Dienstag, 16. Dezember 2003

Afrikaner in Straßenbahn angegriffen

Ein 35-jähriger Mann aus Benin ist am Sonntagabend in einer Straßenbahn der Linie 50 rassistisch angegriffen worden. Zwei Männer waren in der Schönhauser Allee/Ecke Vinetastraße mit einem Kasten Bier zugestiegen. Sie beleidigten den Farbigen und bliesen ihm Zigarettenrauch ins Gesicht. Außerdem bedrohten sie ihn mit einem Messer. Dem Opfer gelang es, die Notbremse zu ziehen. Andere Passagiere kamen ihm zu Hilfe und alarmierten die Polizei. Die 18 und 30 Jahre alten Angreifer wurden festgenommen. Sie sind der Polizei wegen verschiedener Delikte bekannt.

 

Dienstag, 16. Dezember 2003

 

 

Jugend-Oscar für Peer Leader
Anerkennung für jugendliches Engagement vom Bundestagsabgeordneten
Von Annett Schubert

Eine Oscar-Verleihung ist schon etwas Besonderes. So wie am Montag, als Klaus Haupt, FDP-Bundestagsabgeordneter, sieben Hoyerswerdaer Peer Leadern der Friedrich-Ebert-Mittelschule und des Foucault-Gymnasiums im Bereich Eigeninitiative und Engagement für Demokratie sowie interkulturelle Kompetenz den Jugendoscar verlieh. Die 15- bis 16-jährigen SchülerInnen bekamen zusätzlich jeder eine Urkunde überreicht.

Vorurteile gegenüber Benachteiligten oder Menschen, die anders sind, sind leider in vielen Situationen immer wieder an der Tagesordnung. Um gegen Ungerechtigkeiten wie Diskriminierung, Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen, bedarf es einer gehörigen Portion Mut und Handlungsstärke.

Das und noch viel mehr beweist die Initiierung des Modellprojektes „Peer Leadership Training für demokratische Bildung und interkulturelle Kompetenz“. Das Konzept der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA) konnte erstmalig im Jahr 2000 durch Unterstützung sämtlicher Stiftungsprogramme eingeführt und auf Bundesebene mit fünf verschiedenen Partnern verbreitet werden.

Auch Jugendliche interessieren sich für gesellschaftliche Themen. Schüler des Foucault-Gymnasiums und der Friedrich-Ebert-Mittelschule wurden auf das Projekt „Schule OHNE Rassismus - Schule MIT Courage“ aufmerksam und boten daraufhin ständig neue überraschende Aktionen im Rahmen einer Unterschriftensammlung um den Erhalt dieses Titels: Große Plakate, viele Info- und Erinnerungszettel, angebracht an Treppenstufen, und im Hausflur sitzende SchülerInnen waren da keine Seltenheit. Auf die Frage, wie das mit einem Oscar für zwei beteiligte Schulen funktionieren soll, erwiderten die Gekürten: „Wir werden den Preis halbjährlich untereinander austauschen. Auf jeden Fall bekommt er einen Platz in einer Vitrine“.

Um eine tragende Führungsrolle zu übernehmen, wurden qualifizierte und interessierte junge Leute ausgewählt: Sie tragen im Rahmen eines Ausbildungsprogrammes den Titel „Peer Leaders“. In etwa zwei Jahren werden sie zu Multiplikatoren im Bereich präventiver Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzungs- sowie Ungleichheitsideologien ausgebildet. Peer Leader sind engagierte junge Leute, die was zu sagen haben“, erklärt Foucault-Schülerin Anne Lippinski. Mit Abschluss der Ausbildung sind die Verantwortlichen eigenständig in der Lage, in ihren Schulen, Ausbildungs- und Berufsfeldern als Peer Leader zu wirken. Man kann die Position auch als Rolle eines Wort- oder Anführers definieren, der eine bestimmte Gruppe in seinem Umfeld (peer group) aktiv durch demokratisches Handeln mit Respekt erreichen möchte.

 

Dienstag, 16. Dezember 2003

 

 

Scharons Hexenküche

Eine verwerfliche Studie über Antisemitismus in Europa

Thomas Immanuel Steinberg

 

Daniel Haw, der Leiter des jüdischen Theaters in Hamburg, erzählte kürzlich im Deutschlandfunk: »Ich ging auf der Straße und trug die Kippa – also unsere religiöse Kopfbedeckung. Mir schrie ein Jugendlicher aus einer Gruppe nach – ich weiß nicht, was das für eine Gruppe war – Judensau. Ich wußte, daß es gefährlich war, hab’ mich trotzdem umgedreht und bin der Gruppe entgegengelaufen, weil ich nicht hätte damit leben können. Wir müssen uns wehren. Das haben wir gelernt aus der Shoa. Also bin ich da reingerannt. Damit haben sie nicht gerechnet, sind weg. Da war auf seiten der Jugendlichen Panik. Es löste sich so auf, aber ich bin allzeit bereit. Also das weiß man schon, daß man bereit sein muß.«

Von solchen antisemitischen Angriffen berichten viele der etwa hunderttausend deutschen Juden. Auch viele der etwa sechshundertausend französischen Juden haben seit der Verschärfung des Bürgerkriegs in Israel furchterregende Überfälle erleiden müssen.

Wie verbreitet ist Antisemitismus in Deutschland? Welche Rolle spielt der Antisemitismus in Europa? Solche Fragen stellte sich das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) in Wien, eine EU-Einrichtung. Im Frühjahr 2002 gab es dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin den Auftrag, Antisemitismus in den 15 Ländern der Europäischen Union, untersuchen – oder besser gesagt: feststellen – zu lassen. Werner Bergmann und Juliane Wetzel koordinierten im Berliner Institut die Erhebungen, derer sich in jedem EU-Land ein nationales Zentrum annahm. Die Berliner fügten den nationalen Beiträgen übernationales Material hinzu, unter anderem von Nichtregierungsorganisationen, faßten die Ergebnisse zusammen und erläuterten sie.

Das EUMC erhielt den Bericht aus Berlin Anfang 2003, veröffentlichte ihn aber nicht. Am 25. November 2003 schrieb der Vorsitzende der US-amerikanischen Anti-Defamation-League, Abraham Foxman, dem Präsidenten der Europäischen Kommission deswegen einen Brief. Presseberichten zufolge, so Foxman, würde der EUMC-Bericht seit Februar aus politischen Gründen zurückgehalten. Das EUMC begründete seine Zurückhaltung mit ungeklärten Problemen bei der Begriffsdefinition und Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit von Erhebungsdaten. Der Präsident der EU-Kommission, so verlangte Foxman, möge das EUMC, das der Europäischen Kommission unterstellt ist, drängen, die Untersuchung zu veröffentlichen. Es gelte Wege zu finden, wie dem Antisemitismus in Europa zu begegnen sei. Auf Initiative von Daniel Cohn-Bendit schließlich gelangte der englische Text ins Internet. Der Vertreterrat der jüdischen Organisationen Frankreichs (CRIF) veröffentlichte den Bericht sogleich auf französisch. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hielt sich zurück. Angeblich seien urheberrechtliche Fragen zu klären.

Gab es tatsächlich politische Gründe für die Zurückhaltung? Oder taugen die begrifflichen Abgrenzungen nicht? Geben die Daten nichts her für einen innereuropäischen Vergleich?

Nur schlechte Recherche?

Die Länderberichte machen zwei Drittel des 105 Seiten starken Papiers aus. Sie haben, je nach Land, unterschiedliche Schwerpunkte – teils wegen unterschiedlicher Datenlage, teils wegen unterschiedlicher Ereignisse in dem Zeitraum, auf den die nationalen Erhebungsstellen ihr besonderes Augenmerk richten sollten (15. Mai bis 15. Juni 2002). In jedem Land werden »antisemitische Vorfälle« anders definiert und untergliedert. Sorgfältig erhoben werden dem Bericht zufolge Vorfälle in Deutschland und Frankreich, wenn auch nach unterschiedlichen Kategorien. Der Berichtsteil über Deutschland referiert ausführlich die Debatten um Möllemann und Karsli und erwähnt Walser, Friedman und Paul Spiegel. Der Berichtsteil über Frankreich konzentriert sich auf die Angriffe junger Männer nordafrikanischer Herkunft auf Juden und jüdische Einrichtungen, teils nur widerliche, teils schwer kriminelle Akte.

Neben einleuchtenden Schilderungen enthält der Gesamtbericht einige grobe sachliche Fehler, die die Sonntags-FAZ schnell entdeckt hat. Wer den Begriff »Massaker« auf israelische Vergeltungsaktionen anwende, so der Bericht, setze Israel mit den Nazis gleich. Das ist Unsinn, meint auch die FAZ. Ein anderes Beispiel aus der Untersuchung: Auf einer ATTAC-Demonstration gegen Bush sei ein antisemitisches Flugblatt verteilt worden. Zu sehen gewesen sei Uncle Sam mit jüdischer Hakennase, der die Strippen zum Rest der Welt ziehe. Die FAZ korrigierte: Die gleiche »jüdische« Nase hatte schon der Original-Sam, ein Selbstporträt des – nichtjüdischen – Schöpfers der Symbolfigur.

Ist das nur schlechte Recherche? Wie wurden nationale Antisemitismen in den EU-Ländern miteinander verglichen? Wie grenzt die Studie Antisemitismus ab, z. B. vom Haß auf einen – jüdischen – Gegner? Wird der gesellschaftliche Zusammenhang, in dem Antisemitismus jeweils steht, erörtert?

Die Anti-Defamation-League

Um internationale Vergleichszahlen einzubringen, referiert der Bericht die Ergebnisse einer Befragung der Anti-Defamation League (ADL) in zehn europäischen Ländern über »europäische Haltungen zu Juden, Israel und dem Palästina-Israel-Konflikt«. Das ist dieselbe ADL, deren Vorsitzender Foxman auf Veröffentlichung der Berliner Studie gedrängt hat. Eine Behauptung im Fragebogen, zu der Stellung zu nehmen war, lautete: »Juden sind Israel gegenüber loyaler als diesem Land gegenüber.« Starke Bestätigung dieser Behauptung, so die ADL, lasse auf starken Antisemitismus schließen. Die Frager unterstellten also, Loyalität zum eigenen Land sei etwas Gutes; und größere Loyalität zu Israel als zum eigenen Land sei etwas Schlechtes.

Beide Unterstellungen sind allerdings nationalistisch. Wer aber kein Nationalist ist, den stört es nicht, wenn ein Jude für Israel vielleicht mehr Loyalität aufbringt als für sein eigenes Land. Richard Chaim Schneider zum Beispiel, ein deutscher Jude, meint: »... es gibt die Loyalität der Juden gegenüber Israel – egal, wie sie von Antisemiten und Antizionisten interpretiert wird«. Die Anti-Defamation-League dagegen hat den befragten Europäern eine nationalistische Grundauffassung unterstellt, die sie vielleicht gar nicht haben. Herauskam schließlich, was die ADL hineingesteckt hatte: In allen zehn untersuchten Ländern fand unter den angeblich antisemitischen Feststellungen genau diese Feststellung die höchste Zustimmung.

Zur Frage, ob die Medien in Europa im Untersuchungszeitraum den Antisemitismus verstärkt hätten, verweist der Berliner Bericht erneut auf ADL-Erkenntnisse. Jene Europäer, welche die Ereignisse im Nahen Osten intensiv in den Medien verfolgt hätten, hätten auch stärker mit den Palästinensern sympathisiert. Kurz und grad: Wer in Europa viel Zeitung liest oder Fernsehen guckt, ist auch für die Palästinenser, also gegen Israel, also antisemitisch. Daher sind auch die europäischen Medien antisemitisch.

America’s pro-Israel Lobby

Derartiger Quark als Bestätigung der eigenen Vorurteile über Antisemitismus in der Welt erstaunt bei einer Organisation, die den Kampf gegen Antisemitismus auf ihre Fahnen geschrieben hat. Was ist die Anti-Defamation-League für eine Organisation? Sie hat ihren Sitz in New York und Washington, verfügt über ein Jahresbudget von 53 Millionen Dollar und unterhält dreißig Regionalbüros in den USA, eines in Jerusalem, eines in Moskau und eines in Downsview, Ontario. Zusammen mit der Zionist Organization of America und zahlreichen anderen jüdischen Organisationen ist sie Mitglied des American Israel Public Affairs Committee – AIPAC. »AIPAC is America’s pro-Israel Lobby« lautet der erste Satz auf der Internetseite von AIPAC.

Zurück zur Anti-Defamation League. Sie war es, die Silvio Berlusconi den diesjährigen Distinguished Statesman Award verlieh – den Preis als hervorragendem Staatsmann. Der Preis, so Foxman, komme Berlusconi zu für seinen Einsatz im Kampf gegen den Antisemitismus. Wenige Tage zuvor hatte Berlusconi behauptet, Juden sei in Italien unter Mussolini nichts passiert. Von der Öffentlichkeit auf den Widerspruch hingewiesen, meinte Foxman, Berlusconi stünde fest an der Seite Israels und habe Bushs Irak-Krieg unterstützt. Für seine Mussolini-Bemerkung habe sich Berlusconi entschuldigt. Bei der ADL ist der Antisemitismus eine Waffe im Kampf für die Bush-Scharon-Linie in der Weltpolitik. Wie’s grad paßt, blasen sie den Antisemitismus auf oder reden ihn klein.

Foxmans parteiliche Identifizierung Israels mit der Sache der Juden in der Welt durchzieht auch die Berliner Antisemitismusuntersuchung. Diesen Strukturmangel haben die Autoren bemerkt und genannt: Zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus sei in den Länderstudien nicht immer klar unterschieden worden, beide seien auch schwer zu unterscheiden, müßten aber unterschieden werden. Um genau diesen Punkt tobte der Streit im Untersuchungszeitraum 2002, nicht nur in Deutschland. Heftig ging es auch in Frankreich zu. Der EUMC-Bericht zählt die innerdeutsche Auseinandersetzung um Walser, Möllemann und Karsli her, erwähnt Paul Spiegel und Friedman, begnügt sich aber inhaltlich damit zu behaupten: »Die Grundfrage, welche Art von Kritik (an Israel) gerechtfertigt sei, ohne Gefahr zu laufen, Antisemit genannt zu werden, bleibt unbeantwortet.«

Ist das wirklich die Frage? Hätte im Bericht nicht durchgängig geklärt werden müssen, was antisemitisch ist? Darüber hinaus: In welchen gesellschaftlichen Prozeß waren die jeweiligen Vorfälle eingebunden, die auf Antisemitismus zu überprüfen waren?

Mit Organisationen wie der Anti-Defamation League kann die Frage nicht beantwortet werden. Saugt die ADL doch den bitteren Honig für ihre politische Position gerade aus der Identifizierung Israels und seiner Regierungspolitik mit den Juden der Welt.

Im Berichtsteil über Frankreich fehlt jeder Hinweis auf den Fall des renommierten Fernsehjournalisten Daniel Mermet. Er wurde wegen seiner Palästina-Berichte in der Sendung »Là-bas si j’y suis« heftig angegriffen und stand deshalb mehrfach vor Gericht. Immer wieder wurde er wegen fehlender Beweise freigesprochen und konnte – wegen besonderer Vorschriften in der französischen Strafprozeßordnung – doch aufgrund ähnlicher Anschuldigungen immer wieder vor Gericht gezerrt werden.

Zivile Nebenkläger der Verfahren waren französische jüdische Organisationen, die unter dem Dach des CRIF (Conseil Représentatif des Institutions juives de France), des Vertreterrats der jüdischen Einrichtungen in Frankreich, arbeiten. 1) Der CRIF machte 2002 Antisemitismus aus, wo immer Israel verbal angegriffen wurde. Seine Internetseite enthielt Links zu rassistischen jüdischen Seiten. Sein Präsident, Roger Cukierman, zeigte sich bei der Präsidentenwahl erfreut über Le Pens Erfolg im ersten Wahlgang. Le Pens Erfolg sei »eine Botschaft an die Muslime, daß sie sich ruhig verhalten sollen, denn er ist bekannt dafür, daß er sich immer gegen ihre Einwanderung ausgesprochen hat«. 2) Roger Cukierman verkündete 2003: »Als Scharon in Frankreich war, habe ich ihm gesagt, daß er unbedingt ein Propagandaministerium schaffen müsse, wie Goebbels.« 3)

Juden und Israel in eins gesetzt

Der CRIF von Roger Cukierman trug zum Berichtsteil der Berliner Antisemitismusstudie über Frankreich bei. Angaben über das Auftreten des CRIF selbst sucht man vergebens in der Studie.

In den USA schrieb Judith Butler, die Philosophin und Feministin, eine Replik auf Äußerungen des Präsidenten der Havard-Universität, Lawrence Summers. Der hatte Judentum und Israel in eins gesetzt. Butler: »Israel mit dem Judentum zu identifizieren, verschleiert die Existenz einer kleinen, aber wichtigen postzionistischen Bewegung in Israel, der die Philosophen Adi Ophir und Anat Biletzki angehören, der Soziologe Uri Ram, der Professor für Theaterwissenschaften Avraham Oz und der Dichter Yitzhak Laor.« Und weiter fragt Butler: »Was ist mit der neuen Brit-Tzedek-Organisation in den USA mit fast 20 000 Mitgliedern bei der letzten Zählung, die eine kritische Alternative anzubieten versucht zum American Israel Political Action Committee (AIPAC)? Sie stellt sich gegen die gegenwärtige Besatzung und arbeitet für eine Zweistaatenlösung. Was ist mit Jewish Voices for Peace, Jews against the Occupation, Jews for Peace in the Middle East, mit der Faculty for Israeli-Palestinian Peace, mit Tikkun, Jews for Racial and Economic Justice, Women in Black oder Neve Shalom-Wahat al-Salam …?« Judith Butler folgert: »… Juden mit Zionisten gleichzusetzen oder Jüdischsein mit Zionismus – das geht nicht.«

Ironischerweise ist gerade das die Taktik, die auch Antisemiten bevorzugen. »Zu behaupten, daß alle Juden eine bestimmte Meinung zu Israel haben oder von Israel angemessen vertreten werden, oder umgekehrt, daß das Vorgehen Israels, des Staates, für das Verhalten aller Juden genommen werden kann, heißt, die Juden mit Israel zu verschmelzen und dadurch eine antisemitische Reduktion des Jüdischseins zu befördern.« 4) Es war Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sich zu Lebzeiten immer wieder über Menschen empörte, die ihn, einen jüdischen Deutschen, freundlich fragten, warum er »die Heimat« Israel verlassen habe.

Auch viele französische Juden erkennen, worauf Cukiermans Positionen hinauslaufen. In einer Anzeige in Le Monde verlangten sie die Entfernung der Links zu jüdischen Rassisten von der Internetseite des CRIF, erklärten Cukiermans Le-Pen-Äußerungen für gefährlich und stellten fest: »Der CRIF verhält sich wie eine Hexenküche der israelischen Regierung und wird darin zu einem Überträger des Antisemitismus, indem er alle Kritik an der israelischen Politik verbietet und indem er ständig einen besonderen Status für Israel einfordert.« Der Historiker Pierre Vidal-Naquet, der Regisseur Bernard Tavernier und die Anwältin Gisèle Halimi gehörten zu den zahlreichen, meist jüdischen Unterzeichnern.

Zurück zur Berliner Studie. Sie verwendet die Begriffe Antizionismus, Antiisraelismus, Judenhaß, Judenfeindlichkeit und Antisemitismus; sie nennt ein wichtiges Element vieler, nicht aller Formen des Antisemitismus, nämlich den Glauben an Verschwörungsmythen, aber operationalisiert nicht, sie grenzt die Begriffe nicht voneinander ab. Darüber hinaus betrachtet sie den Antisemitismus insgesamt als ein Phänomen außerhalb des Geflechts aus gesellschaftlichen und weltpolitischen Wechselwirkungen. Israels Politik löst, wenn nicht Antisemitismus, so doch Haß aus bei denen, die unter ihr leiden. Der Haß schlägt auf ganz Israel und, häufig völlig undifferenziert, auf die Juden in der Welt zurück. Michel Warschawski, ein israelischer Antizionist, hat Verständnis dafür gezeigt, daß Demonstrationen gegen die israelische Politik vor Synagogen in Europa stattfinden, da europäische jüdische Repräsentanten sich oft mit der israelischen Politik identifizieren und keinen Widerspruch bei den Repräsentierten ernten.

European Jews for a Just Peace

Doch die jüdischen Gegner der israelischen Regierungspolitik in Europa sammeln sich. Die European Jews for a Just Peace fordern das sofortige Ende der Besatzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ostjerusalems sowie die Anerkennung der Grenzen vom 4. Juni 1967; die vollständige Räumung aller jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten; die Anerkennung des Rechtes beider Staaten, Jerusalem als ihre Hauptstadt anzusehen und die offizielle Anerkennung des Anteils Israels am palästinensischen Flüchtlingsproblem. Israel sollte im Grundsatz das Rückkehrrecht der Palästinenser als Menschenrecht anerkennen.

Fanny-Michaela Reisin, eine Berliner Computerwissenschaftlerin, gründete kürzlich die deutsche Sektion dieser Organisation, »ausdrücklich in der Absicht, sichtbar zu machen, daß die gegenwärtige Politik der israelischen Regierung entgegen der Behauptung ihrer Vertreter und der wiederholten Beteuerung von Sprechern großer jüdischer Gemeinden keineswegs von allen Menschen jüdischer Herkunft gestützt wird. All jenen, die sich anmaßen, für alle Juden einer Nation oder gar der Welt zu sprechen, rufen wir entgegen: Nicht in unserem Namen!«

Reisin kannte die Berliner Antisemitismusstudie noch nicht, als sie mit Gleichgesinnten an die Öffentlichkeit ging. Sie wird die Studie ebenso verwerfen wie jeder, dem an einer friedlichen Welt gelegen ist.