Mittwoch, 24. September 2003
von HEIKE
KLEFFNER
Nachdem die Polizei am vergangenen Samstag die jährliche "Geburtstagsfeier" der Neonazi-Rockergruppe Vandalen in Treptow-Köpenick mit rund 150 szenebekannten Gästen auflöste, fühlt sich die Belegschaft der Gaststätte Sportcasino Eiche im Stich gelassen.
"Die Polizei hätte uns vorher informieren sollen", sagt ein Mitarbeiter. Schließlich sei man von den Anmeldern bewusst getäuscht worden. Ein Mitglied der Vandalen, der polizeibekannte Matthias G., habe beim Anmieten der Räumlichkeiten den Organisationsnamen "Motorradsportclub Vandalen" angegeben. Die Neonazis haben offensichtlich mit einem Polizeieinsatz gerechnet. Gegenüber den Mitarbeitern der Gaststätte hatten sie erklärt, dass die Feier eventuell lauter werden könne und daher vielleicht die Polizei vorbeischauen würde.
Die Gaststätte Sportcasino Eiche, die zwar an den traditionellen Arbeitersportverein TSV Eiche-Köpenick angeschlossen ist, aber vom Bezirksamt Treptow-Köpenick verpachtet wird, gilt sowohl bei Vereinen als auch bei Ortsverbänden von SPD, PDS und CDU sowie bei Motorradclubs als beliebter Treffpunkt. "Weil wir schon öfter Bikertreffen hier hatten, haben wir auch nicht weiter nachgefragt", so ein Mitarbeiter des Sportcasinos.
Enttäuscht ist man hier vor allem darüber, dass die Polizei den Pächter nicht vorher über die unerwünschten Gäste informierte. Schließlich habe man eine klar ablehnende Haltung gegenüber Rechtsextremisten. "Als die NPD-Bundesgeschäftsstelle hier nach Räumlichkeiten für eine Veranstaltung angefragt hat, haben wir denen eine deutliche Absage erteilt." In der Gaststätte glaubt man, dass die Sicherheitsbehörden vorab informiert waren. Denn auf dem Durchsuchungsbefehl sei schon die Jahreshauptversammlung der "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft" zum 21. Gründungstag der Neonazigruppe als Grund eingetragen gewesen.
Das Bezirksamt Treptow-Köpenick hat unterdessen angekündigt, für die Pächter von bezirkseigenen Versammlungsräumen eine Liste sowohl von rechts- als auch linksextremistischen Gruppierungen und deren Hintermännern zusammenzu stellen. Wie die Liste konkret aussehen soll, steht allerdings noch nicht fest. Am Dienstag nächster Woche wollen die Stadträte über Details beraten, mit der Liste ist frühestens im Oktober zu rechnen. Diese Liste ginge auch an Versammlungsorte wie Jugendclubs, welche insbesondere in Treptow seit längerem Ziel rechtsextremer Unterwanderungsversuche sind.
Ein juristisches Nachspiel hat das aufgelöste Vandalen-Treffen in jedem Fall. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt wegen Verdachts des Geheimnisverrats gegen unbekannt. Anlass sei, so Justizspressesprecher Björn Retzlaff, dass einer der rechten Teilnehmer behauptet hatte, schon 45 Minuten vor dem Einsatz der 370 Polizeibeamten einen Telefonanruf erhalten zu haben, in dem er vor einer Razzia gewarnt worden sei.
"Wir müssen dem nachgehen, weil das nicht sein darf", so Retzlaff. Sollte sich die Behauptung als unwahr herausstellen, könne allerdings auch gegen den rechten Besucher wegen "Vortäuschung einer Straftat" ermittelt werden.
Mittwoch, 24. September 2003
Bremen Von der Hastedter Heerstraße zweigt ein schmaler Weg ab. "Zu den vier Linden" heißt er und führt, vorbei an ein paar Wohnblocks und einer Kette bescheidener Reihenhäuser, auf die Fleetrade und von hier in die Deichbruchstraße. Dort liegt, unauffällig hinter einem schmiedeeisernen Eingangstor inmitten einer Häuserzeile, seit 1796 der Jüdische Friedhof - bis heute der einzige in Bremen. Keine hundert Meter von ihm entfernt prangen seit kurzem auf Stromkästen, Zigarettenautomaten und Hauswänden "Juden Raus"-Schriftzüge. NPD-Aufkleber und Republikaner-Sprüche kleben daneben, sofern sie nicht von Hastedter Antifaschisten überklebt wurden. "Das Problem ist: Außer uns scheint das hier niemanden zu interessieren", klagt der 25-jährige Geschichtsstudent Tobias Helfst.
Zusammen mit anderen jungen Leuten hat er versucht, Bürger und Institutionen im Osten Bremens auf die antisemitischen Parolen aufmerksam zu machen. Helfst wohnt wie sein Mitstreiter Julian Komar (18) mitten in Hastedt, einem kleinbürgerlich geprägten Quartier hinter der Georg-Bitter-Trasse. Mit Besorgnis registrieren sie, dass immer neue rechtsradikale Schmierereien auftauchen. "Wenn das ein paar durchziehende Nazis gewesen wären, würden die Sprüche und Hakenkreuze nicht ständig aktualisiert werden", ist Komar sich sicher. Einig sind sie sich auch darin, dass es sich um ein relativ neues Phänomen in Hastedt handelt. Zwar sitzt im Hemelinger Beirat, der für Hastedt mit zuständig ist, auch ein Abgeordneter der Schill-Partei, ansonsten aber sind in dem von kleinen Reihenhäusern geprägten, an manchen Ecken dörflich wirkenden Viertel Rote und Grüne tonangebend.
"Wir haben Fotos von dem Geschmiere und E-Mails an Hans und Franz geschickt - aber keine Reaktion gekriegt", so die 16-jährige Schülerin Helke Diers, die frustriert ist, dass ein "Bündnis gegen rechts" dort nicht zustande kommt. Auch der Hemelinger Beirat hüllt sich bis dato in Schweigen. Ein Umstand, der umso mehr verwundert, als zwei Elternteile der Jugendlichen selbst für die SPD beziehungsweise für die Grünen im Beirat sitzen. Der Ortsamtsleiter Uwe Höft (SPD) jedenfalls will von der ganzen Angelegenheit noch nichts gehört haben: "Ich selbst weiß nichts davon, und bislang hat sich auch kein Beiratsmitglied dazu geäußert". "Kann nicht sein", halten die Jugendlichen dagegen, die eher vermuten, dass ihre Hinweise ignoriert werden, weil sie unter dem Namen ,solid - sozialistische Jugend' gesendet werden. "Aber selbst wenn man da Reflexe hat, sollte man bei einem solchen Thema über seinen Schatten springen", findet Helfst.
Der Sprecher der CDU-Beiratsfraktion, Andreas Hipp, dem, wie er sagt, "der Vorgang bekannt ist", will das Thema auf der nächsten Fraktionssitzung einbringen. Er finde es "natürlich erschreckend, dass diese Klientel das genau in dieser Gegend macht", und spielt damit nicht nur auf den jüdischen Friedhof, sondern auch auf das Flüchtlingswohnheim in der Fährstraße an.
Ortsamtsleiter Höft will einer Beschäftigung mit dem Thema ebenfalls nicht im Wege stehen. Mehr als bürokratische Vorgehensweisen kommen ihm allerdings zunächst nicht in den Sinn: "Die Frage wäre, wen man mobilisieren könnte, um das hier zu beseitigen." Gerade wenn es sich um Schmierereien auf Privathäusern handele, sei das unter Umständen langwierig. Was die Täter anginge, so müsse man sich bei der Polizei erkundigen, "aus welcher Ecke das kommt".
Die "Ecke" war erst vor kurzem auf der Tagesordnung des niedersächsischen Verfassungsschutzes. In der rechtsextremen Szene verschärft sich nach dessen Beobachtungen der Antisemitismus seit einiger Zeit. "Er wird immer mehr in den Mittelpunkt der Propaganda gerückt. Früher war es der Türke, heute ist es der Jude", so der Sprecher des niedersächsischen Verfassungsschutzes Rüdiger Hesse - in seinen Augen eine "ganz gefährliche Entwicklung".
"Elke Heyduck
Mittwoch, 24. September 2003
Von S. Flatau und R. Finke
Bürgermeister Klaus Ulbricht (SPD) will verhindern, dass noch einmal Räume, die dem Bezirk Treptow-Köpenick gehören, an Neonazis vermietet werden. "Wir werden all unseren Pächtern eine Indexliste mit rechts- und linksradikalen Gruppen aushändigen", sagt der Rathauschef. Am vergangenen Sonnabend hatte es eine Polizeirazzia im bezirkseigenen Sportcasino "Eiche" in Köpenick gegeben, als sich dort die Neonazi-Gruppe "Vandalen" traf.
Die Indexliste werde dem Verfassungsschutzbericht 2002 entnommen, so Ulbricht. Mit dem Pächter des Sportcasinos soll es ein Gespräch über den Vorfall geben. Außerdem prüfe der Bezirk, ob seine Verträge mit Sportvereinen und gastronomischen Einrichtungen nachgebessert werden könnten. "Wir wollen als Vermieter die Möglichkeit haben zu kündigen, wenn sich radikale Organisationen in unseren Räumen treffen."
Von "Blauäugigkeit" spricht ein Angestellter des Casinos. "Keiner von uns hat geahnt, dass es sich um Neonazis handelt. Die "Vandalen' haben sich als Motorradclub vorgestellt", sagt er und betont, dass Wirt und Mitarbeiter "ganz weit weg von rechts" und rechten Ideologien stünden.
Unterdessen untersucht die Staatsanwaltschaft, ob die Razzia am Sonnabend möglicherweise verraten worden ist. "Wir ermitteln wegen des Verdachtes des Geheimnisverrates", bestätigte gestern Justizsprecher Björn Retzlaff. Einer der Anwesenden auf der Neonazi-Feier hatte während der Aktion gegenüber einem Staatsanwalt geäußert, er sei von der Razzia nicht überrascht. Jemand habe ihn schließlich 45 Minuten zuvor telefonisch darüber informiert. "Damit sind wir verpflichtet, die Ermittlungen einzuleiten, zumal der Betreffende mit seinen Angaben suggeriert hat, der Einsatz sei von einem Polizisten verraten worden", berichtete Retzlaff.
Zurzeit richten sich die Ermittlungen gegen Unbekannt. Einen Verdächtigen gibt es nicht. Nicht ausgeschlossen wird aber auch, dass sich der Hinweisgeber nur wichtig machen wollte. Nach Justizangaben soll er noch während der Razzia gesagt haben, seine Äußerungen über den Verrat seien "nur ein Scherz" gewesen. In diesem Fall müsste er selbst mit einem Verfahren wegen Vortäuschens einer Straftat rechnen. Wirklich überrascht dürften die "Vandalen" vom Erscheinen der Polizei bei ihrer Feier ohnehin nicht gewesen sein, da die Behörden in den vergangenen Jahren bei jeder Gründungsfeier der Gruppierung erschienen sind.
Mittwoch, 24. September 2003
Ein in Biesdorf wohnender Schwarzafrikaner ist Montag gegen 22.50 Uhr das Opfer eines fremdenfeindlichen Übergriffs geworden. Als Täter wurden ebenfalls Ausländer festgenommen.
Eine Gruppe von sechs Männern hatte den 28-Jährigen nach seinen Angaben an der Ecke Rhin- und Seddiner Straße in Lichtenberg ohne Grund angegriffen. Er wurde zu Boden gestoßen, die Angreifer traten gegen seinen Oberkörper und in den Magen. Dabei brüllten die Peiniger, er solle nach Afrika zurückgehen.
Dann flüchteten die Täter. Die Polizei nahm vier betrunkene Verdächtige im Alter zwischen 19 und 33 Jahren fest. Drei sind Aserbaidschaner, der vierte ein in Kasachstan geborener Deutscher. Gegen die Festgenommenen und ihre Mittäter ermittelt der Polizeiliche Staatsschutz. Der 28-Jährige klagte über Bauch- und Kopfschmerzen und wurde im Krankenhaus ambulant behandelt.
Mittwoch, 24. September 2003
Ein-Leben in unserer Stadt
Vom 27. September bis 4. Oktober „Interkulturelle Tage“ in
Dresden
Von Monika Dänhardt
Die
Ausländerbeauftragte der Stadt Dresden, Maria Schieferdecker-Adolf, spricht von
zehn Überfällen auf Ausländer in diesem Jahr, bei denen diese verletzt wurden. Doch
Ausländerfeindlichkeit äußert sich nicht nur durch Gewalt. Sie beginnt schon
dort, wo sie allein gelassen und ausgegrenzt werden. Nabil Yacoub vom
Ausländerrat stellt eine Zahl in den Raum: „Während wir in dieser Stadt bei
deutschen Bürgern eine Arbeitslosenquote von 13 bis 15 Prozent registrieren,
liegt sie bei Ausländern bei fast 37 Prozent.“ Dies hat mit Berührungsängsten
zu tun, Sprachbarrieren, Unkenntnis, Fremdheit – auf Behörden und beim
einzelnen Bürger. Und er nennt noch einen Fakt: Obwohl die Zahl der Zuwanderer
von 2,3 auf 3,5 Prozent gestiegen ist, wurden die Fördergelder für
Integrationsprogramme um 40 Prozent gesenkt. In diesem Zusammenhang kommt einer
Aktion wie den Interkulturellen Tagen eine besondere Bedeutung zu. In diesem
Jahr finden sie in Dresden vom 27. September bis 4. Oktober statt und stehen
bundesweit unter dem Thema „Integrieren statt ignorieren“.
Nicht auf Gesetz
warten
Diesmal, die Tage
finden in Dresden schon zum 13. Mal statt, bieten 57 Veranstalter über 60
thematisch breit gefächerte Aktionen an. Das reicht vom traditionellen
Straßenfest auf der Schloßstraße am 27. September 14 bis 18 Uhr, über
Begegnungs- und Informationsveranstaltung bis zum international besetzten
Fußballspiel (28. September, 10 Uhr auf dem Sportplatz August-Bebel-Straße). Es
gibt Märchenstunden, Kulturprogramme und Ausstellungen wie „Kinder hinter
Gittern“ (22. 9. bis 10. 10. in der Dreikönigskirche) und „Wie fern ist
Palästina?“ (22. 9. bis 22. 10. im Rathaus, Foyer Goldene Pforte). Das
Asylbewerberheim auf der Gottfried-Keller-Straße lädt zum „Tag der offenen
Tür“. So können Bürger hier das Leben und die Probleme in einem
Übergangswohnheim kennen lernen. „Wir wollen mit diesen Tagen Bürger und
Politiker für das Thema Integration sensibilisieren“, sagt Nabil Yacoub. Er
hofft, dass manche Entscheidung dann nicht erst von der Verabschiedung des
Zuwanderungsgesetz abhängig gemacht würde.
Das vollständige
Programm unter www.dresden.de unter dem Link Kultur und Sport
Mittwoch, 24. September 2003
Flexibles Demokratieverständnis
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Berliner Innensenator Körting (SPD)
diskutierte mit Neonazis darüber, wie weit Rechte gehen dürfen
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Hannes
Heine |
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Der
»Kulturverein Brücke 7 e.V.« im Berliner Stadtbezirk Treptow hat sich wieder einmal
ins Gespräch gebracht. In der vergangenen Woche hatte er ein Streitgespräch
zum Thema »Rechts und Links – wieviel verträgt unsere Demokratie?«
organisiert. Mit dem Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte ein
prominenter Podiumsgast sein Kommen versprochen. Seine Diskussionspartner
waren neben dem Vereinsvorsitzenden Claus Bubolz Vertreter der Polizei, der
Treptower Antifa Gruppe (TAG) – und der überregional aktiven »Kameradschaft
Tor«. Körting hatte nach linken Protesten gegen die gleichberechtigte
Teilnahme von Neonazis an der Diskussion sein Erscheinen zunächst abgesagt.
Die rhetorische Eingangsfrage war schnell beantwortet. Rechts? Links?
Einerlei – alles Extremismus. Daß das Motto der
Veranstaltung entsprechendes Publikum anziehen würde, war abzusehen. Nicht
umsonst nimmt die große Koalition der Mitte jede Gelegenheit wahr, radikale
Linke und bekennende Nazis als gleichwertige Übel darzustellen. Gleichzeitig
hatte der Podiumsgast Carsten Wilke, der für die CDU im Berliner
Abgeordnetenhaus sitzt, mit den Nazis drinnen und draußen offenbar kein
Problem. Die TAG hatte schon vor
Monaten auf die Politik des Kulturvereins aufmerksam gemacht: Am 9. Mai fand
in den Räumlichkeiten von »Brücke 7« eine Podiumsdiskussion zum Thema »Wie
national dürfen unsere Parteien und Randgruppen sein?« statt. Die
NPD-Spitzenfunktionäre Jörg Hähnel und René Bethage plauschten ausgelassen
mit den Gästen. Um dem Vorwurf zu entgehen, sein Verein sei ein
rechtsradikales Sammelbecken mit liberalem Anstrich, verweist der bekennende
Sozialdemokrat Bubolz gern auf das Kuratorium von »Brücke 7«. Hier finden
sich neben Literaturnobelpreisträger Günter Grass auch der Sprachforscher
Walter Jens und Ex-Kultursenator Ulrich Roloff-Momin (SPD) sowie zahlreiche
weitere SPD-Politiker. Dennoch fanden in den Räumen des Vereins bereits
mehrmals Veranstaltungen statt, bei denen die lokale Neonazijugend erfreut
feststellen konnte, daß »nationale Aktivisten stets willkommen waren«. Die
Antifa hingegen ist empört: Während der Innensenator sich im Saal der »Sorgen
und Nöten der Rechten annahm, bedrohten draußen Neonazis nichtrechte
Passanten«, so TAG-Sprecher Silvio Kurz. |
Mittwoch, 24. September 2003
Alles nur traurige Einzelfälle?
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Rechte Gewalt wird in der ehemaligen Neonazihochburg
Schwedt bis heute verharmlost
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Christoph
Schulze |
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Alles in
allem sei es »normal« in Schwedt, sagt Ivo*, wenn man ihn fragt, wie er als
alternativer Jugendlicher zurechtkommt, ob er Probleme mit Rechten hat.
Schließlich könne er sich frei bewegen, ohne Angst haben zu müssen –
zumindest in der Innenstadt, meint der 18jährige. Normalität in Schwedt,
das bedeutet über 20 Prozent Arbeitslosigkeit und mehrere Millionen Euro
kommunale Verschuldung, das bedeutet, daß ganze Wohnviertel abgerissen werden
müssen, weil so viele Schwedter die Stadt verlassen. Und das Problem mit den
Rechten existiert natürlich auch noch. Da waren in den letzten Monaten unter
anderem Infostände des neonazistischen »Märkischen Heimatschutzes«, eine
Demonstration für ein deutsches Reich in den Grenzen von 1937 und mehrere
Angriffe von Rechten auf Jugendliche und Ausländer. Trotzdem: Wer in Schwedt
herumfragt, erfährt, es sei nicht mehr so schlimm mit den Nazis. Vor zehn Jahren war das anders.
Die etwa 200köpfige Neonaziszene hatte sich unter anderem in der
»Nationalistischen Jugend Schwedt« formiert, gab Hetzschriften heraus, setzte
einen eigenen Raum in einem Jugendklub durch. Die Rechten gingen mit
ungemeiner Brutalität vor und verschafften sich so Gehör bei den Offiziellen
der Stadt. Ein Journalistenteam
wurde damals, kaum, daß es seine Kameras ausgepackt hatte, Zeuge eines
rechtsextremen Übergriffs, als ein rechter Mob mit Molotow-Cocktails und
Knüppeln eine kleine Gruppe von Linken jagte. »Wenn ich Frust habe,
zerschlage ich eine Tasse, und die Rechten, die gehen dann eben einen
aufklatschen«, sagte eine Sozialarbeiterin. Zwei Morde und ungezählte schwere
Überfalle gingen 1993 auf das Konto der Rechten. In Schwedt zeigte sich
damals besonders deutlich das Dilemma im Umgang mit dem durch die deutsche
Vereinigung katalysierten Nachwende-Neonazismus: Die Taten der Rechten wurden
verharmlost und als unpolitisch dargestellt. Die wenigen Linken wurden
dagegen von der Stadt als Störenfriede diffamiert, die das Stadtimage
beschmutzen. SPD-Bürgermeiser Peter Schauer, der auch 2003 noch im Amt ist,
beschwerte sich über eine »mediale Hetzkampagne« gegen seine Stadt. »Welcome
to Terrortown« grüßte damals ein Graffito am Stadteingang. Nach einigen Jahren
zersplitterte die Naziszene, die Gewalt ebbte ab. Doch in den letzten Monaten
kam es wieder verstärkt zu rechten Übergriffen. So wurde Anfang des Jahres
ein 21jähriger zweimal innerhalb weniger Wochen von Rechten verprügelt,
offenbar, weil er ihnen durch seine exzentrische Kleidung aufgefallen war. Im
April beschimpften und schlugen drei Männer im Skinhead-Outfit einen
Asylbewerber auf offener Straße. Und im Mai belagerten Neonazis ein
alternatives Konzert. Einen Jugendlichen, der das Konzert verließ, jagten sie
durch die halbe Stadt und verprügelten ihn anschließend. Und dann ist da noch die
Geschichte, die Jonas* passierte. Der Jugendliche saß am Abend des 20. Juli
abends allein auf einem Spielplatz. Drei Rechte sahen ihn, liefen auf ihn zu,
hielten ihn fest. Dreieinhalb Stunden lang wurde Jonas mit Tritten und
Schlägen traktiert, sein Kopf mehrfach auf eine Holzbank geschlagen, er wurde
unter Wasser gedrückt. »Du linker Anarchokunde, du bist kein echter
Deutscher«, bekam er zu hören. Reaktion der Stadtverwaltung: »Das ist ein
trauriger Einzelfall«, erklärte deren Sprecherin Ute-Corina Müller dazu
gegenüber der Presse. Von 1993 bis 1995 habe Schwedt zwar als Hochburg der
rechten Szene gegolten, doch »inzwischen werden wir im Verfassungsschutzbericht
nicht mehr so eingestuft«. * Namen geändert |
Mittwoch, 24. September 2003
Neonazi-Web-Seiten
Provider haften nur,
wenn sie Bescheid wissen
"Unwissenheit schützt vor Strafe nicht", heißt es - doch das gilt nicht
unbedingt im Internet. Ein Serviceprovider haftet für Neonazi-Seiten auf seinen
Servern nur dann, wenn er Kenntnis davon hat, entschied der Bundesgerichtshof.
Ein Internet-Provider kann für
neonazistische und volksverhetzende Inhalte von Web-Seiten nur dann haftbar
gemacht werden, wenn er davon nachweislich Kenntnis hatte. Das entschied der
Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe. Der BGH wies damit
Schmerzensgeldansprüche eines in München lebenden Klägers gegen die "1
& 1 Internet AG" zurück.
Dieser Provider soll angeblich wider
besseres Wissen von November 2000 bis Ende Februar 2001 eine von zwei
Rechtsradikalen unterhaltene Internet-Seite zur Verfügung gestellt haben.
Darauf befanden sich üble neonazistische und antisemitische Beschimpfungen
sowie Morddrohungen gegen den Kläger.
Dem Urteil zufolge hätte der Kläger
beweisen müssen, dass der Provider Kenntnis von den beanstandeten Seiten hatte.
Dies sei ihm nicht gelungen. Der Bundesgerichtshof verwies darauf, dass der
Gesetzgeber im Teledienstgesetz die Verantwortlichkeit der Internet-Provider
für fremde Inhalte einschränken wollte. Die Diensteanbieter hätten die fremden
Inhalte nicht veranlasst und es sei ihnen auch zunehmend unmöglich, diese zu
kontrollieren.
Die Vorgeschichte
Der Kläger behauptet, bereits im November
2000 durch E-Mails, Fax und Telefongespräche den Provider auf die Webseiten
hingewiesen zu haben. Allerdings hatte er die entsprechenden Belege dafür
weggeworfen.
Die "1 & 1 Internet AG", die
über zwei Millionen Kunden hat und über 3,5 Millionen gespeicherte Domains
verfügt, bestritt jedoch, dass es entsprechende Hinweise überhaupt gegeben
habe. Die Kläger-Seite wies aber darauf hin, dass die beanstandeten Inhalte
auch nach Zustellung der Klage am 22. Januar 2001 noch bis zum 28. Februar 2001
geschaltet gewesen seien.
Im verhandelten Fall sollte ein
Schmerzensgeld in Höhe von rund 4850 Euro eingeklagt werden. Der Kläger war
nach Angaben seines Anwalts schon mehrfach von rechten Schlägern verletzt und
bedroht worden.
Das Amtsgericht Karlsruhe und das
Landgericht Karlsruhe hatten die Klage abgewiesen, weil nicht feststehe, dass
der Provider Kenntnis vom Inhalt der beanstandeten Seiten gehabt habe. In dem
Revisionsverfahren ging es um die Frage, ob der Kläger beweisen muss, dass der
Provider um die Inhalte wusste oder ob der Provider beweisen muss, dass er
keine Kenntnis hatte. Zur Frage der Beweislast hatte es bisher keine
"Leitentscheidung" gegeben, sagte die Vorsitzende Richterin. Bislang
gab es dazu noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung.
Der Anwalt des Klägers hatte betont, dem
Dienste-Anbieter sei es "viel leichter, eine fehlende Kenntnis zu
beweisen". Dies sei auch nicht unzumutbar. Ein Provider müsse nach
Hinweisen wie im vorliegenden Fall mit Filtermaschinen seine Webseiten auf
rechtsradikale Begriffe durchforsten lassen. Das Gericht sah die Beweispflicht
aber auf Seiten des Klägers.
(AZ: VI ZR 335/02 - Urteil vom 23.
September 2003)