Montag, 24. November 2003

Erinnerung an Silvio Meier

Rund 800 Demonstranten haben am Wochenende an den Tod des Hausbesetzers Silvio Meier vor elf Jahren erinnert. Der damals 27-Jährige war 1992 von Neonazis auf dem U-Bahnhof Samariterstraße ermordet worden. Die Demonstration durch Friedrichshain und Lichtenberg verlief nach Angaben der Polizei überwiegend friedlich. Am Rande kam es jedoch zu kleineren Ausschreitungen einiger vermummter Teilnehmer gegen die Polizei. Sie bewarfen die eingesetzten Beamten mit Flaschen. 15 Teilnehmer wurden vorübergehend zur Feststellung ihrer Personalien festgesetzt. Die Veranstalter riefen vor allem junge Leute auf, sich gegen die zunehmenden Aktivitäten von Rechtsextremisten in den Stadtteilen Friedrichshain und Lichtenberg zu wehren und für eine linke Jugendkultur in den Bezirken einzutreten. DPA

 

 

Montag, 24. November 2003

Berliner Al-Quds-Demo in neuem Gewand

Am Al-Quds-Tag kommen 1.000 Islamisten nach Berlin, um die "Befreiung" Jerusalems zu fordern. Anders als im vergangenen Jahr kommt es kaum zu Hass-Parolen gegen Israel. Demonstranten äußern sich dennoch antisemitisch

BERLIN taz Fast könnte man meinen: Reizend, wie die beiden vierjährigen Kinder an der Spitze des Demonstrationszuges das mannshohe Bild der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee vor sich her tragen und in die Fernsehkameras lächeln. Ebenfalls medienwirksam in Szene gesetzt: der Kinderwagenblock gleich dahinter.

Frauen und Kinder - sie bilden die Spitze des islamistischen Al-Quds-Aufmarsches. Fast 1.000 Menschen, zumeist Araber, Türken und Iraner, sind an diesem Samstag in die Westberliner City gekommen, um den Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag) zu begehen. Ajatollah Chomeini hatte diesen Kampftag 1979 ausgerufen, um für die "Befreiung Jerusalems" zu demonstrieren.

Doch anders als in den vergangenen Jahren setzen die Veranstalter nicht auf Gewalt verherrlichende Hass-Parolen gegen Israel und die USA, sondern auf friedliche und versöhnliche Bilder. Weder ein Vater, der wie im April vergangenen Jahres seinen Sohn mit Sprengstoffgürtel-Attrappe auf den Schultern trägt, noch sonst irgendwelche brennenden US- oder Israel-Fahnen. Kaum Transparente, nur wenige Palästina- oder Hisbullah-Fahnen. Vielleicht hier und da ein Pappschild mit der bärtigen Fratze des Ajatollahs.

Aus dem Lautsprecherwagen ruft ein Redner zum Widerstand gegen jegliche Form von Rassismus auf. "Wir beten für Juden, Moslems und Christen, für Freiheit und Frieden in Palästina." Dem gestürzten irakischen Diktator Saddam Hussein erteilt er eine Absage wie den Anschlägen in Istanbul. Selbst als proisraelische Gegendemonstranten, 100 an der Zahl und abgeschirmt von Dutzenden Polizisten, versuchen, den Islamisten-Aufzug zu blockieren - die Demonstranten bleiben friedlich. "Ich kann die Empörung nicht verstehen", sagt der 30-jährige Gürhan Özoguz aus Delmenhorst, der "nicht direkt" zu den Veranstaltern der Demo gezählt werden will. Seit acht Jahren gebe es die Demo - "und plötzlich stehen wir unter Beschuss".

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte im Vorfeld eine harte Gangart gegen Volksverhetzung angekündigt. "Keine Gewaltverherrlichung in Wort, Ton und Bild", lauteten die Auflagen. Polizeioberkommissar Jörg Nittmann berichtete, die Veranstalter seien sehr kooperativ gewesen. Er verschweigt aber auch nicht, dass es gleich zu Beginn des Aufmarsches doch zu einer Festnahme kam, weil ein Demonstrant ein Schild bei sich trug mit der Aufschrift "Juden sind Mörder". Weitere 30 bis 40 Schilder wurden einkassiert.

Fragt man die Demonstranten, ergehen sie sich in antisemitischen und gewaltbereiten Tiraden. "Selbstmordattentate sind die einzige Möglichkeit, sich gegen Israel zu wehren", sagt zum Beispiel ein Demonstrant, "die Israelis morden, wir morden zurück." Andere sprechen vom zionistischen Komplott gegen die islamische Welt. Ein Teilnehmer sagte, die Anschläge in Istanbul, bei denen Dutzende Menschen starben, seien von Bush, Blair und Scharon inszeniert worden. Er endet mit der Parole: "Tod allen Juden." " FELIX LEE

 

 

Montag, 24. November 2003

"Die Gefahr des Islamismus ernst nehmen"

Trotz eines Aufrufs mit mehreren hundert Unterschriften blieb der Protest gegen den islamistischen Al-Quds-Aufmarsch dünn. Rabbiner Walter Rothschild war bei der Gegenkundgebung der einzige Vertreter der Jüdischen Gemeinde

taz: Herr Rothschild, hätte man die Al-Quds-Demonstration verbieten sollen?"

Walther Rothschild: Was die Teilnehmer der Al-Quds-Demonstration vertreten, halte ich für gefährlich. Die Demonstration aber ganz zu verbieten wäre ein falscher Ansatz gewesen.

Es gab strenge Auflagen, nur wenige Transparente waren zu sehen. Können Sie mit dem Verlauf nicht zufrieden sein?

Eigentlich ja. Die Demonstration ist glimpflicher verlaufen, als ich erwartet habe.

Auf der pro-israelischen Gegenkundgebung waren nur 100 Leute. Wie erklären Sie sich die geringe Teilnahme?

Ich war sehr enttäuscht. Die Gegenkundgebung wurde vor allem von jungen Antifas organisiert. Es kann sein, dass einige Leute deswegen abgeschreckt wurden. So genau weiß ich das aber nicht.

Und? War diese Furcht berechtigt?

Nein. Zwar hatte ich zum Teil Probleme mit dem, was gesagt wurde. Ich persönlich bin aber dankbar, dass es überhaupt Leute gibt, die diese Gegenkundgebung organisiert haben.

Dort wurde in Reden der Islamismus mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt …

… einer sagte auch, Hass müsse man mit Hass begegnen.

Ist dieser Vergleich angemessen?

Ja und nein. Es gibt zwei Gruppen, die gegen westliche Werte und Juden wettern. Die eine Gruppe, das sind die Neonazis. Die andere Gruppe die Islamisten. In diesem Punkt sehe ich durchaus Gemeinsamkeiten. In anderen Punkten gibt es natürlich große Unterschiede. Die Gefahr, die vom Islamismus ausgeht, muss man aber genauso ernst nehmen.

Es sind ja nicht nur Islamisten, die die Politik Scharons verurteilen. Die Mehrheit in ganz Europa kritisiert Israel. Können Sie den Unmut gegenüber Israel nicht nachvollziehen?

Natürlich fühlen viele Palästinenser Schmerzen bei dem, was im Nahen Osten passiert. Aber auf der Al-Quds-Demo waren viele, die nicht nur gegen das sind, was in Israel gerade passiert. Sie stellen das Existenzrecht Israels insgesamt in Frage. Dafür habe ich kein Verständnis.

Nach den Anschlägen auf die Synagogen in Istanbul - wie bedroht fühlen Sie sich als Jude in Deutschland?

Nicht mehr als früher auch. Es gab Anschläge auf Synagogen in Djerba, in Casablanca. Istanbul ist deswegen nichts Neues. Das vielleicht einzig Neue an Istanbul: Endlich nehmen auch die Europäer die Terrorgefahr ernst.

Rechnen Sie mit Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Berlin?

Nicht konkret. Aber dass die Polizei überhaupt mit einem so schweren Geschütz vor jüdischen Einrichtungen stehen muss, ist schon traurig.

Nach den Anschlägen in Istanbul hat Innensenator Körting die Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen erhöht. Reicht das?

Gegen eine Autobombe oder gegen Selbstmordattentäter kann man letztendlich nichts tun. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Die deutschen Behörden tun aber ihr Bestes.

INTERVIEW: FELIX LEE

 

 

Montag, 24. November 2003

al-quds-demonstration

Was tun gegen radikalen Schick

Meinungsfreiheit ist das eine, Rassismus und Terrorismus das andere. Die Schutzmaßnahmen vor den jüdischen, britischen und amerikanischen Einrichtungen in Berlin wurden seit den Anschlägen in Istanbul verstärkt. Dass die Bedrohung real ist, wird von Gegendemonstranten und Kennern der Migrantenszene bestätigt. Dass Sicherungsmaßnahmen nicht allein gegen Radikalisierung schützen, mahnen sie ebenso an.

KOMMENTAR VON
WALTRAUD SCHWAB

Es gibt Szenen in Berlin, wo radikal schick ist. Einige von ihnen lassen sich durchaus vor den islamisch-fundamentalistisch-terroristischen Karren spannen. Anfällig dafür seien vor allem die jungen, hier geborenen Migranten. In Berlin schließen 25 Prozent von ihnen die Schule nicht ab. Auf dem Arbeitsmarkt haben sie so gut wie keine Perspektive. Ihre Chance, in der deutschen Gesellschaft anzukommen, wird durch solche Voraussetzungen nicht gefördert - geschweige denn, sich als Gesellschaftsmitglieder zu verstehen, die sich verantwortlich auch gegenüber der BRD fühlen. Dass radikale Positionen da eine Leerstelle füllen können, ist bekannt. Hier sind Innensenator Körting, Bildungssenator Böger und Co. gefordert. Nicht nur als Hardliner, die sich Sicherheitskonzepte ausdenken, sondern auch als Psychostrategen des verletzten männlichen Egos.

Das immer wieder vorgebrachte Argument, dass Politiker Schulunwillige nicht in die Schule treiben und Arbeit nicht aus dem Ärmel schütteln können, reicht nicht. Vorschläge, wie mit dem Zukunftsproblem jugendlicher Migranten umgegangen werden könnte, gibt es. Sie umzusetzen müsste Teil der innenpolitischen Strategie zur Befriedung werden, damit Meinungsfreiheit niemals für Gehirnwäsche missbraucht wird.

 

 

Montag, 24. November 2003

Schwedens Rechtsradikale machen mobil

Die "Schwedische Widerstandsbewegung" betreibt neuerdings aktive Mitgliederwerbung und ruft zu öffentlichen Veranstaltungen auf. Die Gruppe unterhält enge Kontakte zu dem in der Szene bekannten Hamburger Anwalt Jürgen Rieger

AUS STOCKHOLM
REINHARD WOLFF

Schwedens rechtsextreme Szene formiert sich neu. Während die "Schweden-Demokraten" verstärkt aufs parlamentarische Pferd setzen, sich um mehr Seriosität bemühen und nach dem Einzug in 28 Stadt- und Gemeinderäte bei den letzten Kommunalwahlen nun offenbar ernsthaft die Parlamentswahlen 2006 im Visier haben, versucht die "Schwedische Widerstandsbewegung" (SMR) versprengte Rechtsradikale einzusammeln. Offensichtlich mit einigem Erfolg.

Diese derzeit aktivste neonazistische Gruppe im Lande unterhält nach Erkenntnissen der antirassistischen Publikation Expo enge Kontakte zum Hamburger Anwalt Jürgen Rieger, den "berüchtigten deutschen Rechtsextremisten und mehrfachen Millionär" (Expo). Auf das 650 Hektar große Gut "Sveneby Säteri", das Rieger 1995 in der Nähe der westschwedischen Stadt Skövde kaufte, bzw. in dessen unmittelbare Nähe, sind laut Expo in der letzten Zeit mindestens vier Personen aus dem SMR-Führungskreis gezogen.

Peter Jansson von der Polizei in Skövde bestätigt: "Es ist ganz offensichtlich, dass wir da einen neuen Sammelpunkt bekommen haben. Es gibt auf dem Gut eine Menge unbewohnte Häuser, und wir sehen diese Leute da einziehen." Und er befürchtet ein "neonazistisches Nest".

Regelmäßig werden seit einiger Zeit in den umliegenden Orten Flugblätter und SMR-Publikationen verteilt. Auch in Schulen sind die Werbeaktivitäten gestiegen. Die Organisation hat offenbar eine eigene Druckerei eingerichtet und bemüht sich, ihre Basis zu verbreitern. Am Samstag veranstaltete die "Widerstandsbewegung" eine Kundgebung in der nahe gelegenen Stadt Vänersborg. Thema: die "Bedrohung" Schwedens durch eine multikulturelle Gesellschaft. Vor zwei Wochen gab es eine ähnliche Veranstaltung in Göteborg, an der auch TeilnehmerInnen aus Norwegen von der dortigen "Norwegischen Widerstandsbewegung" auftraten. Die Botschaft der SMR-Auftritte: Die Regierung in Stockholm veranstalte mit ihrer Ausländerpolitik einen "geplanten Volksmord" am schwedischen Volk.

Während die SMR in den letzten Jahren eine eher geschlossene Gruppe darstellte, die öffentliche Aktivitäten selten ankündigte, fühlt sie sich nun offenbar stark genug dafür. Sie kündigt jetzt ihre Veranstaltungen vorher auf ihrer Internetseite an. Mit der Folge, dass jeweils sowohl Polizei, Medien wie GegendemonstrantInnen aktiviert werden. Die Neonazis vermochten zu den Veranstaltungen jeweils 50 bis 70 TeilnehmerInnen zu mobilisieren, was fast dem Publikum entspricht, das man zuletzt allenfalls einmal jährlich beim mittlerweile eingestellten nationalen Rudolf-Hess-Gedenkmarsch aufweisen konnte.

Die SMR und ihre Jugendorganisation "Nationale Jugend" (NU) wurde Ende der Neunzigerjahre vor allem von Personen mit einer Vergangenheit im "Weißen Arischen Widerstand" gegründet. Dies ist der offen antisemitischste Zweig der schwedischen Neonaziszene, die den Kampf gegen die "zionistische Weltverschwörung" zum Hauptziel hatte, und die Gruppe mit der zumindest verbal größten Terrorbereitschaft.

Die Verbindungen der SMR zu Jürgen Rieger sind unübersehbar. Magnus Söderman, einer der SMR-Frontfiguren, trat sowohl bei den Kundgebungen der letzten beiden Wochen in Schweden als Redner auf als auch an der Spitze einer SMR-Abordnung im Sommer beim letzten Rudolf-Hess-Marsch in Wunsiedel. Organisator und Hauptredner des Marsches war Rieger. Söderman trat als Fahnenträger mit der schwedischen Flagge auf und überbrachte ein Grußwort. Zumindest bis vor einigen Jahren sollen SMR und NU auch noch enge Kontakte mit der NPD unterhalten und an einigen ihrer Veranstaltungen teilgenommen haben.

Rieger und sein schlossähnlicher Gutshof "Sveneby Säteri" sind bereits wiederholt ins Visier schwedischer Medien und Behörden geraten.

 

 

Sonntag, 23. November 2003

Pro-Israel: Gegendemo mit scharfen Worten

Während die Islam-Demo wenige Hundert Meter entfernt vorbeizog, demonstrierte ein Bündnis linker Gruppierungen an der Ecke Wilmersdorfer Straße und Krumme Straße in Charlottenburg für mehr Solidarität mit Israel. "Kein Fußbreit den Islamisten" war die Parole der 100 Demonstranten, ebenso deutlich wurden sie während ihrer Ansprachen. "Der Islamismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Wir begegnen ihm mit Hass", sagte Sören Pünjer von der "Redaktion Bahamas". Rabbiner Walter Rothschild, der der Demo beiwohnte, wertete diese Worte kopfschüttelnd als "starken Tobak". Nicht mit Hass, nur mit Bildung und Toleranz lasse sich der Antisemitismus bekämpfen. Die Demo verlief ruhig, es kam nur zu einer Rangelei zwischen Teilnehmern und der Polizei, als ein paar Demonstranten sich dem Islamisten-Marsch mit einer israelischen Flagge in den Weg stellen wollten.

 

 

Montag, 24. November 2003

Polizei schließt in Johannistal Neonazi-Club

Anzeigen gegen Jugendliche

Andreas Kopietz

Auf einem stillgelegten Industriegelände in Schöneweide hat die Polizei gestern früh einen Treff jugendlicher Neonazis geschlossen. In den Kellerräumen des ehemaligen "VEB Kühlautomat" am Johannistaler Segelfliegerdamm hatten sich Jugendliche illegal einen Club eingerichtet. Den Tresen und die Wände bemalten sie unter anderem mit zahlreichen Hakenkreuzen, SS-Runen, Ku-Klux-Klan-Kürzeln und Werbung für die Terrorgruppe Combat 18. Auf der Eingangstür stand die Aufschrift "Wolfsschanze".

Wie lange der Treff schon existierte, ist unklar. Obwohl sich in unmittelbarer Nähe eine Polizeiwache befindet, stießen die Beamten nur durch Zufall auf die Rechten. Wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte, seien Polizisten einer Anzeige wegen Stromdiebstahls und Hausfriedensbruchs nachgegangen. Unbekannte hatten auf einem benachbarten Telekomgelände ein Stromkabel an einen Verteilerkasten angeschlossen. Als die Beamten dem Kabel folgten, gelangten sie zu den Kellerräumen, die sich unter einer Fabrikhalle befinden. Dort hätten sie fünf Jugendliche im Alter von 15 und 20 Jahren angetroffen, die laute Musik von Nazi-Bands hörten, so der Polizeisprecher. Die Polizisten beschlagnahmten CDs und Kassetten und nahmen Anzeigen wegen des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen auf. (kop.)

 

 

Montag, 24. November 2003

Gebet auf drei Fahrstreifen

Rund 1 000 Teilnehmer bei Anti-Israel-Demo

Marcel Gäding

Die Szenen erinnern an den Nahen Osten. Doch die Frauen mit ihren Kopftüchern, die Männer und Kinder mit Fahnen und Transparenten knien mitten in Berlin, auf drei Fahrstreifen. Es ist Sonnabendnachmittag, als sich die Teilnehmer der Al-Quds-Demonstration zum Gebet auf dem Savignyplatz treffen. Die Straßen dorthin sind abgesperrt. Für einen Moment weicht der Krach der Großstadt dem Sprechgesang des Mannes, dessen hohe Stimme bis zum Bahnhof Zoo zu hören ist. "Bewahre unsere Einheit", ruft er den Islamisten zu.

Rund 1 000 Menschen haben sich in der City West getroffen. Al-Quds-Demonstration nennt sich ihre Veranstaltung. Al-Quds ist arabisch und heißt Jerusalem. Die, die den Verkehr in der westlichen Innenstadt für zwei Stunden zum Erliegen bringen, protestieren gegen "die militärische Besatzung Palästinas", gegen "faschistisch-zionistische Banden". Nein, sie sind nicht antisemitisch, hatten die Veranstalter schon im Vorfeld verlauten lassen. Wer die Demonstranten jetzt sieht und hört, bekommt Zweifel an den Aussagen. Verschwörungstheorien werden offen propagiert. Der israelische Geheimdienst Mossad sei verantwortlich für die Anschläge in Istanbul vergangene Woche. "Das ist eine Verschwörung gegen die islamische Sache", sagt der Demonstrant Yilmaz Cevik aus Neukölln. Schnell wird klar: Der Protest richtet sich nicht nur gegen Unterdrückung der Palästinenser, er richtet sich auch gegen Juden.

Die Polizei - sie ist mit mehreren Dutzend Beamten vor Ort - spricht am Ende von einer friedlichen Veranstaltung. Deren Organisatoren hatten im Vorfeld verfassungsfeindliche oder extremistische Symbole in Form von Fahnen oder Transparenten untersagt und damit die Situation etwas entschärft. Doch das Bündnis gegen Antisemitismus, das eine Gegendemonstration mit 100 Teilnehmern angeführt hatte, ist über die jährlich wiederkehrenden Al-Quds-Demos besorgt. Von bedrohlichen Aufmärschen spricht Bündnis-Mitglied Herman Bödicker. Und seine Mitstreiterin, die Journalistin Claudia Dantschke, sagt, dass die Gesellschaft solche Meinungen nicht dulden dürfe. "Wir müssen so etwas öffentlich thematisieren."

 

 

Montag, 24. November 2003

Anja Wagner-Roth

 

Silvio-Meier-Demo

 

Flaschenwürfe auf rechtes Lokal in Berlin

 

Rund 1500 Antifaschisten beteiligten sich am vergangenen Samstag unter dem Motto »Keine Kneipen für Nazis! Antifa heißt Angriff« an der Silvio-Meier-Demonstration in Berlin. Die meist jugendlichen Demonstranten zogen durch Friedrichshain und Lichtenberg, vorbei an verschiedenen Lokalitäten, die als Treffpunkte von Rechten genutzt werden. Vor dem Fan-Lokal des »BFC Dynamo« kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als Flaschen auf das Lokal geworfen wurden. Nach Angaben der Antifaschistischen Linken Berlin wurden 15 Personen festgenommen. Im »BFC-Lokal« sowie im dazugehörigen Tattoo-Studio »Ost-Sektor« gehören Neonazis und Hooligans zur Stammkundschaft. Erst am 3. Oktober diesen Jahres wurde im Lokal eine Feier von Rechten durch die Polizei aufgelöst.

Vor einem Mahnmal für die antifaschistischen Widerstandskämpfer aus Lichtenberg wurde von der Antifaschistischen Linken ein Kranz niedergelegt. Ein Redner des VVN-BdA betonte die Notwendigkeit und Aktualität antifaschistischen Engagements.

Die regelmäßig stattfindende Demonstration erinnert an den am 21. November 1992 ermordeten Hausbesetzer Silvio Meier. Antifaschistisches Gedenken wird seitdem mit aktuellen Kämpfen gegen rechts und mit dem Protest gegen lokale Strukturen von Neonazis verbunden. »Offensives Vorgehen gehört dabei zu einem wichtigen Mittel im Kampf gegen rechts«, erklärte eine Sprecherin der ALB nach der Demo.

 

 

 

Montag, 24. November 2003

 

Eisernes Schweigen und keine Hetz-Plakate

Muslime protestieren beim Al-Quds-Tag in Berlin gegen Israel, vermeiden aber tunlichst antisemitische Parolen

Knapp 1000 Muslime aus verschiedenen Teilen Deutschlands haben am Samstag in Berlin für die "Befreiung Palästinas und Jerusalems" demonstriert. Die gegen die israelische "Besatzungspolitik" gerichtete Demonstration verlief ohne Zwischenfälle.

VON AXEL VORNBÄUMEN

Berlin · 23. November · Sanft dringt die Stimme von Yavuz Özoguz aus dem Lautsprecherwagen, eindringlich sind die Parolen, scheinbar endlos der Mitteilungsdrang: "Weil wir als Bürger dieses Landes das Ausmaß der Naziverbrechen kennen, richten wir uns von vornherein gegen jede Form des Rassismus." - "Es gibt keine Freiheit ohne Gerechtigkeit." - "Es gibt keinen Moslem, dem es erlaubt ist, Rassismus gutzuheißen." Wer demonstriert hier, an diesem Einkaufssamstag in der Berliner Innenstadt? Sektiererische Moslemsplittergruppen, angetreten, wie in den Jahren zuvor am Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag), das Existenzrecht Israels zu bestreiten? Klammheimliche und nicht so heimliche Anhänger jener palästinensischen Selbstmordattentäter, die in ihrem fanatischen Drang nach dem, was sie für Gerechtigkeit halten, die Grenzen jeglichen zivilen Miteinanders missachten?

Yavuz Özoguz ist Betreiber eines Internet-Portals (www.muslimmarkt.de), auf dem Israelhasser sich austoben. Den Schweigemarsch, den er diesmal in Berlin organisiert hat, ist ein diszipliniertes Miteinander. Ohne "Tod-Israel"-Parolen, ohne Fahnenverbrennung, weil die Öffentlichkeit im Umfeld des sich internationalisierenden asymmetrischen Terrors erstmals ihre Wahrnehmung geschärft hat, gegenüber dem seit Jahren traditionell am letzten Ramadan-Wochenende stattfindenden Marsch. Und so marschieren sie durch Berlin, so wie sie es immer getan haben: Erst die Frauen mit den Kinderwagen an der Spitze, dann die Frauen ohne Kinder, dann der Lautsprecherwagen mit dem dauertextenden Özuguz, dann die Männer, alles in allem knapp 1000 an der Zahl, nur eben eisern schweigend und ohne jene Transparente hoch zu halten, die sie zu Anfang noch dabeihatten: "Israel ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden."

Auch ohne jene Papptafel übrigens, auf der das Konterfei von Israels Premier Ariel Scharon prangt: "Entweder ihr seid für mich oder ihr seid Antisemit." Nein, Antisemiten seien sie nicht, sagen viele, bevor sich der Marsch in Gang setzt. Aber bitte, wie sollen sie denn noch Differenzierungen vornehmen angesichts solcher Sätze wie dem von Scharon? Auch Özoguz achtet in seinem Lautsprecherwagen peinlich genau darauf, alles zu vermeiden, was ihm als Antisemitismus ausgelegt werden könnte. Für ihn sollte vielmehr das "rassistische Israel" von der Weltgemeinschaft so behandelt werden wie einst der Apartheidstaat Südafrika. "Es ist ein Unrecht, was Israel tut, und es wäre falsch zu behaupten, Juden würden das tun."

Die Demonstration geht friedlich zu Ende, wenn das der richtige Begriff für das Ausbleiben von Krawall ist. Gleiches gilt für die Zusammenkunft eines kleinen Häufchens von Gegendemonstranten. Alles ruhig, am letzten Ramadanwochenende in Berlin. Doch niemand kann in die Seelen schauen.

 

Al-Quds-Tag

1979 forderte Ayatollah Khomeiny die Islamisten in aller Welt auf, am Ende des Ramadan gegen das Existenzrecht Israels zu demonstrieren. Der so genannte Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag) wurde fortan zur Plattform von Fanatikern in aller Welt, ihre Israel-feindlichen Parolen zu skandieren. In Berlin demonstrierte am Samstag erstmals ein Gegenbündnis unter dem Motto "Kein Fußbreit den Islamisten" - auch um weiter wachsendem Antisemitismus Paroli zu bieten. Vbn

 

 

Montag, 24. November 2003

 

250 Rechte demonstrieren für SS-Ehrenmal

Marienfels · 23. November · dpa · Rund 250 Rechtsextremisten haben am Wochenende für die Erhaltung eines SS-Ehrenmals in Marienfels im Rhein-Lahn-Kreis demonstriert. Die Zahl der Gegendemonstranten einer "Allianz der Vernunft" belief sich laut Polizei auf etwa 500. Mehrere hundert Polizeibeamte sorgten für die Sicherheit in dem 370-Einwohner-Dorf. Ursprünglich hatte die Polizei mit 200 bis 300 Rechtsextremisten und 800 bis 1000 Gegendemonstranten gerechnet.

Die Rechtsextremisten protestierten gegen die geplante Entfernung des umstrittenen Ehrenmals zum Gedenken an gefallene SS-Soldaten vom Marienfelser Friedhof. Laut Ortsbürgermeister Axel Harlos (SPD) soll es das einzige Denkmal der Waffen-SS in Deutschland sein. Der Gemeinderat von Marienfels hatte beschlossen, den ausgelaufenen Pachtvertrag für den Grund und Boden des Ehrenmals nicht mehr zu verlängern und dieses nur noch vorläufig zu dulden. Der Kameradschaftsverband der Soldaten zweier SS-Panzerdivisionen als Eigentümer des 1971 errichteten Ehrenmals hatte am Dienstag zwei verfassungsfeindliche Symbole von dem Denkmal entfernen lassen. Sie waren der Polizei erst wenige Tage zuvor aufgefallen.