Donnerstag, 17. Juli 2003

RECHTE SZENE

Die Saubermänner von Wolgast

Andreas Lesch

WOLGAST, 16. Juli. Eine kleine Spitze kann Jürgen Kanehl sich nicht verkneifen. "Das ist ja interessant", sagt er. "Da gibt es eine Bürgerinitiative, die sich ,Schöner Wohnen in Wolgast nennt. Aber an einer Aktion, die Stadt zu säubern, hat sie noch nie teilgenommen." Kanehl ist der Bürgermeister von Wolgast, und er bekämpft die Initiative, wo er kann. Denn hinter ihrem harmlos klingenden Namen verbirgt sich die örtliche rechtsextreme Szene - und die bereitet mal wieder Probleme. Sie versucht, Stimmung zu machen gegen das Asylbewerberheim, das Anfang nächsten Jahres in ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der Peene-Werft in Wolgast kommen soll. In eine Stadt, die lieber mit dem Tourismus in Verbindung gebracht werden will: als Tor zur Insel Usedom.

Die Rechten haben Wurfsendungen verteilt und Plakate geklebt in der Stadt - nachts, wenn keiner es sah. Der Tenor war immer derselbe: Die Asylbewerber würden die Stadt krimineller machen und stellten eine Gefahr dar. Die Rechten sammelten auch Unterschriften gegen das Heim und übergaben sie dem Bürgermeister. Der sagt, etliche hätten doppelt unterschrieben, andere seien Auswärtige gewesen: "Unterm Strich sind 280 übrig geblieben, bei rund 13 000 Bürgern - das ist nix."

Bedrohlicher klangen schon die Worte, die Mitte Juni von Unbekannten auf das Gebäude geschmiert wurden, in dem die Asylbewerber untergebracht werden sollen. Über eine Länge von fünfzig Metern waren, gesprüht mit schwarzer Farbe, Sprüche zu lesen wie: "Lichtenhagen! ... Wolgast?" Eine Anspielung auf den Anschlag in dem Rostocker Stadtteil vor elf Jahren. Der Kreisverband Ostvorpommern der NPD schließlich beschreibt auf seiner Internet-Seite detailliert die geplante Lage des Heims - und ergänzt Fotos unter Verweis auf den nahen Fluss Peene mit dem Satz: "Mal sehen, wann die ersten baden gehen." Der stellvertretende Landrat Armin Schönfelder (CDU), der in der Kreisverwaltung für die Ansiedlung des Heims zuständig ist, will prüfen lassen, "ob das eine Aufforderung zu Straftaten ist".

Kanehl glaubt trotzdem nicht, dass die Asylbewerber in ihrer neuen Unterkunft akut gefährdet sein könnten. "Die rechte Szene hier in der Gegend ist zurzeit in keiner Weise auf Gewalt aus", sagt der Bürgermeister. Er schränkt jedoch ein, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Rechten versuchten, Jugendliche zu Straftaten gegen die Asylbewerber aufzuwiegeln. Sich selbst wollten sie derzeit als Saubermänner darstellen: "Die Rechten versuchen, Emotionen anzusprechen: Hier sind wir, die Deutschen - und dort die Ausländer, die sind krimineller als wir." In der Bevölkerung fänden sie mit dieser Strategie jedoch kaum Anhänger, meint Kanehl. Die Bürger wüssten, dass die Asylbewerber weiter im Landkreis Ostvorpommern unterzubringen sind - und dass ohnehin das Land für die Kosten aufkommt. "Von mir aus kann das Heim kommen", sagt eine Frau in der Altstadt. "Ich habe nichts dagegen", meint eine andere. Ein Mann dagegen sagt: "Bald sind hier ja mehr Ausländer als Wolgaster." Zurzeit sind es ganze 405.

Die Asylbewerber, die bald dazukommen, wohnen zurzeit in Heimen in Garz auf Usedom und in Anklam. Doch die müssen wegen Baumängeln geschlossen werden. Dass der Landkreis Wolgast als neuen Standort wählen will, ist brisant, denn die rechte Szene ist dort schon lange aktiv. Besonders aggressiv trat sie 1998 auf, als Kanehl sogar Morddrohungen bekam. "Damit haben sie in der Bevölkerung aber nur Ablehnung hervorgerufen", sagt die Koordinatorin des Präventionsrates, Gisela Kretschmer. "Sie haben begriffen, dass sie der Region und dem Tourismus geschadet haben, und das möchten sie sich auf keinen Fall vorwerfen lassen."

Fest contra Demonstration

Wolgast geht mit dem Problem Rechtsradikalismus offensiv um. "Man kann das nicht totschweigen. Es ist ein Phänomen von Ostvorpommern", sagt der PDS-Stadtvertreter Lars Bergemann. Die Behörden handelten: Sie verstärkten die Aufklärung an den Schulen - als Gegenpart zu den Rechten, die dort und in Kindergärten bei Feiern neue Anhänger gewinnen wollten, aber abgeblockt wurden. Die Stadt bietet auch Camps mit ausländischen Jugendlichen an, und die Polizei greift bei Straftaten der Rechten hart durch.

Am Sonnabend kommender Woche haben die Wolgaster wieder Gelegenheit, den Rechten die Stirn zu bieten. Denen wurde eine Demonstration genehmigt gegen die Wehrmachtsausstellung, die im nahen Peenemünde beginnt. Die Stadt setzt ein Fest der Kulturen dagegen. "Die Nazis werden durch die Stadt ziehen, und kein Mensch wird zugucken", sagt Jürgen Kanehl. "Das ist wohl die beste Strategie: dass sie lernen, sie laufen ins Leere."

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

ITALIENS REGIERUNG

Schulz sagt Sorry

Der Europaabgeordnete Martin Schulz hat sich bei Italiens Regierung entschuldigt, die er "rassistisch" genannt hatte. "Ich habe einen Fehler gemacht", sagte er der Bild. Er bedaure, mit seiner Pauschalformulierung die gesamte italienische Regierung angegriffen zu haben. (afp)

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

 

Kreis plant strenge Auflagen

 

Anhörungen für angekündigte Aufmärsche in Wolgast und Peenemünde beendet
Von unserem Redaktionsmitglied
Uwe Reißenweber


Ostvorpommern. Für die beiden von der rechten Szene in Wolgast und Peenemünde angemeldeten Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung sind jetzt die Anhörungen bei der Kreisverwaltung beendet worden. Man werde versuchen, die entsprechenden Bescheide mit allen zulässigen Auflagen zu versehen, sagte auf Nachfrage des Nordkurier Vize-Landrat Armin Schönfelder (CDU): "Uns ist es lieber, alles Mögliche für die Ordnung und Sicherheit zu unternehmen, als zu lax vorzugehen." Zu den Details wollte er sich aus Präventionsgründen nicht äußern.

Der Bescheid für die Wolgaster Demo am 26. Juli soll noch diese Woche ergehen, der für den Aufmarsch in Peenemünde am 2. August zu einem späteren Zeitpunkt, da im Landratsamt noch gründlich geprüft werden soll, so Schönfelder. Bei der Anhörung im Landratsamt am Dienstag hätten die Anmelder angekündigt, eventuell gerichtlich gegen Auflagen vorzugehen. Zugegen seien dabei der bundesweit als Neonazi bekannte Christian Worch als erster Veranstalter, der der norddeutschen Szene zugerechnete Lars Jacobs als zweiter Veranstalter und eine rechte Führungsfigur aus der Region gewesen, teilte Schönfelder mit.

"Anfangs handelte es sich um ein sehr sachliches Gespräch, das dann durch eine ungemeine Überheblichkeit belastet wurde", beschrieb der Dezernet die Atmosphäre. Worch habe versucht, ideologische und rechtliche Vorträge zu halten. "Wir müssen uns das aber nicht anhören. Schon gar nicht von einem vorbestraften Notariatsgehilfen", sagte der Vize-Landrat und ausgebildete Jurist. Heillos zerstritten Wie berichtet, will die rechte Szene gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944", die vom 25. Juli bis zum 7. September auf dem Gelände des Historisch-Technischen Informationszentrums Peenemünde gezeigt wird, demonstrieren. Dabei zeigen sich die unterschiedlichen Szene-Kreise heillos zerstritten, da sie sich offenbar nicht einigen können, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort ihre Aufmärsche über die Bühne gehen sollen. Mittlerweile wurde nach Recherchen unserer Zeitung auch bekannt, dass gegen Jacobs ein Strafbefehl wegen Volksverhetzung ergangen ist, gegen den er allerdings Einspruch erhoben hat (wir berichteten). Jacobs soll demnach den Holocaust bei einer Demo in Neubrandenburg geleugnet haben.

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

 

Filmische Verführung durchschaut

 

Torgelower Gymnasiasten beschäftigten sich mit dem verbotenen NS-Propgaganda-Film "Jud Süß"


Torgelow (ml/tb). Wie geht man mit offensichtlicher Propaganda um? Kann man diese immer erkennen? Wirkt sie bei jedem gleich? Mit diesen Fragen beschäftigten sich jetzt Schüler der elften und zwölften Klassen des Kopernikus-Gymnasiums Torgelow, als sie sich den NS-PropagandaFilm "Jud Süß" von Veit Harlan im Kino "Florian" anschauten.
Der seit 1945 verbotene Film gewährt einen Einblick in die Propagandatechnik der Nationalsozialisten. Vorlage ist das gleichnamige, 1925 erschienene Buch von Lion Feuchtwanger. Darin beschreibt er Aufstieg und rasanten Fall des jüdischen Finanzberaters Joseph Süß Oppenheimer. Allerdings wurden die Grundaussagen des Buche von Hitlers Propagandachef Goebbels im Film-Manuskript eigenhändig verfälscht.
Die Art der Personendarstellung macht die Absicht des Filmes deutlich: Oppenheimer (Ferdinand Marian) steht stellvertretend für die angeblich bösen, verachtenswerten, hinterhältigen, trickreichen und verlogenen Juden. Allein durch glückliche Umstände und perfekte Verstellung steigt er vom "Ghettojuden" ins höfische Gesellschaftsleben auf.
Den prunkvollen Hofstaat des württembergischen Herzogs Carl Alexander (Heinrich George) finanziert er nur, um diesen von sich abhängig zu machen. Er reist nach Stuttgart, wo er den gutmütigen, aber etwas dümmlichen Herzog manipuliert und nach seinen Wünschen lenkt.
Bis in die Nebenrollen wird antisemitische Propaganda vermittelt. Der junge Aktuarius Faber (Malte Jaeger) verkörpert im Film den "arischen" Helden, der Oppenheimer von Anfang an als Juden erkennt, obwohl dieser weder dem Erscheinungsbild eines orthodoxen Juden entspricht noch Jiddisch spricht. Die NS-Rassenideologie ist deutlich erkennbar: Juden kann man auch ohne die für ihre Religion typischen Merkmale erkennen. Sie sind keine Deutschen, sie "verstellen" sich nur und "spielen" Deutsche.

Nicht mehr so gefährlich

Fabers Geliebte Dorothea Sturm (Kristina Söderbaum) entspricht dem für die NS-Zeit typischen Frauenbild. Als sie von Oppenheimer vergewaltigt wird, begeht sie Selbstmord. Der Freitod ist ihr lieber als ein Leben mit dem Wissen, von einem Juden entehrt worden zu sein, eine Anspielung auf die Nürnberger Rassegesetze.
Der Terror endet erst, als der Herzog einem Schlaganfall erliegt und Oppenheimer somit seinen Gönner verliert. Er wird dann in seiner "wahren Gestalt" - der eines Juden - auf dem Marktplatz hingerichtet. Schließlich werden alle Juden auf ewig aus der Stadt verbannt.
Bei der anschließenden Auswertung war die Mehrheit der Schüler der Meinung, dass die Propaganda deutlich zu erkennen gewesen sei und ihre Einstellungen über die Juden durch den Film nicht geändert wurden. Der Film sei für die heutige Zeit nicht mehr so gefährlich und könne einer kritischen Öffentlichkeit durchaus gezeigt werden. Tatsache ist jedoch, dass der Film in der NS-Zeit auf große Zustimmung stieß und wie Zeitzeugen versicherten, die Zuschauer nach der Vorstellung frenetisch klatschten.

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

Hamburg will Nazi-Aufmarsch verbieten

Rechtsextreme wollen Sonnabend durch die City - Behörde rechnet mit gerichtlicher Auseinandersetzung

von Ira von Mellenthin und Insa Gall

Hamburgs Innensenator Ronald Schill und die Polizeiführung der Hansestadt wollen die vom Landesverband der NPD für Sonnabend angemeldete Demonstration zum 60. Jahrestag der "Operation Gomorrha" in der Innenstadt verbieten. Nach Informationen der WELT hatten die Initiatoren, die von den "Freien Nationalisten" um Thomas Wulff unterstützt wurden, zwar in den Kooperationsgesprächen mit der Polizei über eine alternative Routenführung nach einer anfänglichen Totalverweigerung nachgegeben und den Auflagen zugestimmt. Wie aus der Innenbehörde verlautet, wird diese Nachgiebigkeit jedoch als "reine Taktik" gewertet. Vielmehr, heißt es, müsse davon ausgegangen werden, dass die Rechtsextremisten in jedem Fall versuchen würden, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und ihren Aufzug auf der geplanten Route vom Berliner Tor zur Moorweide zu führen. Die Demonstration müsse daher auf Grund der "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" sowie auf Grund der "sicheren Konflikte" im Zusammenhang mit den von linken Gruppierungen wie auch Linksextremisten angemeldeten Gegenveranstaltungen verboten werden. Innenbehörde und Polizei wollten sich zu dem Verbot zunächst nicht äußern. Die Kooperationsgespräche würden erst heute endgültig abgeschlossen, hieß es.

Innenbehörde wie auch Polizeiführung sind sich sicher, dass die NPD vor dem Verwaltungsgericht gegen das Versammlungsverbot vorgehen werden. Sollte die erste oder zweite Instanz dem Demonstrations-Antrag mit Verweis auf das hohe Gut der Versammlungsfreiheit stattgeben, soll der Aufzug der NPD räumlich aus der Innenstadt verlagert und weiträumig von den Gegendemonstrationen der Linken getrennt werden.

Um ein Zusammentreffen der verschiedenen Lager zu verhindern, müssten dann erneut Polizeikräfte aus anderen Ländern angefordert werden. Auch Thüringen werde dann "mit Sicherheit" angefragt.

Wie mit der vom rechtsextremistischem "Freien Info-Telefon" um Christian Worch für den 28. Juli an der Mundsburg angemeldeten Mahnwache umgegangen wird, ist noch offen. Dem Vernehmen nach soll jedoch auch dieser Aufzug untersagt werden. Den Initiatoren der für Sonnabend angemeldeten linken Demonstrationen, Verfolgte des Naziregimes und Asta, wurde dagegen signalisiert, dass ihre Kundgebungen genehmigt würden, wenn sich an Auflagen gehalten werde.

Nach Auffassung von Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck wäre es für die Rechten bereits ein "gewisser Erfolg", wenn sie die Hälfte der angekündigten 300 bis 400 Teilnehmer mobilisieren könnten. Sollte die Demo verboten werden, würde dies die Mobilisierung der NPD "eher schwächen", so Vahldieck. Die NPD-Klientel bestehe überwiegend aus einfachen, älteren Menschen, die sich von einem Rechtsstreit abschrecken ließen. Auch auf Seiten der Linksautonomen sei "keine große Dynamik zu spüren", schließlich sei Sommer und Semesterferien. Vahldieck rechnet mit 400 bis 700 Teilnehmer an den Gegendemos.

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

Schweine und Kosten

Auf dem Gelände des ehemaligen KZ Lety werden Schweine gezüchtet. Roma-Verbände protestieren seit langem dagegen. von jörg kronauer

In dem tschechischen Dorf Lety wird jedes Jahr im Mai der Roma gedacht, die zwischen 1940 und 1943 im dortigen Konzentrationslager ermordet oder von dort nach Auschwitz verschleppt wurden. Jedes Jahr umgibt die Trauernden, darunter Überlebende des Lagers, bestialischer Gestank. Denn auf dem KZ-Gelände in Lety steht seit den siebziger Jahren eine Schweinefarm. Und die stinkt.

Roma-Verbände protestieren seit Jahren gegen den unhaltbaren Zustand. Erst kürzlich hat Cenek Ruzicka, der Vorsitzende des Ausschusses für die Entschädigung des Roma-Holocaust, die Forderungen bekräftigt: Die Schweinefarm muss endlich abgerissen werden; an ihre Stelle solle ein würdiges Mahnmal für die KZ-Opfer treten. Ein selbstverständlicher Wunsch, dessen Verwirklichung überdies durch internationale Vereinbarungen festgelegt ist. Die Tschechische Republik ist verpflichtet, alle ehemaligen Konzentrationslager auf ihrem Territorium als Gedenkstätten zu erhalten.

Die Regierung in Prag hat sich inzwischen mehrfach mit dem Fall Lety beschäftigt, herausgekommen ist dabei fast nichts. »Die Kosten sind das Hauptargument der Regierung«, klagt Gwendolyn Albert, die sich seit Jahren für die Belange der Roma einsetzt. Der Staat könne es sich angeblich nicht leisten, die Schweinefarm zu kaufen und abzureißen. Viele halten das für eine Ausrede.

Kritische Stimmen vermuten einen anderen Grund hinter der Untätigkeit der Regierung. Lety war das einzige KZ im »Protektorat Böhmen und Mähren«, das ausschließlich von Tschechen betrieben wurde. Es erinnert deshalb nicht nur an die Folgen der deutschen Okkupation, sondern ebenso unangenehm an die Diskriminierung der Roma und an die Kollaboration, die es eben auch im Protektorat gab.

In Betrieb genommen wurde das KZ Lety im Frühjahr 1939. Seine Vorgeschichte ist allerdings um einiges älter; sie umfasst die jahrhundertelange Diskriminierung der Roma im Habsburgerreich, speziell im Königreich Böhmen. Die Regierung der noch jungen Tschechoslowakischen Republik reagiert auf den wachsenden Antiziganismus im Jahr 1927 mit einem Gesetz, das als Versuch zur »Zivilisierung« der Roma ausgegeben wird und deren bürgerliche Freiheitsrechte einschränkt. Immer wieder kommt es auch zu Übergriffen.

Im Herbst 1938 folgt die entscheidende Wende. Die Wehrmacht besetzt das »Sudetenland«, polnische Truppen annektieren das Industriegebiet bei Cesky Tesin, Ungarn erhält die Südslowakei zugesprochen. Frantisek Chvalkovsky, der neue Außenminister des geschwächten Staates, der gerade 30 Prozent seiner Bevölkerung und 40 Prozent seines Bruttosozialprodukts verloren hat, wird nach Berlin zitiert; dort verspricht er dem »Führer«, er werde »in Zukunft eine Politik der engsten Zusammenarbeit mit Deutschland verfolgen«.

Die Roma bekommen das rasch zu spüren. Am 2. März 1939 beschließt die tschechoslowakische Regierung nach Berliner Vorbild strenge Gesetze gegen die tschechischen Roma. Wer keinen festen Wohnsitz und keine geregelte Erwerbsarbeit nachweisen kann, soll – nach dem Vorbild der deutschen »Zigeunerlager« – interniert werden. Das Gesetz wird am 28. April 1939 vervollständigt, jetzt schon von der Regierung des deutschen »Protektorats Böhmen und Mähren«.

Mit dem 1940 in Lety errichteten KZ wurden die Bestimmungen von 1939 umgesetzt; ohne deutsche Hilfe, allein von den Protektoratsbehörden und den tschechischen Kollaborateuren. Die Behandlung der Roma durch das tschechische Lagerpersonal soll, so berichten Überlebende, besonders grausam gewesen sein. Die Angaben über die Anzahl der Todesopfer schwanken; meist ist von mehr als 300 Ermordeten und fast 600 nach Auschwitz Deportierten die Rede.

»Die gesamte Geschichte des Lagers«, berichtet der Schriftsteller Paul Polansky, »ist in den Archiven von Lety festgehalten.« Erforscht ist das wohl am besten dokumentierte tschechische KZ aber kaum. Als Polansky sich zu Beginn der neunziger Jahre für Lety zu interessieren begann, stieß er auf eine Mauer des Schweigens. Die Zeitzeugen erinnerten sich an nichts, die Archivmaterialien lagen unter Verschluss.

Gwendolyn Albert nennt den in Tschechien weit verbreiteten Antiziganismus als Ursache dafür. Nach einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Umfrage bekennen sich drei Viertel aller Tschechinnen und Tschechen zur »Intoleranz gegenüber den Roma«. Romakinder müssen oft Sonderschulen besuchen, weil sie nicht Tschechisch als erste Sprache sprechen. Im Herbst 1999 konnten die Behörden von Ústí nad Labem nur von der Regierung daran gehindert werden, ein von Roma bewohntes Wohngebiet mit einer meterhohen Mauer vom Rest der Stadt abzutrennen. Auch die Gewalt gegen Roma nimmt zu – allein zwischen 1990 und 1998 wurden zehn Roma ermordet, meist von Naziskins.

An Alberts Vermutung mag vieles dran sein; die ganze Wahrheit ist sie nicht. Als der polnische Staatspräsident im Juli 2001 eingestand, 1941 seien Polen am Pogrom von Jedwabne beteiligt gewesen, da frohlockte die deutsche Presse: Es seien eben nicht »nur die Deutschen« die Täter. Derlei Gleichmacherei droht auch bei einer öffentlichen Debatte über Lety. In der Tschechischen Republik, die sich verzweifelt gegen die Nivellierung der Geschichte in der Debatte um die Umsiedlung der Deutschen wehrt, weckt das böse Ahnungen.

Eine Einmischung aus Deutschland ist beim Thema Lety ohnehin unangebracht. Schließlich führte gerade die »Politik der engsten Zusammenarbeit mit Deutschland« zur Errichtung des KZ und zur Ermordung der tschechischen Roma. Wer sich gegen Antiziganismus wendet, hat in Deutschland genug zu tun. Nicht die tschechische, sondern die deutsche Grenzpolizei hindert tschechische Roma regelmäßig an der Ausreise; nicht in Tschechien, sondern in Köln werden Roma inzwischen wieder in Lagern untergebracht. Und der Kölner Express veröffentlichte vor einem Jahr unter dem Titel »Die Klau-Kids von Köln« steckbriefartige Fotos von 53 Romakindern.

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

Deutsches Haus

Am 20. Juli soll Orabi Mamavi aus Deutschland abgeschoben werden. Zwei Tage später beginnt das Verfahren gegen die Männer, die den Asylbewerber aus Togo im Dezember 2002 offensichtlich aus rassistischen Motiven angegriffen hatten. Nach einem Bericht des Tagesspiegel will die Ausländerbehörde in Rathenow (Brandenburg) nur die Aufenthaltsfrist Orabi Mamavis verlängern, wenn das Land die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung des Mannes während der Zeit übernimmt. Auf der Website der neonazistischen Gruppierung »Combat18 Deutschland« findet sich ein Bekennerschreiben zur Schändung des jüdischen Friedhofs in Neustadt (Schleswig-Holstein) Anfang Mai. Unbekannte Täter hatten dort ein aufgeschlitztes Ferkel vor einen Gedenkstein gelegt und »C18« mit roter Farbe darauf gesprüht. Wie die taz am 11. Juli berichtete, wird in dem Schreiben der Holocaust geleugnet und seitens der Nazis mit »weiteren Angriffen« gedroht. Unter Porträtfotos von Politikern der Region stehen die Worte: »Ihr seid die Nächsten«. Alle Ermittlungen waren bisher erfolglos. Im Berliner Stadtteil Friedrichshain wurden in der Nacht zum 9. Juli vier Asiaten von ebenso vielen Rechtsextremen mit Billardqueues zusammengeschlagen. Ein 16jähriger erlitt bei dem Überfall Platzwunden im Gesicht. Wie die Polizei bekannt gab, gehören die Tatverdächtigen zum rechtsextremen Spektrum und sind einschlägig vorbestraft. Acht Jahre nach der schweren Beschädigung des jüdischen Friedhofs in Busenberg (Saarland) wurden am 5. Juli die 27 und 36 Jahre alten Täter zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren und viereinhalb Monaten verurteilt. Die Männer hatten 58 Grabsteine halb oder ganz umgeworfen, Parolen wie »Juda verrecke«, »Tötet alle Juden« und »Jude stirb« sowie Hakenkreuze geschmiert. Der Sachschaden betrug 13 000 Euro. Beide Täter waren bereits durch rechtsextreme Aktionen strafrechtlich in Erscheinung getreten und waren zur Tatzeit Mitglieder der rechtsextremen Organisation »Aktion Sauberes Deutschland«. In der Nacht zum 3. Juli griffen zwei junge Männer einen 19jährigen vietnamesischen Schüler an einem Badesee bei Falkenberg (Brandenburg) an, wo eine Schulabschlussfeier stattfand. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung gegen zwei Tatverdächtige und geht von einem rassistischen Tatmotiv aus. Seit Anfang Juli befindet sich der iranische Asylbewerber Arash Aria im Hungerstreik. Vor dem Rathaus von Oer-Erkenschwick (Nordrhein-Westfalen) protestiert er damit gegen die Streichung seiner Sozialhilfe. Als er sich mit der Begründung, er wolle einer regulären Arbeit nachgehen, weigerte, weiterhin für einen Euro pro Stunde gemeinnützige Arbeit zu leisten, strich ihm das örtliche Sozialamt das Geld. »Ich habe ihn nicht gebeten, sich dort hinzulegen«, zitiert die Westdeutsche Allgemeine den Bürgermeister Clemens Peick. Die Stadt könne nicht nachgeben, da dies ungerecht gegenüber den Asylbewerbern sei, die sich an die Regeln hielten.

 

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

 

RASSISMUS-VORWURF

Schulz entschuldigt sich bei Italiens Regierung

Martin Schulz bittet um Verzeihung. Der SPD-Europaabgeordnete, inzwischen Intimfeind der italienischen Regierung, hat sich für seine jüngste Entgleisung entschuldigt. Er hatte das Berlusconi-Kabinett als rassistisch bezeichnet. Dafür teilt nun Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Simonis aus. Italiens Regierung sei "gaga".
 
Hamburg - "Ich möchte mich bei der italienischen Regierung entschuldigen. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich bedauere, mit meiner pauschalen Formulierung die gesamte italienische Regierung angegriffen zu haben", sagte Schulz der "Bild"-Zeitung.

Seine Beschuldigung im TV-Sender XXP habe allein Kritik der italienische Partei Lega Nord und Umberto Bossi, Minister für institutionelle Reformen und Dezentralisierung, gegolten, der in einem Zeitungsinterview gesagt hatte, die italienische Küstenwache sollte mit Kanonen auf Boote mit Flüchtlingen schießen. Auch in der italienischen Regierung gebe es Kritik an Bossi, sagte Schulz. "Diesen Kräften gilt meine ausdrückliche Unterstützung."

Bossi hatte später angegeben, er sei falsch zitiert worden, die Zeitung wich jedoch nicht von ihrer Darstellung ab.

Doch damit ist das deutsch-italienische Zerwürfnis immer noch nicht beendet. Nun legte auch noch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis nach. In einem Interview des "Rheinischer Merkur" sagte sie: "Durch die Urlaubsabsage des Kanzlers begreift vielleicht manch einer in Italien, dass seine Regierung gaga ist, um das Mindeste zu sagen."