Mittwoch, 16. Juli 2003
BERLIN dpa Im Streit mit dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi hat der Europaparlamentarier Martin Schulz noch einmal nachgelegt. "In Italien ist eine rassistische Regierung im Amt", sagte Schulz gestern im Fernsehsender XXP. Schulz beklagte unter Anspielung auf die Mafia, dass "der Apparat, von dem man meinte, er sei weitgehend besiegt, mit einer medialen Macht, wie sie keine Demokratie in Europa kennt, wieder anfange, Leute auf sehr subtile Art zu zerstören". Nach einem kritischen Redebeitrag von Schulz hatte Berlusconi dem Abgeordneten eine Filmrolle als KZ-Aufseher angetragen und damit für schwere diplomatische Verstimmungen gesorgt. Schulz sagte weiter, er betrachte sich als Kritiker der italienischen Regierung, aber nicht als Kritiker Italiens. "Ich bin in den neun Jahren als Mitglied des Europäischen Parlaments zu einem begeisterten Anhänger italienischer Politiker geworden."
Mittwoch, 16. Juli 2003
von SARAH
HARTMANN
Ein wenig unheimlich wirken sie schon, wie sie da mit finsterem Blick an der Straßenecke stehen. Ihre wuchtigen Leiber flößen Respekt ein, und es scheint, als bewachten sie die Straße. Doch die Menschen im Neuköllner Reuterkiez haben sich längst an den Anblick der beiden vier Meter hohen Ochsenfrösche gewöhnt, die seit einigen Wochen an der Weser- Ecke Rütlistraße etwa 20 Meter vor dem Eingang des Jugendclubs "Manege" thronen. Nur wer zum ersten Mal hier vorbeikommt, bleibt noch mit offenem Mund stehen.
Wolfgang Janzer und Martha Janzer de Galvis sind gerade dabei, einem der beiden zwei Tonnen schweren Ungetüme eine letzte Schicht Glasfasern und Leim zu verpassen. Die beiden Künstler und zugleich Leiter des Jugendclubs sind hier mindestens so bekannt wie ihre Ochsenfrösche. Ein Jugendlicher winkt ihnen im Vorbeigehen zu, Deutsche und Türken sowie ein paar Punks mit Schottenrock und Nietengürteln bleiben einen Augenblick stehen, um die Fortschritte zu begutachten und ein Schwätzchen zu halten: "Na, Martha, wieder am Arbeiten?", lautet ihr Kommentar.
Die riesigen Skulpturen sind ein sichtbarer Schritt in der Umsetzung des Projektes, dass Ende letzten Jahres angelaufen ist. Hier im Neuköllner Nordosten entsteht die bisher einzige Jugendstraße Deutschlands. In das Grau aus Gewerbehöfen, Schulen, tristen Wohnbauten und einer leer stehenden Villa ist Farbe eingezogen. 170.000 Euro hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" in die Aufwertung des Quartiers gesteckt. In den nächsten Wochen soll die Rütlistraße endgültig für den Autoverkehr gesperrt werden, dann wird ein Straßencafé eröffnet.
Dabei geht es den Initiatoren vom Verein "Fusion e. V." mit Vorstand Janzer vor allem darum, Berührungsängste zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die hier leben, abzubauen und damit die nachbarschaftliche Kommunikation im "sozialen Brennpunkt" um den Reuterplatz - wo Kinder schon als Sozialhilfeempfänger aufwachsen - zu verbessern.
Die Schüler der beiden nahen Schulen wurden in die Verwirklichung der Jugendstraße ebenso einbezogen wie der Jugendclub, die Kita und die Kleingärtner der benachbarten Schrebergartenkolonie. In mehreren Bürgerversammlungen wurden Anwohner mit der Initiative bekannt gemacht. "Überwiegend wurde die Idee positiv aufgenommen", sagt Wolfgang Janzer, aber es habe auch Skepsis und Ängste von Seiten der Anwohner gegeben. Einige befürchten noch immer, die Straße könnte zum Treffpunkt für Krawallmacher werden und auch die Drogenszene vom Hermannplatz anziehen.
Allerdings zeigt die amtliche Statistik, dass die Anzahl der Polizeieinsätze in der Straße abgenommen hat, seit "Fusion e. V." das Jugendzentrum betreibt. "Früher war es ganz schlimm hier", erzählt ein Nachbar, "da musste man nachts einen großen Bogen um die Straße machen. Jetzt ist es viel ruhiger."
Auch bei den Integrationsbemühungen kann das Projekt erste Erfolge verzeichnen. Walter Witzel, Hauswart in der benachbarten Tellstraße, ist früher schon mal mit Jugendlichen aus der Nachbarschaft aneinander geraten. Doch als er von dem Projekt erfuhr, war er angetan von der Idee und begann, sich an der Planung zu beteiligen. Mittlerweile spricht er nur noch von "wir", wenn es um die Jugendstraße geht.
Als Wolfgang und Martha Janzer 1999 den Verein gründeten und begannen, zusammen mit den Jugendlichen die Fassade des Klubhauses zu renovieren und mit bunten Masken und Figuren zu schmücken, war Witzel noch skeptisch. "Kinders, hab ich gesagt, det wird doch nie was. Keine acht Tage, dann ist das Ding beschmiert und alles kaputt." Doch er hatte sich geirrt. Bis heute ist die Fassade nicht angetastet worden. Witzel und Janzer sind sich einig: "Was sie selbst geschaffen haben, das machen die Kids nicht kaputt. Da sind sie schließlich stolz drauf."
Nach demselben Prinzip soll auch die Jugendstraße funktionieren. Ein Straßencafé soll es geben, das Jugendliche ganz selbstständig betreiben, und eine Bühne für Veranstaltungen. Schließlich will man die leer stehende Villa am Ende der Straße in ein Jugendhotel umbauen.
Als es darum ging, wie das Eingangsportal für die Jugendstraße gestaltet werden soll, erzählte Wolfgang Janzer den Kids von einer Fernsehreportage über Ochsenfrösche. "Das ist eine knallharte Tierart. Sie vermehren sich schnell, sind aggressiv und machen alles platt." Die Kids waren begeistert von den fiesen "Gangsta-Fröschen" und so wurden sie als Bewacher der Jugendstraße auserkoren. Und bisher hat es keiner gewagt, ihnen auch nur ein Haar zu krümmen.
Mittwoch, 16. Juli 2003
Geschichtsvergessener Opferkult
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Alt- und Neonazis wollen der Toten durch
die Bombardierung Hamburgs vor 60 Jahren gedenken
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Birgit
Gärtner |
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Die NPD
und das Aktionsbüro Norddeutschland planen für kommenden Sonnabend einen »Gedenkmarsch
für die Opfer des Feuersturms«, der Bombardierung Hamburgs vor 60 Jahren. Ein
breites antifaschistisches Bündnis mobilisiert zu Protestaktionen. Nach
Lesart alter und neuer Faschisten waren die etwa 55000 Toten in Hamburg
allesamt Opfer, die durch den »anglo-amerikanischen Bombenterror verbrannt,
verschüttet und erstickt worden sind«, wie das Aktionsbüro verbreitet. »Der
›totale Krieg‹, den Goebbels unter dem Jubel des Parteivolks im Berliner
Sportpalast verkündet hatte, kam zuletzt nach Deutschland zurück und forderte
auch unter denen Opfer, die Blitzkriege, Holocaust und Vernichtungskrieg im
Osten gebilligt hatten«, heißt es dagegen im Aufruf zu den antifaschistischen
Aktionen. Unter den Toten waren
auch jene, die den Antifaschisten Helmuth Hübener denunziert und Hitlers
Schergen ausgeliefert hatten. Hübener hatte seinerzeit als Jugendlicher in
selbstverfaßten Flugschriften die Durchhalteparolen der Hitlerfaschisten
entlarvt und diesen brillante Kriegsanalysen entgegengesetzt. Hübener wurde wie viele
andere denunziert und starb am 27. Oktober 1942 als jüngstes Opfer der
faschistischen Justiz unter dem Fallbeil eines Nazihenkers. Der Historiker
Ulrich Sander schreibt dazu in »Jugendwiderstand im Krieg – Die
Helmuth-Hübener-Gruppe«: »Unter den zigtausend Toten jener Tage waren auch
diejenigen Nachbarn, die Hübeners Flugblätter bei der Polizei abgegeben
hatten.« Insgesamt kamen in
Hamburg in der Zeit vom 24. Juli bis zum 3. August 1943 durch die
Bombenangriffe etwa 55000 Menschen ums Leben. Unter ihnen befanden sich auch
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die dem flächendeckenden Bombenhagel
schutzlos ausgeliefert waren. Was den Opferkult der Neonazis vollends perfide
macht, ist der Ort, an dem er zelebriert werden soll. Die Moorweide war seinerzeit
der Sammelplatz für die jüdische Bevölkerung vor ihrer Deportation in die
Konzentrationslager. Die VVN-BdA meldete eine Gegenkundgebung auf dem Platz
der Deportierten an, um »das Mahnmal zu schützen und das Gedenken an die
vernichtete jüdische Bevölkerung zu wahren«. * Antifaschistische
Protestaktionen: Samstag, 19. Juli, 11 Uhr: Kundgebung am Hachmannplatz. 14
Uhr: Kundgebung am Platz der jüdischen Deportierten (Dammtorbahnhof). 18 Uhr:
Demonstration am Hopfenmarkt (Nikolaikirche) |
Mittwoch, 16. Juli 2003
"Es gibt keine
Rassisten in der Regierung"
Die diplomatische Krise zwischen Berlin und Rom war eigentlich schon
beigelegt, da trat der Europaabgeordnete Schulz noch einmal nach. Die
italienische Regierung sei rassistisch, ätzte der SPD-Politiker und handelte
sich scharfe Rügen aus dem In- und Ausland ein. Nun soll Außenminister Fischer
vor Ort den Streit schlichten.
Berlin - Martin Schulz
legt nach: In Italien sei derzeit "schlicht und einfach eine rassistische
Regierung im Amt", sagte der SPD-Politiker. Schulz beklagte in Anspielung
auf mafiöse Strukturen in der Vergangenheit Italiens, dass der Apparat, von dem
man gemeint habe, er sei weitgehend besiegt, mit einer medialen Macht, wie sie
keine Demokratie in Europa kenne, wieder anfange, Leute auf sehr subtile Art zu
zerstören. Schulz hob hervor, er habe nichts gegen italienische Politiker.
Allerdings verstehe er sich als Kritiker der amtierenden italienischen
Regierung.
Scharfe Kritik erntete
Schulz daraufhin aus dem eigenen Land. Der FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer
sagte, Schulz habe "jedes Maß und jedes politisches Urteilsvermögen"
verloren. Hoyer kritisierte, Schulz sei sein "unerwarteter Ruhm"
offenbar "zu Kopfe gestiegen". Zwar seien Bedenken gegen
Regierungschef Silvio Berlusconi und seine Politik legitim. Der italienischen
Regierung in Bausch und Bogen Rassismus vorzuwerfen, sei in der Sache und im
Stil aber vollkommen unangemessen. Es stelle sich nun die Frage, ob Schulz die
"Größe" zu einer Entschuldigung aufbringen werde, betonte Hoyer.
FDP-Chef Guido
Westerwelle kritisierte die Äußerungen von Schulz ebenfalls scharf.
"Entweder er entschuldigt sich, oder er kann nicht das bleiben, was er
ist", sagte er im Fernsehsender RTL. "Wenn jemand eine demokratisch
gewählte Regierung als rassistisch bezeichnet, dann ist er völlig fehl am
Platz."
Auch der italienische
Außenminister Franco Frattini wies Schulz' Vorwurf energisch zurück. "Ich
antworte: Es gibt keine Rassisten in der Regierung", sagte Frattini vor
der Presse in Rom. "Ich glaube, dass so etwas niemand in den Sinn kommen
kann, außer er will extrem provozieren", sagte Frattini zu den Äußerungen.
Über Schulz sagte Frattini: "Ich kann mich gar nicht erinnern, wer er
ist."
Frattini wollte jedoch
von keiner neuen Verstimmung in den Beziehungen zu Deutschland sprechen.
"Es gibt kein Problem, weshalb man sich versöhnen müsste", betonte
er. Er habe ein sehr gutes Verhältnis zu Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Dieser werde in der kommenden Woche nach Rom kommen, kündigte Frattini an.
Schulz betonte nun in
einer Pressemitteilung, er habe "keineswegs nachgelegt". Die Inhalte
seiner Äußerungen seien allesamt Punkte, die er unter anderem in seiner
Parlamentsrede und in Interviews schon seit längerer Zeit vertreten habe.
Jetzt erregte sich
Stefani erneut heftig über Schulz. "Oh, dieser Schulz hat mich aufgeregt.
Ich war wütend", sagte Stefani in einem "Bild"-Interview und
fügte hinzu: "Sie könnten gar nicht abdrucken, was ich von dem
halte." Seinen Artikel mit der Pauschalbeleidigung deutscher Urlauber
bereue er. Er kritisiere aber jene, die "schlecht über Italien sprechen
und unserer Regierung Ratschläge erteilen wollen".
Stefani gestand ein, dass
er "nie" schlechte Erfahrungen mit einem deutschen Touristen gemacht
habe. Er selbst sei "Hunderte Mal" in Deutschland gewesen. Mit den
Deutschen verbinde er "tolle Autos", Organisationstalent,
Pragmatismus und Disziplin.