Donnerstag, 24. Juli 2003

"Ans Messer geliefert"

Deutsche Behörden liefern Oppositionellen den Behörden Togos aus. Der Asylsuchende wurde
in Brandenburg zwei Mal Opfer rechter Gewalt. Initiative fordert Bleiberecht als Wiedergutmachung

von HEIKE KLEFFNER

Schwere Vorwürfe gegen die deutschen Behörden erhebt der Rechtsanwalt des togolesischen Oppositionellen Orabi Mamavi, der im Dezember 2002 im brandenburgischen Rathenow Opfer eines rassistischen Angriffs wurde und von der Ausländerbehörde des Landeskreises Havelland abgeschoben werden soll.

Die deutschen Behörden haben den Parteiausweis des 41-jährigen Togolesen, der ihn als Mitglied der oppositionellen "Convention Démocratique des Peuples Africains" (CDPA) identifiziert, an die togolesische Botschaft in Bonn weitergegeben. Damit beschafften sich die Beamten die zur Abschiebung notwendigen Reisedokumente. Rechtsanwalt Rolf Stahmann sagt, sein Mandant habe den CDPA-Ausweis vor neun Jahren bei seiner Asylanhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vorgelegt, um seine politische Verfolgung in Togo zu beweisen. Mamavi war dort vor seiner Flucht nach Deutschland wegen seines politischen Engagements gefoltert worden. Ob das Nürnberger Bundesamt oder die Behörde des Landkreises Havelland für die Weitergabe des Dokuments verantwortlich ist, lässt der Anwalt derzeit prüfen.

"Es kann nicht sein, dass Asylsuchende von deutschen Behörden ihren Verfolgerstaaten de facto ans Messer geliefert werden", kritisiert Stahmann. Er geht davon aus, dass Mamavi im Falle einer Abschiebung hochgradig gefährdet ist, da die togolesischen Behörden von den deutschen Kollegen vor der Abschiebung über die Ankunft des Flugs informiert werden. Der Rechtsanwalt will nun einen Asylfolgeantrag für Mamavi einreichen.

Dessen erster Asylantrag wurde Ende 2002 letztinstanzlich abgelehnt. Damit begann für den schwer traumatisierten Asylsuchenden eine Phase anhaltender Ungewissheit. Zunächst wollte die Ausländerbehörde ihn im Juni abschieben, obwohl das Strafverfahren gegen den Angreifer, der Mamavi im Dezember letzten Jahres in Rathenow auf offener Straße schwere Augenverletzungen zufügte und mit rassistischen Sprüchen wie "Scheiß Neger" beleidigte, noch nicht abgeschlossen war. Es könne nicht sein, dass das Opfer abgeschoben werde und der Täter davonkomme, empörte sich daraufhin die Staatsanwaltschaft in Potsdam und intervenierte bei der Ausländerbehörde. Die hat nun einen neuen Abschiebetermin Anfang September festgelegt, nachdem das Amtsgericht Rathenow am Dienstag nach einer Zeugenaussage Mamavis den rassistischen Schläger zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe sowie einer Geldbuße verurteilte.

Für Mamavi war es nicht der erste rassistische Angriff. Im September 1997 war er gemeinsam mit drei anderen Flüchtlingen vor einer Diskothek in Rathenow von einer rechtsextremen Gruppe schwer misshandelt worden. Am 8. August sollen nun die Ermittlungen gegen die Täter aufgenommen werden.

Im August muss auch der Petitionsausschuss des Potsdamer Landtags über die Anträge der "Opferperspektive" und des Flüchtlingsrats Brandenburg entscheiden, Mamavi als Opfer rechter Gewalt eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. "Mamavi sollte ein Bleiberecht verliehen werden, als Wiedergutmachung für das, was er von rassistischen Tätern in neun Jahren Rathenow erlitten hat", fordert Kay Wendell von der "Opferperspektive".

 

 

Donnerstag, 24. Juli 2003

Das Gesetz
ist das Problem

Die kongolesische Familie Familie Nduala-Kamisa, die sich Anfang des Jahres in Brandenburg an der Havel 80 Tage im Kirchenasyl aufgehalten hatte, erhält keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Die Berliner Innenverwaltung will einen Kongolesen abschieben, trotz Bedenken selbst aus dem Auswärtigen Amt. Der in Rathenow lebende Togolese Orabi Mamavi, der mehrfach Opfer rassistischer Überfälle wurde, soll im September abgeschoben werden. Drei Meldung aus diesem Monat. Drei Meldungen, die zeigen, dass Flüchtlingspolitik in Deutschland vielleicht noch mit Recht und Gesetz vereinbar ist, aber keinesfalls mehr mit Menschlichkeit.

Kommentar
von GEREON ASMUTH

Die zuständigen Behörden setzen offenbar lieber auf menschenverachtenden Zynismus. Wie anders ist es zu erklären, dass der togolesischen Botschaft ausgerechnet der Mitgliedsausweis einer drangsalierten Oppositionspartei vorgelegt wird, um dem Abzuschiebenden Reisepapiere zu verschaffen. Kann man noch direkter vorgehen? Ja, man kann. Etwa wie der 25-Jährige, der den Togolosen auf offener Straße verletzte und rassistisch beleidigte. Und macht das noch einen Unterschied? Ja, der 25-Jährige wurde zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Menschenverwalter in den Behörden dürfen sich hingegen auf Gesetzestexte berufen. Und geschlagen wird der Afrikaner schließlich frühestens wieder in seinem Heimatland.

Es gab gestern noch eine Meldung: Die von Abschiebung bedrohte vietnamesische Familie Nguyen aus Altlandsberg darf in Brandenburg bleiben. Bis Jahresende. Einen endgültigen Status könne der Landkreis der Familie nicht geben. Laut Gesetz. Deutlicher kann man das Problem nicht benennen.

 

 

Donnerstag, 24. Juli 2003

 

Integratives Circusprojekt lehrt Toleranz

 

GREUSSEN. "Vorhang auf, Manege frei für die besten Artisten, die man je zu Gesicht bekommen hat", kündigten Ringel und Henriette vom Circus Knopf und Circus Bombastico gestern lautstark auf dem Hof des Jugendhauses Greußen den Auftritt kleiner talentierter Künstler an. Vier Mädchen und Jungen aus dem Asylbewerberheim Freienbessingen und weitere acht Kinder aus dem Kyffhäuserkreis fanden sich im Rahmen des Circusprojektes "Menschenskinder" des Kreisjugendringes zusammen, um Kunststücke einzustudieren und sie Publikum zu präsentieren. Unterstützt wird das integrative Projekt von Civitas, einem Teil des Aktionsprogrammes der Bundesregierung, das Jugendliche gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus stark machen soll, Toleranz und Demokratie unterstützt. "Schon in der ersten Woche, in der das Circusprogramm erarbeitet wurde, hat man gesehen, dass sich die Kinder und Jugendlichen näher kommen", erklärt Bereichsjugendpflegerin Beatrice Hoffmann gegenüber "Thüringer Allgemeine". Der "Ein-Welt-Mit-Mach-Circus" soll dazu beitragen, den Kontakt von deutschen und Asylbewerberkindern auszubauen. Die Jungen und Mädchen interessieren sich für die andere Kultur, fragen nach und lernen, zu verstehen, Unterschiede zu akzeptieren und damit umzugehen, berichtet Hoffmann, die selbst auch beim Circusprogramm mitwirkt. Zwei Circuspädagogen helfen ihr und der Bereichsjugendpflegerin für Ebeleben und Umgebung, Susanne Wilke, beim Umgang mit den Kindern und dem Erlernen der Kunststücke. Dabei kitzele man so manches Talent wach, die Kleinen können eigene Ideen mit einbringen und gewinnen Selbstvertrauen. Eine tolle Sache, so Hoffmann, die noch weitere Auftritte geplant hat. Ireen SCHÄDEL

 

 

 

Donnerstag, 24. Juli 2003

 

Vergegenwärtigte Geschichte
Rosemarie Schuder wird 75 
 
Von Horst Haase 
 
Im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar erschien 1987 ein voluminöser Band mit dem Titel »Der gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte«, verfasst von Rosemarie Schuder und ihrem Ehemann Rudolf Hirsch. Fünf Jahre Arbeit lagen hinter den Autoren, an einem Projekt, das den jüdischen Nazigegner Hirsch seit Zeiten seiner Emigration beschäftigte. Unter demselben Haupttitel übrigens hatten deutsche Kommunisten schon 1936 in Paris die Judenverfolgung des Hitlerregimes dokumentiert. Schuder und Hirsch nun hielten dieses Thema auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch nicht für erledigt; sie wussten, dass »es über den Ursprung des Judenhasses noch vielfach unklare Vorstellungen und Ressentiments gibt«. Wie wahr bis auf den heutigen Tag.
Es war keine wissenschaftliche, auf Vollständigkeit angelegte Abhandlung, vielmehr eine Folge von Essays, die das Thema in seinen ökonomischen und geistigen Aspekten vom ausgehenden Mittelalter bis hin zu Auschwitz beleuchten, die Wiedergabe schändlicher Verbrechen mit scharfsinnigen Überlegungen und entschiedenen Wertungen verknüpfen. Eine einzigartige Unternehmung politisch-aufklärerischen Charakters, »eine Geschichte der Gewalt, der Lüge und der Leiden, eine Geschichte der Henker und Opfer«, wie es in einer zeitgenössischen Rezension hieß. Personen, geschichtliche Ereignisse, Lokalitäten strukturieren den Text. Über den Anteil Rosemarie Schuders daran sagte Rudolf Hirsch: »Ohne ihre tiefgehende Kenntnis der Religionsgeschichte, der Klassenkämpfe im Mittelalter, ohne ihre spezielle Darstellungskunst historischer Prozesse wäre dieses Buch nie fertig geworden.«
War sie zu dieser Zeit doch längst eine bewährte Autorin historischer Romane. In einer ganzen Serie von Büchern hat sie die Widersprüche, Umwälzungen, neuen Ideen der oppositionellen und rebellischen Bewegungen gegen das Feudalwesen dargestellt, waren hervorragende Persönlichkeiten in diesen geschichtlichen Prozessen wie Johannes Kepler, Paracelsus, Miguel Serveto dem Leser nahe gebracht, ihr gesellschaftliches Umfeld gründlich recherchiert und kulturgeschichtlich getreu vorgestellt worden. Der seit je verteufelten Bewegung der Wiedertäufer hat sie in einer gründlichen Schilderung Gerechtigkeit widerfahren lassen. Besonders intensiv wandte sie sich auch den bildenden Künsten jener Epoche zu, die sie erzählerisch treffend ins Bild zu setzen und in ihr zeitgeschichtliches Bedingungsgefüge einzuordnen vermochte. Schon in ihrem ersten Roman, »Der Ketzer von Naumburg«, 1955, galt das für die Stifterfiguren des Doms; zwei Bücher waren Michelangelo gewidmet (»Der Gefesselte«, 1962, »Die zerschlagene Madonna«, 1964); später zog sie die geheimnisvolle Fantastik des Hieronymus Bosch an (»Das Zeitalter. Das Werk«, 1975). Ein 1996 veröffentlichter und soeben wieder aufgelegter Roman veranschaulicht Leben und Werk Sandro Botticellis. Manchmal etwas konventionell entwickelt, aber immer sprachlich gediegen spielen in allen diesen Arbeiten geistige Auseinandersetzungen, religiöse Motivationen und demzufolge Reflexionen und Dialoge eine wichtige Rolle. Ein bis in die Details exaktes Geschichtsbild gehört zum Ehrgeiz der Autorin, großräumige geschichtliche Handlungen sind entworfen. Die Individualisierung der Figuren allerdings wird zumeist vom Überthema dominiert, die Fülle an Informationen gebiert eine gewisse Bildungsbeladenheit.
Im Sinne ihres Vorbilds Lion Feuchtwanger zielen diese Darstellungen durchaus auf Wirkungen in der Gegenwart, wobei Rosemarie Schuder vor allem die revolutionären Impulse ihrer Stoffe, die Verantwortung der Christen für Frieden und soziale Gerechtigkeit und die Stellung des Intellektuellen und Künstlers in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen im Auge hat. In den Leitungsgremien der CDU (der sie von 1951 bis zu deren Aufgehen in die Kohl-Partei 1990 angehörte), des Kulturbundes und des DDR-Schriftstellerverbandes hat sie die damit zusammenhängenden politischen und weltanschaulichen Positionen stets nachdrücklich vertreten. Das Streben nach Selbstverwirklichung hingegen, eine zentrale Begriffsbildung auch für das künstlerische Selbstverständnis in der späteren DDR, kennzeichnete sie in Übereinstimmung mit dem von ihr verehrten Rabbiner und Religionsphilosophen Abraham Joshua Heschel als trostlos und verfehlt. Vor den Präsidien der evangelischen Kirchentage Ost- und Westdeutschlands bekannte sie sich 1990 zur urchristlichen »Verteilung der Güter dieser Erde« und wehrte sich gegen die aufkommende Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus. In ihrer jüngsten historischen Spurensuche, einer biografischen Annäherung an Berthold Auerbach, den Autor der berühmten »Dorfgeschichten«, kehrt Rosemarie Schuder erneut zum Thema des verhängnisvollen Antisemitismus zurück.
Der Aufklärung und dem Humanismus verpflichtet zu sein, das bringt heutzutage wenig Ansehen, sind diese Begriffe doch weithin selbst ins Zwielicht gestellt. Umso notwendiger ist die geduldige, historisch konkrete Arbeit daran, wie sie uns in den Büchern der heute 75-jährigen Rosemarie Schuder entgegentritt

Von Rosemarie Schuder derzeit lieferbar:
Der gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte (zus. m. Rudolf Hirsch).
Papyrossa. 772S., geb., 15,24 EUR.
Botticelli. Die irdische und die himmlische Lust. B+S Verlag Rostock. 240S., 13,90 EUR.
Deutsches Stiefmutterland. Wege zu Berthold Aurbach. Hentrich & Hentrich. 492S., geb., 28 EUR.