Montag, 17. November 2003

Rechter Aufmarsch

700 Neonazis demonstrieren am Soldatenfriedhof in Halbe. Polizei hält 400 Gegendemonstranten auf Distanz

Beim ersten Neonazi-Aufmarsch am Waldfriedhof Halbe, südlich von Königs Wusterhaussen, seit 1991 hat am Sonnabend ein starkes Polizeiaufgebot 700 Rechtsextremisten von rund 400 Gegendemonstranten getrennt. Im Umfeld des größten deutschen Soldatenfriedhofs seien 38 Platzverweise ausgesprochen worden, davon 32 an linke Gegendemonstranten, sagte Polizeisprecher Peter Salender. Die rechte Kundgebung wurde kurzfristig von dem 68-jährigen Theologen, ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten und früheren Rektor der Berliner Humboldt-Universität, Heinrich Fink, und einigen Gleichgesinnten mit "Mörder"-Rufen unterbrochen. Die Polizei wertete den massiven Einsatz mit rund 1.200 Beamten und ihre Taktik, rechte und linke Demonstranten auseinander zu halten, als Erfolg.

Der Neonazi-Aufmarsch war am Vortag vom Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erlaubt worden. Die Richter hatten die Beschwerde des Polizeipräsidiums Frankfurt gegen die Aufhebung des verhängten Versammlungsverbotes in der Vorinstanz abgelehnt. Laut Gerichtsbeschluss war den Rechtsextremisten das Betreten des Friedhofs nicht gestattet. "DPA, TAZ

 

 

Montag, 17. November 2003

"Schwarze sind nicht nur Popstars"

Mike Reichel
27.000 Menschen arbeiten bei der Berliner Polizei. Nur zehn bis zwölf davon haben eine schwarze Hautfarbe. Mike Reichel (40) ist einer von ihnen. Der Kriminalhauptkommissar leitet bei der Direktion 3 (zuständig für Mitte) das Kommissariat für Straßenraub und Jugendgewalt. Als er sich 1983 für den Beruf entschied, hat er befürchtet, in der Behörde auf mehr Anfeindungen zu stoßen, als dies dann der Fall war. So gesehen, sagt Reichel, sei er positiv überrascht worden. Das heißt aber nicht, dass es bei der Polizei keinen Rassismus gibt. Was Reichel erlebt hat, erfolgte nicht offen, sondern subtil, hinter vorgehaltener Hand. Indem zum Beispiel über ihn kolportiert wurde, er sei nur wegen seiner Hautfarbe so schnell die Karriereleiter nach oben gestolpert.

Interview PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Reichel, wann sind Sie zuletzt in eine Polizeikontrolle geraten?

Mike Reichel: Das ist schon eine Weile her. Das war bei irgendeiner Maßnahme auf der Straße.

Wie sind Sie behandelt worden?

Ganz normal.

Sie kennen also nicht das Gefühl, allein wegen ihrer Hautfarbe verdächtig zu sein?

Das Gefühl kenne ich durchaus von Gesprächen mit Freunden und Bekannten. Die Wahrscheinlichkeit, von der Polizei überprüft zu werden, ist bei Schwarzen größer als bei Weißen.

Wie halten Sie es da aus, Polizist zu sein?

Ich weiß, dass das nicht die allumfassende Realität ist. Als ich 1983 zur Polizei ging, hatte ich die Befürchtung, auf mehr Rassismus zu treffen und auch mehr interne Kämpfe ausfechten zu müssen. Das war aber keineswegs so. Von daher bin ich positiv überrascht worden. Außerdem gehe ich mit einer anderen Einstellung ran.

Wie sieht die aus?

Deutschland hat eine rassistische Tradition. Das heißt nicht, dass ich Deutschland verdamme. Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Daher wird man Rassismus auch in der Polizei finden.

Aber die Polizei hat in der Gesellschaft eine besondere Bedeutung.

Darum wird sie in Bezug auf Rassismus ja auch nicht zu Unrecht sehr kritisch betrachtet.

Wollten Sie schon immer zur Kripo?

Nach dem Abitur war ich zunächst unentschlossen. Mich hat auch ein Medizin- oder Maschinenbaustudium interessiert. Ausschlaggebend war, dass der Ausbildungsplatz bei der Kriminalpolizei mit der Möglichkeit verbunden war, auf Anhieb Geld zu verdienen.

Ihr Vater, ein schwarzer amerikanischer GI, und ihre Mutter, eine weiße Deutsche, hatten sich gleich nach Ihrer Geburt getrennt.

Meine Mutter war allein erziehend. Ich wollte ihr nicht länger auf der Tasche liegen.

Gab es noch andere Gründe, die für die Polizei sprachen?

Es klingt viel zu idealistisch, aber ich fand es auch wichtig und interessant, ein schwarzer Polizist zu sein. Das ist heute auch eher der Grund, warum ich dieses Interview gebe: Ich möchte in die Köpfe der Menschen hineinbekommen, dass schwarze Deutsche eine Realität in dieser Gesellschaft sind. Dass Schwarze nicht nur Popstars und Sportler sind. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es sehr gut, dass es diese Leute gibt. Sie haben ganz viel für die schwarze Gemeinschaft getan.

Es gibt nur zehn bis zwölf Schwarze in der Polizei. 27.000 Kollegen sind Weiße. Was für Reaktionen haben Sie in 20 Jahren Dienstzeit erfahren?

Ich hatte immer das Gefühl, dass meine unmittelbaren Kollegen zu mir stehen. Dazu muss ich aber sagen, dass meine Vorgesetzen von Anfang an klar gemacht haben, dass ich ihre Rückendeckung habe. Nach dem Motto: Wenn irgendwelche Vorfälle passieren, soll ich das sofort melden. Das ist eine sehr gute Erfahrung. Die Realität ist nur oftmals anders. Wie in anderen Berufen gibt es auch bei der Polizei nicht die offenen rassistischen Angriffe. Das passiert eher hintenrum oder dadurch, dass einem eine Kompetenz bestritten wird.

Können Sie ein Beispiel erzählen?

Das ist mir in einem anderen Kommissariat passiert. Ich war damals noch recht jung und habe zusammen mit einem anderen Sachbearbeiter mehr Überstunden gemacht als alle anderen im Kommissariat zusammen. Hinter vorgehaltener Hand habe ich gehört, dass Menschen der Meinung waren, ich wäre nur deshalb so schnell befördert worden, weil ich ein Schwarzer bin.

Haben Sie sich gewehrt?

Man muss nicht auf alles eingehen. Mit Rassismus ist ein Schwarzer sein Leben lang konfrontiert, nicht nur in der Polizei. Das heißt nicht, dass man es ignorieren muss, aber ich glaube, es wirkt am besten, andere Menschen durch Präsenz und Arbeit zu überzeugen. Allerdings habe ich auch oft genug Diskussionen und Auseinandersetzungen gesucht. Grundsätzlich ist es immer wichtig, einzuschreiten und sich zu wehren.

Wie ist es bei der Bevölkerung? Hat ein schwarzer Kripobeamter andere Akzeptanzprobleme als ein weißer?

Im Wesentlichen nicht. Es gab zwar ein paar Vorfälle …

die natürlich sehr interessieren.

Der lustigste, an den ich mich erinnern kann, war, als ich allein in einem Haus ermittelt habe. Kaum dass ich die besagte Wohnung verlassen hatte, hat der Mieter den Funkwagen gerufen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ich wirklich ein Polizist war. Ein anderes Mal wollte sich ein Betrunkener nicht von mir anfassen lassen. Das war bei mir das Dramatischste. Ich kenne aber auch andere Geschichten von Kollegen.

Zum Beispiel?

Eine schwarze Schutzpolizistin ist oft auf der Straße beschimpft worden. Im Funkwagen hat man in der Regel eine härtere Konfrontation zu bestehen als als Kriminalbeamter. Die Beamtin hat inzwischen den Dienst quittiert.

Gab es auch interne Gründe?

Es gab viele Gründe. Das ist auch immer eine Frage von Rückhalt. Das transportiert man nach außen. Wenn man diese Sicherheit von den Kollegen nicht erfährt, ist man viel angreifbarer. Die Frau hatte eine afrikanische Frisur, kleine unauffällige Zöpfe, die unter der Mütze verborgen waren. Schwarze haben aufgrund ihrer Haarstruktur nun mal andere Frisuren als Weiße. Der Abschnittsleiter hat ihr gesagt, sie soll sich in 14 Tagen eine andere Frisur zulegen. Der Mann ist zwar später vom Direktionsleiter zurückgepfiffen worden, der Vorfall zeigt aber, dass wenig Bereitschaft da ist, sich mit anderen kulturellen Hintergründen auseinander zu setzen.

Wie kommt es, dass gegen uniformierte Einheiten so häufig der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit erhoben wird?

Ohne Zweifel gibt es Vorfälle, die eine rassistische Motivation haben. Es gibt aber auch Vorfälle, wo der Rassismusvorwurf instrumentalisiert wird, obwohl es sich um eine ganz reguläre Maßnahme handelt. Mir ist das auch mal passiert. Ich habe mal eine Durchsuchung durchgeführt, und ein Rechtsanwalt hat mir hinterher rassistische Motive unterstellt. Er hatte in der Akte nur meinen Namen gelesen.

Sie haben viel mit kriminellen Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu tun. Haben Sie es bei denen leichter als ihre Kollegen?

Es gibt auch viele weiße Polizisten, die einen guten Draht zu diesen Jugendlichen haben. Vieles hängt von der persönlichen Art und Weise ab, wie man die Jugendlichen anspricht. Ich bestreite aber nicht, dass es von Vorteil ist, einer Minderheit anzugehören. In bestimmte Situationen kann ich mich besser hineinversetzen. Meine Kollegen müssen öfters mit Vorurteilen kämpfen: Ihr seid alle Nazis. Hier kann ich als Schwarzer leichter eine Brücke überschreiten.

Muss in der Polizei mehr für interkulturelle Akzeptanz getan werden?

Ich tue mich ein bisschen schwer mit der Antwort. Es wird ja schon einiges getan: Seminare auf Ausbildungsebene und Angebote politischer Bildung. Barrieren und Vorurteile können meiner Meinung nach aber am besten durch ganz persönliche Kontakte in Schule, Beruf und Alltag abgebaut werden. Auch deshalb würde ich mir einen größeren Anteil von Angehörigen anderer Ethnien bei der Berliner Polizei wünschen.

Anfang des Jahres war ein Afrikaner wegen einer Überfallserie auf Tankstellen als "schwarzer Riese" zur Fahndung ausgeschrieben. Was halten Sie von so einer Formulierung?

So etwas stößt mir schon auf. Im umgekehrten Fall würde wohl kaum jemand von einem "weißen Riesen" sprechen. Auch in der Sprache mangelt es oft an Sensibilität. Begriffe wie "Negerkuss" sind nach wie vor Usus. So ein abwertendes Wort wie Neger gibt es für Weiße schlichtweg nicht.

Noch eine private Frage: Ihre Freundin, mit der Sie einen dreijährigen Sohn und eine achtjährige Tochter haben, ist auch Schwarze. Ist das eine bewusste Abgrenzung?

Das ist eine bewusste Entscheidung. Mir ist es wichtig, bestimmte Erfahrungen zu teilen und meinen Kindern schwarze Vorbilder geben zu können, mit denen sie sich identifizieren können. Das ist aber keine Abgrenzung. Im Gegenteil. Viele schwarze Deutsche sind Spezialisten in Integration. Manche Weiße könnten sich davon eine Scheibe abschneiden. Wir leben in einem weißen Umfeld, haben weiße Partner, Freunde und Bekannte.

Sie selbst hatten in Ihrer Jugend keine schwarzen Vorbilder?

Die musste ich mir selbst zusammensuchen, weil ich kaum Verbindung zu Schwarzen hatte. Malcom X und Martin Luther King gehörten natürlich zu meinen Vorbildern. Sehr wichtig für mich war, als ich 1986 Kontakt zu der Initiative "Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland" (ISD) aufgenommen habe, in der ich bis heute Mitglied bin. Damals war ich schon in der Ausbildung bei der Polizei. In meiner Kindheit war es normal, mich als Mischling zu bezeichnen. Plötzlich wurde mir klar: Das ist ein völlig falscher Begriff, so redet man vonTieren.

Haben Sie in dieser Hinsicht als Kind, das in Charlottenburg aufgewachsen ist, noch mehr einschlägige Erfahrungen gemacht?

Es gab Situationen, wo ich mich völlig unterschiedslos zu den anderen gefühlt habe. Und es gab Vorfälle, die mir gezeigt haben, dass es doch nicht so ist. Es kam vor, dass ich beschimpft und auch tätlich angegriffen worden bin. Einmal bin ich zum Beispiel auf einem Spielplatz verprügelt worden. Zwei Jungs haben mich festgehalten, und einer hat zugehauen. Am Rand standen ein paar Frauen. Später habe ich erfahren, dass die eine, Mutter von einem der Angreifer, gesagt hat: Das ist ja bloß ein Neger. Es gab Situationen, wo ich mich einer ganzen Gruppe gegenüber gesehen habe und ein einziger Junge zu mir gestanden hat. Für ihn wäre es einfacher gewesen, mit dem Rudel zu laufen. Das Erlebnis war mich sehr einschneidend. Loyalität hat daher für mich eine zentrale und lebenswichtige Bedeutung.

 

 

Montag, 17. November 2003

Schönbohm will braunem Spuk ein Ende bereiten

700 Neonazis zogen durch Halbe - jetzt will der Innenminister das Versammlungsrecht ändern

Katrin Bischoff

HALBE. "Es sind traurige, armselige Gestalten. Und es ist unerträglich, dass diese Leute vielleicht das Bild Deutschlands im Ausland prägen." Das sagte Innenstaatssekretär Eike Lancelle angesichts der rund 700 Neonazis, die am Sonnabend erstmals nach zwölf Jahren wieder durch die Gemeinde Halbe (Dahme-Spreewald) ziehen durften. Lancelle war am Sonnabend zusammen mit Winfriede Schreiber, der Präsidentin des Polizeispräsidiums Frankfurt (Oder), nach Halbe geeilt, wohl auch um ein politisches Signal zu setzen.

1 200 Polizisten im Einsatz

Verwaltungsrichter hatten die Demonstration der Rechtsextremisten zum dort gelegenen größten deutschen Soldatenfriedhof genehmigt. "Ich respektiere zwar die Entscheidung der Gerichte", sagte Lancelle. Aber nun müsse sich die Politik stark machen, um derartig unerträgliche Umzüge in Zukunft zu verhindern. So wolle sich Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) in der kommenden Woche in der Innenministerkonferenz mit seinen Kollegen verständigen. Ziel sei es, das Versammlungsrecht so zu ändern, dass rechtsextremistische Aufmärsche an markanten Orten wie etwa Halbe für immer unterbunden werden könnten.

Wenige Minuten, nachdem sich Lancelle so geäußert hatte, wurden dem ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten und früheren Rektor der Berliner Humboldt-Universität, Professor Heinrich Fink, sowie einer Lehrerin und einem jungen Mann durch Polizisten Platzverbot ausgesprochen. Sie hatten bei der Kundgebung der Rechten vor den Toren des Soldatenfriedhofs, bei der die Neonazis den Kampf von Wehrmacht und Waffen-SS verherrlichten, lautstark mit "Mörder-Rufen" gegen den braunen Aufmarsch protestiert. "Es ist ein Skandal, dass diese Leute durch Halbe ziehen dürfen", sagte der 68-jährige Fink. Zuvor hatten zahlreiche Teilnehmer einer linken Gegendemonstration versucht, zum Soldatenfriedhof vorzudringen, um das "Heldengedenken" und die gewaltverherrlichenden Ansprachen alter und neuer Nazis zu stören. Sie wurden jedoch von der Polizei aufgehalten.

Rund 1 200 Polizisten aus Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen waren im Einsatz, um eine Eskalation der Gewalt zwischen den Neonazis und den etwa 350 Gegendemonstranten zu unterbinden. "Ich bin mit der Arbeit der Beamten zufrieden", sagte Polizeipräsidentin Schreiber später. "Es war wichtig, sicherzustellen, dass die Rechten nicht auf den Friedhof kamen." Auch wurden die anderen Auflagen, unter denen das Gericht die Neonazi-Demonstration genehmigt hatte, kontrolliert. So durften die teils kahl geschorenen Teilnehmer keine Waffen, Fackeln und Trommeln mitführen. Gleichschritt sowie das Tragen von Springerstiefeln waren untersagt. SS-, SA- und andere Nazi-Symbole mussten auf Kranzschleifen oder Tätowierungen überklebt werden.

Zwei Stunden lang konnten die Männer und Frauen mit der braunen Gesinnung ungehindert durch Halbe ziehen - unter den Klängen von Wagner und Smetana. Am Ende des Tages resümierte die Polizei, dass es lediglich kleinere Zwischenfälle gegeben habe. "38 Mal erteilten wir Platzverweise", sagte Polizeisprecher Peter Salender.

Als völlig unakzeptabel bezeichnete Andreas Schuster, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), den Aufmarsch der Neonazis und den daraus resultierenden Polizeieinsatz. "Es ist schlimm, wie viele polizeiliche Kräfte hier gebunden wurden, nur um diese Rechtsextremen zu schützen", sagte er. Dabei hätte die Polizei genug andere Sachen in Brandenburg zu tun.

Auch nach Schusters Ansicht müsste das Versammlungsrecht schnellstens geändert werden, damit der jährlich wieder in die Schlagzeilen kommende braune Spuk in Halbe ein für allemal verhindert werden könne. "Wenn der Innenminister in diese Richtung vorstoßen will, dann hat er unsere volle Unterstützung", sagte der GdP-Landeschef.

 

 

Montag, 17. November 2003

Großrazzia bei Motorradclub

Mit 190 Beamten hat die Polizei in der Nacht zu gestern etwa 200 Personen bei einer Feier in den Räumen des Motorradclubs "Walhalla 92" an der Hauptstraße in Lichtenberg überprüft. Darunter waren auch Angehörige rechtsextremer Gruppen. Es wurden Schlagstöcke und Dolche beschlagnahmt. Die zuständige Polizeidirektion geht seit längerer Zeit sehr konsequent gegen rechte Gruppen vor.

 

 

Montag, 17. November 2003

Marzahn

"Deutschkunde" heißt eine Ausstellung von Karikaturen gegen rechte Gewalt, die heute in der Rudolf-Virchow-Oberschule am Glambecker Ring 90 eröffnet wird. Zwei Wochen lang sind Arbeiten von 35 Künstlern zu sehen, die sich mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auseinander setzen.

 

 

Montag, 17. November 2003

Merkel für Patriotismus-Debatte

In der Union reißt die Kritik am Hohmann-Ausschluss nicht ab - Bosbach: "parteiinterne Überzeugungsarbeit nötig"

Die Debatte um den Ausschluss des umstrittenen Abgeordneten Martin Hohmann lässt die CDU nicht zur Ruhe kommen und sorgt für erste Parteiaustritte. Jetzt will die Führungsspitze die Zweifel an der Basis ausräumen und über Patriotismus diskutieren

Berlin - Nach dem Ausschluss des Abgeordneten Martin Hohmann aus der Unionsfraktion und der wachsenden Unruhe an der CDU-Basis will Angela Merkel in ihrer Partei eine Debatte über Patriotismus führen. Merkel sagte am Wochenende, es müsse "eine breite Diskussion über Patriotismus und Liebe zum Vaterland" geben. "Wir können unser Selbstbewusstsein aus den positiven und negativen Seiten unserer Geschichte heraus definieren, ohne andere dafür abzuwerten", sagte sie der "Welt am Sonntag". Auch Stolz auf Deutschland dürfe gezeigt werden. Allerdings dürfe man nicht "ganze Volksgruppen beleidigen und deutsche Geschichte relativieren". Grundlage für einen "vernünftigen Patriotismus" sei dabei der Glücksfall deutsche Einheit.

Viele CDU-Mitglieder, die sich mit Hohmann solidarisierten, seien über den Sachverhalt nicht richtig informiert, ergänzte Merkel und wies Vorwürfe zurück, der Ausschluss Hohmanns käme einem Maulkorbs von Seiten der Parteispitze gleich. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, in der CDU dürfe nicht frei geredet werden. Die Grenze sei aber da, wo die Würde anderer verletzt werde. "Wir müssen auch über die Grenzen der Meinungsfreiheit reden", sagte Merkel.

Auch Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sieht Diskussionsbedarf: "Solange noch viele an der Basis Fragen stellen und Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung haben, müssen wir noch erhebliche parteiinterne Überzeugungsarbeit leisten", sagte Bosbach und ergänzte: "Die Führung wird auch nicht einen Schluss der Debatte verordnen, sondern sie offensiv führen."

Hohmann war am Freitag wegen einer als antisemitisch kritisierten Rede aus der Unionsbundestagsfraktion ausgeschlossen worden. Bei der Abstimmung gab es 195 Jastimmen, 28 Neinstimmen, 16 Enthaltungen und vier ungültige Voten. "Das ist für eine so große Volkspartei in einer so einmaligen Entscheidung viel", sagte Merkel und begründete die Gegenstimmen mit der "ungewöhnlich schwierigen Entscheidung. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering sagte dagegen, es sei bedrückend "wie viele Unionsabgeordnete mit Nein oder Enthaltung gestimmt haben". Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sagte, unter den 44 Abgeordneten, die nicht für den Hohmann-Ausschluss gestimmt haben, könnten auch "Geistesverwandte" sein. Es gebe allerdings eine ganze Reihe von Motiven, betonte Geisler. So könne es sich auch um Gegner Merkels oder Freunde des Geschassten handeln. In der CDU-Fraktion spiegele sich das wider, was insgesamt im deutschen Volk vorhanden sei. "Es gibt Antisemiten, ganz sicher, und die haben jedenfalls eine sehr skeptische Einstellung." Dagegen wies CDU-Präside Bernhard Vogel Spekulationen über eine rechtsgerichtete Einstellung der Abgeordneten zurück. "Ich sehe darin nicht Schatten irgendwelcher rechtsgerichteten Einflüsse oder Meinungen oder Stimmungen, das glaube ich nicht", sagte Vogel im Deutschlandfunk.

Auf dem Bezirksparteitag der Fuldaer CDU äußerten am Wochenende mehrere Christdemokraten Unverständnis über den Ausschluss Hohmanns. Der Fuldaer CDU-Landrat Fritz Kramer sagte, zwar sei die Rede Hohmanns ein schwerer Fehler gewesen. Aber aus seiner Sicht sei Hohmann kein Antisemit und hätte die Chance erhalten müssen, das Vertrauen der Unionsfraktion zurückzugewinnen. Auch in zahlreichen Ortsverbänden meldeten sich Mitglieder, die sich über den Umgang mit Hohmann beschwerten. Auch Parteiaustritte wurden bereits registriert. "Viele einfache Mitglieder halten den Ausschluss für falsch und haben sich bitter beschwert", sagt Michael Ohm von der Hamburger CDU-Geschäftsstelle, zustimmende Anrufe seien "absolut in der Minderheit" Die CDU Herbstein im Vogelsberg verabschiedete unterdessen einstimmig eine Resolution gegen den geplanten Parteiausschluss Hohmanns. Der Ex-Vorsitzende des Stadtverbandes, Christian Janetzko, sagte, mit dem Ausschluss Hohmanns aus der Unionsfraktion werde "das Grundrecht auf Redefreiheit mit Füßen getreten". Schon am Freitag hatten CDU-Mitglieder in einer Anzeigenkampagne gegen Hohmanns Ausschluss protestiert.

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer forderte derweil den hessischen CDU-Landesverband auf, Hohmann nicht wie geplant als Delegierten zum CDU-Parteitag zu entsenden.

 

 

Montag, 17. November 2003

Im Prozess den Opfern keinen Raum gegeben
Aktion Zivilcourage: Rechtsextreme kaum geschwächt

Die Pirnaer „Aktion Zivilcourage“ betrachtet den Ausgang des zweiten Verfahrens gegen Mitglieder der „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) mit unguten Gefühlen. „Das Verfahren allein schwächt die Rechtsextremisten in der Sächsischen Schweiz nicht. Es braucht mehr als einen Prozess gegen Rechtsextreme“, so die Mitglieder der Aktion. Die Bürgerbewegung ist Teil eines Netzwerkes, das sich seit mehr als drei Jahren dafür stark macht, dass die rechtsextreme Dominanz im Landkreis zurückgedrängt wird. Das Landgericht Dresden verhängte kürzlich gegen elf SSS-Mitglieder Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren wegen Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung.

Ziel des Verfahrens war, so die Zivilcourage, den Beschuldigten die Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nachzuweisen. Grundsätzlich befürwortet die Aktion diese Zielstellung und glaubt, dass die rechtsstaatliche Verfolgung der „SSS“ auch zum Rückgang von rechtsextremen Straftaten und zu einem gesellschaftlichen Klimawandel in der Sächsischen Schweiz beitragen kann. Damit ist es der Staatsanwaltschaft Dresden gelungen, bundesweit ein Novum bei der Bekämpfung rechtsextremer Gruppierungen zu erzielen.

Allerdings stellt der Verein fest, dass der Perspektive der Opfer in diesem Prozess kein Raum gegeben wurde. Die Straftaten der Mitglieder und Sympathisanten der „SSS“ wurden kaum thematisiert.

Gerade die Erfahrungen und die Situation der Opfer, die in Angst leben, hätten zur Darstellung der Straftaten der „SSS“ und zur Rehabilitierung der Opfer mit in den Prozess eingebunden werden müssen. Das durch die „SSS“ geschaffene „Klima der Angst“ habe im Prozess nur unzureichend Erwähnung gefunden, sei aber eine der schärfsten Auswirkungen des Rechtsextremismus in der Sächsischen Schweiz. Dem könne aber nicht nur mit strafrechtlichen Maßnahmen entgegengewirkt werden. Es sei auch eine Leistung der Bürgerinnen und Bürger, die sich für ein Klima frei von Angst und Diskriminierung in der Sächsischen Schweiz schon seit Jahren erfolgreich einsetzen.

Stete Auseinandersetzung ist einziges Mittel

Kommunen, Schulen und Bürgerinnen und Bürger engagieren sich im täglichen Leben, in Initiativen, Vereinen für mehr Toleranz, gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Einen entscheidenden Impuls in Richtung Kontinuität zivilgesellschaftlicher Arbeit gab das Bundesprogramm „CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“.

Trotzdem befürwortet der Pirnaer Verein, dass die Bemühungen staatlicher Repressionen und zivilgesellschaftlichen Engagements weiter fortgesetzt werden müssen. Es gebe nach wie vor Aktivitäten von „SSS“-Mitgliedern im Landkreis: Propagandadelikte, Skinheadkonzerte, Sonnenwendfeiern und schwere Gewaltverbrechen. Der Vernetzungsgrad der Neonazis mit Kameraden in anderen Bundesländern steige.

Auch weiterhin fordert die „Aktion Zivilcourage“ das Engagement der Staatsregierung, von Politikern, Polizei und Justiz, Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und Bürgerinnen und Bürgern, sich für eine tolerante und weltoffene Sächsische Schweiz einzusetzen. Denn nur eine stete und aktive Auseinandersetzung mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit könne auf Dauer zu einer entscheidenden Zurückdrängung rechtsextremer Tendenzen führen. (SZ)

 

 

 

Montag, 17. November 2003

Andreas Siegmund-Schultze, Halbe

 

Verhöhnung der Opfer des Faschismus

 

Erstmals seit zwölf Jahren durften Neonazis auf dem Soldatenfriedhof in Halbe wieder ihre »Helden« ehren

 

Bundesweit gedenken Neo- und Altnazis jedes Jahr zum »Volkstrauertag« der »gefallenen deutschen Soldaten beider Weltkriege«. Höhepunkt der braunen Zeremonien war am Samstag ein vom Hamburger Neonazikader Christian Worch angeführter Aufmarsch unter dem Motto »Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten« durch das südlich von Berlin gelegene Halbe. Rund 400 Rechtsextreme, vorwiegend Mitglieder der »Freien Kameradschaften«, waren mit Bussen, Pkw und Bahn nach Halbe gekommen. Der Neonaziaufmarsch war erstmals seit 1991 wieder genehmigt worden. Dem Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder reichte dafür offenbar der Umstand, daß die Demonstration nicht für den »Volkstrauertag« selbst, also für Sonntag angemeldet worden war. Zeitgleich nahmen rund 250 Menschen an einer von antifaschistischen Gruppen initiierten Gegenkundgebung teil.

Im April 1945 waren insgesamt 40 000 Soldaten von Roter Armee und Wehrmacht, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und Zivilisten bei der Kesselschlacht in den Wäldern um den brandenburgischen Ort umgekommen. Hitlers Generäle opferten Zehntausende, obwohl sie wußten, daß der Krieg längst verloren war. Soldaten, die wenige Tage vor Kriegsende bei Halbe im Verdacht standen, desertieren zu wollen, wurden hingerichtet. 57 von ihnen liegen auf dem Halber Friedhof begraben – wie auch Tausende Zwangsarbeiter.

Redner der antifaschistischen Kundgebung am Sonnabend kritisierten das Vorgehen der örtlichen Behörden. Eine antifaschistische Demonstration war ebenso wie eine Ehrung ukrainischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von den Behörden verboten worden. Eine Mahnwache für die Wehrmachtsdeserteure auf dem Friedhof, die Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, angemeldet hatte, wurde mit der Begründung nicht zugelassen, daß der Antrag dafür zu spät gestellt worden sei.

Die Neonazis zogen am Samstag nach einer rund zweistündigen Kundgebung auf dem Halber Bahnhofsvorplatz durch den Ort zum Soldatenfriedhof. Aus der gesamten Bundesrepublik waren sie angereist, viele wurden von den rund 1200 eingesetzten Polizisten wieder zurückgeschickt.

Eine Beschwerde des Polizeipräsidiums gegen die Genehmigung des Aufzuges durch das Frankfurter Verwaltungsgericht war am Freitag vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt worden, der Aufmarsch wurde jedoch mit zahlreichen Auflagen belegt. So durften die Neonazis keine Fackeln mitführen und nicht im Gleichschritt marschieren. Ebenso war die Parole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« untersagt. Und auch die Rechten durften den Friedhof nicht betreten.

 

 

 

Montag, 17. November 2003

Volkstrauertag
Nazis gedenken ihrer »Helden«
400 Antifaschisten protestieren in Halbe 
 
Von René Heilig 
 
Rund 700 Neonazis aus allen Teilen Deutschlands trafen sich am Samstag im brandenburgischen Halbe, um auf ihre Weise den Volkstrauertag zu begehen. Durch starke Polizeikräfte abgeschirmt, protestierten Antifaschisten gegen den braunen Spuk.
Samstagvormittag am Bahnhof Halbe. Der Wirt vom »Goldenen Stern« ist sauer. Er musste seine Gaststätte schließen, obwohl sich doch so viele potenzielle Gäste wie noch nie vor seinem Haus sammelten. Andererseits, die wollte er denn doch nicht in seinen Räumen haben. Er lehnte am Zaun, schätzte die Anzahl der Polizisten und schimpfte mit einem Nachbarn darüber, dass man so viel Geld ausgeben muss, gerade jetzt, wo alles Soziale den Bach runter geht. Gegenüber der Kneipe lehnte eine junge BGS-Beamtin am Absperrgitter und schaute finster drein. Vor zwei Tagen sei sie aus Gorleben gekommen, dann musste sie zur Nachtschicht und nun das hier.
Während der bekannte Nazi-Führer Christian Worch, der aus Hamburg mit einem Wagen voller Lautsprecher, Fahnen, Transparente und Funkgeräte angereist war, Befehle über den Bahnhofsplatz brüllt, kontrollierten Brandenburger Polizisten sehr sorgsam, was die zuströmenden Neonazis in ihren Taschen hatten. Wer angetrunken war, musste kehrt machen. Doch das waren nur sehr wenige. Hier in Halbe versammelten sich nicht nur die üblichen dumpfen jungen Skins, hier trafen sich ideologisch fest gefügte Kader. Deren Logistik klappte. Eine Feldküche war aus dem Thüringischen angefahren, Flugblätter wurden verteilt, Worch und andere Führer ließen sich von einem Wall schwarzer Fahnen, auf denen nur noch die Runen von Himmlers Mörderbande fehlen, umrahmen. Ein »Liedermacher« wurde angekündigt. Der Kahlschädel verherrlichte die »Helden« in Feldgrau als die »besten Soldaten der Welt«, verleugnete die Oder-Neiße-Grenze, schürte Hass auf den Wehrmachtsausstellungs-Macher Reemtsma und drohte kritischen Journalisten, dass sie sich »für ihre Lügen schon bald vor dem Rechtsgericht verantworten müssen«. Unterdessen ging schwarzes Klebeband herum. Die Polizei hatte angeordnet, dass alle SS-Zeichen auf Kranzschleifen zu verschwinden hätten. Die »Heldenverehrer«, die sich – wie auf ihren Transparenten stand – »treu« bleiben, klebten einfach ein »S« ab.
Derweil begleiteten Polizeifahrzeuge und berittene BGS-Polizisten die ankommenden Gegendemonstranten jenseits der Gleise zum weit entfernten Veranstaltungsort der Antifaschisten. Vor allem junge Leute waren gekommen, um nicht wortlos zu dulden, dass Halbe zu einem Wallfahrtsort der Neonazis wird. Der Waldfriedhof in Halbe ist die größte Grabstätte für deutsche Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Hier liegen zwischen rund 27000 Tote, die bei der Kesselschlacht von Halbe im April 1945 umgekommen waren.
Doch was die Antifaschisten zu sagen hatten, klang weder zu den Nazis durch, noch kam es an die Ohren der meisten Einwohner, die zumeist schweigend zur Kenntnis nahmen, was vor ihren Türen vorging. Auf der Veranstaltung der Antifaschisten sprach unter anderem Ludwig Baumann. Er ist als Wehrmachtsdeserteur nur knapp mit dem Leben davon gekommen und kämpft seit vielen Jahren als Vorsitzender der Vereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz gegen die Gleichgültigkeit in diesem Land, die Nazi-Kult erst möglich macht. Er war mit Blumen zum Friedhof gekommen, um die dort ebenfalls begrabenen Deserteure und Zwangsarbeiter zu ehren. Erst nach langen Verhandlungen und unter Polizeischutz durfte der alte Mann an deren Gräber.
Später gruppierten sich die Neonazis zum »Schweigemarsch«. Vor dem Friedhof gesenkte Fahnen, schwarze Transparente, drei Reihen Kränze. Noch bevor Unbelehrbare, die – anders als die Tausenden, die in Halbe begraben liegen – den Angriffskrieg der Nazis heil überstanden, ihre markigen Durchhalte-Reden halten konnten, war ein Sprechchor zu hören: »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« Vier, fünf Mal wiederholten sich die Worte. Ein kleines, beherztes Grüppchen um den Theologieprofessor Heinrich Fink, Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, wollte den Spuk nicht widerspruchslos geschehen lassen. Rasch war Polizei zur Stelle, die »Ruhe und Ordnung« wieder herstellte.
Fink, der Tränen der Wut und Verzweiflung kaum zurückhalten konnte, ist als Junge dem Kessel um Halbe nur knapp entkommen. Der ehemalige Rektor der Humboldt-Universität und einstige PDS-Bundestagsabgeordnete ist besorgt: »In einer Woche drei Skandale am rechten Rand, erst die Sache mit dem CDU-Abgeordneten Hohmann, dann darf Degussa weiter am Mahnmal für die ermordeten Juden mitarbeiten und nun marschieren hier diese Nazis mit dem Segen unserer Gerichte…«

 

 

 

Montag, 17. November 2003

BUNDESWEHR

Führungsakademie öffnete ihre Türen für die Neue Rechte

Die Kaderschmiede der deutschen Soldaten in Hamburg empfängt Vertreter der Neuen Rechten - und der Kommandeur persönlich hält einen Vortrag.

VON J. BREIHOLZ (HAMBURG)

Der Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, Generalmajor Hans-Christian Beck, hat im Juni vor der äußerst rechten Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft einen Vortrag über die "erweiterten Aufgaben der Streitkräfte" gehalten.

Auf der Internet-Seite der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (SWG) in Hamburg findet sich jenes Gedankengut, aus dem sich unter anderem die Theorien eines Martin Hohmann speisen. Unter Buchbesprechungen findet sich dort etwa der Titel "Jüdischer Bolschewismus - Mythos und Realität" von Johannes Rogalla von Bieberstein, ein laut SWG "überaus wichtiges Buch".

Auch Martin Hohmann selbst, laut SWG "ein unbescholtener Abgeordneter", findet sich dort, zum Beispiel mit einer Presseerklärung zum Thema homosexuelle Ehe: "Ohne Abwertung und Geringschätzung des einzelnen, homosexuell empfindenden Menschen" gelte es, "sich dem organisierten Gruppenegoismus der Homosexuellenlobby unzweideutig entgegenzustellen". "Deutschland muss deutsch bleiben - wir wollen keinen Vielvölkerstaat", heißt es auf diesen Webseiten weiter, denn Ausländer "kosten mehr, als sie bringen", die bisherige Asyl- und Einbürgerungspolitik habe "unser Land zu einem Paradies für fremde Drogendealer, Zuhälter, Menschenhändler, Sozialschmarotzer und Kleinkriminelle gemacht".

Dazu reihenweise Artikel aus der Jungen Freiheit, dem Hausblatt der Neuen Rechten, und Besprechungen von Büchern wie "Von Allah zum Terror", worin die These vertreten wird, der tolerante Islam sei eine Fiktion, am Ende jedes Dialogs stehe der "Dschihad".

Wo die SWG politisch steht, ist also nicht schwer herauszufinden. Die Führungsakademie der Bundeswehr scheint trotzdem zu diesen Erkenntnissen nicht gelangt zu sein. Als die SWG um einen Termin in der Kaderschmiede der deutschen Soldaten in Hamburg nachsuchte, fand sich sogar ihr Kommandeur, Generalmajor Beck, persönlich bereit, am 30. Juni dieses Jahres vor den Rechten einen anderthalbstündigen Vortrag zu halten.

"Ein Fehler", den Beck auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau heute bedauert. "Die SWG wird nicht mehr eingeladen und kommt auch nicht mehr in unsere Räume", so Beck. Nach einer eingehenden Sicherheitsprüfung habe man im Vorfeld der Veranstaltung festgestellt, dass gegen die SWG nichts Relevantes vorliege, auch tauche sie nicht im Jahresbericht des Verfassungsschutzes auf.

Dabei war die SWG Anfang 2001 schon einmal daran gescheitert, in die Führungsakademie eingeladen zu werden. Der damalige Kommandeur Rudolf Lange wird gewusst haben, warum. So ist der Vorsitzende des Vereins in konservativen wie auch rechtsextremen Kreisen ein gefragter Mann, Brigadegeneral a. D. Reinhard Uhle-Wettler hat etwa als Herausgeber einer Festschrift für den Holocaust-Leugner David Irving fungiert.

Wolfgang Gessenharter, Professor an der Bundeswehruniversität Hamburg, kennzeichnet die SWG als Teil der Neuen Rechten. Sie sei ein wichtiges Scharnier zwischen Konservativen und Rechtsextremisten. "Das ist hinlänglich bekannt", sagt Gessenharter. Er fordert daher lückenlose Aufklärung über den Vorfall an der Führungsakademie. Der dafür Verantwortliche müsse dienstlich zur Rechenschaft gezogen werden.