Mittwoch, 6. August 2003
RECHTE GEWALT
Von Frank Jansen
War da mal was? Vor drei Jahren, wenn die Erinnerung nicht täuscht, gab es in
der Bundesrepublik reichlich Aufregung. Medien und Politiker und dann auch 200
000 Demonstranten vor dem Brandenburger Tor protestierten gegen
Rechtsextremismus, Rassismus, gegen Hass auf Juden und gegen den schlimmsten
Auswuchs der Ressentiments, die zahllosen Gewalttaten kurzhaariger Schläger.
Für die plötzlich im Sommer 2000 ausgebrochene, landesweite Empörung prägte der
Bundeskanzler sogar ein Motto: Mit einem „Aufstand der Anständigen“ sollte der
braune Ungeist bekämpft und deutlich zurückgedrängt werden. Und wie sieht es
heute aus, drei Jahre später? Die Antwort ist, schon beim Blick auf Brandenburg
und Berlin, deprimierend.
Einige Meldungen, nur aus dem Juli: In Potsdam wird eine Afrikanerin von einem
jungen Rassisten geschlagen. Ebenfalls in Potsdam traktieren Rechtsextremisten
drei ausländische Offiziere mit Schlägen und Tritten. In Berlin dreschen junge
Männer mit Billardstöcken auf Vietnamesen ein. In Schwedt foltern
Rechtsextremisten stundenlang einen 16-jährigen Schüler. Und so weiter.
Der Aufstand gegen den Anstand geht weiter, mit unverminderter Brutalität. Vom
Aufstand der Anständigen hingegen ist fast nichts mehr zu spüren. In Medien und
Politik werden rechte Gewalt und rassistische Schikanen meist nur noch als
Randphänomene behandelt. Seit dem 11. September erscheinen sie noch kleiner,
angesichts der monströsen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus. Die
Bundesrepublik ist offenkundig wieder da, wo sie vor dem Sommer 2000 war: In
einem Zustand des Wegsehens, der Gleichgültigkeit und der Gewöhnung an den
täglichen Angriff auf Menschenrechte. Im eigenen Land.
Das Scheitern des Aufstands der Anständigen ist wenig überraschend. Der
plötzliche Ausbruch der Empörung im Sommer 2000 war weitgehend eine überhitzte
Reaktion auf den vagen Verdacht, Neonazis hätten den Anschlag auf zum Teil
jüdische Aussiedler in Düsseldorf verübt. Das Verbrechen ist bis heute nicht
aufgeklärt. Doch Politik und Medien pumpten mit jeder neuen Meldung über rechte
Gewalt eine Hysterieblase auf, die Ende November 2000 platzte. Die
Horrorberichte vom angeblichen Rassistenmord an einem kleinen Jungen in Sebnitz
stimmten nicht, viele Zeitungen und Sender hatten sich blamiert. Auf einmal war
die Empörung über rechte Gewalt out.
Bis auf wenige Ausnahmen mündete der Aufstand der Anständigen in den Medien
nicht in den Versuch, eine kontinuierliche Berichterstattung über die anhaltenden
Gewaltexzesse und grassierenden Ressentiments aufzubauen. In der Politik sah es
kaum besser aus. Hektisch wurden Programme „gegen Rechts“ aufgelegt, oft ohne
nachhaltige Konzepte und finanziell nur unzureichend gesichert. Das
Kampagnenfieber führte dann auch zum größten Desaster, das die Bundesrepublik
im Kampf gegen den Rechtsextremismus jemals erlebt hat: Vor dem
Bundesverfassungsgericht scheiterte im vergangenen März der Antrag von
Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, die NPD zu verbieten. Ein
populistisches Abenteuer, zudem schlecht vorbereitet, fand ein blamables Ende.
Die positiven Folgen des Aufstands der Anständigen sind rasch aufgezählt. Es
gibt seit dem Jahr 2000 ein paar Initiativen mehr gegen Rechtsextremismus und
Rassismus, trotz aller Schwierigkeiten. Der Bundestag beschloss einen
Härtefallfonds für Opfer rechter Gewalt. Die Innenminister verordneten der
Polizei eine überfällige Reform: Mehr Delikte als früher, also auch
Skinhead-Überfälle auf Obdachlose, gelten nun als politisch motiviert. Und die
offizielle Zahl der Todesopfer rechter Gewalt seit der Einheit wurde –
bescheiden – nach oben korrigiert.
Ein neuer „Aufstand der Anständigen“ ist nicht in Sicht. Das ist vielleicht
auch besser so. Hysterie ist keine Basis für den Aufbau von dauerhaftem
Engagement für demokratische Werte und gegen rechte Menschenverachtung. Doch wo
ist der Widerwille gegen Rechtsextremismus und Rassismus geblieben, der damals
das ganze Land zu erfassen schien? War der Protest wirklich nur eine x-beliebige
Modeerscheinung der Mediengesellschaft und nicht der Anfang einer dauerhaften,
stärkeren Gegenwehr? Es scheint fast so. Der braunen Szene ist es recht.
Mittwoch, 6. August 2003
Terror vor der Kita: Gegen diese Art der Bedrohung gibt es Gesetze
– man muss sie nur anwenden, sagen Politiker
Von Werner van Bebber
Kinderschreck, Rechtsextremist, Nervensäge, Querulant, mutmaßlicher
Volksverhetzer: Roland T., der in Lichtenrade Kinder und Eltern vor einer
Kindertagesstätte in seiner Nachbarschaft terrorisiert, gehört einer besonders
unangenehmen Sorte Mitmensch an. Er pöbelt, er droht mit Gewalt, er führt den
Schäferhund vor – und reißt sich gerade so weit zusammen, dass man seine Gewaltbereitschaft
ahnt, aber nicht erlebt. Dem Kita-Terroristen aus Lichtenrade hat sein
Verhalten wie berichtet eine Aufenthaltsverbotsverfügung eingetragen: Er darf
sich der Kita sechs Monate lang nicht nähern. Beim Verstoß gegen die Verfügung
droht Roland T. ein Bußgeld. Solche gewaltbereiten Pöbler im Haus oder in der
Nachbarschaft scheinen sich um Rechte anderer nicht zu kümmern. Doch braucht
es, um solche Leute an die Rechte anderer zu erinnern, keine neuen
Vorschriften.
Die fast einhellige Meinung Berliner Politiker sagt: Es gibt die passenden
Gesetze. Es wäre an der Polizei – und an denen, die sich terrorisiert fühlen –,
etwas nachdrücklicher gegen Querulanten vorzugehen. So hat sich Volker
Ratzmann, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus,
„gewundert, wie zögerlich die Polizei da war“. Seiner Einschätzung nach hätte
die Polizei nicht erst bis zu einem Handgemenge zwischen dem Rechtsextremisten
und einem aufgebrachten Vater warten müssen, um das Allgemeine Sicherheits- und
Ordnungsgesetz (ASOG) anzuwenden und einen Platzverweis gegen T. auszusprechen.
Auch hätte die Polizei die Eltern oder die Erzieher in der Kita früher auf die
Möglichkeit einer zivilrechtlichen einstweiligen Verfügung gegen T. hinweisen
können.
Ähnlich sieht es FDP-Fraktionschef Martin Lindner: Gewalt beginne in dem
Moment, in dem sie angedroht werde, sagt er. Kinder bekämen dann Angst, trauten
sich nicht mehr in die Kita, ohne dass etwas geschehen sei. „Rechtzeitig, bevor
die Sache eskaliert“, müsse sich die Polizei um Leute kümmern, die mit Gewalt
drohen. Die Vorschriften reichen, meint auch die PDS-Innenpolitikerin Marion
Seelig. Doch bei Bedrohung sei es wie bei der häuslichen Gewalt oder beim
„Stalking“, dem manischen Verfolgen einer Person: Es gebe ein „Vollzugsdefizit“
bei den rechtlichen Möglichkeiten, sich zu wehren.
Dass es diverse Rechtsmittel gegen Querulanten gibt, mindert das üble Gefühl
der Bedrohten nicht. Und doch müsse das Urteil darüber den Richtern überlassen
blieben, sagt der SPD-Rechtspolitiker Hans-Georg Lorenz. Er weiß aus seiner vor
allem mit Ausländerangelegenheiten befassten Anwaltskanzlei, dass eine
angebliche Bedrohung auch bloß behauptet werden könne, um etwa den in Scheidung
lebenden Ehemann unter Druck zu setzen. Der CDU-Rechtspolitiker Andreas Gram
erinnert an die Möglichkeit der sozialpsychiatrischen Begutachtung von Leuten
wie Roland T.. Notfalls müsse man solche Leute eben in die Psychiatrie
einweisen. Das allgemeine Interesse gehe vor, sagt Gram: „Die Leute haben ein
Anrecht auf Schutz.“
Mittwoch, 6. August 2003
Antisemitismus-Vorwürfe erhebt der Direktor des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main, Micha Brumlik, gegen den kanadisch-britischen Philosophen Ted Honderich. In einem offenen Brief an den Suhrkamp-Verlag, den die "Frankfurter Rundschau" veröffentlichte, kritisierte Brumlik das in der Reihe "40 Jahre edition suhrkamp" erschienene Buch Honderichs "Nach dem Terror" scharf. Das Buch verbreite "antisemitischen Antizionismus" und rechtfertige dabei nicht nur die "Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel", sondern empfehle "eben dies Tun auch zur Nachahmung". Brumlik forderte den Verlag auf, das Buch "unverzüglich vom Markt zu nehmen".
Suhrkamp-Programmleiter Günter Berg wies im Deutschlandfunk die Vorwürfe zurück, räumte aber ein, Honderich seien bei seiner Auseinandersetzung mit der Situation in Israel möglicherweise methodische Fehler unterlaufen: "Er unterscheidet seine politische Bewertung des palästinensischen Terrors nicht von dessen moralischer Rechtfertigung." Einen Anlass für einen Auslieferungsstopp sehe er nicht, sagte Berg.
Mittwoch, 6. August 2003
Mit einem Aktionstag gegen Abschiebung und Abschiebehaft wollen Flüchtlingsinitiativen am 30. August in Berlin auf die Situation abgelehnter Asylbewerber aufmerksam machen. Geplant sind eine Kundgebung, Straßentheater und ein "Antirassistisches Radio". Vor der Abschiebehaftanstalt Berlin-Köpenick sollen zudem solidarische Grußbotschaften an die etwa 300 Inhaftierten verlesen werden. Der Aktionstag soll an das Schicksal von drei Asylbewerbern erinnern, die jeweils am 30. August der Jahre 1983, 1999 und 2000 ums Leben kamen. Vor 20 Jahren starb der Türke Kemal Altun durch einen Sprung aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts in Westberlin. 1999 erlitt Rachid Sbaai in einer Arrestzelle im Abschiebegewahrsam Büren in Nordrhein-Westfalen tödliche Verbrennungen. Ein Jahr später stürzte der Mongole Altankhou Dagwasoundels bei einem Fluchtversuch aus der Abschiebehaft Berlin zu Tode. Zu den Aktionen haben die Antirassistische Initiative und die Initiative gegen Abschiebehaft in Berlin aufgerufen. "EPD
Mittwoch, 6. August 2003
KÖLN taz An die Zeltstadt des 6. Antirassistischen Grenzcamps am Kölner Rheinufer - mitsamt Bar, Erste-Hilfe-Zelt und Gartenschlauchduschen - haben sich die Anwohner mittlerweile gewöhnt. Nur die Jogger, die auf ihrer Rennstrecke am Uferweg durch ein Doppelspalier von Polizeibeamten laufen mussten, waren irritiert. "Wir sind nicht gefährlich, aber bissig", schallte es ihnen aus einem Lautsprecherwagen inmitten einer 200-köpfigen Menschenmenge am Ende des Polizeiaufgebots entgegen.
"Demonstrieren, provozieren und irritieren" wollen die Organisatoren noch bis zum Sonntag in Köln, unter dem Motto "out of control". Um gegen rassistische Ausgrenzung und die Abschottungspolitik der EU zu demonstrieren, müsse man nicht wie in den Vorjahren in die Grenzregionen Deutschlands fahren, fügt Mitorganisatorin Uschi Volz hinzu. Im Visier der Antirassisten stehen "Abschiebeprofiteure" wie die Chartergesellschaft LTU in Düsseldorf und das Bonner Büro der International Organisation for Migration (IOM).
Der IOM werfen antirassistische Gruppen vor, als "Helfershelfer" staatlicher Behörden in Westeuropa, Nordamerika und Australien "gefängnisartige Flüchtlingslager" zu betreiben und durch unlautere Methoden so genannte "Rückführungen" zu forcieren. "Fantasievolle Aktionen" soll es auch gegen die alltäglichen Polizeikontrollen von Menschen "erkennbar nichtdeutscher Herkunft" geben.
Doch vor Beginn der Aktionswoche stand die Theorie: In einem zweitägigen Forum an der Fachhochschule Deutz wurde "Antirassismus ausbuchstabiert": Im Mittelpunkt stand der Paradigmenwechsel antirassistischer Diskurse: Flüchtlinge nicht länger als bloße Opfer zu sehen, sondern sie "als selbstbewusst um ihr Überleben und ihre Vorstellungen von Sicherheit und eigenem Schicksal kämpfende Individuen" wahrzunehmen, so eine Diskutantin. Dazu kamen erste Annäherungsversuche zwischen den rund 600 Campteilnehmern und Einheimischen im Stadtteil Poll - einem Brennpunkt harter Auseinandersetzungen: Gegen zwei Flüchtlingsschiffe am Rhein, auf denen die Stadt Köln hunderte Asylsuchende eingepfercht hat, und gegen ein Flüchtlingsheim, in dem überwiegend Roma-Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien leben, laufen organisierte Neonazis und Anwohnerinitiativen gleichermaßen Sturm.
Entsprechend lautstark ging es zu beim "antirassistischen Stadtteilspaziergang", als Vertreter der Bürgerinitiative gegen das Roma-Flüchtlingsheim - "wir wollen keine kriminellen Ausländer" - eine Diskussion mit den Antirassisten - "wir wollen keine rassistischen Stereotypen" - führten. Im Flüchtlingsheim dagegen gab es Kaffee und Tee für die Besucher. Duran S. (Name geändert) zeigt seine Duldung: Bis September gilt sie, alle drei Monate muss der 41-jährige Rom zur Ausländerbehörde und um eine neue Duldung betteln.
Am Ende des Gesprächs ziehen die Antirassisten weiter zu den Flüchtlingsschiffen, vor denen sich 15 Neonazis von "Pro Köln" zum Protest "gegen das Chaotenlager" aufgebaut haben. Doch die rechte Botschaft verpufft einfach hinter der Menge der Gegendemonstranten, und die Camper zeigen sich zufrieden: "Wir werden in dieser Woche den Widerspruch zwischen den weltoffenen Image von Köln und dem rassistischen Alltag deutlich machen." " HEIKE KLEFFNER
Mittwoch, 6. August 2003
Das Haus der Demokratie und Menschenrechte zeigt ab heute eine Ausstellung über die Berliner Widerstandsgruppe "Rote Kapelle". In der Ausstellung im Robert-Havemann-Saal wird ein Porträt der Gruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen in Fotografien und Selbstzeugnissen gezeichnet. "Rote Kapelle" nannte die Gestapo verschiedene Gruppen des antifaschistischen Widerstandes in Deutschland und Westeuropa. Die Berliner Sektion wurden im Spätsommer und Herbst 1942 zerschlagen. Nach Angaben der Veranstalter wurden insgesamt 49 Mitglieder hingerichtet. Die Ausstellung "Rote Kapelle" ist im Sommer 1992 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand erarbeitet worden. Sie soll eine neue Sicht auf die in der deutschen Nachkriegsgeschichte eher umstrittene Widerstandsorganisation vermitteln. Im Mittelpunkt stehen Biografien von Mitgliedern der Gruppe. Am 2. September spricht Hans Coppi, dessen Vater und Mutter damals hingerichtet wurden, über "Widerstand im Widerstreit: Die rote Kapelle". "DDP
Mittwoch, 6. August 2003
Umstrittene Zeitschrift gegen rechts |
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Stralsund (OZ) Ein ungewöhnliches und zugleich umstrittenes
Zeitschriften-Projekt ist von Stralsund aus auf den Weg gebracht worden. FF.REX
heißt das Schwarz-Weiß-Heft, das vor allem junge Leute anregen soll, sich mit
offenem und latentem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, so Projektleiter
Andreas Küstermann.
Als Untertitel
erscheint auf der Titelseite der ersten Ausgabe: „Zeitschrift gegen Rassismus
mit Meinungsfreiheiten!“. Auch wenn das recht holprig klingt, kann das Anliegen
nur löblich sein. Und so hat das Projekt zu Recht öffentliche Gelder erhalten.
FF.REX wird durch die Produktionsschulen Zarrendorf unterstützt, die sich in
Vorpommern und Rostock in der Jugendsozialarbeit engagieren. In guter Absicht
also fertigten die Jugendlichen das 16-seitige Heft, das zunächst in einer
2000-er Auflage in Vorpommern und Rostock vorwiegend an Vereine kostenlos
verteilt wurde.
Doch die gute
Absicht allein reicht offenbar nicht, denn das Druckwerk erscheint noch stark
überarbeitungsbedürftig und zum Teil missverständlich. Während einiges nur
ungeschickt wirkt – z. B. langatmige Definitionen und ein
erklärungsbedürftiges Dokument des Verfassungsschutzes – , ist der
Abdruck von Feiertagen der rechten Szene und eines makaberen Witzes über Juden
stark diskussionswürdig. Die braunen Feiertage stehen gänzlich unkommentiert im
Heft. Und unter dem Witz wird mit dem nebulösen Bildtext „Auf den Straßen von
Stralsund . . .“ suggeriert, dass sich in der Sundstadt öffentlich
Antisemitismus breit macht. Der Leser wird in dem Glauben gelassen, was da an
der Litfasssäule klebt, stamme von ganz üblen Zeitgenossen. Das ist bewusste
Irreführung.
Auf Nachfrage
bei Andreas Küstermann erfährt man, dass der gemeine Spruch aus der Nazi-
Zeit Bestandteil einer
provozierenden Plakataktion der Theatergruppe „STiC-er“ war. Er stammt aus
George Taboris antifaschistischem Schauspiel „Jubiläum“. Die jungen Stralsunder
Laien-Darsteller wollten im März dieses Jahres mit plakatierten Zitaten aus dem
Stück auf ihre Premiere von „Jubiläum“ aufmerksam machen.
Die Theatermacher
sind über die Darstellung in FF.REX empört. Der Leiter Axel Zühlsdorf spricht
von Unprofessionalität. Es sei „skandalös“, dass damit die Theatertruppe in
eine rechte Ecke geschoben werde.
Dem neuen
Jugendprojekt hätte eine Diskussion um gewagte Theaterwerbung, über das
Schauspiel, seine Aufnahme in Stralsund und den möglicherweise vorhandenen
latenten Antisemitismus besser zu Gesicht gestanden. Übelster Nazi-Jargon und
braune Termin-Datei – das kann leicht ein Eigenleben entwickeln. Weit
entfernt von der Absicht, gegen rechtes Gedankengut wirken zu wollen. Die
kleine Redaktion um Journalist Küstermann scheint gut beraten, vor dem
Erscheinen des nächsten Heftes – es soll sich mit Filmen zum Thema
Rechtsextremismus beschäftigen – erst einmal in Klausur darüber zu
gehen, wer als Leser angesprochen werden soll, und was man überhaupt und warum
vermitteln möchte.
B.
HENDRICH
Dienstag, 5. August 2003
„Ofenmörder“ erneut vor Gericht |
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Bremen (dpa) Die im März im Aufsehen erregenden
Rostocker Ofenmordprozess verurteilten beiden Männer stehen seit gestern in
Bremen wegen zweier anderer Morde erneut vor Gericht. Die Anklage wirft den 31
und 32 Jahre alten gebürtigen Bremern vor, im Dezember 1995 im
nordrhein-westfälischen Oelde einen nepalesischen Asylbewerber und gut drei
Monate später in Bremen einen Bekannten umgebracht zu haben.
Laut Anklage
soll der in Rostock wegen Mordes an einer Frau zu lebenslanger Haft verurteilte
31-Jährige den Nepalesen getötet haben. Als Tatmotive werden Eifersucht und
Fremdenfeindlichkeit angenommen. Der 32-Jährige, der im Ofenmordprozess wegen
Beihilfe zum Totschlag zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, erschoss nach
Auffassung der Staatsanwaltschaft das zweite Opfer in Bremen. Motiv sei Habgier
gewesen. Geplant hätten das Verbrechen beide Angeklagten.
Der in Bremen
Ermordete hatte laut Anklage eine mit gut 1,2 Millionen Euro dotierte
Lebensversicherung zu Gunsten des 31-Jährigen abgeschlossen. Ein Teil der Summe
wurde ausgezahlt.
Beim „Ofenmord“
hatten die Täter eine Freundin zerstückelt. Der Versuch, sie in einem eigens
dafür gebauten mobilen Ofen vollständig zu verbrennen, misslang jedoch.
Mittwoch, 6. August 2003
Chronik Nationaler Jugendblock Zittau
1991 gründet sich der
NJB in Zittau. Seit 2001 verhandeln NJB und Stadt über einen
Erbbaupachtvertrag.
2.3.2002 Der NJB
veranstaltet ein Skinhead-Konzert, an dem 120 Rechtsextremisten teilnehmen.
27.4.2002 Demo des
NJB durch Zittau unter dem Motto „Gleiches Recht für alle, NJB gleich Südstraße
8“, rund 130 Teilnehmer. Im Anschluss findet Party in der Südstraße 8 statt.
20.6.2002 Der
Zittauer Stadtrat votiert mehrheitlich für einen Erbbaupachtvertrag mit dem
NJB.
6.7. 2002
Holger-Müller-Gedenkmarsch (70 statt erwarteter 400 Teilnehmer).
20.7.2002
Skinhead-Party mit 120 Rechtsextremisten. Parolen wie „Sieg Heil“ und „Ruhm und
Ehre der Waffen-SS“ werden skandiert.
27.7.2002 Die Polizei
findet bei der Durchsuchung der Südstraße Luftdruckwaffen, Gaspistolen,
Schlagring, Eisenstangen und einen Schießstand.
22.8.2002 Stadtrat
entscheidet, der NJB muss die Südstraße verlassen.
Ende September 2002
Die Südstraße steht leer.
Mittwoch, 6. August 2003
Kurt Tucholskys Feststellung, wonach Satire alles dürfe, ist kein Qualitätssiegel. Offen bleibt im jeweiligen Fall, wie geschmackvoll eine satirische Darstellung ist und was sie bezweckt. So zielte Titanic vor einem Jahr auf die Kampagnen Jürgen Möllemanns, als sie ein Titelbild mit der Frage »War Hitler Antisemit?« veröffentlichte und Parodien auf FDP-Plakate mit dem Slogan: »Judenfrei und Spaß dabei.«
Ein völlig anderes Interesse verfolgt eine so genannte Bin-Laden-Crew mit ihrem Internetauftritt. Männer mit umgehängten Bärten posieren in einer Höhle. Das Setting ist den Videobotschaften Ussama bin Ladens nachempfunden. Über die Homepage werden T-Shirts mit der Aufschrift »Schläfer« vertrieben, und es wird die Burka-Pflicht gefordert.
Ein Agent namens Tante Horst berichtet von einem Atomtest im Kölner Untergrund und dem ersten Weltraumflug der Bin-Laden-Crew, die darüber streitet, ob der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mit Schweinekopfsülze gefeiert werden darf. Der Leser erfährt, dass der US-Geheimdienst die abgestürzte Raumfähre Columbia direkt in den Berliner Reichstag leiten wollte, aber der Fernsehturm in der Einflugschneise stand. Eine als Satire betitelte Rubrik enthält allerlei Karikaturen; eine basiert auf dem rassistischen Stereotyp, Polen seien Autodiebe. Ein US-Soldat im Irak sucht in der Wüste seinen Panzer, die Überschrift lautet: »Die polnischen Truppen sind im Irak angekommen.«
Fotos sollen Auftritte der Crew und ihrer Schläfertruppe in Berlin bei der Hateparade, der Demo »Mehr Krieg für alle« am 14. Februar sowie bei einem Beachvolleyballturnier dokumentieren. Gerne zeigt man sich in militärischer Pose mit Sturmhauben.
Die »sachlichen« Beiträge bezichtigen die US-Regierung, vorab über die Anschläge vom 11. September 2001 informiert gewesen zu sein. Die Attentate würden genutzt, um die Weltherrschaft zu erringen. Genauso habe Präsident Franklin D. Roosevelt einst über den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor Bescheid gewusst, ja diesen sogar provoziert, um eine friedlich gestimmte Bevölkerung in den Krieg zu treiben.
Solche Verschwörungstheorien funktionieren auch deshalb, weil sie einige Körnchen Wahrheit enthalten. Zu Recht kann die Bin-Laden-Crew darauf hinweisen, dass es die US-Regierung war, die in den achtziger Jahren die Mudjahedin und bin Laden im Kampf gegen die Sowjetunion aufgebaut hat.
Zum ersten Jahrestag des 11. September schreibt die Crew, es sei »höchste Zeit für einen expliziten Anti-Bushismus, bevor dieser Neo-Nero den Rest der Welt in Brand setzt«. Dabei stützt sie sich auf nicht näher benannte Ungereimtheiten in der offiziellen Tatversion und gelangt zu dem Ergebnis: »Wir glaubten (von Anfang an) an die Unschuld bin Ladens! Inzwischen erkennen immer mehr Menschen die nicht zu übersehenden ›offiziellen‹ Lügen und Intrigen, so dass auch wir stetig mehr Zuspruch bekommen.« Das ist leider weder Satire noch Übertreibung. Umfragen zufolge glaubt fast ein Fünftel der Deutschen, dass die US-Regierung die Anschläge selbst in Auftrag gegeben habe.
Von der Internetseite der Bin-Laden-Crew führt ein Link zu der Seite elfterseptember.info, wo behauptet wird, es habe sich bei den damaligen Anschlägen um eine verdeckte Operation der US-Geheimdienste mit modernsten Waffen, kombiniert mit Videomanipulationen, gehandelt. Als Zeuge wird der US-Sektenführer Lyndon LaRouche angeführt, dessen Glaubwürdigkeit durch die Bezeichnung »mehrfacher US-Präsidentschaftskandidat und brillanter Ökonom« erhöht werden soll. Verwiesen wird auch auf die Wochenzeitschrift Neue Solidarität der deutschen LaRouche-Fans von der rechten Bürgerbewegung Solidarität.
Als weitere Referenzen sind Gerhard Wisnewski und sein verschwörungstheoretischer Beitrag im WDR sowie die Konferenz »Der inszenierte Terrorismus« in Berlin aufgeführt. (Jungle World, 29/03)
Auf der Internetseite wird spekuliert, ob der Mossad Jürgen Möllemann ermordet habe. Geworben wird für Bücher wie »Allah ist ganz anders« von Sigrid Hunke sowie »Der multidimensionale Kosmos« von Armin Reis, der über Astralwelten, Außerirdische und Logen spekuliert. Die Seite schließt mit einem Zitat des Gurus Sri Aurobindo über die Verderbtheit der Welt: »Die Welt ist eine verwundete Giftschlange, die sich ihrer vorbestimmten Häutung und Vollkommenheit entgegenwindet. Warte geduldig, denn es handelt sich um einen göttlichen Wettkampf; und aus dieser Niedrigkeit wird Gott auftauchen, leuchtend und triumphierend.«
Aurobindo passt gut in diese Szene aus paranoiden Esoterikern, Antiimps, Ufologen und Nazis. In dem Werk »Zyklus der menschlichen Entwicklung« preist der Guru die Deutschen als »höchste nordische Rasse« und lobt den Vernichtungskrieg der Nazis als Weg zur Vollkommenheit, auf dem seiner Ansicht nach minderwertige Afrikaner, Asiaten sowie die »lateinische Rasse« ausgemerzt werden sollten.
Die Bin-Laden-Crew jedenfalls lässt keinen Zweifel daran, wer im göttlichen Wettkampf die Niedrigkeit verkörpert. Sie fordert »Freiheit für Palästina, Schluss mit dem israelischen Terror« und zeigt allerlei Fotos, die jüdischen Staatsterror belegen sollen, sogar jüdische Kinder würden sich daran beteiligen. Ein Link führt zur britischen Kampagne, die einen völligen ökonomischen, akademischen, kulturellen, sportlichen und touristischen Boykott Israels verficht und darüber hinaus dazu auffordert, nicht bei Firmen zu kaufen, die die »zionistische Entität« unterstützen.
Im Gästebuch der Bin-Laden-Crew schrieb jemand: »Good jews are hot jews«, also sinngemäß: »Gute Juden sind brennende Juden.« Die Crew merkte dazu an: »Good jews??«
Die Nazis aus »Neu-Schwabenland« dankten im Gästebuch für solche Judenwitze. Sie glauben an »Reichs-Flugscheiben«, die die geflohene NS-Führung im Erdinneren unter dem antarktischen Neu-Schwabenland entwickle, um die USA und Israel eines Tages zu zerstören. »Der Sieg ist unser«, meldeten sie. Um einem solchen Sieg zumindest näher zu kommen, ist die von der Bin-Laden-Crew gepflegte Satire im Unterschied zu fliegenden Nazi-Untertassen eine gefährliche Waffe.
Mittwoch, 6. August 2003
Eine 38jährige Afrikanerin wurde am 28. Juli in Potsdam (Brandenburg) von einem 21jährigen Neonazi angegriffen. Nach Angaben der Berliner Zeitung schlug der Täter der an einer Bushaltestelle wartenden Frau ins Gesicht und beschimpfte sie. Die Beamten konnten ihn kurze Zeit später festnehmen. Ebenfalls am 28. Juli beleidigten und bedrohten mehrere Rechtsextremisten einen Inder in Prenzlau (Brandenburg), berichtete die Berliner Zeitung. Weil einer von ihnen der Polizei bereits als rechter Gewalttäter bekannt gewesen sei, konnte sie den 26jährigen Berliner festnehmen. In der KZ-Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt (Sachsen-Anhalt) brachten Unbekannte zehn Plakate mit antisemitischer Hetze an. Am 27. Juli fanden BesucherInnen des ehemaligen Außenkommandos des Konzentrationslagers Buchenwald die Zeitungskopien aus NS-Zeiten, entfernten sie und übergaben sie an die Verantwortlichen der Gedenkstätte. Sechs Neonazis verletzten am 26. Juli einen Iraker in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) schwer. Auf einem Parkplatz bewarfen sie den 21jährigen Mann mit Flaschen und traten anschließend auf ihn ein. Einige der sechs Täter waren bereits vorbestraft. Gegen die zwei Hauptverdächtigen ermittelt die Polizei wegen gefährlicher Körperverletzung. Ein 33jähriger Türke zündete sich aus Verzweiflung am 24. Juli im Ausländeramt Rheda-Wiedenbrück (Nordrhein-Westfalen) an. Am Tag zuvor hatte er von der Ablehnung seines Asylantrages erfahren. Nach Polizeiangaben sei der Mann mit seiner Frau und den fünf Kindern auf dem Amt gewesen. Die Frau erlitt einen Schock. Der türkische Asylbewerber musste mit schweren Verbrennungen in eine Spezialklinik eingewiesen werden. In der Nacht zum 24. Juli verübten mehrere Unbekannte einen Brandanschlag auf Sinti und Roma in Tirschenreuth (Bayern). Wie die Zeitung Der Neue Tag berichtete, schleuderten die Täter drei Molotowcocktails auf die Wohnwagen der 20köpfigen Familie. Zwei Brandsätze seien nach Polizeiangaben 25 Meter davor entflammt, ein dritter sei erloschen. Unmittelbar neben den Wagen hatte die Familie die Gasflaschen für ihre Herde gestellt. Die Täter entkamen mit dem Auto. Ein Rechtsextremist griff in der Nacht zum 20.Juli zwei dunkelhäutige Männer in einem Regionalzug von Plüderhausen nach Waiblingen (Baden-Württemberg) an. Die Stuttgarter Zeitung berichtete, dass der 19jährige zunächst einen der beiden Männer beschimpft und dann auf den anderen eingeschlagen habe. Der 17jährige Khaled M. wurde am 14. Juli von zwei jugendlichen Neonazis im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen beschimpft und zusammengeschlagen. »Wenn wir dich das nächste Mal sehen, bringen wir dich um«, drohten sie ihm. Als Khaled M. versuchte zu fliehen, traten sie auf ihn ein. Einer der Gewalttäter schlug ihm mit einer Pistole auf den Hinterkopf. Die Verletzung am Kopf musste genäht werden. Die Polizei nahm die Rechtsextremen fest. cs