Mittwoch, 7. Mai 2003
Von Sandra Dassler
Neuruppin.
Glatzen und
Bomberjacken – das Aussehen der vier Männer, die in der Nacht zum Sonntag einen
im Bahnhof Neustadt (Dosse) stehenden Regionalzug durchstreiften, ließ kaum
Zweifel an ihrer Gesinnung aufkommen. Vom Wortschatz ganz zu schweigen:
„Kanake, was willst Du hier?“ beschimpften sie einen 42-jährigen in Berlin
lebenden Ägypter. Der verbalen Attacke folgten Schläge und Tritte, gemeinsam
prügelten die zwischen 19 und 22 Jahre alten Neonazis auf ihr Opfer ein.
Der Ägypter erlitt so schwere Verletzungen, dass er in einem Krankenhaus
behandelt werden musste. Seine Peiniger wurden wenige Stunden nach der Tat von
der Polizei festgenommen. Bereits einen Tag später standen sie vor dem Richter.
Und der verurteilte die vier wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen
zwischen acht und zehn Monaten auf Bewährung.
„Da hat die Abstimmung zwischen den Verfahrensbeteiligten gut geklappt“, freut
sich die Neuruppiner Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper: „Wir sind froh,
wenn wir solche schlimmen Taten in beschleunigten Verfahren ahnden können.
Gerade für junge Täter gilt, dass eine Strafe, die auf dem Fuße folgt,
wirksamer ist. Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt in der Beweisaufnahme
schnell und eindeutig geklärt werden kann, oder die Angeklagten geständig
sind.“
Nicht nur in Neuruppin setzt die Justiz auf beschleunigte Verfahren.
Brandenburg gehört zu den Spitzenreitern in der Anwendung dieser
Sondermöglichkeit der Rechtssprechung. Hier fanden im Jahr 2001 mehr als die
Hälfte aller beschleunigten Verfahren in den neuen Bundesländern statt. In 2845
von insgesamt knapp 200 000 Verfahren sprachen Brandenburger Richter ihr Urteil
unmittelbar nach der Tat. Am häufigsten werden beschleunigte Verfahren bei
Verkehrsdelikten angewendet: Rund eineinhalbtausend solcher Prozesse
resultieren jährlich allein aus Trunkenheitsfahrten am Steuer. Im Bereich der
Grenzkriminalität sind beschleunigte Verfahren manchmal die einzige
Möglichkeit, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Rechtsradikale und fremdenfeindliche Straftaten wurden im Vorjahr in 86 Fällen
so schnell wie in Neuruppin geahndet, meist handelte es sich um
Propaganda-Delikte wie das Zeigen des Hitlergrußes. „Wir könnten noch öfter zu
diesem Mittel greifen“, sagt die Sprecherin des Potsdamer Innenministeriums
Petra Marx: „Aber zu den Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren
gehört auch, dass das zu erwartende Strafmaß ein Jahr Freiheitsentzug nicht
überschreitet.“ Brandenburg fordert daher die Anhebung des Strafmaßes auf zwei
Jahre. Der Bundesrat prüft die Gesetzesinitiative gegenwärtig. Auch
Opferschutzverbände, sagt Petra Marx, würden die verstärkte Anwendung von
beschleunigten Verfahren begrüßen: „Eine schnelle Klärung und Verurteilung
nimmt jenen, die unter den Folgen von Straftaten leiden, einenTeil des Drucks und
der Angst.“
Mittwoch, 7. Mai 2003
Oranienburg - Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, hat die mangelnde Kooperation der Berliner Schulverwaltung mit der Gedenkstätte beklagt. Im Gegensatz zu Brandenburg gebe es in Berlin bislang keine Gedenkstätten-Lehrer, die Schülerbesuche fachlich vorbereiten könnten, sagte Morsch gestern in Oranienburg. Aus Berlin würden jedoch doppelt so viele Schülergruppen die Gedenkstätte besuchen wie aus Brandenburg, wo derzeit zehn Gedenkstätten-Lehrer tätig seien, sagte er bei einer Fachtagung.
Dabei warnte Morsch erneut vor überzogenen Erwartungen an die Gedenkstättenpädagogik. Die Debatte um präventive Konzepte gegen Rechtsextremismus habe zu "falschen Hoffnungen auf Immunisierungsstrategien" durch Gedenkstättenbesuche geführt, kritisierte Morsch. KZ-Gedenkstätten könnten jedoch nicht als "Orte der Menschenverbesserung" eingesetzt werden. Die Erforschung der Erfolge pädagogischer Arbeit der Gedenkstätten stehe noch aus.
Morsch zufolge nahmen im Jahr 2001 rund 66 000 der 300 000 Besucher an mehr als 1800 Gedenkstättenführungen teil, darunter 52 000 Jugendliche. Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bietet derzeit drei Überblicksführungen und 14 thematische Führungen sowie verschiedene Schülerprojekte an.
Mit der Tagung zog die Stiftung eine erste Zwischenbilanz für das Projekt "Wahrnehmen - Auseinandersetzen - Akzeptieren", das 2002 für sozial benachteiligte Jugendliche aus Nord-Brandenburg gestartet und im kommenden Jahr abgeschlossen werden soll. Zu dem Projekt, an dem jährlich rund 300 am Arbeitsmarkt benachteiligte Jugendliche aus Berufsvorbereitungskursen teilnehmen, gehören mehrtägige Arbeitseinsätze zum Aufbau einer internationalen Jugendbegegnungsstätte in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Ziele des Projektes sind die Vermittlung handwerklicher Qualifikation, der Abbau von Fremdenfeindlichkeit und die Verbesserung der Chancen der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt. Durch die Arbeit am historischen Ort soll die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gefördert werden.
Mittwoch, 7. Mai 2003
Schwarz und rot und bunt
Berufsschüler gehen gegen Vorurteile an
Von unserem Redaktionsmitglied
Marlis Guth
Neubrandenburg. Dass die Welt schwarz, rot, bunt ist, will
Sozialpädagogin Werena Henneberg ihren Schülern nahe bringen. An der
Beruflichen Schule mit sonderpädagogischer Aufgabenstellung hat sie ein Projekt
gegen Fremdenfeindlichkeit organisiert. Zum Einstieg ins Thema steht für die
Klasse im ersten Berufsvorbereitungsjahr heute eine Tagesfahrt nach Berlin auf
dem Stundenplan.
Die Exkursion führt ins Jüdische Museum. "Der Besuch lässt eine
erlebnisorientierte Auseinandersetzung mit dem Holocaust erwarten", hat
Werena Henneberg in ihrer Projektbeschreibung notiert. Dahinter steht eine gute
Erfahrung mit einer anderen Klasse im vergangenen Jahr: "Die Schüler haben
gefühlsmäßig sehr stark auf das Museum reagiert, was so gar nicht zu erwarten
war." An diese Empörung und das empfundene Unrecht konnte die
Sozialpädagogin in späteren Diskussionen immer wieder anknüpfen. Und das kann
hilfreich sein, wenn es darum geht, an Barrieren gegen Fremde(s) zu rütteln.
Vorurteile und Misstrauen gegen Ausländer sind unter den Schüler weit
verbreitet, dabei haben sie das Thema ständig vor Augen, wie Werena Henneberg
schildert.
In unmittelbarer Nachbarschaft der Schule liegt ein Heim für Spätaussiedler.
"Die Zahl unserer ausländischen Schüler steigt ständig." Die meisten
von ihnen seien jedoch froh, wenn sie nicht als solche erkannt würden. Ein
weiteres Argument für die Wichtigkeit des Projektes.
Neben dem Ausflug nach Berlin - er soll den "Provinzlern" ganz
nebenbei noch ein wenig praktische Hilfe in der Großstadt, etwa die
Orientierung in der U-Bahn, vermitteln - ist eine Fahrt nach Ravensbrück
geplant. Gespräche folgen, bestenfalls mit ausländischen Gästen. Im
Regionalmuseum soll es um Juden in Neubrandenburg gehen.
Bis Jahresende hat Werena Henneberg die Finanzierung ihres Vorhabens sicher:
"Der Landesrat für Kriminalitätsvorbeugung übernimmt rund 60 Prozent der
Kosten. Den Rest zahlt mein Träger, der Internationale Bund, aus dem Fonds
‚Schwarz, rot, bunt‘."
Mittwoch, 7. Mai 2003
Staatsanwalt fordert Haft für radikalen Lehrer |
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Weil er am Brandanschlag auf
ein asiatisches Bistro in Wismar beteiligt war, soll ein Lehrer für drei Jahre hinter
Gitter. Das zumindest forderte gestern die Schweriner Staatsanwaltschaft.
Schwerin (OZ) Echte deutsche Kameradschaft hält
was aus. Da geht man notfalls auch gemeinsam in den Knast. Logische Konsequenz der
merkwürdigen Allianz zwischen Guido S., dem 37-jährigen Musiklehrer aus
Neukloster, und seinen beiden 19-jährigen Kameraden Jens G. und Candy G..
Die drei waren
im November 2002 am Brandanschlag auf einen Asia-Imbiss in Wismar beteiligt.
Das Vorhaben scheiterte, weil jemand gerade noch rechtzeitig die Polizei
alarmierte. Die Staatsanwaltschaft geht von einem rechtsextremistischen
Anschlag aus und forderte gestern am Schweriner Landgericht drei Jahre Haft für
Guido S. Für die beiden 19-Jährigen hielt sie dreieinhalb beziehungsweise fünf
Jahre Haft für angemessen. Eine Forderung, die die beiden Jugendlichen mit
unsicheren Blicken auf ihre Verteidigerinnen zur Kenntnis nahmen. Guido S.
hingegen hing offensichtlich ganz anderen Gedanken nach.
Vielleicht
dachte er während des Plädoyers der Staatsanwaltschaft an jenen 4. November
2002. Den Tag, an dem seine deutschnationale Kameradschaft auf eine harte Probe
gestellt wurde. Abends gegen 20 Uhr waren Jens und Candy zu ihm gekommen. Die
Jungs, die Guido S. bei einem NPD-Treffen kennen gelernt hatte, waren schon
nicht mehr ganz nüchtern, als sie ihm von ihrem Vorhaben berichteten. Sie
wollten einen Asia-Imbiss in Wismar in Brand stecken.
Guido S.
versicherte während des Prozesses, dass er ihnen davon abgeraten habe, weil
solch ein Akt „das Ansehen der nationalen Bewegung schädige“. Das sahen die
beiden Jugendlichen allerdings anders. Sie forderten von Guido S. angeblich
einen Beweis dafür, dass sein „Schwur auf Ehre und Vaterland“ nicht nur einfach
so dahin gesagt, sondern ernst gemeint war. Kameradschaftsgeist eben. „Als
Pädagoge sah ich da eine Verantwortung als Vorbild“, erklärte Guido S. Er
besorgte einen Benzinkanister, fuhr die Jungs in die Nähe des Tatortes und
wartete im Übrigen ab, was passiert. Wenig später nahm die Polizei die
Jugendlichen fest. Guido S. hingegen fuhr heim und war „sehr mitgenommen von
allem.“
Der
Verteidiger von Guido S. versuchte gestern, dessen Kameradschaftsgeist zu
erklären. „Mein Mandant hat eine bizarre sado-masochistische
Persönlichkeitsstörung und ist deshalb nur vermindert schuldfähig“. Er
plädierte für eine Geldstrafe.
Am Freitag
soll voraussichtlich das Urteil fallen.
Mittwoch, 7. Mai 2003
Junge Leute erforschen ihre Kulturen |
Projekt
startet an drei Schulen |
350 Schüler der 8. und 9.
Klassen aus drei Städten werden in der kommenden Woche an einem Projekttag
teilnehmen, bei dem sich alles um die Jugendkulturen und deren Hintergrund
dreht.
Ribnitz-Damgarten/Bad
Sülze/Barth (OZ) Es ist schon
eine Großveranstaltung, die Ines Duller von der Medienwerkstatt des
Jugendhauses Alte Molkerei da auf die Beine gestellt hat. Am 13., 14. und 15.
Mai wird das Projekt „Culture on the Road“, das vom Archiv der Jugendkulturen
in Berlin angeboten wird, jeweils einen Tag in der Regionalschule in
Ribnitz-Damgarten, in der Regionalschule Bad Sülze und im
Katharina-von-Hagenow-Gymnasium in Barth Station machen. „Ziel dieses Angebotes
an den Schulen“, so erklärte gestern Frau Duller, „ist es, den Jugendlichen die
verschiedenen Jugendkulturen zu erläutern und sie ihnen nahezubringen.“
Viele
Jugendliche kennen auch selbst dann nicht, wenn sie sich einer Gruppe wie dem
Hip-Hop oder den Skatboarding zugeordnet haben, welche Zielsetzungen die
jeweiligen Gruppen haben, wissen selten etwas über ihre Geschichte und können
sich daher auch nicht einordnen. „Im Vordergrund aber steht bei „Culture on the
Road“ die Toleranz und der Antirassismus“, sagte Ines Duller. „Die Transparenz
schafft auch eine gegenseitige Akzeptanz“, fügte die Leiterin der
Medienwerkstatt hinzu.
Zu den
jeweiligen Projekten an den drei Schulen in der Region werden auch
Lehrerfortbildungen auf dem Programm stehen. Auch bei den Pädagogen sei man
über die einzelnen Jugendkulturen nicht so informiert, wie es wünschenswert
wäre.
Die
Projekttage sind mit Informationen vollgestopft. Wenn es um Gruftie, HipHop,
Techno, Skaten und Slam Poetry geht, gibt es zuerst Auskünfte über den
politischen Hintergrund Diskussion, dann eine Einführung in die Philosphie und
einen Praxisteil. Beim anschließenden Workshop wird dann auf die Schwerpunkte
der unterschiedlichen Kulturen eingegangen, dabei gibt es zum Beispiele einen
Kurs für Mädchen im Skaten oder eine Schreibwerkstatt, wenn es um Slam Poetry
geht. Begleitet werden die Projekttage von 16 Referenten, die selbst
Vertreter der jeweiligen Szene sind.
Für den
Mittwochabend ist eine Party im Rahmen des Projektes im Jugendhaus Alte
Molkerei in Bad Sülze geplant. Dort sollen dann die Ergebnisse aus den Workshops
vorgestellt werden. Dort werden die Diskjockeys aus den verschiedenen
Richtungen für ein heißen Abend sorgen.
Mittwoch, 7. Mai 2003
Prozeß gegen Neonazi
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Roy L. in Potsdam vor Gericht
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Heute wird
um 10Uhr am Amtsgericht Potsdam der Prozeß gegen den 23jährigen Neonazi Roy
L. eröffnet, dem zur Last gelegt wird, am Abend des 13. September 2002
gemeinsam mit drei Skinheads den 44jährigen Kameruner Robert E. überfallen
und mit einem Gummiknüppel verletzt zu haben. Der Angriff war ein Glied in
einer Kette von insgesamt zwölf rassistischen Übergriffen auf Flüchtlinge und
Migranten in Potsdam im Jahr 2003.(jW) |
Mittwoch, 7. Mai 2003
Design gegen Rechts
Rechtsweg
ausgeschlossen
Ungewöhnlich, bissig, anders sollte das Grafikprojekt der Studenten an der
FH Dortmund sein. Über 150 Studenten beschäftigten sich ein Semester lang in
Plakaten, Filmen und Objekten mit Rechtsradikalen - und ließen an den Glatzen
kein gutes Haar. Jetzt erhielt das provokante Projekt einen Preis.
"Glattgebügelte Aktionen gegen
Ausländerfeindlichkeit gibt es genug", findet Johannes Graf, Professor am
Fachbereich Design der FH Dortmund. Unter der Leitung von Graf und seines
Kollegen Dieter Ziegenfeuter beschäftigten sich Studenten bereits vor zwei
Jahren mit rechter Gewalt. Graf wollte mit dem Projekt "Design gegen
Rechtsradikalismus" aufrütteln - vor allem die Jugendlichen in Dortmund.
Aber nicht nur die waren begeistert: Kürzlich wurde das Projekt vom bundesweiten
"Bündnis für Toleranz und Demokratie" ausgezeichnet.
"Die Würde des Menschen ist
unantastbar", heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes - der Ausgangspunkt
für das Projekt. Die Idee hatte Graf, als sich die Meldungen von
ausländerfeindlichen Übergriffen abermals häuften. "Wir mussten etwas tun,
das deutlicher war als die übliche political correctness." Seine Studenten
waren anfänglich davon nur mäßig angetan. "Es gibt doch schon so viele
Aktionen gegen rechts", sagten einige.
Doch dann entstand eine Reihe von
Arbeiten, die das Thema künstlerisch-spielerisch umsetzten - oder über das
übliche Maß hinaus provozieren sollten. "Die Studenten haben ihre Zweifel
schnell abgelegt", sagt Graf und verweist auf die Kreativität in den
Arbeiten. Slogans wie "Faschos sind doof und haben kleine Schniepel",
das Motiv mit Hitler als Voodoopuppe oder ein Toilettenbild mit dem Schriftzug
"national befreite Zone" wurden auf Postkarten und Plakate gedruckt.
Natürlich blieben die Reaktionen der
rechten Szene, als die Grafikstudenten ihre Arbeiten ausstellten, nicht aus.
"Es gab Demonstrationen und sogar persönliche Drohungen", erzählt
Graf. "Aber so etwas muss man aushalten." Beim Protest der Rechten
sei den Studenten die Bedeutung der Aktion erst richtig klar geworden.
Alle Studenten haben ihre Arbeiten selbst
finanziert, den Druck und die Materialkosten. Bettelbriefe zur Unterstützung
der Aktion hatten kaum Erfolg. "Da kam das Preisgeld von 5000 Euro gerade
recht." Trotz mangelnder Unterstützung vor allem aus der Politik will Graf
die Aktion noch ausbauen. Künftig sollen die Grafikstudenten in jedem Semester
die Möglichkeit haben, Arbeiten zum Thema herzustellen. Der plakative Kampf
gegen Ausländerfeindlichkeit geht also weiter.
Von Leon Stebe
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