbohm. „Es müssen Konsequenzen gezogen werden."

Bislang ist Stadtvorsteher Günter Lahayn trotz heftiger Proteste nicht zurückgetreten. CDU-Vize-Parteichef Sven Petke sprach von einem „Skandal“. Es sei „ein Akt der politischen Hygiene“, dass Lahayn zurücktrete. Es sei Schaden für Fürstenwalde und das Land entstanden. Die SPD sei nicht zögerlich, bei ähnlichen Vorfällen Rücktritte von Politikern anderer Parteien zu fordern. Er wundere sich auch über das Schweigen der Kirche und der Ausländerbeauftragten.

Allerdings hatte sich SPD-Landeschef und Ministerpräsident Matthias Platzeck ausdrücklich von Lahayn distanziert. Dieser hätte den Auftritt des NPD-Chefs Vogt verhindern müssen. Schönbohm verwies darauf, dass die rechtsextremistische NPD nach wie vor „nicht zu unterschätzen“ sei, wie die jüngsten Vorfälle zeigten. Thm

 

 

 

 

Freitag, 11. April 2003

Spinnefeind

Am Ende der U7 trinken „die Deutschen“ – und manchmal schlagen sie zu. Heute wollen sich „die Türken“ rächen

Von Thomas Loy

Fünf Stunden lang hätten ihn die Beamten beim LKA ausgequetscht, sagt „Schneider“. Den genauen Inhalt des Verhörs kann der dürre, pickelige 16-Jährige mit der Beinahe-Glatze nicht recht zusammen fassen. Was zwischen seinen Zähnen hervorspritzt, sind meistens unflätige Beleidigungen gegen Polizisten, Sozialarbeiter und natürlich gegen die „Kanaken“ aus dem Ausland. Hervorheben möchte „Schneider“, dass er es war, der den Zivilpolizisten angriff und dafür ein paar Schläge in den Bauch bezog. Jetzt hat er eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals – die sechste Anzeige insgesamt. „Schneider“ zählt auf: Beamtenbeleidigung, Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung, Volksverhetzung…

Es ist ungemütlich kalt an der „Rudower Spinne“, einem schlichten Verkehrsknotenpunkt im Süden Neuköllns. Hier steigen die Pendler aus der U-Bahn in ihren Bus um. Dabei passieren sie abends diverse Jugendgruppen. Die „Rechten“, auch „die Deutschen“ genannt, stehen vor dem Imbiss „Ketchup“, „die Türken“ treffen sich gegenüber vor einem Dönerladen, und vor dem Penny-Markt stehen die „neutralen Beobachter“.

Meistens wird friedlich herumgelungert, ab und zu randaliert und gelegentlich geht man aufeinander los – so wie am vergangenen Freitag. 20 „Deutsche“ gegen sieben „Türken“. Am Ende der Schlägerei gab es zwei Verletzte und diverse Anzeigen. Am heutigen Freitag erwarten die Rechten den „türkischen Gegenschlag“.

Die „Rudower Spinne“ gehört traditionell zu den Treffpunkten der rechten Szene. „Alle sechs bis sieben Monate gibt es eine Schlägerei“, sagt Rainer Hadan vom Kommissariat für Jugendgruppengewalt. Die Jugendlichen seien in ihrer rechten Gesinnung „ziemlich einfach strukturiert und kaum organisiert“. Zwei Streetworker versuchen, die Barrieren zwischen rechten und ausländischen Jugendlichen aufzubrechen. Sie veranstalten gemeinsame Diskos und bieten Kickboxen an.

Erst vor wenigen Wochen meldeten Polizei und Streetworker erste Erfolge. Die harte rechte Szene im Alter zwischen 15 und 21 Jahren sei von 50 auf 20 Mitglieder zusammengeschmolzen, sagte Peter Diebel, Leiter der Polizeiwache 51. Ältere, ideologisch geschulte Rechte seien zu straffer organisierten Gruppen abgewandert, hieß es. Zurück blieben Jugendliche, die zwar gewaltbereit seien, aber eher unpolitisch.

Erkan Bal vom Döner-Imbiss „bei Scheich“ im U-Bahnhof kennt viele rechte Jugendliche seit Jahren – ernst nehmen will er sie nicht. „Die kaufen bei mir – einem Türken – ihr Bier und oben rufen sie dann: Ausländer raus.“ An den Schlägereien seien aber auch die türkischen Jugendlichen nicht ganz unschuldig. „Die provozieren genauso. Auch Margarete Friedrich, die polnische Besitzerin vom „Ketchup“, beschwert sich nicht. „Die hören auf mich. Ich habe sie erzogen, die leeren Bierflaschen nicht mehr wegzuwerfen.“ Die Mädchen, die zu den neutralen Beobachtern am Penny-Markt gehören, halten die rechten Jungs überwiegend für „geisteskrank“. Das sagen sie ihnen auch direkt ins Gesicht. „Mir tun die nichts“, meint Melanie. Übrigens, der „Schneider“: „Wenn der alleine ist, haut der vor einem kleinen Türken mit einem Messer sofort ab.“

 

 

 

Freitag, 11. April 2003

Landespräventionsrat mit eigener Internet-Seite

POTSDAM. Der Landespräventionsrat hat ab sofort eine eigene Internet-Seite. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat am Donnerstag in Potsdam den Online-Aufritt des von ihm geleiteten Gremiums mit einem symbolischen Mausklick freigegeben. Neben Informationen über die Arbeit des Rates, der vorbeugend gegen Kinder- und Jugendkriminalität wirkt, sind Adressen von darin vertretenen Vereinen und Institutionen verfügbar. Zudem können Angaben zur Verbrechensbekämpfung abgerufen werden. (dpa)

Internet: www.landespraeventionsrat.brandenburg.de

 

 

Freitag, 11. April 2003

Farben ignorieren lernen

Heute Abend findet das dreitägige Schulprojekt "Afrodeutsch - Fremd im eigenen Land" seinen Abschluss mit einem Konzert von ehemals bei den "Sisters Keepers" engagierten Sängerinnen

von JONAS BERHE

Schulunterricht mal ganz anders. Gebannt lauschen SchülerInnen den Erzählungen und Berichten der geladenen Künstlerinnen. Die Sängerinnen Meli, Mamadee, Onejiru und Ayo diskutierten in den vergangenen zwei Tagen an drei verschiedenen Hamburger Gesamtschulen mit rund 300 SchülerInnen über ihre Arbeit in dem antirassistischen Zusammenschluss Sisters Keepers. Mit einer ähnlich konzipierten und zum größten Teil von ihren Mitgliedern bewältigten Tour haben 2002 die Brothers Keepers auf den alltäglichen und brutalen Rassismus in der neuen Bundesländer geantwortet. Nicht umsonst nannte sich die damalige Hit-Single "Adriano (letzte Warnung)" und bezog sich direkt auf Alberto Adriano, ein Todesopfer rassistischer Gewalt.

Die Veranstalter des in der Gesamtschule Stellingen gastierenden Projekts - Rock-Links und die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung - wollten nun eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus der alten Bundesländer forcieren, der sich im Grad seiner Instiutionalisierung, Brutalität und Alltäglichkeit von dem der neuen kaum unterscheidet. Entsprechend sprachen die Sängerinnen von Situationen, in denen sie rassistische Diskriminierung erlebt haben. Dabei wollten sie sich nie als hilflose Opfer verstanden wissen, erzählten von Widerstandsformen und berichteten von politischen Organisationen wie der Initiative Schwarzer Deutscher und Schwarzer in Deutschland (ISD) oder der Gruppe Afrodeutsche Frauen (ADEFRA), die für ihre frühe Politisierung verantwortlich waren.

Die Sängerinnen berichteten auch von der legendären HipHop-Gruppe Advanced Chemistry, die schon Anfang der neunziger Jahre mit ihrem Song "Fremd im eigenen Land" rassistische Zustände im wiedervereinten Deutschland angriff. Die aus Stuttgart angereiste Meli betonte, dass es bei ihren Projekten in erster Linie darum gehe, ein positives Bewusstsein für die afrodeutsche Minderheit zu schaffen. Und sie sprach sich mehrfach für eine intensivere Zusammenarbeit migrantischer Minderheiten in Deutschland aus.

In den Schuldiskussionen selbst herrschte leider eine eher dünne Rassismusdefinition vor. Die Rede von "Vorurteilen" verstellte den Blick für die weiteren Zusammenhänge von Rassismus. Dass dies aber in direkt mit der Institution Schule zusammenhängt, stellten verschiedene SchülerInnen fest. Eine Schülerin der 9. Klasse kritisierte, dass jetzt "zum ersten Mal über solche Themen geredet" werde. SchülerInnen wie SängerInnen waren sich darüber einig, dass sowohl die deutsche Kolonialgeschichte als auch die so genannte Gastarbeitergeschichte zu wenig Raum einnimmt und im Geschichtsunterricht zu oft aus der falschen Perspektive betrachtet werde. Daher sind Besuche wie die von Sisters Keepers für eine gesellschaftskritische Unterrichtsform von großer Bedeutung.

Auf die Frage der KünstlerInnen, was denn Rassismus in Hamburg bedeuten würde, wussten vor allem migrantische SchülerInnen schnell eine Antwort. Während einige türkische Jungen und Mädchen aus der 9. Klasse der Gesamtschule Max Brauer von den Problemen bei der Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz und den unverhohlenen Absagen aufgrund ihrer Herkunft erzählten, schilderten andere junge Migranten Schikanierungen seitens der Polizei. Und einige gaben ihrer Wut über die örtlichen rassistischen Strukturen in Hamburg einen Namen: den Achidi Johns, des ersten Todesopfers der Brechmittelvergabe an vermeintliche Dealer durch UKE-Ärzte und Polizei.

Konzert mit Ayo, Mamadee, Meli, Onejiru, Kaye, Tesirée, feat. DJ Dennis (Trainingslager): heute, 19 Uhr, Gesamtschule Stellingen, Brehmweg 60
Ayo live beim Tariningslager Collector's Club: 23 Uhr, Molotow

 

 

 

Freitag, 11. April 2003

Rechtsradikaler greift kurz nach Entlassung Asiatin an

Wenige Stunden nach seiner Haftentlassung hat ein 36-Jähriger aus fremdenfeindlichen Motiven eine Koreanerin niedergeschlagen. Am Mittwoch hat die Polizei den seit der Tat am 28. Februar mit Haftbefehl Gesuchten in der Wohnung eines Bekannten in Prenzlauer Berg aufgespürt und festgenommen.

Der 36-Jährige hatte zuletzt eine Strafe wegen Körperverletzung verbüßt. Kaum wieder auf freiem Fuß, begegnete ihm zufällig in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg die 42 Jahre alte Asiatin, die ihm auf einem Fahrrad entgegenkam. Ohne erkennbaren Grund stieß der Täter ihr seine flache Hand ins Gesicht. Die Frau stürzte, schlug mit dem Kopf auf und verlor das Bewusstsein. Sie erlitt eine Gehirnerschütterung und Prellungen an Stirn, rechter Wange und Schulter sowie eine Verstauchung des rechten Mittelfingers. Durch Zeugenaussagen ermittelte die Polizei den Täter. Gegen ihn wurde nach dem ausländerfeindlichen Angriff sofort wieder ein Haftbefehl erlassen, weil er erheblich vorbestraft ist.

 

 

Freitag, 11. April 2003

 

Die Schuldenlawine rollt weiter - Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet Nachtragshaushalt 2003


Berlin (ddp-bln). Die Sanierung der Berliner Landesfinanzen rückt in immer weitere Ferne. Trotz aller Sparpakete wächst der Schuldenberg der Stadt unaufhörlich. Auch mit dem Nachtragshaushalt 2003 ändert sich das nicht. Ein aktuelles Loch von fast einer Milliarde Euro stopft der rot-rote Senat hauptsächlich mit neuen Krediten und vielen kleinen Sparmaßnahmen. Die Opposition spricht von «Flickschusterei» und fordert statt dessen strukturelle Einschnitte. Diese wollen die Koalitionsfraktionen SPD und PDS jedoch erst mit dem Doppelhaushalt 2004/2005 anpacken.

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) forderte am Donnerstag in der Parlamentsdebatte zum Nachtragshaushalt eine drastische Senkung der Ausgaben. Anders seien die Landesfinanzen nicht zu sanieren, sagte der Politiker. Trotz aller Sparmaßnahmen liege Berlin bei den Pro-Kopf-Ausgaben noch immer 50 Prozent über dem Durchschnitt der Bundesländer. Nach Darstellung Sarrazins müssten Mehraufwendungen für Bildung, Kultur oder Hochschulen an anderer Stelle ausgeglichen werden. «Leider» sei diese simple Wahrheit «noch nicht in allen Köpfen in Berlin angekommen», sagte der Senator offenbar auch an die Adresse seiner Ressortkollegen.

Aus Sicht des CDU-Haushaltsexperten Nicolas Zimmer hat die rot-rote Koalition auf ganzer Linie versagt. Statt die Landesfinanzen wie beim Amtsantritt angekündigt zu sanieren, sei die SPD/PDS-Regierung der «größte Schuldenmacher, den die Stadt je gesehen hat». Die Konsequenz dieser Politik sei der «Staatsbankrott», warnte der CDU-Politiker. Die Zeche dafür zahlten die Berliner, auf die höhere Kitagebühren und Wasserpreise zukämen.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner warf SPD und PDS vor, bei den «dicken Brocken» nichts geleistet zu haben. Er verwies unter anderem auf die nach wie vor extrem hohen Personalausgaben, geplatzte Verkäufe von Landesvermögen und weiter steigende Sozialkosten. Ihre Unfähigkeit habe die Koalition auch unter Beweis gestellt, als sie 85,5 Millionen Euro Fördermittel «verschenkte».

Der Nachtragshaushalt ist nach Einschätzung von Grünen-Finanzexperte Jochen Esser «eine einzige Luftbuchung». Die Sozialausgaben der Bezirke seien unterfinanziert, Investitionen für den Großflughafen Schönefeld zu niedrig angesetzt und die geplanten Einnahmen aus einer Wasser-Konzessionsabgabe bislang gesetzlich nicht gesichert. Rund eine Milliarde Euro Finanzrisiken seien in den anstehenden Doppelhaushalt 2004/2005 «verschoben» worden.

Dagegen verteidigte SPD-Finanzexpertin Iris Spranger den Nachtrag, der eine «richtige Balance» zwischen haushaltspolitischen Erfordernissen und sozialer Ausgewogenheit finde. Zugleich seien bereits wichtige strukturelle Sparmaßnahmen auf den Weg gebracht worden, die Rot-Rot «anfangs niemand zugetraut» habe. Als Beispiele nannte Spranger die Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften über einen Solidarpakt und den Ausstieg aus der Anschlussförderung des sozialen Wohnungsbaus.

Auch PDS-Haushälter Carl Wechselberg wies die Kritik der Opposition zurück. Die rot-rote Koalition habe «unbequeme Entscheidungen» getroffen und stehe dazu. CDU, FDP und Grünen warf er Populismus vor. Sie würden viel fordern ohne zu sagen, wie es bezahlt werden solle.

Der Nachtragshaushalt sieht Sparmaßnahmen in allen Bereichen vor. So sollen Eltern erstmals seit über 50 Jahren Schulbücher teilweise bezahlen. Zudem steigen ab 2004 die Wasserpreise. Grund ist die Einführung einer Konzessionsabgabe. Zudem wird auf Investitionen in Krankenhäusern verzichtet und die Unterhaltung von Gebäuden eingeschränkt. Dagegen nahm nach Protesten die Koalition die vom Senat geplanten Kürzungen beim Besucherprogramm für Emigranten und beim Jugendprojekt «respect» gegen Gewalt zurück.

Am Nachtragshaushalt führte trotz anfänglichen Widerstands des Finanzsenators kein Weg vorbei. Im Vergleich zur ursprünglichen Planung fehlen bis Jahresende 471 Millionen Euro aus Steuern und Länderfinanzausgleich sowie 250 Millionen Euro nach dem geplatzten Verkauf der Bankgesellschaft. Diese Lücke wird durch neue Kredite geschlossen. Damit wächst der Schuldenberg Berlins um 4,3 auf etwa 50 Milliarden Euro. Außerdem zeichnen sich Mehrausgaben von 219 Millionen Euro ab, vor allem für die Sozialausgaben. Die Mehrausgaben werden durch Kürzungen an anderer Stelle oder durch höhere Einnahmen ausgeglichen.

Eine Ende der Rotstiftpolitik und des Schuldenmachens ist vorerst nicht in Sicht. Auf die großen Sparbrocken muss sich Berlin mit dem Doppelhaushalt 2004/2005 einstellen, der derzeit vorbereitet wird. Geht es nach dem Willen des obersten Kassenwarts, dann müssen vor allem die Bereiche Sicherheit, Hochschulen, Jugendarbeit und Soziales bluten. Noch in der Schwebe ist beispielsweise die umstrittene Erhöhung der Kitagebühren, gegen die sich die PDS bislang gewehrt hat.

Ungeachtet aller Kürzungen rollt die Schuldenlawine weiter. Für 2004 rechnet der Senat mit einer Rekordmarke von 5,4 Milliarden Euro. Geplant waren zunächst 3,0 Milliarden Euro. Damit wächst die Schuldenlast Berlins bereits im nächsten Jahr auf 55,7 Milliarden Euro. Diese gigantische Summe hatte Sarrazin eigentlich erst für 2006 in der Rechnung. (Quellen: alle in Parlamentsdebatte) (Infokästen bereits gesendet)

 

 

Freitag, 11. April 2003

Gegen Krieg, für neue Ordnung

Friedensbewegung reagiert auf veränderte Lage in Irak

Die Entwicklung in Irak zwingt die Friedensbewegung zum Umdenken. Der Protest am morgigen Samstag soll sich nicht mehr nur für das Ende des Irak-Kriegs, sondern für eine neue Friedensordnung einsetzen. Weltweit gibt es Veranstaltungen. In Deutschland ist erneut eine Großdemonstration in Berlin geplant.

Von Pitt von Bebenburg

BERLIN, 10. April. Die deutsche Friedensbewegung rechnet auch nach einem Ende der schweren Kämpfe um Bagdad mit bis zu 100000 Anti-Kriegs-Demonstranten an diesem Wochenende. Anlass zum Protest gebe es sogar "unabhängig davon, ob der Krieg offiziell für beendet erklärt wird", sagt Carl Waßmuth von der Organisation Attac. Neben zahlreichen dezentralen Veranstaltungen ist eine Großdemonstration in Berlin geplant, die um 14 Uhr am Lützowplatz gegenüber der CDU-Zentrale starten und zum Brandenburger Tor ziehen soll.

Die Organisatoren fordern wie schon seit Wochen einen sofortigen Stopp des Krieges und eine Sperrung des deutschen Luftraums für das US-Militär. Am Donnerstag fügten sie den Slogan "Friede statt Besatzung" hinzu. Die Friedensbewegung besitze nach ihrem massiven öffentlichen Auftreten in den vergangenen Wochen "eine großartige Chance", politische Konzepte für die Zukunft mit zu entwickeln, meint Fred Klinger von Pax Christi. Der Protest richte sich gegen den Versuch der USA, weitere Länder der Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch deswegen lehne die Friedensbewegung "jede fremdbestimmte Nachkriegsordnung" für Irak ab, fügt Attac-Mann Waßmuth hinzu.

Der Kasseler Politikprofessor Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag schlägt vor, die "Anti-Haltung" der Friedensbewegung durch konkrete Vorschläge für eine Friedensordnung zu ergänzen. So solle das Ziel, Massenvernichtungswaffen zu beseitigen, weiter verfolgt werden. Waffeninspektoren sollten "auch in die USA, nach Großbritannien, Frankreich, Russland, China, selbstverständlich auch nach Deutschland" geschickt werden. Zudem solle sich die Friedensbewegung stark machen für die Vereinten Nationen und fordern, dass der UN-Sicherheitsrat den Krieg verurteilt, weil er sonst "nachträglich legitimiert und die neue Weltordnung nach US-Muster anerkannt" würde.

Ob diese politischen Überlegungen die Menschen wie in den vergangenen Wochen wieder massenhaft auf die Straße bringen, ist in der Friedensbewegung umstritten. Carl Waßmuth meint mit Blick auf die Kontinuität der Proteste, derzeit sei "kein schlechterer Mobilisierungszeitpunkt als zu Beginn des Krieges". Dagegen sagt Peter Strutynski, die Friedensbewegung werde sich einstellen "auf das quantitative Nachlassen des Protestes, das sich bereits angekündigt hat", und "die künftigen Aktionsformen dem veränderten politischen Umfeld anpassen".

Nach Versuchen von Rechtsextremisten, sich auf Friedensdemonstrationen ein Forum zu schaffen, gehen die Veranstalter von der Berliner "Achse des Friedens" ausdrücklich auf Distanz zu "rassistischen und faschistischen Gruppen", die "nicht Teil der Friedensbewegung sein" könnten.

Ein Vorfall im brandenburgischen Fürstenwalde hat diese Tendenz bestärkt. Dort hatte der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt bei einer Friedenskundgebung in dieser Woche sprechen können. Der örtliche Parlamentsvorsitzende, der SPD-Politiker Günter Lahayn, hatte Voigt auf die Rednerliste gesetzt. Seitdem hagelt es Proteste gegen Lahayns Verhalten.