Donnerstag, 24. April 2003

Rechte erreichen die City

Die Protestsaison für Antifas ist eröffnet. Zunehmend werden rechte Aktionen um den 1. Mai bekannt, auch die der "Kommissarischen Reichsregierung" in Mitte. Am Samstag gehts erst mal zur NPD

von HEIKE KLEFFNER

Für das Bündnis "Gemeinsam gegen rechts" beginnen die Aktivitäten gegen die extreme Rechte am 1. Mai schon am Samstag. Da trifft sich das von Ver.di und unabhängigen Antifa-Gruppen getragene Bündnis um 14 Uhr am S-Bahnhof Spindlersfeld, um an der Abschiebehaftanstalt Grünau und der in der Nähe gelegenen Bundesgeschäftsstelle der NPD zu demonstrieren.

NPD-Pressesprecher Klaus Beier gibt sich derweil optimistisch, dass seine Partei "auf jeden Fall" am 1. Mai in Charlottenburg demonstrieren wird. Beier geht von mindestens 1.500 Teilnehmern aus. "Es können aber auch 2.000 bis 3.000 kommen." Angekündigt hätten sich neben NPD-Kreis- und -Ortsverbänden aus dem gesamten Bundesgebiet auch militante Freie Kameradschaften sowie "Basis" von Republikanern und DVU. Nach dem Scheitern des Verbotsantrags gehe es nun darum, das "Dreisäulenkonzept" umzusetzen und den "Kampf um die Straße, die Köpfe und die Parlamente" fortzuführen, so Beier. Für den Aufmarsch über die Heerstraße zum Olympiastadion werden zudem Delegationen von rechten Gesinnungsfreunden aus Italien, Spanien, England und Skandinavien erwartet. Als Hauptredner ist neben NPD-Parteichef Udo Voigt der Hamburger Rechtsanwalt und langjährige Neonazi-Aktivist Jürgen Rieger angekündigt. In der Szene gilt Rieger, der unter anderem mit der völkischen "Artgemeinschaft" eine eigene neonazistische Eliteförderung betreibt, als Vertreter des offen nationalsozialistischen Flügels.

Während in den rechten Internetforen bundesweit Busplätze nach Berlin angeboten werden, ist die Berliner Neonaziszene am 1. Mai gespalten. Die militanten Freien Kameradschaften um den langjährigen Neonazikader Oliver Schweigert riefen nämlich zur Demo nach Halle, wo sich das militante Neonazispektrum versammeln will. Der im April dieses Jahres neu gegründete NPD-Landesverband Berlin schweigt bislang zum Thema Erster Mai. Lediglich der neue stellvertretende Berliner NPD-Landesvorsitzende Jörg Hähnel ist an dem Tag schon fest gebucht. Der berüchtigte "nationale Liedermacher" soll vor den versammelten Kameraden in Berlin singen. Abzuwarten bleibt, für welchen Aufmarschort sich altgediente Vertreter des nationalsozialistischen Flügels der Berliner NPD wie der ehemalige Kroatiensöldner und "NPD-Organisationsleiter" Eckart Bräuninger entscheiden werden. Im szeneinternen Machtkampf zwischen NPD und Freien Kameradschaften gilt der Erste Mai auch als erster Testballon nach dem Scheitern des NPD-Verbots dafür, ob die NPD ihre selbst behauptete Führungsrolle in der extremen Rechten nach zweijähriger Stagnationsphase wieder einnehmen kann.

Umso wichtiger sei es, den NPD-Aufmarsch nicht ungehindert ziehen zu lassen, argumentiert das Bündnis "Gemeinsam gegen rechts" und mobilisiert zu Kundgebungen entlang der Neonazi-Marschroute. Dagegen halten der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und "Europa gegen Rassismus" an der "Kehraus"-Aktion im Anschluss an die rechte Demonstration fest. Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Abgeordnetenhaus, "kann zwar verstehen", wenn Leute den NPD-Aufmarsch nicht einfach hinnehmen wollen und protestieren - solange alles friedlich bleibt. Er hält aber am "Kehraus" fest, "um die NPD nicht aufzuwerten".

Ohne Gegendemonstranten hofft derweil eine Gruppe am Morgen des 1. Mai auftreten zu können, die zwischen "rechtsextrem" und "Sekte" zu verorten ist. Eine Vorfeldorganisation der "Kommissarischen Reichsregierung" will am Tag der Arbeit um 10 Uhr auf dem Gendarmenmarkt "gegen die Politik aller Parteien, Verbände und Gewerkschaften" demonstrieren.

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Neues zum 1. Mai

Neben der NPD will nun auch noch eine Vorfeldorganisation der "Kommissarischen Reichsregierung" am 1. Mai in Berlin auf die Straße ziehen. Die "Kommissarische Reichsregierung" besteht darauf, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 weiterbesteht. Wesentlich begründeter ist da die Studie über die "Politischen Demonstrationsrituale" am 1. Mai 2002, die gestern das Wissenschaftszentrum Berlin vorgelegt hat. Die Forscher hatten dafür am letzten Tag der Arbeit alle linken und rechten Protestzüge sowie die Berichterstattung darüber untersucht.

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Getrennt marschieren, getrennt randalieren

Auch in diesem Jahr rechnen Protestforscher mit gewalttätigen Auseinandersetzungen in Berlin am 1. Mai

BERLIN taz Jährlich demonstrieren bundesweit etwa 100.000 Menschen am 1. Mai, aber es ist stets eine Minderheit, die am meisten Aufmerksamkeit erzielt: die militanten Protestzüge in Berlin. An ihnen nehmen bis zu 20.000 Personen teil - und auch diesmal rechnen Wissenschaftler mit gewalttätigen Auseinandersetzungen. Denn die Ausschreitungen seien "sinnstiftend", so eine Studie, die Protestforscher Dieter Rucht gestern in Berlin vorstellte.

Bei den Krawallen handele es sich um "Rituale von Erinnerungsgemeinschaften". Gemeinsam würde man sich jedes Jahr erneut auf das Ursprungsereignis beziehen: 1987 wurde in Kreuzberg ein Bolle-Supermarkt angezündet. Kurzzeitig entstand eine "polizeifreie Zone". Und so avancierte die Bolle-Ruine zum "symbolischen Gründungsmythos des revolutionären 1. Mai".

Allerdings wird dieses Symbol einer lustvollen Plünderung gleich von mehreren linksradikalen Gruppierungen beansprucht. So verteilte man sich im letzten Jahr auf drei verschiedene Demonstrationen, die sich zu drei verschiedenen Uhrzeiten am Nachmittag versammelten. In diesem Jahr will man den "linksradikalen Sandkastenspielchen" (Rucht) durch eine Bündnisdemonstration linksradikaler und autonomer Gruppen entgegenwirken.

Allerdings hat eine Gruppe bereits angekündigt, dass sie sich nicht beteiligen will: die "Kritik und Praxis Berlin" (KP), die nach eigenen Angaben über 30 Mitglieder verfügt. Als Reaktion drohte wiederum eine andere Gruppe an, sie würde "die Grenzen zu Kreuzberg dicht machen", um KPs Protestzug zu stoppen. Damit sei der "Deutungskampf" neu entbrannt, so Rucht, "wer der wahre Erbe des revolutionären 1. Mai" sei. Einen gemeinsamen Nenner gibt es jedoch: Alle rufen zur Gegendemo gegen die NPD auf - natürlich nicht gemeinsam. "PAMO

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Gedenken

Zum 70. Jahrestag der NS-Bücherverbrennung an Hochschulen hält das TU-Zentrum für Antisemitismusforschung am 8. Mai im Literaturhaus in der Fasanenstraße 23 (Charlottenburg) eine Tagung ab. Schwerpunkte bilden Geschichte und Wirkung der Bücherverbrennung.

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Rostocker Rathaus wehrt sich nicht gegen braunen Aufmarsch

 

Am Eröffnungswochenende der IGA planen Neonazis einen Aufmarsch in der Rostocker Innenstadt. Die Hansestadt hat den Antrag widerstandslos genehmigt.

Rostock (OZ) Dem Antrag von Lars Jacobs wurde nicht widersprochen. Der einschlägig bekannte Neonazi der so genannten Aktionsgruppe Rostock kann sich zufrieden die Hände reiben. Vor knapp drei Jahren noch verbot die Hansestadt einen von ihm beantragten Hess-Gedenkmarsch. In diesem Jahr werden dem rechten Aktivisten offensichtlich keine Steine in den Weg gelegt.

   Das Rathaus genehmigte, wie jetzt bekannt wird, bereits im Februar einen „Trauermarsch“ für die Opfer der Luftbombardierung 1942 in Rostock. Er soll Samstag durch die Innenstadt führen. Es ist das Eröffnungswochenende der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA), zu dem Tausende Gäste aus dem In- und Ausland in Rostock erwartet werden.

   Dass aus „bunt braun wird“, befürchtet Thomas Wanie vom Rostocker Friedensbündnis, das von über 30 Vereinen und Organisationen getragen wird. Der Anwalt findet es unerträglich, dass die Stadtverwaltung sich den Rechten nicht entgegen stellt. „Wir haben auf ein Verbot gedrängt und der Genehmigungsbehörde unsere Argumente auf den Tisch gelegt.“

   Danach läuft gegen Antragsteller Jacobs ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg wegen der Leugnung des Holocausts. Zudem, so Wanie, gäbe es Hinweise, der Neonazi sei Mitglied des amerikanischen Ku-Klux-Klans und werde in den USA an der Waffe ausgebildet.

   Im Sommer 2000 waren ähnliche Tatsachen zu Jacobs Anlass genug, einen geplanten Aufmarsch zu verbieten. Die Ordnungsbehörde Rostocks war damals überzeugt, Jacobs könne als Veranstalter einen friedlichen Versammlungsablauf nicht gewährleisten. In der Verbotsverfügung wies die damalige Senatorin Karina Jens (CDU) auf Ermittlungsverfahren gegen Jacobs wegen schweren Landfriedensbruchs (1994) und wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (1995) hin. Zudem gab die Behörde Bedenken der Universität nach, die zu der Zeit ein internationales Sommercamp in der Stadt durchführte. Eine rechte Demo könne auf ausländische Studenten „stark einschüchternd und nötigend“ wirken, hieß es.

   Warum die Lage heute im Rathaus anders beurteilt wird, stößt beim Friedensbündnis auf Unverständnis. Innensenator Sebastian Schröder (SPD): „Das war eine Einschätzung von damals, wir haben über das Heute zu befinden.“

   Die Stadtoberen schwelgen anscheinend noch in IGA- und Olympia-Träumen, möchten den braunen Aufmarsch nicht an die große Glocke hängen. Schröder gibt sich hilflos: „Jeder hat nach dem Grundgesetz das Recht, seine Meinung frei zu äußern, wenn alles friedlich bleibt. Auch wenn uns die politische Aussage nicht gefällt.“

   Schröder sagt, dass Rostock als untere Versammlungsbehörde an Erlasse des Schweriner Innenministeriums gebunden sei. „Die lassen uns keinen Spielraum. Wir können nur Auflagen erteilen. Das haben wir getan.“ Im Innenministerium wird der Ball nach Berlin weitergespielt. „Versammlungsrecht ist Bundesrecht“, sagt Sprecher Christian Lorenz. Dennoch hätte der Oberbürgermeister die Möglichkeit, Einfluss auf Verlauf oder Datum der Demonstration zu nehmen.

   Geschehen ist das nicht. Die Rechten werden, eskortiert durch mehrere Polizei-Hundertschaften, über den Boulevard marschieren. Rostocks OB Arno Pöker (SPD) empfindet das zum IGA-Auftakt zwar als „gezielte und ungeheuerliche Provokation“. Den Schwarzen Peter weist er von sich. „Uns sind die Hände gebunden, eine fundierte Verbots-Begründung vor Gericht hätte keinen Bestand.“ Nun setzt Pöker auf die Zivilcourage der Rostocker. Bis gestern Abend wurde dem Friedensbündnis eine Protestkundgebung auf dem Universitätsplatz seitens der Stadt verwehrt.

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Gymnasiallehrer äußerte rechtsradikale Gedanken

 

Schwerin (dpa/ddp) Die rechtsradikale Gesinnung des Gymnasiallehrers Guido S. (37), der wegen eines fremdenfeindlichen Brandanschlags vor dem Landgericht Schwerin steht, hat sich nach Zeugenangaben auch auf den Unterricht ausgewirkt. So habe er die Schüler am Gymnasium Neukloster aufgefordert, alle drei Strophen des „Deutschlandliedes“ und Lieder aus der Nazizeit zu singen, sagte gestern ein ehemaliger Kollege des Angeklagten. Das sei aber erst nach der Verhaftung des Mannes bekannt geworden. Dem Lehrer wird Beihilfe zum versuchten Mord und zur versuchten Brandstiftung vorgeworfen. Er hat bereits zugegeben, im November 2002 zwei heute 19-Jährigen bei der Beschaffung des Benzins für den Anschlag auf einen Wismarer Asia-Imbiss behilflich gewesen zu sein und sie auch zum Tatort gefahren zu haben. Das Urteil wird für Mai erwartet.

   In vertraulichen Gesprächen ihm gegenüber habe der Kollege aus seiner rechtsradikalen Grundeinstellung keinen Hehl gemacht, sagte der Religionslehrer. So habe er den Völkermord an den Juden mit den Worten „Da müsse man durch!“ befürwortet. Die „Leidenschaft für das Rechtsradikale“ des Angeklagten habe er für „kranke Fantasien“ gehalten, dem Mann aber mit den vertraulichen Gesprächen helfen wollen.

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Gymnasiallehrer ließ gesamtes "Deutschlandlied" singen

Brandanschlagsprozess: Kollege kannte Gesinnung des Angeklagten

Schwerin (dpa/EB) Die rechtsradikale Gesinnung des Gymnasiallehrers Guido S., der sich vor dem Landgericht wegen eines fremdenfeindlichen Brandanschlags verantworten muss, hat sich nach Zeugenangaben auch auf den Unterricht ausgewirkt. So habe er die Schüler aufgefordert, alle Strophen des "Deutschlandliedes" zu singen, sagte gestern ein Ex-Kollege des Angeklagten. Das sei aber erst nach der Verhaftung des Mannes bekannt geworden. Die erste Strophe des Deutschlandliedes wird in der Bundesrepublik nicht gesungen, weil sie von den Nationalsozialisten für ihre Großmachtsansprüche missbraucht wurde.

Mord an Millionen Judenmord befürwortet

In vertraulichen Gesprächen ihm gegenüber habe Guido S. aus seiner rechtsradikalen Grundeinstellung keinen Hehl gemacht, sagte der Zeuge. Beispielsweise habe er den Völkermord an den Juden mit den Worten "Da müsse man durch!" befürwortet. Die "Leidenschaft für das Rechtsradikale" des Angeklagten habe er für "kranke Fantasien" gehalten, dem Mann aber mit den vertraulichen Gesprächen helfen wollen. Er sei nicht davon ausgegangen, dass er sein Gedankengut auf die Schüler überträgt oder Straftaten begehen würde.

Dem aus Krefeld (Nordrhein-Westfalen) stammenden und zuletzt am Gymnasium in Neukloster (Nordwestmecklenburg) tätigen Angeklagten wird Beihilfe zum versuchten Mord und zur versuchten Brandstiftung vorgeworfen. Der 37-Jährige hat bereits zugegeben, im vorigen November zwei 19-Jährige aus der rechten Szene mit einem Kanister ausgestattet, sie zur Tankstelle und dann in die Nähe des Tatortes - einem Asia-Grill in Wismar - gefahren zu haben. Dass es sich um ein bewohntes Haus handelte, habe er nicht gewusst. Fremdenfeindlichkeit als Tatmotiv stritt er ab.

Alle Angeklagten im rechten Geist vereint

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Lehrers hatte die Polizei rechtsextremes Propagandamaterial gefunden. Den beiden 19-jährigen Angeklagten wird im selben Prozess Mordversuch und versuchte Brandstiftung zur Last gelegt. Sie sind am Tatort festgenommen worden, als sie den Brand gerade legen wollten. Die drei Männer hatten sich auf einer NPD-Veranstaltung kennen gelernt. Der Musiklehrer habe seine Vorliebe für die rechte Szene sowohl mit "historischen" als auch "erotischen Interessen" begründet. Sein Verteidiger geht von einer "Persönlichkeitsstörung" aus.

 

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Schüler mehr in Gestaltung des Unterrichts einbeziehen

Landes-Auftakt des Modellversuchs "Demokratie lernen und leben"

Güstrow Im Festsaal des Kreishauses fand gestern der Landesauftakt für den bundesweiten Modellversuch "Demokratie lernen und leben" statt. Ziel des bis 2007 laufenden Vorhabens ist es, Schulentwicklung zu betreiben, die Unterrichtsqualität zu verbessern und die Demokratiefähigkeit von Schulen zu stärken.

Zurzeit beteiligen sich 160 Schulen aus zwölf Bundesländern an dem Versuch. Nicht dabei sind Bayern und Nordrhein-Westfalen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es gegenwärtig elf Meldungen, die in Netzwerken zu fünf bis sechs Schulen an drei Themen-Sets arbeiten. Set 1 befasst sich mit "Meine Gemeinde in Zeiten der Diktaturen" und ist für alle allgemeinbildenden Schulen offen. Speziell berufliche Schulen befassen sich mit dem Thema "Fassetten demokratischer Schulkultur".

"Ein drittes Set, das die Funktion ethischer Orientierung für die Schulentwicklung beinhalten soll, wird noch entwickelt", war von Koordinationsleiterin Erika Maurer zu erfahren. Sie sei bemüht, dafür auch Schulen aus dem Landkreis Güstrow zu gewinnen. In Einzelprojekten sollen in den Sets Bausteine zur "Unterrichtsentwicklung", zu "Lernen in besonderen Projekten" - also weg vom 45-Minuten-Fach -, "Schule als Demokratie" und "Schule in der Demokratie" entwickelt werden.

Siegrid Hermes vom Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommerns nannte den aus ihrer Sicht wichtigsten Grund für den von der Bund-Länder-Kommission der Kultusministerkonferenz aufgelegten Modellversuch: "Eine Schwachstelle unseres Schulsystems ist, dass Schüler in der Regel zu wenig in die Gestaltung des Unterrichts einbezogen werden."

Würde sich das ändern, so die Rednerin, würde bei jungen Leuten auch das Interesse an der Politik und die Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit Ausländerfeindlichkeit, Rechtsradikalismus oder Antisemitismus steigen. Die Ergebnisse des Versuchs sollen später über Multiplikatoren verbreitet werden. Weiterbildungsprogramme dafür würden derzeit erarbeitet. Christian Menzel

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

 

Brecht-Tochter zeigt Filme gegen das Vergessen

 

Hanne Hiob nächste Woche in Rudolstadt   Rudolstadt (OTZ/H.E.). Hanne Hiob, Schauspielerin und älteste Tochter von Bertolt Brecht, ist seit vielen Jahren als Akteurin, Initiatorin und Organisatorin von Veranstaltungen im ganzen Land unterwegs, in denen sie gegen Remilitarisierung, gegen alte und neue Nazis, gegen Rassismus und Antisemetismus auftritt. Auf diese Weise setzt sie das politische Erbe ihres Vaters fort.

Brecht-Filme, in denen Hanne Hiob als Schauspielerin mitgewirkt hat, sind in der kommenden Woche an mehreren Schulen im Landkreis zu sehen. Am Montag, 28. April, wird 8 Uhr in der Regelschule Gräfenthal "Die unwürdige Greisin" gespielt. Am Dienstag, 29. April, 10 Uhr, wird für Schüler des Rudolstädter Gymnasiums und der Schillerschule im Jugendzentrum Saalgärten "Die Gewehre der Frau Carrar" gezeigt. Am Mittwoch, 30. April, gibt es Vorführungen an der Berufsbildenden Schule Unterwellenborn (9.20 Uhr "Die unwürdige Greisin") und an der Geschwister-Scholl-Regelschule in Saalfeld (11.30 Uhr "Die Gewehre der Frau Carrar").

Öffentliche Filmvorführungen finden von Montag bis Mittwoch jeweils 20 Uhr in den Saalgärten in Rudolstadt statt, gezeigt wird "Furcht und Elend des Dritten Reiches" und "Die Gewehre der Frau Carrar". Am Dienstagabend wird Frau Hiob hier für eine Diskussion zur Verfügung stehen.

Die Rollen in den Stücken ihres Vater spielte sie erst nach dessen Tod. In "Die unwürdige Greisin" (1985) spielt sie ihre eigene Urgroßmutter, die sich im hohen Alter über alle Konventionen hinweg setzt und mit einer neuen Liebe noch einmal "aufblüht".

 

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

 

Treffen zur Nachbereitung

 

WEIMAR (nb). Zu einer Nachbereitung des Osterfestes gegen Rechtsextremismus hat das Netzwerkbüro eingeladen, das die Aktivitäten koordinierte. Alle Beteiligten sind dazu am 7. Mai um 18 Uhr im mon ami willkommen. Dazu gab Fritz Burschel vom Netzwerkbüro bereits jetzt eine kritische Vorab-Bilanz. Viele ursprünglich zu den Unterstützern zählenden Gruppen seien diesmal nicht dabei gewesen, stille Helfer blieben gänzlich stumm, so die Kritik. Es müsse "endlich offen diskutiert werden, dass der entschlosse Widerstand der Weimarer lediglich eine dünne Fassade ist, die von den allerwenigsten unterstützt wird", meint Burschel. Zu weiteren Kritikpunkten zählt er u.a. auch Mängel in der praktischen Organisation, wie Absprachen und Arbeitsteilung, ebenso wie die "freiwillig gewählte Isolation" im Weimarhallenpark. Dies, sowie weitere Vorschläge für die künftige Arbeit sollen am 7. Mai im mon ami besprochen werden.

 

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Kalt geträumt

Der reimende SA-Standartenführer Gerhard Schumann wurde noch in den achtziger Jahren mit Preisen ausgezeichnet. Führers Bettlektüre IV. von marcel steinbach und annelies senf

Doch als er aufstund fuhr der Feuerschein / Des Auserwählten um sein Haupt. Und niedersteigend / Trug er die Fackel in die Nacht hinein. / Die Millionen beugten sich ihm schweigend. / Erlöst. Der Himmel flammte morgenbleich. / Die Sonne wuchs. Und mit ihr wuchs das Reich.« Gerhard Schumann verstand es, Adolf Hitler wie einen aus höheren Sphären herabsteigenden Heiland zu preisen, was ihm mehrere nationalsozialistische Literaturpreise einbrachte.

Schumann, geboren 1911, bekannte sich sehr früh zum Nationalsozialismus. Bereits 1930 trat er in die NSDAP, den Nationalsozialistischen Studentenbund (NSDTB) und die SA ein. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er es zum Standartenführer der SA, er wurde Mitglied des Kulturkreises der SA, und 1938 wurde er von Goebbels in den Reichskultursenat beziehungsweise in den Präsidialrat der Reichsschrifttumskammer berufen. 1939 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und ging 1944 zur Waffen-SS, wo er 1945 den Rang des SS-Obersturmführers erlangte.

Der »Ritter am heiligen Gral Deutscher Kultur«, wie er sich selbst gern bezeichnete, sah sich einer literarischen Elite zugehörig. Seine den Nationalsozialismus verherrlichende Lyrik ist geprägt von dem Verlangen nach der »Wiedergeburt eines geistigen deutschen Reiches«. Dieses Reich sollte nach seiner Vorstellung aus der Sehnsucht und Not des Volkes, aus Blut und Erde neu entstehen. In den »Liedern vom Reich« (1935) sieht er sich aus einem »kalten Traum aufwachend und fühlend«, wie er sich »neu empfing«. Er schöpfte Hoffnung, da er sich auf einer »Strömung des Ganzen mitschwimmen« sah. An sie »verlor er sich selbst« und fand dabei Volk und Reich: »Und hingebeugt zu schwörender Verpflichtung / so knieten wir, blickhart und herzensweich. / Und über uns im Licht der Dom, das Reich.«

Um das Schicksal des neuen Reiches zu vollenden, schreitet die Volksgemeinschaft, angetrieben durch die ihr Kraft verleihende Sehnsucht, zur Tat. Folglich habe sich der oder die Einzelne einer höheren Idee und einer großen Politik für Volk und Nation zu verschreiben und zu unterwerfen. Ganz im Sinne des völkischen Nationalismus sieht Schumann ein Volk marschieren, das sich sein Schicksal sucht. Doch allein geführt durch Schwur und Zwang, »irrten sie selbstverbrannt durch die Plane«, im Kampf um das Schicksal nahe dem Zusammenbruch. Wie ein Geschenk des Himmels kam dann die Rettung: »Aus tausend Augen glomm das letzte Hoffen! / Aus tausend Herzen brach der stumme Schrei: Den Führer! Knechte uns! Herr mach uns frei!«

Wie kaum ein zweiter Dichter der NS-Zeit vermochte Schumann den völkischen Zeitgeist in Worte zu fassen. So lobte der Völkische Beobachter an seinem Buch »Das Reich« (1934) die »unmittelbar in unser Dasein wirkende Lebensmacht«. Ähnliches schrieb ein SA-Führer in einem Brief an ihn: »Die Saat, die du geworfen, ist herrlich aufgegangen in heißen, jungen Herzen.« Schumann gelang es, der Barbarei einen poetisch-geistigen Schein zu verleihen; nicht zuletzt deshalb war er auch in den »SS Leitheften« ein gern gelesener Autor.

Seine bekanntesten Gedichtbände waren »Die Lieder vom Reich« (1935), »Die Lieder vom Krieg« (1941), »Bewährung« (1940) und »Wir aber sind das Korn« (1936). Für den letztgenannten Band erhielt er 1936 von Joseph Goebbels den Nationalen Buchpreis verliehen.

Die Verherrlichung der Person Hitlers, die Schumann in unzähligen Führergedichten zelebrierte, brachte seine Bücher nach 1945 auf die Liste der auszusondernden Literatur, die von den Alliierten zusammengestellt wurde. Doch unbelehrbar schrieb Schumann nach seiner Gefangenschaft und Internierung weiter, bis er 1995 starb. Ab 1950 war er als Geschäftsführer des Europäischen Buchklubs tätig. Bis in die achtziger Jahre publizierte er seine Nazi-Literatur in dem von ihm 1962 gegründeten Hohenstaufen-Verlag, dessen Mitgesellschafter 1981 der rechtsextreme Verleger Gerd Sudholt wurde. Bis heute wird Schumann, einer der am meisten gefeierten nationalsozialistischen Schriftsteller, in rechtsextremen Kreisen verehrt, entsprechende kulturelle Institutionen überhäuften ihn mit Preisen. So erhielt er nicht nur 1971 den Lyrik-Ehrenring des Deutschen Kulturwerkes europäischen Geistes (DKEG), das sich der »Pflege volkshaft-konservativer Literatur« verschrieben hat, sondern auch 1983 dessen Schillerpreis des deutschen Volkes »für Liebe und tapferes Bekennen zu Volk und Vaterland« sowie 1981 die Ulrich-von-Hutten-Medaille des gleichnamigen Freundeskreises. Das DKEG wurde 1950 von dem ehemaligen Kollegen Schumanns in der Reichsschrifttumskammer, Herbert Böhmer, gegründet. Gemeinsam mit dem Freundeskreis Ulrich von Hutten, mit dem die Nachfolgeorganisation des DKEG, die Deutsche Kulturgemeinschaft (DKG), personell eng verknüpft ist, richtet das Kulturwerk jährlich eine so genannte Gästewoche aus. Sie dient der Förderung von Kontakten zwischen alten und jungen, deutschen und europäischen Neonazis.

Hätte man doch nur getan, was Thomas Mann 1945 in seinem offenen Brief an Deutschland verlangte: Bücher, die zwischen 1933 und 1945 gedruckt werden konnten, seien weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen und gehörten demzufolge eingestampft, »ein Geruch von Blut und Schande haftet an ihnen«. Da dies jedoch nicht geschah, wird Schumann auch heute noch rezipiert, zum Beispiel von rechten Bands.

Besonders auffällig ist dies in der Neofolk-Szene, die wie viele andere versucht, unter dem Deckmäntelchen der Kultur braune Ideologie zu transportieren. Dieselben sprachlichen Bilder, die schon Schumann bemühte, findet man in den Texten solcher Bands wieder. Das Korn, welches wächst und sich nicht unterkriegen lässt, und das ewige Feuer, welches in jungen Herzen brennt, besingt zum Beispiel die Jenaer Band Forseti auf ihrer CD »Jenzig« (2002): »Feuer muß brennen, Flammen lodern durch die Nacht. / Wasser muß fließen, ungezähmte heil’ge Kraft. / Erde muß wachsen, das des Lebens Korn gedeiht. / Durch nebelgraue Lüfte zieht ein Raunen von Unsterblichkeit.«

 

 

Donnerstag, 24. April 2003

Deutsches Haus

In der Berliner Auguststraße im Stadtteil Mitte sind in die Holztür eines jüdischen Lebensmittelgeschäfts mehrere Hakenkreuze geritzt worden, teilte die Berliner Zeitung mit. Ein Verkäufer entdeckte die drei bis neun Zentimeter großen Zeichen am Morgen des 14. April, von den Tätern fehlt aber bislang jede Spur. Auch in der Eulerstraße im Berliner Stadtteil Wedding ritzten Unbekannte Hakenkreuze in die Arbeitsplatte eines türkischen Imbisslokals und sprühten die Parole »Ausländer raus« an eine Wand des Ladens. In beiden Fällen ermittelt nun der Staatsschutz. Ebenfalls in Berlin, am S-Bahnhof Schöneweide, griffen am 13. April um 20.10 Uhr etwa 30 rechte Skinheads eine Gruppe von zehn türkischen und jugoslawischen Jugendlichen ohne ersichtlichen Grund an. Die Jugendlichen versuchten zu flüchten, wurden aber von den mit abgebrochenen Flaschenhälsen bewaffneten Skins eingeholt und geschlagen. Erst nach eineinhalb Stunden hatte die Polizei die Situation unter Kontrolle. Zwei rechte Jugendliche wurden festgenommen und zu einer Blutprobe gebracht. Viermal wurde Anzeige wegen Körperverletzung erstattet, einmal wegen Widerstands gegen die Polizeibeamten. Die Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten ist im Jahr 2002 erneut gestiegen. Wie die Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), in der vergangenen Woche mitteilte, registrierte der Verfassungsschutz 960 Straftaten im Vergleich zu 709 im Jahre 2001. Die Behörde verzeichnete zudem neun versuchte Tötungsdelikte, allerdings keinen rechtsextremen Mord. Somit taucht der Mord an einem 17jährigen im brandenburgischen Potzlow vom 12. Juli 2002 nicht in den offiziellen Zahlen über rechtsextreme Gewalt auf. Dabei hatten drei als Rechtsextremisten bekannte junge Männer ihr Opfer stundenlang gequält und als »minderwertig« und als »Juden« beschimpft, bevor sie es töteten. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Zahl rechtsextremistischer Straftaten im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Nach dem Extremismusbericht des Innenministeriums des Landes wurden im Jahre 2002 ganze 93 solcher Straftaten verübt, im Vergleich zu 48 im Jahre 2001. Besonders antisemitische Straftaten nahmen zu; 2002 wurden 68 Fälle registriert, was eine 54-prozentige Steigerung zum Vorjahr bedeutet. Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist ebenfalls gestiegen, um 12,5 Prozent auf insgesamt 158 Straftaten. Zugleich ist die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern im selben Zeitraum von 900 auf etwa 800 gesunken. Auch im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis sei der »Phänomenbereich Rechtsextremismus« nicht mehr zu übersehen, teilten die Stuttgarter Nachrichten mit. Im Jahre 2002 haben sich rechtsextreme Straftaten um 96 Prozent erhöht, es wurden insgesamt 98 registriert. Verantwortlich dafür seien ausschließlich Skinheads, die insbesondere dann gefährlich seien, wenn sie unter Alkoholeinwirkung in der Gruppe aufträten.