Freitag, 9. Mai 2003

Dichter auf dem Scheiterhaufen

Wo Bücher ins Feuer wandern, da brennen auch Menschen, sagte Heinrich Heine. Vor 70 Jahren verbrannten die Nationalsozialisten zuerst die Bücher. Ein Lehrstück

Von Ernst Piper

Das Verbrennen von Büchern hat eine lange Tradition. An ihrem Anfang steht die Inquisition. Autodafé (abgeleitet vom actus fidei, einer Glaubenshandlung) wurde zunächst die feierliche Verlesung des Urteils genannt, der die sofortige Vollstreckung folgte. Von Anfang an war dies ein Akt aufwendig inszenierter Öffentlichkeit. Die Verbrennung wurde in der Regel durch einen Gottesdienst mit Prozession eingeleitet, eine große Zahl von Würdenträgern versammelte sich, um die Bedeutung des Schauspiels zu unterstreichen. Wurden zunächst nur Ketzer verbrannt, so verzehrten spätere Feuer auch ihre Schriften, auf dass deren Geist ausgetilgt werde. Im Jahr 1242 zum Beispiel wurden auf Geheiß des französischen Königs mehr als 20 Wagenladungen jüdischer Schriften zusammengekarrt, deren Verbrennung dann zwei Tage dauerte.

Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern eröffnete der Gedankenfreiheit neue Dimensionen und stellte die Obrigkeit vor neue Probleme. So setzte im 16. Jahrhundert die Systematisierung und juristische Kodifizierung der geistlichen wie der weltlichen Zensurpraxis ein. Doch das Ende des Obrigkeitsstaates bedeutete nicht das Ende obrigkeitsstaatlichen Denkens. Auch in den Jahren der Weimarer Republik war Zensur ein Thema. Schon das 1922, nach der Ermordung von Walter Rathenau, vom Reichstag beschlossene Republikschutzgesetz zeigte die Probleme des jungen Staatswesens. Die Sozialdemokraten hatten den Kompromiss mit den bürgerlichen Parteien suchen müssen. Das Gesetz, das die Republik gegen ihre Feinde schützen sollte, wurde im Laufe der parlamentarischen Beratungen so verwässert, dass es am Ende kaum noch den Absichten der Initiatoren entsprach. Die Gerichte setzten es bald mehr gegen die KPD ein als gegen die Fememörder, für die es eigentlich gemacht war.

1926 verabschiedete der Reichstag ein Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schmutz- und Schundschriften. Hier wurde de facto, unter dem Vorwand des Jugendschutzes, die Zensur wieder eingeführt. Der SPD-Abgeordnete Kurt Löwenstein sprach von „Fememorden am deutschen Kulturgut“. Die präsidialen Notverordnungen von 1931 und 1932, vorgeblich zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen, öffneten der Willkür polizeilicher Presseverbote Tür und Tor.

So gesehen war der 10. Mai 1933 kein einschneidendes Datum der Zensurgeschichte – wohl aber der politischen Geschichte: nach dem Boykott jüdischer Geschäfte einen Monat zuvor ein zweiter spektakulärer Akt, in dem das nationalsozialistische Regime seinen zur Gewalt bereiten Selbstbehauptungswillen inszenierte. Ostentative Brutalität und Brachialität waren Insignien der neuen Epoche. Nicht nur hinter verschlossenen Türen, in den Folternkellern der SA, sondern auch in aller Öffentlichkeit rechnete das Dritte Reich mit seinen Gegnern ab.

In über 50 deutschen Städten wurden von März bis Juli 1933 Bücher verbrannt, an manchen Orten wie Dresden und Heidelberg sogar mehrfach. Die meisten Aktionen fanden im Mai statt, das Hauptereignis am 10. Mai in Berlin. Es ist auffällig, wie stark die Inszenierung dabei dem Muster der mittelalterlichen Autodafés folgte. Am Anfang stand nicht ein Gottesdienst, sondern in der Berliner Universität (der heutigen Humboldt-Universität Unter den Linden) die Antrittsvorlesung des Philosophen Alfred Beumler, soeben auf die neugeschaffene Professur für politische Pädagogik berufen.

Das Auditorium war lange vor Beginn der Veranstaltung überfüllt. Die meisten Studenten erschienen in SA-Uniform. Hinter dem Katheder hatte sich eine Abordnung mit Hakenkreuzfahne aufgestellt. Baeumler reklamierte für sich den Gestus der emphatischen Bescheidenheit des Soldaten der Revolution, der sich einreihte unter die Arbeiter, Bauern und Studenten, die Vollstrecker dieser Revolution. Nicht die idealistisch-humanistische Philosophie der Gebildeten habe die Schlachten des Weltkriegs gewonnen, sondern die stumme Philosophie des Heeres. Die falsche Antithese zwischen Geist und Macht müsse überwunden werden. Wie der Professor sich das vorstellte, erfuhr man wenige Wochen später, als er Grundsätze für die „vollständige Ausmerzung der vorhandenen Buchbestände“ inzwischen als missliebig identifizierter Autoren vorlegte.

Am Abend des 10. Mai versammelten sich die Studenten auf dem Hegelplatz hinter der Universität, um in geschlossener Formation mit klingendem Spiel unter Führung Baeumlers über den Kupfergraben zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße zu ziehen. Dort hielt Fritz Hippler, Funktionär des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, eine Rede. Dann zog die Menschenmenge mit den mit Büchern schwer beladenen Ochsenkarren weiter, am Ende durchs Brandenburger Tor über die Linden zum Opernplatz. Älteste der Studentenschaft und Germanistikprofessoren hielten Ansprachen. Dann flogen Bücher von Marx und Freud, von Heine und Tucholsky, von Theodor Wolff und Alfred Kerr und anderen ins Feuer. Die Hauptrede hielt der frischgebackene Propagandaminister Joseph Goebbels. Sie begann mit den Worten: „Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende.“ Der Erfolg der „deutschen Revolution“ habe auch „deutschem Wesen wieder die Gasse freigemacht“.

Die Nazis sahen sich als Exekutoren des Volkswillens, die Studenten aber sollten dessen Avantgarde sein. Schon in den 20er Jahren hatten völkisch-rassistische Tendenzen die organisierte akademische Jugend dominiert. Die Vereinigten Deutschen Studentenschaften waren die erste gesellschaftliche Organisation, in der die Nazis, bereits 1931, bei Wahlen zu den repräsentativen Organen die Mehrheit der Stimmen errungen hatten. Nach Hitlers „Machtergreifung“ sah die Organisation sich einem erheblichen Konkurrenzdruck des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes ausgesetzt und versuchte, diesen noch an Radikalität zu übertreffen.

Das Anfang April 1933 neu geschaffene Hauptamt für Presse und Propaganda der Vereinigten Deutschen Studentenschaften führte als erste Maßnahme eine Großaktion durch, die am 12. April mit der Veröffentlichung der berüchtigten 12 Thesen „Wider den undeutschen Geist“ begann und die Bücherverbrennungen vorbereitete. Im ersten Rundschreiben des neuen Amtes wurde jeder Student aufgefordert, seine Bibliothek zu „säubern“. Weiter hieß es dann: „Jeder deutsche Student säubert die Bücherei seiner Bekannten und sorgt dafür, daß ausschließlich volksbewußtes Schrifttum darin heimisch ist.“ Totalitäre Regime haben sich seit jeher gerne des revolutionären Elans junger Leute bedient. Die Zerstörungswut studentischer Brigaden in der chinesischen „Kulturrevolution“ ist noch in Erinnerung. Studenten gehörten damals in ganz anderer Weise zur gesellschaftlichen Elite als heute im Zeitalter der Massenuniversitäten. Das neue Regime bedurfte des akademischen Nachwuchses zur Umformung der Funktionseliten. Tatsächlich haben junge Akademiker in Deutschland zu keiner Zeit so rasch Karriere gemacht wie nach 1933.

Vieles spricht dafür, dass die Hauptinitiative zu den Bücherverbrennungen von den Studenten ausgegangen sind. An den Hochschulorten war der Schwerpunkt der Aktivitäten. Es gab aber auch andernorts Verbrennungen, die von der örtlichen HJ getragen waren. Auch Bücherverbrennungen vor Gewerkschaftshäusern sind vorgekommen. Wenn Goebbels in seiner Berliner Rede den Studenten als „Vortrupp eines wirklich revolutionären deutschen Geistes“ seine Reverenz erwies, so signalisierte er damit zugleich, dass die Bücherverbrennungen bei aller Feierlichkeit keine offiziellen Staatsaktionen waren. Das Regime ließ sie geschehen, ohne sich mit ihnen nachhaltig zu identifizieren, distanzierte sich aber auch nie. 1934 erschien im Verlag für Kulturpolitik als Band 2 der „Kampfschriften für deutsche Weltanschauung“ Werner Schlegels Rechtfertigungsschrift „Dichter auf dem Scheiterhaufen“, die die Aktion der revolutionären Jugend gegen „manches Kopfschütteln bei den alten Generationen“ verteidigte. Tatsächlich brach sich die deutsche Liebe zum Scheiterhaufen immer wieder Bahn. So gab es in Salzburg 1938 nach dem „Anschluss“ eine Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz. Im November des gleichen Jahres wurden vielerorts die jüdischen Gemeindebibliotheken verbrannt. 1939, nach der Besetzung Polens, verbrannte die deutsche Wehrmacht die Zentrale Heeresbibliothek in Warschau, und 1941 kam es im eroberten Elsaß zu einer „Entwelschungsaktion“, bei der Buchbestände in französischer Sprache ein Raub der Flammen wurden.

Die Bücherverbrennungen waren nicht dazu angetan, das Ansehen des Deutschen Reiches in der Welt zu mehren. Auch Werner Schlegel musste in seiner Rechtfertigungsschrift einräumen, dass sie „im Ausland einen Sturm der Entrüstung entfacht haben“. Viele sahen darin den barbarischen Ausdruck eines Terrorregimes. Und den Verbrennungen folgte rasch der Alltag der Bibliothekssäuberungen, Verbotslisten, Entlassungen und Berufsverbote. Allein in Berlin beschlagnahmte die Politische Polizei bis Ende Mai 1933 mehr als 10000 Zentner „marxistische Literatur“.

Der ausgetriebene Geist setzte sich mit den ihm eigenen Mitteln zur Wehr. Am 10. Mai 1934 wurde in Paris die Deutsche Freiheitsbibliothek eröffnet, in London die Society of the Friends of the Burned Books gegründet und in New York die erste amerikanische Library of Burned Books eröffnet.

1943 war das Gedenken besonders intensiv. An den 300 größten Bibliotheken des Landes gingen Fahnen auf Halbmast. Repräsentanten von Literatur und Wissenschaft beschworen in ihren Reden die Freiheit des Denkens. Thomas Mann berichtete darüber in seiner monatlichen Rundfunkansprache den deutschen Hörern: „Das Datum des 10. Mai bleibt der Erinnerung, zum mindesten der angelsächsischen Völker, unauslöschlich eingeprägt, und die zehnte Wiederkehr jenes 10. Mai hat hier zu wahrhaft rührenden und uns deutsche Europa-Flüchtlinge tief beschämenden Kundgebungen geführt.“ Bleibt abzuwarten, wer sich in zehn Jahren der niedergebrannten Nationalbibliothek von Bagdad erinnern wird.



Der Autor ist Historiker und Verleger, er lebt in Berlin und München.

 

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

RECHTES HANDWERK

Gelbe Seiten gebräunt

Gegen Nazisymbole in Werbeanzeigen des neuen Telefonbuchs für Anklam hat das Bündnis "Bunt statt braun" protestiert. Bei Anzeigen eines Dachdeckers sei die früher als Symbol des SA-Gesundheitsdienstes benutzte "Lebensrune" abgebildet, so das Bündnis gestern. (epd)

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

 

V-Mann-Affäre: PDS sieht Rechte verletzt
Verfassungsgericht entscheidet im Juni

POTSDAM - Das Brandenburger Landesverfassungsgericht will sein Entscheidung über das Recht auf Akteneinsicht der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags am 19. Juni verkünden. Das teilte das Gericht gestern nach der Verhandlung mit. Die PDS-Fraktion hält einen Mehrheitsbeschluss der Abgeordneten vom 5. September 2002 für verfassungswidrig. Es war ein PDS-Antrag auf Akteneinsicht im Zusammenhang mit einer V-Mann-Affäre von der Tagesordnung genommen worden. Mit dem Antrag sollte der Landtag die PKK auffordern, im Falle des in Berlin inhaftierten V-Mannes Toni S. ihrer "Kontrollpflicht nachzukommen" und Akteneinsicht zu nehmen.

PDS-Fraktionschef Lothar Bisky sagte, die Kontrollpflichten der PKK könnten nicht durch eine Mehrheitsentscheidung des Landtags behindert werden. Damit ginge der Sinn des Ausschusses verloren, der die Arbeit des Verfassungsschutzes kontrollieren müsse.

Das Gericht befasste sich in seiner mündlichen Verhandlung vor allem mit der Verschwiegenheitspflicht der PKK-Mitglieder. Dabei ging es um die Frage, ob der Landtag über die Akteneinsicht der PKK- Mitglieder hätte diskutieren dürfen, ohne dass dabei die Verschwiegenheitspflicht verletzt worden wäre.

Die V-Mann-Affäre hatte 2002 zu erheblichem Wirbel geführt. Ende Juli hatten Berliner Polizeibeamte einen Rechtsradikalen als V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes enttarnt. Der 28-jährige Toni S. aus Cottbus wurde vom Berliner Landgericht wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verwendung von Nazi-Symbolen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er an Produktion und Vertrieb von rechtsextremen CDs beteiligt war. dpa/MAZ

 

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

Asyl-Thema beschäftigt Schüler

 

Grimmen (OZ) Freiwillige Aufarbeitung von Geschichte, und das auch noch außerhalb der Schulzeit? Viele Schüler würden sicherlich um dieses „zweifache Übel“ einen großen Bogen machen. Dennoch erschienen am Mittwochabend rund 20 Jugendliche aus Grimmen, um im Lichtbildraum des Gymnasiums eine kritische Dokumentation über die ausländerfeindlichen Ereignisse des August 1992 im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen anzusehen.

   Organisiert wurde der Themenabend von drei Mitarbeitern des LOBBI e.V., die für landesweite Beratung von Opfern rechter Gewalt stehen. In der anschließenden Gesprächsrunde, die nach den schockierenden Bildern etwas zaghaft begann, berichteten die Organisatoren von ihren eigenen Erlebnissen, die sie während der Ausschreitungen gegen das Asylbewerberheim als Augenzeugen gemacht hatten.

   Nach einiger Zeit kam man auch auf die momentane Situation in Grimmen zu sprechen. Kann es ein zweites Lichtenhagen in der Nordvorpommerschen Kreisstadt geben? Wohl eher nicht, ließen die meisten Teilnehmer verlauten. Des Weiteren wurde Kritik an Bürgermeister Benno Rüster laut. Er folge einer 1992er Argumentation, wenn er über Wirtschaftsflüchtlinge anstatt von Asylbewerbern rede, hieß es. Auf die Frage, wie denn nun ihr Standpunkt zum Asylbewerberheim in Grimmen sei, antwortete Tim stellvertretend: „Die diese Frage lässt sich nicht einfach mit Pro oder Kontra beantworten. Man kann auf jeden Fall sagen, dass eine dezentrale Unterbringung besser wäre. Aber das Problem ist ja, dass die Leute erst gar keine Asylbewerber haben wollen. Sie sehen nur die Masse, nicht die Menschen. Generell sind wir gegen Heime, weil sie menschenunwürdig sind. Aber wiederum: Wenn es keine Heime gibt, werden die Asylbewerber abgeschoben und der Mob hat gewonnen.“

   „Wir wurden bereits im letzten Jahr beim alternativen Jugend-Camp von einigen Leuten darauf angesprochen, etwas in Grimmen zu machen“, erklärt Mitorganisator Michael die Standortwahl Grimmen und verweist zusätzlich auf den kommenden Mittwoch, an dem abermals am Gymnasium Grimmen ein Gesprächsabend mit dem Thema: „Leben in der Fremde“ stattfinden wird.

 

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

 

Geständnis für Bewährung: Die Wende im SSS-Prozess


Dresden. Am gestrigen 44. Verhandlungstag gegen sechs Mitglieder der verbotenen Neonazi-Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) kam es zum völlig überraschenden Durchbruch: Nachdem am Vormittag unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurden, ließen die Angeklagten am Nachmittag über ihre Anwälte mitteilen: "Wir räumen die Vorwürfe laut Anklageschrift in vollem Umfang ein."

Dieser eine Satz aus dem Mund von sechs Anwälten kommt einem Erdrutsch gleich: Seit September 2002 hatten die Angeklagten beharrlich geschwiegen und sich besonders gegen den Tatvorwurf "Bildung einer kriminellen Vereinigung" entschieden gewehrt. Mehrmals bot die Verteidigung umfassende Geständnisse zu Vorwürfen wie Landfriedensbruch, Körperverletzung oder Volksverhetzung an, wenn die Staatsanwaltschaft den Haupttatvorwurf fallen ließe.

Oberstaatsanwalt Jürgen Schär und Staatsanwalt Christian Mansch winkten regelmäßig ab. Auch, als der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski Anfang des Jahres in einer persönlichen Erklärung bezweifelte, dass der Vorwurf bewiesen werden könne.

Für gestern hatte der Angeklagte Thomas R. (24), den die Staatsanwaltschaft der Rädelsführerschaft beschuldigt, eine Erklärung angekündigt. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Verteidiger Peter Manthey erklärte, sein Mandant sei mit den Nerven am Ende und kompromissbereit. "Wegen der vielen Verhandlungstage wurde er vom Arbeitsamt als nicht vermittelbar eingestuft. Er will wieder ein normales Leben führen und nicht ständig auf Gericht erscheinen."

Das Angebot der Verteidiger: Die Angeklagten gestehen ihre Schuld, das Gericht verhängt im Gegenzug nur Bewährungsstrafen. Über die zu erwartenden Höchststrafen wurde man sich schnell einig. Doch die Absprache drohte an der Kostenproblematik zu scheitern. Besonders Rico D. (31) sah sich auf der Verliererseite und wehrte sich vehement gegen den ausgehandelten Kompromiss.

Nicht ohne Grund: Das Paket sah vor, dass das Verfahren gegen den nicht vorbestraften SSS-Schatzmeister Andrè V. (29) gegen Zahlung von 10.000 Euro eingestellt wird. Er hatte sich nicht an Gewalttaten beteiligt und hätte sich nicht an den Verfahrenskosten beteiligen müssen. Daniel B. (25), Thomas R. und Mario W. (25) waren zum Tatzeitpunkt Heranwachsende, hätten Jugendstrafen erhalten und wären laut Jugendstrafrecht von den Kosten freizustellen.

Für die rund 500.000 Euro Verfahrenskosten, die bisher angefallen sind, hätten allein SSS-Führungsmitglied Thomas S. und eben Rico D. gerade stehen müssen. "Das sehe ich nicht ein. Ich habe nichts gemacht", wetterte D., stimmte schließlich aber doch noch zähneknirschend zu. Damit war das Geschäft "Schuldeingeständnis gegen Bewährung" perfekt. Für Andrè V. ist das Verfahren bereits beendet. Am 22. Mai sollen die Plädoyers und die Urteile gegen die fünf verbliebenen Angeklagten gesprochen werden.

"Es ging darum, endlich das Verfahren zu beenden", sagte Carsten Schrank, ebenfalls Anwalt von Thomas R. Und gestand ein: "Wenn wir begründete Hoffnungen auf einen Freispruch gehabt hätten, wären wir den Deal nicht eingegangen." "Die Schmerzgrenze war erreicht. Das konnte nicht endlos so weitergehen", meinte Marina Meißner, die Anwältin von Mario W.

Oberstaatsanwalt Jürgen Schär sagte, er habe beim Strafmaß eine Kröte schlucken müssen. "Ich habe aber immer gesagt: Mir geht es nur um die kriminelle Vereinigung. Alles andere ist sekundär und Verhandlungsmasse." Er halte Haftstrafen nicht zwingend für erforderlich. "Das langwierige Verfahren hat schon seine Wirkung bei den Angeklagten hinterlassen." Wichtig sei ihm vor allem, dass in dem zu erwartenden Urteil deutlich werde, dass die Staatsanwaltschaft bei politisch motivierter Gewalt nicht nur Einzeltäter verfolge, sondern mit aller Konsequenz auch Strukturen.

Schär erhofft sich positive Auswirkungen vom Ergebnis des ersten SSS-Verfahrens auf die am Verwaltungsgericht Dresden anhängige Klage gegen das SSS-Verbot. Die in Bälde folgenden zwei Prozesse gegen weitere SSS-Mitglieder könnten schneller abgeschlossen werden. "Der Vorwurf Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist dann ja bereits bewiesen."

Thomas Hartwig

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

 

Benz: Deutsche pflegen alte Vorurteile gegen Juden

Antisemitismusforscher zum 70. Jahrestag der Bücherverbrennung


 

 

Nach Ansicht des Antisemitismusforschers Wolfgang Benz werden in Deutschland noch immer die gleichen alten Vorurteile gegen Juden wie Anfang des Jahrhunderts gepflegt. Die These eines "neuen Antisemitismus", der sich in Äußerungen von Politikern und Autoren zeige, bestritt Benz. Auch im vergangenen Jahr seien von Prominenten wie dem FDP-Politiker Jürgen Möllemann lediglich die alten Stereotypen aufgerührt worden, dass Juden angeblich zuviel Einfluss auf Finanzen, Presse oder Kultur hätten.

"Solche Konstrukte sitzen so tief, dass sie bei sich bietender Gelegenheit von jedem Demagogen mit frischem Leben erfüllt werden können", sagte Benz im Deutschlandradio Berlin.

Zum Jahrestag der Bücherverbrennung kritisierte Benz die Pläne für eine Tiefgarage unter dem Berliner Bebelplatz, wo bereits ein Mahnmal an das Ereignis vor siebzig Jahren erinnert. Am Samstag jährt sich die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten.

Auf dem Bebelplatz, dem früheren Opernplatz, hatten die Nazis rund 20.000 Bücher verbrannt - Texte von Bertolt Brecht, Heinrich Heine, Erich Kästner, Else Lasker-Schüler und vielen anderen wurden in die Flammen geworfen. In Erinnerung an 1933 ist dort eine unterirdische, leere Bibliothek geschaffen worden, die mit einer Glasplatte abgedeckt ist. Um dieses Mahnmal herum soll nun eine Tiefgarage gebaut werden.

 

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

 

Nächster Aufmarsch droht

 

WEIMAR (cb). Das Bündnis "Bürger gegen Rechts" ist selbstkritisch. Der Verlauf des Ostersonntags sei nicht zufriedenstellend gewesen, erklärte Fritz Burschel . Es sei zwar nur ein "lächerliches Nazi-Grüppchen" in Weimar aufmarschiert, aber dafür hätte auch das Bündnis nicht genug Leute mobilisieren können.

"Wir haben im Weimarhallenpark kein glückliches Bild abgegeben. Wir haben uns isoliert." Zudem seien einige angekündigte Redner nicht aufgetreten und viele Anhänger der Friedensbewegung trotz Ankündigung nicht gekommen. OB Dr. Germer regte für die nächste Aktion einen Protestzug durch die Innenstadt an: "Dem können sich die Bürger spontan anschließen."

Das Bündnis gegen Rechts stellte beim Nachbereitungstreffen auch klar, dass es nicht die Kraft habe, auf jede rechtsextreme Demo mit einer Gegenveranstaltung samt Volksfestcharakter zu reagieren. "Es handelt sich außerdem um ein ernstes Thema und nicht um Entertainment", sagte Pfarrer Hardy Rylke.

Die Stadt hat übrigens bereits die nächste Anmeldung einer rechtsextremen Gruppe für den 9. November vorliegen.

 

 

 

Freitag, 9. Mai 2003

Maiwochen der Mahnung und Erinnerung

 

Veranstaltungsreihe von Antifa-Universitätsgruppe zu Bücherverbrennungen vor 70 Jahren

 

Bevor am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Bebelplatz (damals Opernplatz) Zehntausende Bücher durch nationalsozialistische Studenten und Professoren verbrannt wurden, hatte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die Deutschen zu einer »Aktion wider den undeutschen Geist« aufgerufen. Herrschaftshörig hatte es der Mob auf die Werke mehrerer hundert Autorinnen und Autoren abgesehen.

Unter anderem mit den Bücherverbrennungen werden sich die »Maiwochen der Mahnung und Erinnerung« befassen, die die antifaschistische Gruppe an der Humboldt-Universität »HUmmel Antifa« und andere Antifa-Gruppen in den kommenden zwei Wochen in Berlin veranstalten. Weitere Schwerpunkte sind die Bürokratie im Nationalsozialismus und heute, Antisemitismus in Burschenschaften und der Aufstand im Warschauer Ghetto.

Zum Auftakt der Maiwochen findet heute eine Reggae-Party aus Anlaß des Tages des Sieges über den Nationalsozialismus im Café Morgenrot (Kastanienallee 85, ab 22 Uhr) statt. Am Jahrestag der Bücherverbrennung veranstaltet die »Linke Liste der HU« ein Lesung der Texte von Autorinnen und Autoren, deren Werke bei der Bücherverbrennung vernichtet wurden (Bandito Rosso, Lottumstr. 2a, 21 Uhr). Den Abschluß der Veranstaltungsreihe wird eine Podiumsdiskussion mit Andreas Speit zu »Esoterik – zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft« am 23. Mai bilden. (Hauptgebäude HU, Unter den Linden 6, Raum 3075, 19 Uhr).

* Infos im Internet: http//maiwoche.de.vu