Freitag, 30. Mai 2003

Neue Sensibilität

Rechtsextremismus - Herausforderung für Gesellschaft, Medien und Justiz / Von Ingrid Müller-Münch

Zehn Jahre ist es her, da steckten vier junge Solinger das Haus der türkischen Familie Genc in Brand. Zwei junge Frauen und drei Kinder verbrannten. Zuvor hatte ein Teil der Presse bundesweit gegen Ausländer gehetzt und womöglich die unreifen jugendlichen Attentäter zu ihrer Tat animiert. In dem hier dokumentierten Beitrag versucht Ingrid Müller-Münch herauszufinden, welche Veränderungen es seither in der Berichterstattung zum Thema Ausländer und Rechtsextremismus gegeben hat. Der Text basiert auf dem Vortrag "Die Rolle der Medien", den die FR-Korrespondentin jüngst auf der Tagung "Rechtsextremismus - Herausforderung für Gesellschaft und Justiz" der Deutschen Richterakademie in Wustrau hielt.

29. Mai 1993. Das Haus einer in Solingen lebenden türkischen Familie geht in Flammen auf. Fünf Menschen sterben. Im Oktober 1995 verurteilt das Düsseldorfer Oberlandesgericht vier Solinger wegen fünffachen Mordes. Kurz vor diesem Anschlag waren in der Lokalpresse Bürger zitiert worden, die sich durch Bewohner eines Asylheims belästigt fühlten. Sie riefen nach "Selbsthilfe", redeten von "Niedermachen mit Baseballschlägern und Brandbomben". Wenig später zündeten die vier jungen Männer das Haus der Familie Genc an. Womöglich haben sie geglaubt, nur das in die Tat umzusetzen, was die erwachsenen Leserbriefschreiber lauthals gefordert hatten?

Im Oktober 1991, zwei Jahre zuvor, hatte der 19-jährige Jens aus Hünxe gemeinsam mit zwei weiteren Skinheads einen Molotowcocktail auf das Schlafzimmer von libanesischen Flüchtlingskindern geworfen und zwei Mädchen schwer verbrannt. Jens konnte es nicht fassen, als er wegen dieser Tat festgenommen wurde. Vor dem Haftrichter drückte er seine Verwunderung darüber aus, dass so etwas strafbar sei.

Beispiele, die zeigen, wie die Stimmung im Lande Anfang der 90er Jahre war. Damals titelte der Spiegel "Das Boot ist voll", waren Politik-, Medien- und Alltagsdiskurse nach den Beobachtungen des Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung hochgradig rassistisch aufgeladen. Junge Leute, hiervon mitgerissen, setzten in unbändigem Zorn auf alles Fremde die Hasstiraden in die Tat um, brandschatzten und zündelten, mordeten und traten Unschuldige mit ihren Springerstiefeln zu Tode. (. . .)

Es waren jedenfalls die Jahre, in denen glatzköpfige Schläger die Titelseiten der Magazine verschandelten, in denen tagtäglich von Gewalttaten aus diesem Milieu berichtet wurde. Und in denen vehement die These durch Polizei und Staatsanwaltschaft vertreten wurde, bei den üblen Gewalttätern aus dieser Szene handele es sich durchweg um dumme Jungs und Einzeltäter, deren Motivation völlig unabhängig von ihrem rechtsextremen Gedankengut stehe.

In den ersten Jahren nach den Ausschreitungen von Hoyerswerda im September 1991 reagierten deutsche Ermittler geradezu panisch, wenn es um Anschläge oder Tötungsdelikte ging, bei denen Rechtsextremismus oder Ausländerfeindlichkeit als mögliches Motiv in Frage kam. Allzu oft wurde mit der Begründung, es handele sich um einen Einzeltäter, die Motive der Tat seien rein persönlicher Natur, hätten nichts mit dem beim Täter sichergestellten Nazi-Material zu tun, versucht, eine Tat hierdurch aus der politischen Motivation herauszuschälen. (. . .)

Auch Richter nahmen viele Jahre lang die Taten neonazistischer Brandschatzer nicht ernst, urteilten väterlich milde und nannten selbst Mordanschläge einen Dummenjungenstreich. Erst 1994 sorgte der BGH dafür, dass diejenigen, die Brandsätze durch Wohnungsfenster warfen, von nun an wegen versuchten Mordes angeklagt und gegebenenfalls verurteilt werden mussten. Journalisten hatten dies seit Jahren schon gefordert.

Zehn Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen, fast zwölf Jahre nach dem Attentat von Hünxe lohnt sich ein Blick auf den heutigen Umgang der Medien mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Und auf das nicht zu leugnende Wechselspiel zwischen Justiz und Presse. (. . .)

Wo sind sie geblieben, die lange Jahre alltäglichen Bilder martialisch wirkender Skinheads, die von Anfang bis fast zum Ende der 90er Jahre zur morgendlichen Zeitungslektüre gehörten? Wo sind die wie eine tägliche Wasserstandsmeldung lakonisch daherkommenden Nachrichten darüber, welcher Obdachlose, Behinderte, Ausländer wieder einmal niedergeschlagen, zusammengeknüppelt worden ist; in welchem Ort die Brandsätze flogen; welches Asylbewerberheim angezündet; wo eine Meute glatzköpfiger Fanatiker einen verängstigten Menschen durch die Innenstadt jagte, während Umstehende und brave Bürger sich davonmachten, um ihre eigene Haut zu retten.

Meldungen dieser Art sind in letzter Zeit rarer geworden. Auch wenn die tatsächlichen Bedrohungen aus der rechten Ecke nicht nachgelassen haben. Der harte Kern des militanten Rechtsextremismus wird bundesweit auf etwa 10 000 gewaltbereite Neonazis geschätzt. Laut Bundesinnenministerium wurden im Jahr 2002 über acht Prozent mehr rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten als im Jahr davor verübt: insgesamt 10 903 Fälle. Die Zahl der von Neonazis verübten Gewalttaten stieg 2002 im Vergleich zum Vorjahr um fast neun Prozent auf 772.

Gott sei Dank gehören Brandanschläge wie die von Hünxe, Solingen und Mölln der Vergangenheit an. Was zurzeit Sorgen bereitet, ist der anhaltende Aufschwung rechtsextremer Orientierung und Praxisformen in den neuen Bundesländern. In einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie über die Wirksamkeit der von der Bundesregierung finanzierten Präventionsprogramme zur Bekämpfung rechtsextremen Gedankenguts wird erneut auf die Orte und Stadtteile in Ostdeutschland hingewiesen, in denen eine rechtsextreme Jugendszene die dominierende, gelegentlich sogar die einzige Jugendkultur darstellt.

Immer wieder liest man von so genannten "ausländerfreien Zonen" in derartigen Gebieten Ostdeutschlands.


Ansonsten erfährt man derzeit vermehrt von Einzeldelikten, so vom Vorgehen Rechtsradikaler im Brandenburgischen Neuruppin, die dort im vergangenen Jahr einen 16-jährigen Jugendlichen grausam zu Tode quälten. Dessen blond gefärbte Haare und sein Outfit war ihnen aufgestoßen. Was für sie Anlass war, den Jungen als Juden zu bezeichnen. Oder man liest, dass sich im Gefolge einer jahrelangen Quälerei ein 15-jähriger Vietnamese im sächsischen Berndorf irgendwann gegen die Anpöbelei aus der rechten Ecke wehrte und auf zwei seiner Misshandler einstach.
Die Bilder der kraftstrotzenden biertrinkenden Glatzköpfe aus dem rechten Milieu wurde man allmählich auch leid. Der Berliner Kommunikationswissenschaftler Hans-Jürgen Weiß rügte kürzlich erst auf den Tutzinger Medientagen in dem Zusammenhang vor allem das Fernsehen. Dort bringe man seit einem Jahrzehnt immer den gleichen Stereotyp, immer wieder die sich ähnelnden geilen Bilder hässlicher kahlköpfiger Rechtsradikaler mit Fahnen und Bomberjacken.

Eine Berichterstattung somit, die weitgehendst darüber hinwegtäuschte, dass es neben diesen Straßenschlägern zuhauf rechtsradikale Haltungen im zivilisierten Gewand gibt, wie etwa in der NPD oder in konservativen Parteien, bemängelte Weiß. Unterstützt wird der Wissenschaftler in seiner Kritik durch Zahlen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschützers Thomas Pfeiffer. Danach sind 20 Prozent der Bevölkerung für rechtes Gedankengut anfällig. Manche Experten schätzen sogar, dass dies noch viel mehr sind.

Sie alle werden in ihrer nach rechtsaußen driftenden Weltanschauung durch Meinungsmacher bestärkt, die derlei Anfälligkeiten für sich nutzen. Die zum Beispiel äußerst subtil aber medienwirksam Michel Friedman und Paul Spiegel Schuld am wachsenden Antisemitismus zuweisen. Von sich behaupten, "ich bin stolz, ein Deutscher zu sein", und damit bewusst rechtsradikale Parolen aufgreifen. Sie veröffentlichen in so rechtsaußen angesiedelten Publikationen wie der Jungen Freiheit, einer Berliner Wochenzeitung, die u. a. vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beobachtet wird. (. . .)

Zwei Tageszeitungen waren es, die im Jahr 2000 nicht länger das Herunterspielen der Zahlen von Gewaltopfern rechtsextremistischer Schläger hinnehmen wollten. FR und Tagesspiegel beauftragten vor knapp drei Jahren ihre Korrespondenten, alle möglicherweise auf das Gewaltkonto von Neonazis und Skinheads gehenden Tötungsdelikte in ihrem Verantwortungsbereich einmal auf die Motivation der Täter hin zu überprüfen. Das Ergebnis lag weit über den offiziellen Zahlen von Polizei und Bundesinnenminister: 93 Tote gingen demnach seit Anfang der 90er Jahre auf das Konto rechtsextremistischer Gewalttäter.

Als Folge dieser Medienaktion herrscht nun Verwirrung in Amtsstuben und auf Polizeirevieren. Denn Anfang 2001 wurde daraufhin eine neue Zählweise für derartige Delikte eingeführt. Seitdem soll die Polizei unterscheiden, ob ein Obdachloser von einem Jugendlichen z. B. im Suff und zum Abbau seiner Aggressionen zusammengeschlagen wurde oder aus rechtsextremistischer Motivation. Von nun an trennt das Bundesinnenministerium zwischen "Gewalttaten rechts", "extremistischen Gewalttaten rechts" sowie "fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierten" Straftaten. Für Polizei und Staatsanwaltschaft eine arge Herausforderung.

Journalisten überregionaler und seriöser Tageszeitungen haben sich seit Hoyerswerda bemüht, die Krawalle, Ausschreitungen und Gewalttaten aus dem rechten Milieu kritisch zu begleiten. Und dabei auch anzuprangern, wenn Polizei zu träge und untätig Übergriffe hinnahmen, Richter zu verständnisvoll urteilten.

Doch es gab und es gibt auch Publikationen, die unseriös, reißerisch, ja geradezu aufwiegelnd in die hochgeputschte Atmosphäre jener Anfangszeit der rechtsextremistischen Gewalttaten eingriffen. Ja, die diese Tendenz bis heute hin beibehalten haben. Presse kann sehr wohl Hass schüren. Nicht immer werden anschließend Brände gelegt, fremd aussehende Menschen durch die Straßen gejagt. Nicht immer, aber manchmal schon. Der Zusammenhang zwischen einer Hetzkampagne und einer Gewalttat ist allerdings kaum nachzuweisen.

Beispiele von fremdenfeindlicher oder menschenverachtender Berichterstattung sammelt gezwungenermaßen der Deutsche Presserat. Bei der Institution in Bonn, die die Freiwillige Selbstkontrolle der gedruckten Medien ausübt, landen all jene Veröffentlichungen, die einen Verstoß gegen den Pressekodex darstellen. Die also diskriminieren, bloßstellen, rassistische Untertöne enthalten. Der Kölner Express gehört hier zu den schwarzen Schafen. Das Boulevardblatt ist von einer Rüge des Presserates wegen einer regelrechten Hetzkampagne nur deswegen verschont geblieben, weil sich Herausgeber Alfred NevenDuMont sofort nach der beanstandeten Publikation entschuldigte. Und zwar für die "ungewöhnliche und reißerische Gestaltung sowie die pauschale Anklage von allen Roma-Kindern".

In seinem Express waren am 22. August 2002 Fahndungsfotos von Roma-Kindern unter der Überschrift veröffentlicht worden: "Die Klau-Kids von Köln. Die schlimmsten Diebe von Köln." Etwa 50 Fotos hatte man breit über mehrere Seiten hinweg abgedruckt, die allesamt Roma- Kinder und Jugendliche als Taschendiebe brandmarkten. Im Text hierzu stand unter anderem: "Köln ist das Zentrum der organisierten Taschendiebstahl-Banden vom Balkan. Seit Jahren strömen Langfinger von Bosnien, Serbien und Rumänien nach Köln." (. . .)

Das Jahr 2002 brachte mit dem Attentat des 11. Septembers wiederum einen Einschnitt in fremdenfeindlicher Berichterstattung. Seitdem fokussiert sich manches Medium vor allem auf islamische Terroristen, schürt Ängste und reißt Gräben auf. Im Dezember 2002 zitierte die FR den Jahresbericht der EUMC, der "Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit", ein in Wien ansässiges Forschungsinstitut. Danach hat nach dem 11. September 2001 die Fremdenfeindlichkeit wegen der verstärkten Angst vor dem Islam neue Dimensionen angenommen.

Den Medien wirft das EUMC vor, sich nur in Ansätzen darum bemüht zu haben, "ausgewogen zu berichten und einen konstruktiven Dialog mit dem Islam zu bieten". Journalisten seien oft dazu übergegangen, "Spannungen zwischen inländischen und ausländischen Schichten der Bevölkerung" zu schüren und damit "Unsicherheit und Polarisierung" zu verstärken. In öffentlichen und offiziellen Stellungnahmen seien Begriffe wie "Einwanderungswelle" an der Tagesordnung. Nachrichtensendungen würden, "wann immer es um Asyl und Einwanderung geht, durch Bilder von bedrohlichen Menschenmengen unterlegt."

Sind die von mir zitierten Beispiele allesamt Ausrutscher oder einfach nur verkaufsfördernde Maßnahmen? Das Gros der Presse geht inzwischen vorsichtig mit Minderheiten um, versucht, sie nicht bloßzustellen. Und auch bei rechtsradikal motivierter Gewalt wird nachgehakt, aus bitterer Erfahrung. Selten nur noch wird bei Festnahmen die ethnische Herkunft des mutmaßlichen Täters genannt. Berufsethische Richtlinien des Presserates haben hier für eine neue Sensibilität gesorgt.

Doch die zitierten Beispiele zeigen, dass Journalisten sich hieran nicht immer halten, dass sie manchmal einfach nur kreischen wollen, auf Kosten Schwacher diskriminieren, fremd wirkendes Verhalten anprangern. Egal, welcher Obdachlose, Ausländer oder einfach nur anders wirkende Jugendliche anschließend durch die Straßen gehetzt, von Springerstiefeln zu Tode getreten wird. (. . .)

 

Freitag, 30. Mai 2003

 

Vier Kreuze für 'nen Rep

Hauchdünn ist der Stimmenvorsprung, der einen Republikaner in den Beirat Walle hievte. Heute kommt das Endergebnis. Katzenjammer unterdessen bei der PDS: Rupp stellt die Vertrauensfrage

taz In Findorff liegen die Nerven blank: Weniger als zehn Wählerstimmen entscheiden dort, wer den letzten der 15 Plätze im Beirat bekommt. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis gehört das Mandat dem Landesvorsitzenden der Schill-Partei, Jan Timke. Der Abstand zu seinen Konkurrenten von der FDP und der PDS aber ist minimal. Hauchdünn ist auch in Walle der Stimmenvorsprung, der dem Rentner und Republikaner-Landesvorsitzenden Peter Pricelius zum einzigen und ersten Rep-Sitzplatz in einem Bremer Stadtteil-Parlament verhilft - immer vorausgesetzt, dass sich das vorläufige Wahlergebnis nicht mehr ändert.

Neuauszählungen von Stimmzetteln, die etwa bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen tagelang neue Ergebnisse zutage brachten, gibt es in Bremen bisher nicht. Dafür müsse ein konkreter Verdacht auf fehlerhafte Auszählungen vorliegen, sagt Wahlamts-Sprecher Lüder Meier. Man überprüfe aber bei allen Wahlbezirken, ob die am Sonntagabend telefonisch übermittelten Zahlen mit den schriftlich festgehaltenen übereinstimmten und die Summen korrekt zusammengezählt worden seien. Heute um 14 Uhr will der Landeswahlausschuss das amtliche Endergebnis beschließen.

Für Verwirrung sorgte mancherorts das erstmals angewendete Auszählungsverfahren nach Sainte Laguë/Schepers. Im Bereich des Beirats Gröpelingen etwa gewann die SPD mit 51 Prozent der gültigen Stimmen zwar die absolute Mehrheit. Im Beirat selbst stehen ihr allerdings nur neun von 19 Sitzen zu. Dafür hat die PDS mit 3,85 Prozent der Stimmen dort noch einen Platz errungen.

Einen klaren Sieg konnten neben den Republikanern bei den Beiratswahlen auch die beiden anderen Parteien am rechten Rand verbuchen. Dem vorläufigen Endergebnis zufolge zieht die Schill-Partei mit je einem Vertreter in die Beiräte Findorff, Hemelingen, Horn-Lehe, Obervieland und Osterholz sowie gleich mit zwei Mandaten in den Beirat Blumenthal ein. Die DVU verlor zwar ihre Sitze in Gröpelingen, der Neustadt und Obervieland. In Osterholz und der Vahr ist sie aber weiterhin im Stadtteil-Parlament vertreten, außerdem errang sie in Huchting und Woltmershausen einen Beiratssitz.

Verloren auch auf Beiratsebene hat hingegen die PDS. Mit 2,4 Prozent lag ihr Ergebnis hier zwar nur knapp unter dem von 1999 (2,5 %) und über dem der Bürgerschaftswahl, wo sie in diesem Jahr nur 1,7 Prozent der gültigen Stimmen auf sich vereinen konnte. In ihren einstigen Beirats-"Hochburgen" büßte sie jedoch rund ein Viertel der Stimmen ein: im Beirats-Bezirk östliche Vorstadt von 8,9 (1999) auf 6,8 Prozent, im Bereich Mitte von 8,4 auf 5,6 Prozent und in der Neustadt von 6,3 auf 4,7 Prozent. Statt acht, wie bisher, wird die PDS daher künftig nur noch sechs Beirats-Sitze innehaben: in Gröpelingen, Mitte, Neustadt, östliche Vorstadt, Vegesack und Walle. Das Wahlergebnis bleibe "weit hinter unseren Erwartungen zurück", sagte PDS-Landesvorsitzender Klaus-Rainer Rupp gegenüber der taz. Es sei seiner Partei weder gelungen, "oppositionelle Gedanken in Bremen zu pflanzen", noch, über die Beiratstätigkeit im Laufe der letzten vier Jahre, mehr politischen Einfluss zu entwickeln. Das gute Abschneiden anderer kleiner Parteien, namentlich der FDP (Beiratswahlen: 4,28 %, 18 statt bisher 8 Beirats-Sitze), habe zudem zu einem stärkeren Konkurrenzkampf um die letzten Beiratssitze geführt.

Wegen des schlechten Wahlergebnisses will Rupp auf dem Parteitag am 6. Juli die "Vertrauensfrage" stellen. Die Partei müsse dann entscheiden, ob er weiter Landesvorsitzender sein soll.

Nicht infrage stellen will Rupp indes die Existenz der PDS in Bremen an sich. Das "Projekt PDS-West" sei mit der Bremer Wahlschlappe noch nicht gescheitert, betonte er.

Die detaillierten Wahlergebnisse, Stimmenzuwächse und -verluste sowie die Sitzplatzverteilung in der Bürgerschaft und den 22 Bremer Beiräten können unter www.statistik.bremen.de eingesehen werden.

 

 

Freitag, 30. Mai 2003

 

Rechtsextremistische CD in Brandenburg - Reiche beantragt Indizierung - Schönbohm sagt Rechtsradikalismus Kampf an


Potsdam (ddp-lbg). In Brandenburg ist eine rechtsextremistische CD «Morgenröte oder Abenddämmerung; Nationalbuch der deutschen Jugend» aufgetaucht. Zielgruppe der Scheibe sind ausdrücklich Kinder und Jugendliche, wie ein Sprecher des Innenministeriums am Donnerstag sagte. In dem etwa 1200 Textseiten umfassenden Machwerk werde unter anderem zum Aufbau eines ''Vierten Deutschen Reiches'' aufgerufen sowie der Massenmord an Juden während der Nazi-Herrschaft verherrlicht und die ''Entfernung'' aller Juden gefordert. Gleichzeitig werde die Nazi-Herrschaft in Deutschland in den Jahren vom 1933 bis 1945 glorifiziert.

Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) betonte: «Wir werden den Rechtsextremismus weiter mit allen Mitteln bekämpfen.» Das gelte auch für alle Versuche, die Jugend durch solch «pseudowissenschaftliche Werke mit dem geistigen Unrat des Nationalsozialismus zu infizieren.»

Die CD-Rom war vom Landeskriminalamt (LKA) beschlagnahmt und an das zuständige Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) weitergegeben worden, um die Indizierung bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu beantragen. Das Bildungsministerium hat inzwischen einen Indizierungsantrag für diese «unverhohlen rechtsradikale CD» gestellt.

Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) betonte: «Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz vor geistiger Brandstiftung und vor rechtsradikalen Medien.» Als Besorgnis erregend bezeichnete Reiche, dass mehrere Exemplare dieser CD in einem Potsdamer Einkaufscenter offen auf einer Sitzbank lagen, sodass sich Jugendliche, die dort häufig verkehren, kostenlos bedienen konnten.

Das LKA hatte nach Angaben des Innenministeriums in diesem Jahr bereits eine Gewalt verherrlichende und zwei rechtsextremistische Musik-CDs an das Bildungsministerium weiter geleitet, um deren Indizierung zu veranlassen. Im vergangenen Jahr hatte das LKA insgesamt neun Musik-CDs zur Indizierung weitergegeben. (Quellen: Reiche und Schönbohm in Presseerklärungen)

 

Freitag, 30. Mai 2003

Der braune Spuk bleibt aktiv
Von Peter Kirschey 
 

Auch wenn zur Zeit wenig zu hören ist aus der rechten Szene in Berlin. Sie existiert und ist weiter aktiv. Zwar gibt es momentan keine spektakulären Aufmärsche, keine schillernden Personen, die Tausende auf ihren unheilvollen Weg mitziehen, auch keine öffentlichen Provokationen, die nach Gegenwehr mutiger Antifaschisten rufen. Still ist es auch um die Zentralen der beiden etablierten Rechtsparteien in Köpenick und Pankow geworden, rechte Kameradschaften haben sich auf ein paar Splittergruppen reduziert. Doch die latente neonazistische Gefahr gehört noch lange nicht der Vergangenheit an.
Zu Recht haben die Berliner Bündnisgrünen jetzt darauf hingewiesen, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus kaum erfolgt. Dabei sprechen die Zahlen eine klare Sprache: Die Zahl rechtradikaler Straftaten hat sich 2002 im Vergleich zum Jahr davor verdoppelt. Die rechte Alltagskultur etabliert sich besonders im Jugendbereich. In bestimmten Klubs und Szenetreffs werden ohne jede moralische Scheu ausländerfeindliche Parolen verbreitet, an S-Bahnhöfen wie Grünau oder Schöneweide haben sich rechte Kader dauerhaft etabliert. Wer sich dort als Ausländer oder junger Antifaschist zu erkennen gibt, muss mit einer Provokation rechnen.
Nach wie vor grassiert der »kleine, stille Rassismus« in Behörden, nach wie vor haben es ausländische Mitbürger viel schwerer, eine Wohnung zu bekommen, werden sie von einigen Wohnungsbaugesellschaften mit fadenscheinigen Begründungen zurückgewiesen. Schlechte Deutschkenntnisse etwa ist ein Argument, das Menschenrecht auf Wohnen zu verweigern. Deshalb gilt es, wachsam zu bleiben. Oder haben wir uns alle nur daran gewöhnt, dass rechter Unrat zur Stadt gehört? Daran darf man sich nicht gewöhnen.