Mittwoch, 23. Juli 2003
Abgelehnter Asylbewerber aus Togo wurde
überfallen. Sein Peiniger erhielt eine Bewährungsstrafe
Von Claus-Dieter Steyer
Rathenow. „Ihr Scheiß-Neger! Was wollt ihr hier? Geht zurück in eurer
Land. Was macht ihr hier für eine Scheiß-Arbeit?“ Dieser verbalen Beleidigung
folgten drei Faustschläge ins Gesicht von Orabi Mamavi, einem 41 Jahre alten
Asylbewerbers aus Togo. Er wurde am Auge schwer verletzt und traute sich seit
dem Vorfall am 23. Dezember vergangenen Jahres aus Angst nicht mehr allein auf
die Straße.
Gestern musste sich der 26-jährige Schläger Marko D. aus Rathenow vor dem
Amtsgericht in seiner Heimatstadt für die Tat verantworten. Der Prozess dauerte
nur wenige Stunden, Marko D. wurde wegen Körperverletzung und Beleidigung zu
einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die Strafe wurde für zwei
Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss der Arbeitslose 500 Euro an den
Verein „Weißer Ring“ zahlen.
Das Gericht folgte damit den Anträgen der Staatsanwaltschaft und des als
Nebenkläger im Prozess aufgetretenen Asylbewerbers. Orabi Mamavi nahm das
Urteil ohne äußerlich sichtliche Regung entgegen.
Seit neun Jahren lebt er als Asylbewerber in Rathenow, nachdem er als Angehöriger
einer Oppositionspartei in seinem Heimatland nach eigenen Angaben gefoltert
worden war.
Doch die Stunden seines Aufenthaltes in der sicheren Fremde sind gezählt.
Kommenden Donnerstag will ihn die Ausländerbehörde des Landkreises Havelland
nach Ablehnung des Asylantrages abschieben. Der Kirchenkreis Kyritz und der
Verein Opferperspektive haben beim Petitionsausschuss des Landtages einen
Aufschub der Abschiebung beantragt. Sollte der Ausschuss den Antrag ablehnen,
will der Verein einen neuen Antrag stellen.
„Er muss bei der Rückkehr nach Togo mit seiner Verhaftung rechnen“, sagte Kay
Wendel vom Verein Opferperspektive. „Außerdem sollte ein Bleiberecht eine
Wiedergutmachung dafür sein, was er in neun Jahren Rathenow von rassistischen
Tätern erlitten hat.“
Schon 1997 ist Mamavi von rechtsextremistischen Tätern angegriffen worden.
Seitdem habe er ständig unter Angst gelebt, so dass er jetzt eine Therapie
benötige. Das Verfahren zu der Tat im Jahre 1997 wird auf Drängen des Vereins
Opferperspektive am 10. August eröffnet. „Wir können endlich Beweise für die
Tat vorgelegen“, erklärte Wendel. Die erste Vernehmung des Togolesen ist für
den 10. August vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt aber wäre er, wenn es nach dem
Willen der Ausländerbehörde geht, schon längst in Afrika.
Das gestern gesprochene Urteil soll abschreckend wirken, sagte die Richterin.
Rathenow gilt seit Jahren als Ort fremdenfeindlich motivierter Angriffe auf
Ausländer. Der Angeklagte selbst hatte im Prozess den Vorwurf einer
rechtsextremistischen Gesinnung zurückgewiesen. „Ich war im Vollrausch und
hatte einen Filmriss“, sagte der junge Mann.
Am 23. Dezember habe er zusammen mit einem Kumpel ab 19.15 Uhr bis zu 20
Flaschen Bier und einige Mixgetränke getrunken. Ein Gutachter rechnete einen
Alkoholgehalt von 6,21 Promille aus. Das sei unglaubwürdig, erklärte das
Gericht.
Orabi Mamavi wollte mit einem Freund am Morgen des 24. Dezember gerade mit dem
Schneeschieben auf einem Fußweg für einen Stundenlohn von einem Euro beginnen,
als die beiden grundlos beschimpft und angegriffen wurden. Sie sind dem
Angreifer hinterher gerannt. Sie konnten ihn festhalten und der Polizei
übergeben. Die Polizisten stellten bei ihren Befragungen keinen Vollrausch des
Täters fest.
Mittwoch, 23. Juli 2003
Verfassungsschützer soll Spitzel vor Razzia
gewarnt haben – und dafür jetzt 5000 Euro Buße zahlen
Cottbus/Potsdam. In der V-Mann-Affäre um den Neonazi Toni S. war es
ruhig geworden. Doch jetzt gerät der brandenburgische Verfassungsschutz erneut
unter Druck: Das Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann- Führer von Toni S.
wegen Geheimnisverrats soll möglicherweise gegen Zahlung einer Geldbuße von
5000 Euro eingestellt werden. Das aber würde faktisch ein Schuldeingeständnis
des Beamten bedeuten. Das Justizministerium tritt dem Verfahren, das die
Cottbuser Staatsanwaltschaft beabsichtigt, nicht entgegen, bestätigte
Sprecherin Petra Marx am Dienstag.
Wegen der Affäre war der märkische Verfassungsschutz vor einem Jahr zum ersten
Mal massiv unter Druck geraten: Das Berliner Landgericht hatte den märkischen
V-Mann Toni S. zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil dieser sich
an der Produktion und am Vertrieb einer rechtsextremen Musik-CD beteiligt
hatte. Die CD enthielt Aufrufe zum Mord an Prominenten und Politikern, darunter
auch an Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. In dem bundesweit
beachteten Urteil hatte das Gericht in einem einmaligen Vorgang die fragwürdige
Rolle des Brandenburger Verfassungsschutzes gerügt. Toni S. habe die Straftaten
mit Wissen und Billigung des Brandenburger Verfassungsschutzes begangen,
urteilten die Richter damals. So habe der V-Mann-Führer Toni S. vor
Polizeirazzien gewarnt und einen alten Rechner, der Hinweise auf Straftaten
enthielt, gegen ein neues Gerät ausgetauscht. Das Brandenburger
Innenministerium hatte damals die Kritik zurückgewiesen und die unabgestimmten
Ermittlungen der Berliner Justiz gegen Toni S. und seinen V-Mann-Führer
beklagt. Wegen der öffentlichen Enttarnung von V-Leuten wie im Fall Toni S.
habe der Verfassungsschutz Schwierigkeiten bei der Anwerbung neuer Quellen, so
der Innenminister damals. Der Brandenburger Verfassungsschutz hatte betont,
dass aus der Panne um Toni S. intern Konsequenzen gezogen wurden.
Nun haben offenbar auch die Ermittlungen der Cottbuser Staatsanwaltschaft
ergeben, dass nicht nur der V-Mann aus dem Ruder lief, sondern auch der
Verfassungsschutzbeamte nicht korrekt gehandelt hat. Ob das Verfahren gegen die
Zahlung eines Bußgeldes eingestellt wird, hängt jetzt davon ab, ob der
V-Mann-Führer und das Landgericht Cottbus einwilligen. Wenn nicht, droht dem
Beamten eine Klage wegen versuchter Strafvereitelung.
Das Innenministerium wollte den Vorgang nicht kommentieren, da aus Cottbus keine
Informationen vorlägen. „Der Mitarbeiter wartet bis heute auf seine Vernehmung
durch die Staatsanwaltschaft Cottbus“, sagte Sprecher Heiko Homburg. Thorsten
Metzner
Mittwoch, 23. Juli 2003
von HEIKE KLEFFNER
Das Publikum im Saal 145 des Kammergerichts hat sich herausgeputzt. "Odins Krieger" hat sich eine Jungglatze in den Nacken tätowieren lassen. "Hate keeps me warm", lautet die Botschaft, die ein Kahlgeschorener auf seinem T-Shirt an der Sicherheitsschleuse vorbeiträgt. Im Flur macht er Platz für eine knappes Dutzend Männer Mitte dreißig. Sie tragen ihre massigen Bierbäuche wie Trophäen vor sich her und schieben breitbeinig germanische Mythengestalten auf Schienbeintattoos durch die Halle des Kammergerichts. Jeden Dienstag und Mittwoch halten sie hier Hof, Berlins älteste Neonazigruppierung, die "Vandalen".
In ihrer Mitte: Michael R., ein schmächtiger Enddreißiger im blau-weiß karierten Holzfällerhemd. Ein knappes Jahrzehnt lang soll der Mann mit dem Spitznamen "Luni" - eine Abkürzung für die russische Wodkamarke "Lunikoff" - den Takt vorgegeben haben in Deutschlands bekanntester Neonaziband namens Landser. Nun steht R. nicht mehr vermummt auf improvisierten Bühnen in Jugendclubs, sondern sitzt stumm mit seinen beiden mutmaßlichen Mitspielern auf der Anklagebank im Kammergericht.
Die Bundesanwaltschaft wirft Michael R. vor, als mutmaßlicher Sänger von Landser "Rädelsführer" in einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Sein ehemaliger Freund André M., der mit Vorliebe in schwarzem Anzug und schwarzem Hemd erscheint, soll dabei die Bassgitarre gespielt haben. Auch der jüngste des Trios, der 27-jährige mutmaßliche Schlagzeuger von Landser, gibt sich mit Hemd und Markenjeans trotz kahl rasiertem Kopf bürgerlich: Als Polizeibeamte der Sondereinheit "Politisch motivierte Straßengewalt" (PMS) von der biederen Ordnung in seiner Wohnung und den Kinderfotos mit Landser-T-Shirts berichten, knetet Christian W. nervös einen Stoffteddy mit roten Herzen. Weil W. nach seiner Festnahme im Herbst 2001 umfangreiche Aussagen zu seinen Aktivitäten bei Landser machte, wird er von den Zuschauerbänken mit "Verräter"-Rufen empfangen.
Im Publikum steigt die Stimmung immer dann, wenn der Vorsitzende Richter Wolfgang Weißbrodt die CDs abspielen lässt. Fünf CDs hat Landser seit 1993 auf den Markt gebracht, keine einzige davon kann legal im Plattenladen gekauft werden. Trotzdem schätzen Szenekenner, dass derzeit in Deutschland rund 100.000 Landser-CDs mit Titeln wie "Republik der Strolche", "Rock gegen oben" und "Ran an den Feind" im Umlauf sind. Die meisten werden schwarz gebrannt und unter der Hand auf Schulhöfen oder in Jugendclubs weitergegeben. Für Originale verlangten die Zwischenhändler der Band bis zu 30 DM; heute zahlen "Liebhaber" Stückpreise ab 50 Euro. Mehrere 10.000 Mark sollen die Bandmitglieder selbst kassiert haben.
Landser, so die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage, mit der erstmals in Deutschland einer rechtsextremen Band der Vorwurf "kriminelle Vereinigung" gemacht wird, habe mit ihrer Musik vor allem ein Ziel verfolgt: massenhaft rechtsextreme Ideologie an jugendliche Konsumenten zu bringen. Dafür habe die Band bewusst gegen Strafgesetze verstoßen.
Um diesen Vorwurf zu untermauern, lässt die Bundesanwaltschaft die zehnjährige Geschichte der Band Revue passieren. Puzzlestück um Puzzelstück fügen sich die Aussagen von Gründungsmitgliedern und Zeugen zu einem Bild zusammen, das vor allem den Sicherheitsbehörden und "akzeptierenden Sozialarbeitern" ein schlechtes Zeugnis ausstellen.
Glaubt man Landser-Gründungsmitglied Sören B., begann die Karriere der Band im ehemaligen "Judith-Auer-Club" in Lichtenberg, wo ein Sozialarbeiter sein Schlagzeug zur Verfügung stellte. Es sind die Jahre 1992 und 1993: In Rostock-Lichtenhagen wird ein Heim vietnamesischer Vertragsarbeiter unter dem Beifall von tausenden Zuschauern von militanten Neonazis und Jungskins in Brand gesetzt. Türkische Migranten sterben in Mölln und Solingen bei Brandanschlägen. Und Landser verbreitet auf einem Demotape Lieder wie "Berlin bleibt deutsch" und "Schlagt sie tot".
Im November 1992 zeigt diese Aufforderung Wirkung: Der Hausbesetzer Silvio Meier wird im U-Bahnhof Samariterstraße von Naziskins erstochen. Im Zeugenstand sagt der ehemalige Landser-Produzent Jens O., Anfang der 90er-Jahre selbst Mitglied der verbotenen Nationalistischen Front (NF): "Nationalismus gab es damals überall. Überall wurden Deutschlandfahnen gezeigt." Dass Landser, die sich selbst gerne als "Terroristen mit E-Gitarre" bezeichneten, in ihren Liedern über hilflose Polizisten und Politiker spotteten und zum "Totschlagen" von Afrikanern, Türken und Juden aufriefen und damit Karriere machten, habe vor allem an ihrem "konspirativen Image" und an ihrer eingängigen Tanzmusik gelegen, findet ein anderer Zeuge. Und offenbar auch an den Strafverfolgern, die jahrelang nur mit Nadelstichen gegen die Band vorgingen, obwohl deren Besetzung in der rechten Szene ein offenes Geheimnis war. Mal wurde ein Bandmitglied bei der Einfuhr von Landser-CDs aus dem Ausland festgenommen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, mal wurde - erfolglos - nach CD-Covern gesucht.
Dabei traf sich die Band unter dem Codewort "Frühschoppen" immer sonntags zum Proben im Berliner Umland und bediente sich eines Netzwerks aus polizeibekannten Neonazis, um die CDs an die Kundschaft zu bringen.
Erst nachdem die Bundesanwaltschaft 1999 auf die Band aufmerksam wurde, weil Rechtsextremisten beim Überfall auf zwei Vietnamesen in Eggesin das Landser-Lied "Fidschi, Fidschi, gute Reise" sangen, verschärfte sich die Gangart. Ein Jahr lang überwachten die Fahnder nun Telefone und observierten die Bandmitglieder.
Die Botschaft der Musik, die schon Jahre zuvor von antifaschistischen Publikationen als "Begleitmusik zu Mord und Totschlag" bezeichnet worden war, hatte sich da längst verselbstständigt. Der Landser-Song "Afrika-Lied" lief in den Autos der Rechten, die in Guben den algerischen Flüchtling Farid Gouendul in den Tod trieben, und im Walkman des Angreifers, der in Dessau den Mosambikaner Alberto Adriano erschlug.
Zu der Frage, ob der Prozess Einfluss auf die weitere Entwicklung der neonazistischen Musikszene haben wird, will man sich beim LKA in Berlin derzeit nicht äußern. In der Szene wird Michael R. als Märtyrer gefeiert. Bundesweit stieg die Zahl neonazistischer Konzerte im vergangenen Jahr wieder auf über einhundert an, mit teilweise über 1.000 Zuschauern. Keinen Rückgang gibt es auch bei der Zahl der Bands, die versuchen, die Nachfolge von Landser anzutreten, oder bei den einschlägigen "Rechts-Rock"-Versandquellen.
Ob die Angeklagten am Ende tatsächlich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung oder lediglich wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass und Verherrlichung des Nationalsozialismus verurteilt werden, ist derzeit nicht absehbar. Ein Urteil wird frühestens Ende August erwartet.
Mittwoch, 23. Juli 2003
WOLGAST taz Die Botschaft ist eindeutig: "Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Wolgast?" haben Unbekannte in Schwarz an den leer stehenden Plattenbau im Wolgaster Hafen gepinselt. In das ehemalige Verwaltungsgebäude neben der Peenewerft sollen knapp 150 Asylsuchende einziehen. Noch leben sie mitten im Wald in einem Heim auf der Insel Usedom und in einer baufälligen Möbelfabrik im nahen Anklam. Mit dem zum Jahresende geplanten Umzug der Flüchtlinge erfüllt der Landkreis Ostvorpommern den so genannten Heimerlass der Landesregierung in Schwerin.
Er sieht vor, die "Dschungelheime" zu schließen, in denen Asylsuchende fernab von Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Rechtsberatungen in ehemaligen NVA-Kasernen und Baracken untergebracht sind. Die Landesregierung will so die Flüchtlinge besser integrieren. Nun wird eine Hand voll neuer Flüchtlingsheimstandorte in Mecklenburg-Vorpommern gesucht. Dies führt jedoch vielerorts zu Protesten von Bürgern und Neonazis.
In Wolgast, sagt SPD-Bürgermeister Jürgen Kahnel, würden die Flüchtlinge nur von wenigen Rechtsextremisten aus dem Umfeld der NPD abgelehnt. Sie tarnen sich als Bürgerinitiative "Schöner Wohnen in Wolgast" und haben knapp 280 Unterschriften gegen das Heim gesammelt. Weniger bürgernah gibt man sich auf der Website der NPD-Ostvorpommern. Hier finden sich Fotos des künftigen Flüchtlingsheims mit detaillierter Anfahrtsbeschreibung. Rechtsextremismusexperten sehen darin eine kaum verhüllte Aufforderung zu Gewalttaten. Es sei kein Zufall, "dass die Parole am zukünftigen Heim auf die rassistischen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen und die tödlichen Brandanschläge gegen Migranten in Mölln und Solingen anspielt", sagt Günther Hoffmann vom Verein "Bunt statt Braun" in Anklam.
Der Verein versucht, die schwierige Suche des Landratsamts nach einem Heimstandort zu unterstützen. Doch mit ihrer antirassistischen Öffentlichkeitsarbeit befindet sich "Bunt statt Braun" oft in der Defensive. Zum Beispiel in der 2.400-Einwohner-Gemeinde Ducherow, wo die Flüchtlinge ursprünglich in eine leer stehende Hotelruine einziehen sollten. Daraufhin drohten die 400 Besucher einer Bürgerversammlung mehrheitlich den anwesenden Kreistagsvertretern von PDS, CDU und SPD an, man werde sie "komplett abwählen", wenn sie den Plänen von PDS-Landrätin Barbara Syrbe zustimmen und für den Zuzug der Flüchtlinge votieren würden. Argumentiert wurde wahlweise mit "Afrikanern, die unsere Behinderten mit Messern angreifen", oder "den Rechten, die dann hier Krawall machen".
Nachdem das Landratsamt klein beigab, standen die Städte Wolgast und Anklam zur Wahl. Dort sammelte ein Diskothekenbesitzer 1.200 Unterschriften gegen die angekündigten neuen Nachbarn und Neonazis verteilten Flugblätter gegen "die Asylantenflut". Dabei machen Migranten und Flüchtlinge in der Region weniger als 2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Wolgasts Bürgermeister Jürgen Kahnel dagegen erhofft sich von dem Heim "einen positiven Effekt" für seine Stadt. Die Asylsuchenden würden ihre Einkäufe schließlich vor Ort tätigen. Kahnel betont, Wolgast sei "weltoffen". Man werde sich nicht einschüchtern lassen. Auch nicht von marschierenden Neonazis. Die haben sich für den kommenden Samstag in Wolgast angekündigt, um gegen die Eröffnung der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" im nahen Peenemünde zu protestieren. Anschließend, fürchten Sicherheitsexperten, könnten die Rechten zu einem europaweiten Treffen der Rockergruppe "Bandidos" in Anklam weiterziehen. In Wolgast will man die ungebetenen Gäste "rechts liegen lassen" und mit einem "Fest der Kulturen" Farbe bekennen.
HEIKE KLEFFNER
Mittwoch, 23. Juli 2003
Potsdam/Cottbus - Das Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrates gegen den Führer des ehemaligen Verfassungsschutz-Spitzels Toni S. aus Cottbus soll möglicherweise gegen Zahlung von 5000 Euro Geldbuße eingestellt werden. Brandenburgs Justizministerium werde dieser beabsichtigten Verfahrensweise der Staatsanwaltschaft Cottbus nicht entgegentreten, sagte Sprecherin Petra Marx. Der Verfassungsschützer soll seinen Cottbuser Spitzel im Februar 2001 vor einer Razzia der Polizei in der rechtsextremistischen Szene gewarnt haben.
Mittwoch, 23. Juli 2003
Internationales Programm
gegen rechten Aufmarsch
Präventionsrat empört über Zerstörung zahlreicher
Ankündigungsplakate - Landrätin Syrbe bei Fest mit dabei
Ostvorpommern (uq). Mit Empörung hat der Wolgaster Präventionsrat
gestern den Diebstahl beziehungsweise die Zerstörung zahlreicher
Ankündigungsplakate für das am Sonnabend in Wolgast geplante Fest der Kulturen
(wir berichteten) zur Kenntnis genommen. Ungeachtet der Provokation, die mit
großer Wahrscheinlichkeit auf das Konto rechter Kräfte geht, wollen sich die im
Präventionsrat vertretenen Vereine, Verbände und demokratischen Parteien davon
jedoch nicht entmutigen lassen. Schließlich soll das Fest der Kulturen
Einheimischen wie Gästen deutlich machen, "dass wir in unserer Stadt keine
Aufmärsche der NPD, rechter Gruppen, Kameradschaften und Organisationen
wollen", heißt es in der offiziellen Ankündigung der Veranstaltung, die
unter der Überschrift "Erinnern statt verdrängen - Wolgast zeigt
Courage" steht.
Der Präventionsrat reagiert damit auf eine für Sonnabend angemeldete Demo
hiesiger Rechter gegen die Peenemünder Wehrmachtsausstellung. Die Polizei
erwartet zu dem Aufmarsch, der auch die B 111 que- ren und dabei zeitweise den
Ver- kehr blockieren wird, etwa 150 Marschierer vorwiegend aus der Re- gion.
"Tolerant
und freundlich"
Mit dem Fest der Kulturen auf dem
Rathausplatz, das um 10 Uhr von Landrätin Barbara Syrbe (PDS) und Bürgermeister
Jürgen Kanehl (SPD) eröffnet wird, soll gezeigt werden, dass Wolgast tolerant
und gast- freundlich ist und alle Menschen gleich welcher Hautfarbe, Her- kunft
und welchen Glaubens akzeptiert. Das spiegelt sich auch in dem internationalen
Programm für diesen Tag wider, an dem deutsche, polnische, togolesische,
russische und kubanische Kulturgruppen mitwirken. Außerdem werden die
Nationalgerichte verschiedener Länder angeboten, polnische Kunsthandwerker
stellen sich vor, der Eine-Welt-Laden ist mit von der Partie, das Peenemünder
Museum informiert über die Wehrmachtsausstellung, und selbstver- ständlich werden
auch die Kinder etliche Betätigungsmöglichkeiten finden.
Viele haben sich auch schon im Vorfeld bei einem Plakat-Wettbewerb mit dem
Thema auseinander gesetzt; die Ergebnisse werden am Sonnabend ebenfalls zu
sehen sein. Die Polizei wird die ganztägige Veranstaltung mit entsprechenden
Kräften absichern, so dass niemand Angst vor rechten Übergriffen haben muss.
Mittwoch, 23. Juli 2003
Geschichte im
Doppelpack |
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Eine historische Schau bewegt
seit 1995 die Nation: die Wehrmachtsausstellung. Morgen wird sie im
geschichtsträchtigen Peenemünde eröffnet. Hier fand das Institut für
Sozialforschung erstmals einen authentischen Ort für seine Sicht auf die
Geschichte. Die rechte Szene protestiert. Auf Usedom bleibt man gelassen.
Peenemünde
Gut passt die
Ausstellung, die am 25. Juli eröffnet wird: „Verbrechen der Wehrmacht.
Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 – 1944“ vom Institut für
Sozialforschung Hamburg. Eher bekannt als Institut des Millionärs, Philologen,
Philosophen, Entführungsopfers Jan Philipp Reemtsma (51).
Dörte Lehmann
(28) aus Rostock, die für die Altonaer Werbewerkstatt die Schau vorbereitet,
sagt: „Der Ort ist phantastisch.“ Im Institut drückt man das getragener aus:
„Mit Peenemünde gelangt die Ausstellung zum ersten Mal an einen authentischen
Ort der Wehrmachtsgeschichte.“
Wehrmachtsausstellung – Museum
Peenemünde. Kinder der 90er Jahre, die in doppelter Hinsicht zusammenpassen. In
Peenemünde wurden im Zweiten Weltkrieg abscheuliche Verbrechen begangen. Anfang
der 40er Jahre arbeiteten dort 15 000 Zwangsarbeiter in einer 25
Quadratkilometer großen Versuchsanlage. Wiege der Raumfahrt unter Wernher von
Braun. Hier wurden Massenvernichtungswaffen entwickelt, die Tausenden in London
oder Antwerpen den Tod brachten. Bis Kriegsende starben 20 000 Häftlinge
im nordthüringischen KZ Mittelbau Dora, wohin die Produktion der
Vergeltungsrakete V2 unter Tage verlegt wurde.
Das
historisch-technische Informationszentrum Peenemünde hat in seiner Biographie
einen eben solchen Bruch wie die Ausstellung. 1991 ging ein Aufschrei der
Empörung weltweit durch die Gazetten, als das Technikmuseum eröffnete. Der
traurige Teil der Geschichte blieb damals ausgespart. 1996 konzipierte der
Ulmer Kunsthistoriker Dirk Zache (39) die Anlage um. Nun ziehen die Komplexe
„Museum im Kraftwerk“, „Denkmallandschaft“ und „Forum Peenemünde“ jährlich
300 000 Gäste an. Zache übt erfolgreich den Spagat zwischen
Technikbegeisterung und Geschichtsverantwortung, Tourismus und Aufklärung. Er
sagt: „Von 1996 bis heute wird deutlich, welcher Lernprozess hier stattgefunden
hat.“ Touristiker hätten begriffen, diesen Teil der Geschichte nicht
auszusparen. Nun geht man auf Usedom aufrechten Hauptes mit der Ruine der
Anlage um. Peenemünde gehöre zu Usedom wie der Ostseestrand.
Der Bruch im
Lebenslauf der Ausstellung, die 200 000 Euro kostet und zum Teil von der
Landesregierung in Schwerin finanziert wird, kam 1999, als bewiesen wurde, dass
einige Fotos und Texte nicht zusammenpassten. So gab es ein auf 1941 datiertes
Bild, das die Hinrichtung von Zivilisten in Serbien zeigen sollte. Zuvor diente
das Foto als Beleg für Verbrechen der Roten Armee. Nichts davon stimmte. Aber
das Foto wurde zur Ikone, zum Symbol des Widerstandes gegen die Ausstellung. Wasser
auf die Mühlen der rechten Szene, die Opas Erbe und die Ehre der Wehrmacht
beschmutzt sah.
Ab 1996 hatte
es Diskussionen gegeben. Harald Schmid, der die Schau betreut: „Polemik vom
rechten Flügel der Sozialdemokratie bis zu den Neonazis. Und berechtigte
wissenschaftliche Kritik.“ Das Rauschen im Blätterwald hat aber genutzt. Den
Start in Hamburg registrierten 1995 gerade mal 1000 Besucher. Nach dem Eklat
1996 in Nürnberg, als CDU und rechte Szene Arm in Arm mobil machten, begann der
Er-
folg. 800 000 Besucher an
33 Orten.
1999 wurde die
Ausstellung gestoppt. Seit 2002 tourt sie wieder. Neu konzipiert. Nun zum
ersten Mal in M-V. Vorher war sie in Schwäbisch-Hall, am 7. September geht es
nach Dortmund. Der provokative Charakter wurde entfernt, das Eiserne Kreuz im
Logo ebenfalls. Die Wucht der Bilder wurde reduziert. Text dominiert. Die Schau
ist streng gestaltet. An sechs Komplexen wird die Dimension des
Vernichtungskrieges deutlich: Völkermord an sowjetischen Juden, Massensterben
der Kriegsgefangenen, Ernährungskrieg, Deportationen und Zwangsarbeit,
Partisanenkrieg, Repressalien und Geiselerschießungen. Die These von 1995
bleibt: Seit 1941 habe es einen Vernichtungskrieg gegen die sowjetische
Bevölkerung gegeben. Mit Beteiligung der Wehrmacht. Und die Ausstellung
reflektiert über die bis 1999 geführte Debatte.
Die Szene
interessiert das nicht. Seit Wochen registriert die Polizei rechte Bewegungen
auf der Insel. „Die kundschaften Örtlichkeiten in Peenemünde und Karlshagen
aus“, sagt Axel Falkenberg von der Polizei Anklam. Demos mit NPD-Prominenz sind
angekündigt, im Internet wird gegen Reemtsma gehetzt, vor Schulen verteilen
Glatzköpfe Flugblätter und fordern Schüler auf, der Ausstellung fern zu
bleiben.
Die Insel will
das aushalten. Gerd Schulz vom Tourismusverband sagt: „Es war an der Zeit, eine
Ausstellung mit überregionaler Bedeutung in Peenemünde zu machen.“ Schulz weiß,
welche Gefahr fürs Image Randale-Bilder mit sich bringen, die bundesweit über
TV-Bildschirme flackern. Egal! Usedom setzt dagegen. Gisela Kretschmer (49),
vom Präventionsrat in Wolgast hat für den 2. August ein „Fest der
Kulturen“ mit Gruppen aus Polen, Kuba, Russland und Togo organisiert. Soll der
rechte Mob doch kommen. „Wir machen in unserer Form mobil. Mit Gastfreundschaft
und Toleranz.“
Mittwoch, 23. Juli 2003
»Opa war in Ordnung«
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Rechtsextreme wollen gegen
Wehrmachtsausstellung in Peenemünde protestieren
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Leif
Allendorf |
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Die Wehrmachtsausstellung
wird am kommenden Freitag in Peenemünde im Historisch-Technischen
Informationszentrum eröffnet. Ein brisanter Ort, schließlich waren die
Versuchsanstalten von Peenemünde mit den V-2-Raketen Wernher von Brauns das
größte Rüstungsprojekt der Wehrmacht. Mit diesem Rüstungsprojekt verbunden
war das unterirdische KZ und Vernichtungslager Mittelbau-Dora in Nordhausen
(Harz/ Thüringen), das die höchste Sterblichkeitsrate aller KZ in Deutschland
aufwies. Der NPD-Kreisverband
Greifswald macht im Internet gegen die »Schandausstellung« mobil und kündigt
zum Ausstellungsbeginn einen »Info-Stand« an. Außerdem soll gegen die Schau
am kommenden Sonnabend in Wolgast sowie am 2.August in Peenemünde
demonstriert werden. Ein von den Rechten speziell für den Anlaß entworfenes
»T-Hemd« (ächt doitsch für »T-Shirt«) für den Strand oder den Spaziergang auf
der Promenade zeigt ein blondbezopftes Mädchen und den Schriftzug »Opa war in
Ordnung– unsere Großväter waren keine Verbrecher!« Dirk Zache, der Leiter des
Historisch-Technischen Informationszentrums, sieht in Peenemünde den idealen
Platz für die Ausstellung. Erstmals stehe sie auf einem weltbekannten
ehemaligen Wehrmachtsgelände. »Ich hoffe, daß wir damit auch dem noch
vorhandenen Mythos Peenemünde entgegentreten«, sagte Zache in der Schweriner
Volkszeitung vom 11.Juli. Er erwartet etwa 20000 Besucher. Eigentlich sollte die
Ausstellung auf Rügen gezeigt werden. Ortsansässige Hoteliers hatten aber
befürchtet, Touristen durch die Ausstellung und mögliche Protestkundgebungen
der rechtsextremen Szene abzuschrecken und einen Imageschaden zu erleiden.
Daraufhin hatte der Ausstellungsmacher Jan Philipp Reemtsma sich nach einer
Alternative umgesehen. Die Ferieninsel Usedom zeigte mehr Mut. »Verbrechen
der Wehrmacht« ist in der Turbinenhalle des Kraftwerks Peenemünde täglich von
neun bis 18 Uhr zu sehen. Als Begleitprogramm sind Kulturveranstaltungen,
Diskussionsrunden, Fachvorträge und Seminare geplant. |
Mittwoch, 23. Juli 2003
Mörderische Lieder
Mitglieder der Gruppe "Landser" sind der Bildung einer
kriminellen Vereinigung und der Volksverhetzung angeklagt
Von Christoph Seils (Berlin)
Sie nannten sich selbst "Terroristen mit
E-Gitarre" und fühlten sich zum "politischen Kampf" berufen. Im
Saal 145a des Berliner Kammergerichts ist von all dem jedoch nichts zu spüren;
nichts von dem Hass ihrer Texte, nichts von der Aggressivität ihrer Musik.
Bieder, artig und vor allem schweigend sitzen die drei Musiker der neonazistischen
Musikgruppe "Landser" auf der Anklagebank. Meist starren Michael R.,
Andrè M. und Christian W. regungslos in den Gerichtssaal oder blättern
gelangweilt in ihren Akten. Minutenlang, stundenlang, tagelang. Egal, ob der
Vorsitzende Richter Wolfgang Weißbrodt langatmige Vernehmungsprotokolle
verliest, mühsam Gitarrengriffe entziffert oder mit stockender Stimme
inkriminierte Strophen wie "Schlagt die Kommunisten tot",
"Kanacke verrecke" oder "das Asylheim brennt" zitiert.
Das geht jetzt schon seit vier Wochen so, und es hat nicht den Anschein, als
fände hier ein spektakulärer Prozess gegen die einflussreichste Musikband in
der gewaltbereiten Skinhead-Szene statt. Gegen die Urheber jener Begleitmusik
für Mord und Totschlag, mit der sich fast ein Jahrzehnt lang Jugendliche vor
allem in Ostdeutschland aufstachelten, bevor sie "Neger",
"Fidschis" oder "Assis" in den Tod trieben.
Bundesanwalt Wolfgang Siegmund weiß, dass er mit dem Prozess "juristisches
Neuland" betritt. Noch nie ist eine Musikgruppe als kriminelle Vereinigung
angeklagt worden. Noch nie hat ein Staatsanwalt vor einem deutschen Gericht
nachzuweisen versucht, dass eine Musikgruppe nicht nur Gewalt verherrlichendes,
volksverhetzendes und nationalsozialistisches Liedgut verbreitete. Die Gruppe
"Landser" soll bis zur Verhaftung der Musiker im Oktober 2001
planmäßig und straff organisiert im Untergrund agiert haben, sie soll sich an
geheimen Orten zum Üben getroffen, den Vertrieb der CD klandestin organisiert
haben und nie öffentlich aufgetreten sein.
Der 38-jährige Michael R. soll nach Ansicht der Bundesanwaltschaft Rädelsführer
der "kriminellen Vereinigung Landser" ihr Texter und Manager gewesen
sein. Er trägt im Gerichtssaal ein blaukariertes Hemd, die Oberarme sind
tätowiert, die Haare zum Zopf gebunden. Seit mehr als einem Jahrzehnt gehört er
zum Umfeld der Berliner Nazirockergruppe "Vandalen". Dort wird er als
Held verehrt. In den Gerichtssaal kommt er mit einer Schar Bewunderer. Nur mit
seinen Mitangeklagten redet Michael R. nicht. Denn anders als R. haben der
Bassist Andrè M. und Schlagzeuger Christian W., der 1996 zu der Gruppe stieß,
Teilgeständnisse abgelegt. "Verräter" heißt es da schon mal im
Publikum. Das Erfolgstrio gibt es nicht mehr.
Der Aufstieg von "Landser" begann 1993. Ermutigt vom Erfolg ihrer
ersten Aufnahmen, die in der Szene als Kassette schnell von Hand zu Hand gehen,
beschließen Michael R. und seine Kameraden zukünftig im Verborgenen zu agieren.
Sie reden am Telefon von "Pizza" und nicht mehr von "CDs"
oder "Frühschoppen" statt von "Probe". Sie suchen nach
einem Produzenten, der nicht so sehr am Geld interessiert ist, sondern an der
politischen Botschaft. Die Mischung aus harten Rhythmen und einfachen Akkorden,
aus einprägsamen Refrains und perfektem Sound kommt an. Die zehntausendfach
gepressten Landser-CDs, die unter Titeln wie "Republik der Strolche",
"Rock gegen oben" oder "Ran an den Feind" erschienen,
fehlen in keiner Neonazi-Plattensammlung. Für nicht wenige Jugendliche war der
"Landser"-Sound eine Einstiegsdroge in die gewaltbereite
Skinhead-Szene.
Es ist ein Sound mit Wirkung. Bundesanwalt Wolfgang Siegmund wurde im Sommer
1999 erstmals auf die Gruppe aufmerksam. Im vorpommerschen Eggesin hatten fünf
Jugendliche zwei Vietnamesen halb totgeschlagen. In den Vernehmungen
berichteten die Täter, sie hätten das "Landser"-Lied "Fidschi,
Fidschi gute Reise" gegrölt, während sie mit Springerstiefeln auf die
Köpfe der wehrlosen Opfer eintraten. Es ist nicht der einzige Fall, dessen
Prozessakten jetzt in das Verfahren eingeführt werden. Zahlreiche Richter haben
die fatale Wirkung der "Landser"-Melodien in die Urteile geschrieben.
Der Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau und der Algerier Farid Guendoul in
Cottbus starben, nachdem sich die rechten Täter mit "Landser"-Musik
aufgeputscht hatten. In Berlin, Rostock oder Erfurt fühlten sich Neonazis zu
Brandanschlägen ermuntert, nachdem sie auf Parties gesoffen und
"Landser"-Musik gehört hatten.
Doch von dieser Dramatik ist im Kammergericht nichts zu spüren, vor allem aber
geht es nicht voran, denn die Beweisführung ist schwierig. Viele Zeugen
schweigen, offenbaren Erinnerungslücken oder bleiben dem Prozess unentschuldigt
fern. Der 33-jährige Horst S. nimmt sogar bis zu sechs Monaten Beugehaft in
Kauf, um nicht aussagen zu müssen. Er habe vor Jahren einen Schlussstrich unter
sein Engagement bei "Landser" gezogen, erklärt Horst S., bevor er
abgeführt wird. Er wolle deshalb keine Aussage machen. Möglicherweise hat er
Angst, dass es ihm ergeht wie einem sächsischen Zeugen. Der hatte bei der
Staatsanwaltschaft geplaudert und soll daraufhin zwei Mal im Auftrag von
Michael R. von mehreren Schlägern Besuch erhalten haben.
Dabei könnte Horst S. vermutlich viel erzählen. Über die alkohol-seelige
Stimmung im Tonstudio, den Spaß an den rassistischen Reimen, auch über den
regelmäßigen Streit ums Geld. Bis 1996 war Horst S. Schlagzeuger der Gruppe.,
doch dann wurde er auf dem Weg ins Ausland mit einer Ladung illegaler CDs
erwischt und wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Daraufhin
will er ausgestiegen sein. Doch das ist möglicherweise nur die halbe Wahrheit.
Ehemalige Kameraden berichten von heftigem Streit in der Gruppe über den
ausufernden Drogenkonsum und kriminelle Geschäfte im Umfeld der
"Vandalen". Ein paar stolze Germanen, die sonst nicht müde werden,
die Todesstrafe für Drogendealer zu fordern, waren auf die schiefe Bahn
geraten. Damit wollte die Band vermutlich nichts zu tun haben.
Jens O. ist ein wenig gesprächiger. Zwei "Landser"-CDs hat er
produziert, Geld vorgestreckt, Flüge bezahlt, Vertriebswege organisiert.
Schnell wird klar: Die Herstellung der CDs war ein internationales Unternehmen,
Helfer in vielen Ländern waren an Herstellung und Vertrieb beteiligt. Zwar
probte die Gruppe in Berlin und Umgebung. Doch zum Einspielen der CDs reiste
das Trio extra zu Tonstudios in Helsingborg, St. Paul (USA) und London.
Gepresst wurden die CDs vermutlich in Litauen, den USA und Dänemark. Viele
Namen tauchen da plötzlich auf als Drucker, Kuriere oder Händler. Ohne das enge
Netz von Unterstützern, ohne die vielen militante Nazi-Kader hätte es die
mutmaßliche kriminelle Vereinigung "Landser" wohl nie gegeben.
NPD-Funktionäre sind darunter, Kader des so genannten "Nationalen
Widerstandes", der verbotenen NS-Organisation "Blood &
Honor", führende Mitglieder der "Vandalen". Und mindestens zwei
V-Leute des Verfassungsschutzes. Die Geheimdienste waren früh über das illegale
Treiben der selbst ernannten "gewaltbereiten Musikanten" informiert.
Es ist ein Mammutprozess, 75 Zeugen hat die Bundesanwaltschaft benannt, vor dem
Winter ist voraussichtlich kein Urteil zu erwarten, der Ausgang des Verfahrens
ist vollkommen offen. Der Handel mit "Landser"-CDs oder mp3-Dateien
geht unterdessen weiter, im weltweiten Internet ist es kein Problem, den mörderischen
Sound frei Haus zu bestellen.