Montag, 28. April 2003

Staubkörner der Zivilgesellschaft
Der Bund will im Osten die Demokratie fördern – und kürzt die Gelder für »Civitas«-Projekte 
 
Von Hendrik Lasch, Aue 
 

Die demokratische Kultur ist in Ostdeutschland stärker geworden – auch durch Förderung des Bundes, wie Beispiele in Sachsen belegen. Jetzt sollen die Kommunen zuzahlen. Initiativen und Netzwerke sehen sich bedroht.

Wie bringt man eine Bürgerinitiative in Gang? Nichts einfacher als das, sollte man meinen: Man schart Menschen mit ähnlichen Nöten um sich; man studiert Gesetze, schreibt Plakate und Petitionen, sammelt Unterschriften, bringt Politiker auf seine Seite. Doch was bei Ortsumgehungen, Abwasserkanälen oder Schulschließungen gut funktioniert, scheint problematisch zu werden, wenn es um das gesellschaftliche Klima, um Intoleranz und latente Fremdenfeindlichkeit geht: »Wir haben anfangs nicht gerade Staub aufgewirbelt«, sagt Friedemann Hauff.
Der Pfarrer aus Aue gehört zur Demokratie-Initiative Pro Zivilcourage, die im Sommer 2001 in der Erzgebirgsstadt gegründet wurde – zu einer Zeit, da Bundespolitiker den »Aufstand der Anständigen« predigten und der Zustand der Zivilgesellschaft nicht zuletzt in Ostdeutschland verbreitetes Gesprächsthema war. Auch in Aue wollten sich Bürger gegen Fremdenhass engagieren – drei an der Zahl. Sie trafen sich regelmäßig, doch der Zuspruch blieb begrenzt. Schließlich ging es nicht um Lärm oder hohe Gebühren, sondern um Demokratie und Weltoffenheit.
»Wir mussten Menschen sammeln gehen«, sagt Hauff. Der Kirchenmann war schon damals überzeugt, dass viele Mitbürger nicht einverstanden sind mit Angriffen auf Ausländer, Aversionen gegen Fremde bei Behörden, dem langsamen Verschwinden kultureller Vielfalt in der einstigen Bergbaustadt. Aber »viele sind demokratiemüde«, sagt Hauff. Erst der Protest gegen eine rechtsextreme Demonstration brachte der Gruppe mehr Zulauf: Jugendliche, Sozialarbeiter, Gewerkschafter. Ungeklärt war aber noch immer die Frage, »wie wir dauerhaft etwas erreichen«.
Situationen wie diese sind ein Fall für die »Mobilen Beratungsteams« (MBT), die seit 2001 in Sachsen und den anderen ostdeutschen Ländern eingerichtet worden sind, um zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken. »Wir suchen und stabilisieren Kristallisationskerne«, sagt Petra Zais, Mitarbeiterin der für den Regierungsbezirk Chemnitz zuständigen Zwei-Frauen-Brigade, über die Beratung von Initiativen wie in Aue. Dort organisierten sie und ihre Kollegin Wenke Bödefeld einen Workshop, in dem sich die engagierten Bürger über ihre Motive austauschten, gemeinsame Ziele formulierten und Vorhaben austüftelten. Die Unterstützung sei »ungemein nützlich« gewesen, sagt Hauff – »umso mehr, als wir den Eindruck hatten, es sei alles von uns selbst gekommen«.

Keine Sache von wenigen Monaten
Die Mobilen Beratungsteams wurden durch das Programm »Civitas« der Bundesregierung ins Leben gerufen. Das Programm soll »Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Kultur und zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in den neuen Bundesländern« fördern, heißt es in der Programmbeschreibung. Entstehen solle eine »gemeinwesenorientierte, demokratische Kultur«. Neben den »Eingreiftrupps« werden dabei örtliche Initiativen sowie Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt – mit immerhin zehn Millionen Euro pro Jahr.
Dass ein solches Programm ausschließlich für Ostdeutschland aufgelegt wurde, stieß anfangs auf Kritik: Die implizite Feststellung, zivilgesellschaftliche Strukturen seien dort nicht vorhanden, wurde als Stigmatisierung empfunden. »Das ist es nicht«, sagt Zais. Tatsächlich fehlen vielerorts Bürgergruppen und Vereine, wie sie im Westen der Republik über 40 Jahre hinweg entstanden seien: »Es gibt ganze Regionen, wo nichts existiert.«
Initiativen wie die in Aue, denen der Austausch mit Gleichgesinnten oft fehlt, empfinden die sachkundige Unterstützung der Berater als ausgesprochen hilfreich. Auf Anraten von Zais habe sich die Initiative zunächst »um eine positive Ausrichtung« bemüht, sagt Vereinsmitglied Lutz Süß: Ziel sei »engagierte Toleranz«. Um dafür zu werben, wurde dann ein multikulturelles Fest veranstaltet. Inzwischen kümmert sich die Initiative um die soziale Betreuung von Asylbewerbern und um Freizeitangebote für Jugendliche.
Doch das »Civitas«-Programm bleibt in der Kritik. Erst unlängst bemängelt der Bundesrechnungshof die Durchführung und Wirksamkeit der Programme. Diese ist tatsächlich schwer zu messen; schließlich ist »Zivilgesellschaft« ein weit gesteckter Begriff und ihre Festigung keine Angelegenheit von Monaten.
Zwar kann MBT-Mitarbeiterin Petra Zais über Erfolge berichten. In einem Fall etwa wurden sie von Lehrerinnen gerufen, weil Schüler eines Chemnitzer Gymnasiums eine Burschenschaft gegründet hatten und völkisch-nationale Ideen verbreiteten. Es folgten Gespräche mit dem Lehrerkollegium, Schülern und Einzelberatungen. Die Schülerzeitung »spiesser« berichtete über das Problem. Seither gründete sich am Gymnasium eine Antirassismusgruppe, die den Titel »Schule ohne Rassismus« anstrebt. Doch oft dauert es sehr lange, bis sich Strukturen stabilisieren oder Atmosphäre verändert: »Das dauert Jahre«, sagt Pfarrer Hauff in Aue.
Umso besorgter ist man vielerorts über die ungewisse Zukunft der »Civitas«-Projekte. Der Bund übernimmt nur noch in diesem Jahr die alleinige Finanzierung. Ab 2004 müssen sich Länder und Kommunen an der Förderung der Modellvorhaben beteiligen, bestätigte eine Sprecherin des Berliner Sozialministeriums auf ND-Anfrage: »Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Projekte auf Dauer zu fördern.« Welcher Anteil übernommen werden muss, sei noch nicht sicher. Kenner rechnen jedoch mit 20 bis 25 Prozent der Kosten bereits im nächsten Jahr. Danach könne der Bundesanteil sogar auf 60 Prozent sinken.
Der Ausstieg ist nicht ganz unbegründet. Schließlich handle es sich bei vielen geförderten Vorhaben »um originäre Aufgaben der Kommunen«, heißt es im Bundesministerium. Das bestätigt die Initiative in Aue: Die soziale Betreuung von Asylbewerbern etwa »wäre eigentlich Sache des Landkreises«, sagt Lutz Süß. Gleiches ließe sich über ein Projekt zur Gewaltprävention an Schulen sagen, das der Verein anregte und dann an eine Netzwerkstelle in Aue übergab, die durch »Civitas« gefördert wird.

Positive Signale, aber Geldzusagen fehlen
Doch beim Rückzug von Ländern und Kommunen aus derlei Aufgaben wird oftmals auf leere Kassen verwiesen. Mit dem gleichen Argument dürfte vielerorts auch die »Civitas«-Mitfinanzierung abgelehnt werden. Es gebe »viele positive Stellungnahmen aus Rathäusern, aber keine Geldzusagen«, sagt eine sächsische Projektmitarbeiterin. Und auch Wolfram Stender vom Magdeburger Verein »Miteinander«, der bisher das Programm in Sachsen-Anhalt betreute, erklärt, er sei in Sachen Landeszuschuss für »Civitas« eher skeptisch.
Mancherorts wird indes bereits vermutet, dass hinter dem Rückzug auch politisches Kalkül stecken könnte. Schon bisher sei das Programm alles andere als reibungslos gelaufen, sagen Insider. So sei das Geld erst ein halbes Jahr nach dem Programmstart im Januar 2001 geflossen; zwölf Monate später sei bereits über Ausstiegspläne geredet worden. Formulare, die von einst 6 auf mittlerweile 19 Seiten angeschwollen seien, würden ebenfalls einen eher abschreckenden Eindruck auf viele Antragsteller machen. Möglicherweise sei es nicht erwünscht, wenn etwa Opferberatungsstellen auch Kritik an staatlichen Stellen und Polizei äußerten. Er gewinne den Eindruck, sagt ein Kenner der Szene, »dass man nicht zu viel Zivilgesellschaft fördern will«.

 

 

Montag, 28. April 2003

 

Schlagkräftigere Bekämpfung des Rechtsextremismus in Brandenburg

Potsdam (dpa/bb) - Die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg soll von der Jahresmitte an noch schlagkräftiger werden. Bis dahin greife die Strukturreform unter dem Dach seines Ressorts, sagte Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) der dpa. Sie bündelt die Arbeit mehrerer Aufgabenträger in landesweit sechs Service-Stellen. Reiche räumte ein, dass es in der Vergangenheit durch das Nebeneinander vieler Einrichtungen zu Reibungsverlusten kam. «Das wird jetzt alles konzentriert.»

 

 

Sonntag, 27. April 2003

"Zu viele Strukturen"

Neuorganisation der Initiativen gegen politischen Extremismus - Gewalttat in Schwedt

Schwedt - Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) hat am Wochenende eingeräumt, die Präventionsarbeit gegen Rechtsextreme Gewalt sei bislang zu verzettelt gewesen und müsse neu organisiert werden. Das werde in seinem Haus jetzt geschehen. Dadurch solle die Bekämpfung der Fremdendfeindlichkeit schlagkräftiger werden.

Dass das Problem mehr als akut ist, wurde durch einen Vorfall in Schwedt deutlich. Am späten Donnerstagabend ist ein 23 Jahre alter Mann aus Sierra Leone von zwei Jugendlichen angegriffen und gejagt worden. Sie hetzten auch ihren Hund auf den Mann.

Der dunkelhäutige Mann war mit seiner Freundin aus Kenia und deren sechsjährigem Sohn unterwegs. Anwohner alarmierten die Polizei, die der beiden Täter aber nicht habhaft werden konnte. Auch gestern fehlte noch jede Spur von den Tätern. Nach Angaben von Schwedter Beamten ermittelt der Staatsschutz. Der Asylbewerber musste ärztlich behandelt werden.

Reiche zufolge macht auch der Ausfall zweier Galionsfiguren im Kampf gegen Extremismus Schwierigkeiten. Der Vorsitzende des Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Rolf Wischnath, fehle genauso wie auch die Verantwortliche für das Handlungskonzept "Tolerantes Brandenburg". Wischnath, Cottbuser Generalsuperintendent der evangelischen Kirche, fehlt seit Mitte Februar wegen Krankheit nach einer Auseinandersetzung um eine Stasi-Überprüfung. Ob und wann er auf seinen Posten zurückkehrt, ist völlig offen. Leichsenring hatte das im April 2002 angetretene Amt einer Toleranz-Beauftragten nie richtig ausgeübt und nach acht Monaten - auch wegen Krankheit - aufgegeben.

Trotz aller Schwächen trügen die Anstrengungen gegen Extremismus jedoch Früchte, so der Minister gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. So sei die Zahl der Täter in bestimmten Bereichen teilweise rückläufig. "Die Progression ist gestoppt worden." Insbesondere die Schulen lobte der SPD-Politiker: "Das Engagement ist sichtbar gewachsen." Hier wirkten die Programme zur gewaltlosen Bewältigung von Konflikten.

Die Statistik der Straftaten allerdings spricht für weniger Optimismus. Im vergangenen Jahr war laut Statistik die Zahl rechter Straftaten gegenüber 2001 um 8,4 Prozent auf 983, die links motivierter Delikte um 13 Prozent auf 78 gestiegen. Nach Angaben des Innenministeriums sind etwa zwei Drittel der politisch motivierten Gewalttäter 14 bis 21 Jahre alt; unter anderem wurden 50 Schüler und Auszubildende ermittelt. Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses, Wischnath, sprach von "Alltagsrassismus" und allgegenwärtigem Werteverfall in Brandenburg. Das Land habe die Situation noch nicht im Griff.

 

 

Sonntag, 27. April 2003

Verfassungsschutz: Brandenburger CDU kritisiert Körtings Pläne

Die Initiative von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zur Aufgabenreduzierung der Landesämter für Verfassungsschutz ist von der Brandenburger CDU heftig kritisiert worden. Der Vorschlag sei eine "Kapitulationserklärung des Innensenators für die Extremismusbekämpfung in Berlin", sagte der innenpolitische Sprecher der Potsdamer CDU-Landtagsfraktion, Sven Petke. Körting betrachte die innere Sicherheit offenbar allein als Quelle für den Stellenabbau und Kürzungen. Wenn Berlin seine Aufgaben für die innere Sicherheit nicht erfülle, werde dies auch zu einem Problem für Brandenburg.

Körting hatte dafür plädiert, Kompetenzen auf Länderebene an das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln abzugeben.

Petke unterstrich hingegen, dass die Länder für die nachrichtendienstliche Beobachtung verfassungsfeindlicher Strukturen einen gesetzlichen Auftrag hätten. Nach Körtings Ansicht gibt es zu viel Parallelarbeit: "Wir bewerten und werten an unterschiedlichen Stellen dieselben Dinge aus." Bundesweit agierende Gruppen oder Parteien, wie etwa die NPD, sollten durch das Bundesamt beobachtet werden. Dort, wo eine Gruppierung aktiv sei, sollten die Landesämter Informationen zuliefern. Körting will seine Vorschläge Mitte Mai auf der Konferenz der Innenminister präsentieren.

 

 

Montag, 28. April 2003

Berlin fegt gegen rechts - nach der Demo

Neonazis wollen am 1. Mai auch in Berlin marschieren. Dort will man sie ignorieren - und hinterher symbolisch fegen

BERLIN taz Die extreme Rechte marschiert am 1. Mai getrennt. Erstmals nach dem Scheitern des Verbotsverfahrens mobilisiert die NPD wieder bundesweit zu einem eigenen Aufmarsch in Berlin. Während die verunsicherte Parteibasis sich einen "Triumphmarsch" wünscht, gibt sich die Führung nach außen zurückhaltend. NPD-Pressesprecher Klaus Beier geht von "mindestens" 1.500 Teilnehmern aus. "Es können aber auch 2.000 bis 3.000 kommen." Als Redner ist neben NPD-Chef Udo Voigt der Hamburger Rechtsanwalt und langjährige Neonazi-Aktivist Jürgen Rieger angekündigt. In der Szene gilt Rieger als Vertreter des offen nationalsozialistischen Flügels.

Mit Parolen gegen Sozialabbau und die USA versucht die NPD, über die übliche Klientel aus Skinheads und altgedienten Rechten hinaus auch unzufriedene Parteigänger von DVU und Republikanern zu mobilisieren. Auch der Demonstrationsort - Westberlin - wird zum Teil der "politischen Strategie" verklärt - "um zu zeigen, dass die NPD keine Ostpartei ist", so Beier.

Im internen Machtkampf der extremen Rechten gilt der 1. Mai dieses Jahr vor allem als Indikator, ob die NPD ihre Führungsrolle nach zweijähriger Stagnationsphase und einem Schwund um rund 1.000 auf knapp 5.500 Mitglieder wieder ausfüllen kann. Denn die ebenfalls bundesweit vernetzten militanten Freien Kameradschaften um den Hamburger Neonazi Christian Worch nutzten die Verbotsdebatte, um ihre eigene Position auszubauen. Für den 1. Mai rufen sie zur Demo ins sachsen-anhaltische Halle. Beobachter erwarten hier den Aufmarsch von mindestens 1.000 militanten Rechten.

Präsenz wollen die Freien Kameradschaften auch in Dresden und in Frankfurt am Main zeigen. Dort waren die Neonazis in den letzten zwei Jahren am 1. Mai mit ihren Demonstrationen aufgrund des massiven Widerstands aus der Bevölkerung und eines rigiden Polizeikonzepts kaum zum Zug gekommen. In diesem Jahr wird mit weniger als 500 Teilnehmern vor allem aus Süddeutschland gerechnet.

Mit unterschiedlichsten Aktivitäten reagieren Neonazigegner. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, die SPD und das Bündnis "Europa gegen Rassismus" wollen es mit symbolischem Protest versuchen. Die Bevölkerung soll die Demo der Rechten mit "Nichtachtung" strafen. Dann will man mit einer "Kehraus"-Aktion die Straßen fegen. Allerdings besteht das Bündnis "Gemeinsam gegen Rechts" von Gewerkschaften und unabhängigen Antifaschisten auf Zivilcourage statt Symbolik und hat Kundgebungen entlang der Aufmarschroute der NPD angemeldet. Ein Konzept, mit dem Nazigegner auch in Halle (Saale) auf Erfolg hoffen.

Ganz anders dagegen Frankfurt am Main, das einen Imageschaden für das alljährliche Radrennen befürchtet, das am 1. Mai Zehntausende auf die Straßen bringt. Die Frankfurter "Anti-Nazi-Koordination" aus Kirchen, Gewerkschaften und unabhängigen Linken ruft offen zur Sitzblockade auf, um die Rechten gar nicht erst vom Platz zu lassen. Für den Fall, dass die Polizei die Straße frei räumt, haben unabhängige Antifaschisten schon präventiv "kreative Aktionen" im Stadtgebiet und beim Kanzlerauftritt bei der zentralen DGB-Maifeier angekündigt.

" HEIKE KLEFFNER

 

 

Montag, 28. April 2003

Blockade gegen Neonazi-Demo

ROSTOCK epd Mehr als tausend Menschen protestierten am Samstag in Rostock gegen einen Aufmarsch von 150 Neonazis. Wegen Sitzblockaden wurde der Zug der Sympathisanten der rechten Szene am Nachmittag von der Polizei gestoppt, woraufhin die Veranstalter den Aufmarsch selbst auflösten. Am Freitag hatte das Greifswalder Oberverwaltungsgericht die Klage des Rostocker Friedensbündnisses gegen die Genehmigung des rechten Aufmarschs und das Verbots einer Gegenkundgebung abgelehnt. Die Aktion war als Erinnerungsmarsch an die Bombardierung Rostocks im Jahre 1942 angemeldet.

 

 

Montag, 28. April 2003

Streit um Spitzeldienst

Berlin und Brandenburg streiten um die Zukunft der Landesämter für Verfassungsschutz. Die Initiative von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zur Beschneidung der Aufgaben der Landesämter stieß bei der Brandenburger CDU auf heftige Kritik. Der Vorschlag sei eine "Kapitulationserklärung für die Extremismusbekämpfung in Berlin", sagte der innenpolitische Sprecher der Potsdamer CDU-Landtagsfraktion, Sven Petke, am Samstag. Körting betrachte die innere Sicherheit offenbar allein als Quelle für Stellenabbau und Kürzungen, sagte Petke. Körting hatte dafür plädiert, Kompetenzen auf Länderebene an das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sitz in Köln abzugeben. Nach Körtings Ansicht gibt es zu viel Parallelarbeit durch die verschiedenen Landesämter. Mitte Mai will er seine Vorschläge auf der Konferenz der Innenminister präsentieren, wo nach dem Debakel des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens über eine Neustrukturierung des Verfassungsschutzes diskutiert werden soll.

 

 

Montag, 28. April 2003

Überschießende Geheimnistuerei

Man könnte den Vorschlag einfach als einen weiteren Punkt auf der unendlichen Giftliste von Rot-Rot abtun. Innensenator Körting will den Verfassungsschutz regionalisieren: Um bundesweit relevante extremistische Strukturen solle sich künftig allein das Bundesamt in Köln kümmern, so der Innensenator. Die Landesverfassungsschützer könnten zwar Erkenntnisse zuliefern, sollten sich aber verstärkt um regionalen Extremismus kümmern.

Kommentar
von JÖRN KABISCH

Würden Körtings Vorschläge umgesetzt, hieße das bares Geld für Finanzsenator Sarrazin. Denn in Zeiten von Internet und Mobilfunk arbeitet kaum noch eine extreme Vereinigung regional, abgesehen von einigen Folklore-Abteilungen der PDS vielleicht, wie die Kommunistische Plattform in Berlin. Im Stellenpool der Senats tummelten sich bald einige überflüssige Mitarbeiter der konspirativen Abteilung des Inneren.

Genau deshalb aber hat der Innensenator nicht nur einen effizienten Sparvorschlag vorgelegt, sondern auch eine vernünftige Initiative zur bundesweiten Reform des Verfassungsschutzes - der wie keine andere Verwaltung in Deutschland vom Partikularismus der Länder bestimmt ist. Der gescheiterte NPD-Prozess hat das Muster nur zu eindringlich gezeigt. Die Landesämter schleusen eigene V-Leute in eine Organisation ein, und weil Konspiration mehr gilt als das Aufklärungsinteresse, weiß am Ende keiner mehr, welcher Funktionär bisher noch nicht umgedreht wurde.

Körtings Vorschlag verdient Lob. Wann überhaupt hat ein Innenminister jemals vorgeschlagen, den Verfassungsschutz zu marginalisieren? Und wie genau die Initiative ins Ziel trifft, das zeigen die giftigen Reaktionen, etwa aus Brandenburg.

 

 

Montag, 28. April 2003

„Bunt statt Braun“ ist mehr als nur ein Spruch

 

Rostock (OZ) Hunderte Rostocker machten am Sonnabend deutlich: „Rechtes Gedankengut hat in unserer Stadt keinen Fuß breit Platz.“ In den Reihen der Demonstranten zeigte sich, dass „Bunt statt Braun“ mehr als der Name der Bürgerinitiative, sondern eine Lebenseinstellung ist: Alte, junge, deutsche und ausländische Hansestädter stoppten Seite an Seite die Nazis auf der Hälfte ihrer geplanten Wegstrecke. Flaggen und Plakate mit Aufschriften wie „Rostock gegen Rassismus und Gewalt“ schmückten die ganze Innenstadt, sogar Hunde trugen mittels Leibchen und Schriftzug zum bunten Bild der Weltoffenheit bei.

   So gesehen war es dann letzten Endes doch noch ein guter Tag für die Stadt und ihr Image – Dank engagierter Rostocker.

 

 

Montag, 28. April 2003

Rostock zeigte Flagge

Brauner Aufmarsch von hunderten Gegnern gestoppt

Gegen die genehmigte Demonstration von 150 Neonazis stellten sich am Sonnabend hunderte Hansestädter. Die Rechten kamen nicht auf den Boulevard.

Stadtmitte (OZ) Hunderte Demonstranten stoppten am Sonnabend den Aufmarsch von rund 150 Neonazis. An verschiedenen Orten in der Innenstadt hatten sich junge und alte Hansestädter versammelt, um Flagge gegen Rechts zu zeigen.

   An der Friedenseiche trafen sich bereits am Vormittag Dutzende, um sich zum genehmigten „Trauermarsch“ der Nazis am offenen Mikrofon der Bürgerinitiative „Bunt statt Braun“ zu äußern. Sie alle traten für eine weltoffene Hansestadt ein – ebenso wie die Menschen, die sich später auf dem Universitätsplatz versammelten. Dort wollte die „Aktionsgruppe Rostock“ mit ihren Anhängern in Erinnerung an die alliierten Bombenangriffe auf Rostock von 1942 entlang marschieren.

   Auf der halben Wegstrecke wurden die Rechtsradikalen, unter ihnen der Hamburger Neonazi Christian Worch, von engagierten Rostockern aufgehalten. Während einer Sitzblockade, an der sich rund 50 Personen beteiligten, kam es kurzzeitig zu Handgreiflichkeiten zwischen Demonstranten und der Landespolizei, die mit 700 Beamten im Einsatz war. 14 Gegendemonstranten wurden vorübergehend festgenommen, weil sie den Platzverweisen nicht nachgekommen seien. Ansonsten verliefen die Aktionen weitgehend friedlich. „Das Konzept, durch starke Präsenz Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gar nicht erst zuzulassen, ging auf“, erklärte Polizeisprecher Siegfried Tom.

   Geraume Zeit standen sich Nazis und Gegner gegenüber, dann lösten die Rechtsradikalen ihre Demonstration auf.

   Am Freitagabend hatte das Oberverwaltungsgericht Greifswald die Klage des Rostocker Friedensbündnisses gegen den rechten Aufmarsch und das Verbot einer Gegendemo abgewiesen.

 

 

Montag, 28. April 2003

Mahnwache an der Friedenseiche

Parteien, Gewerkschaften und Bürger kamen Verantwortung nach

Eine Mahnwache an der Friedenseiche als Gegenpol zum Neonazi-Aufmarsch - dazu hatten Bündnis 90, das Rostocker Friedensbündnis, die SPD und OB Arno Pöker aufgerufen.

Jeder, der wollte, konnte am Sonnabend Vormittag an das Mikrofon treten und sich äußern. So machte ein Sprecher der IG Metall seinem Ärger Luft und fragte sich, wie die Stadtverwaltung eine Friedensdemonstration verbieten könne, die "braune Pest" dagegen "ihren Unrat säen" dürfe. "Der politischen Verantwortung ist man sich damals schon nicht bewusst geworden", so der Sprecher. Unter den Anwesenden waren auch der Rektor der Universität Rostock, Hans Jürgen Wendel, und der Bildungsminister Mecklenburg-Vorpommerns, Wolfgang Methling. Dieser dankte den Leuten für ihr Engagement. "Wir müssen der Öffentlichkeit zeigen, wie Rostock mit dieser Sache umgeht", betonte Wolfgang Methling. Jeder solle seine Meinung zum Ausdruck bringen, so der Minister. Dr. Ulrich Rabe vom Bund der deutschen Antifaschisten, freute sich, "Menschen zu sehen, die ihren Kopf zum Denken benutzen". Rabe selbst hatte während der Nazidiktatur im KZ gesessen und war als Zwangsarbeiter in Frankreich gewesen. "Es ist wichtig, etwas für den Frieden zu tun", betonte er.

In der Hansestadt waren am Sonnabend rund 700 Beamte aus Mecklenburg-Vorpommern im Einsatz. Ein Neonazi wurde wegen Mitführens einer Schreckschusspistole vorläufig festgenommen. Im Bereich der Gegenaktionen wurden 14 Personen vorläufig festgenommen, die Platzverweisen nicht nachkamen und Widerstand leisteten. Rund 50 Personen beteiligten sich an einer Sitzblockade. Ein Beamter wurde bei einer Gewahrsamnahme leicht verletzt, ansonsten kam es aber zu keinerlei Ausschreitungen. kat