Ein
35-jähriger Mann aus Benin ist am Sonntagabend in einer Straßenbahn der Linie
50 rassistisch angegriffen worden. Zwei Männer waren in der Schönhauser
Allee/Ecke Vinetastraße mit einem Kasten Bier zugestiegen. Sie beleidigten den
Farbigen und bliesen ihm Zigarettenrauch ins Gesicht. Außerdem bedrohten sie
ihn mit einem Messer. Dem Opfer gelang es, die Notbremse zu ziehen. Andere
Passagiere kamen ihm zu Hilfe und alarmierten die Polizei. Die 18 und 30 Jahre
alten Angreifer wurden festgenommen. Sie sind der Polizei wegen verschiedener
Delikte bekannt.
Dienstag, 16. Dezember 2003
Jugend-Oscar für Peer Leader
Anerkennung für
jugendliches Engagement vom Bundestagsabgeordneten
Von Annett Schubert
Eine Oscar-Verleihung ist schon etwas
Besonderes. So wie am Montag, als Klaus Haupt, FDP-Bundestagsabgeordneter,
sieben Hoyerswerdaer Peer Leadern der Friedrich-Ebert-Mittelschule und des
Foucault-Gymnasiums im Bereich Eigeninitiative und Engagement für Demokratie
sowie interkulturelle Kompetenz den Jugendoscar verlieh. Die 15- bis
16-jährigen SchülerInnen bekamen zusätzlich jeder eine Urkunde überreicht.
Vorurteile gegenüber
Benachteiligten oder Menschen, die anders sind, sind leider in vielen Situationen
immer wieder an der Tagesordnung. Um gegen Ungerechtigkeiten wie
Diskriminierung, Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen, bedarf es einer
gehörigen Portion Mut und Handlungsstärke.
Das und noch viel
mehr beweist die Initiierung des Modellprojektes „Peer Leadership Training für
demokratische Bildung und interkulturelle Kompetenz“. Das Konzept der
Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Regionalen Arbeitsstelle für
Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA) konnte erstmalig im Jahr 2000
durch Unterstützung sämtlicher Stiftungsprogramme eingeführt und auf
Bundesebene mit fünf verschiedenen Partnern verbreitet werden.
Auch Jugendliche
interessieren sich für gesellschaftliche Themen. Schüler des
Foucault-Gymnasiums und der Friedrich-Ebert-Mittelschule wurden auf das Projekt
„Schule OHNE Rassismus - Schule MIT Courage“ aufmerksam und boten daraufhin
ständig neue überraschende Aktionen im Rahmen einer Unterschriftensammlung um
den Erhalt dieses Titels: Große Plakate, viele Info- und Erinnerungszettel,
angebracht an Treppenstufen, und im Hausflur sitzende SchülerInnen waren da
keine Seltenheit. Auf die Frage, wie das mit einem Oscar für zwei beteiligte
Schulen funktionieren soll, erwiderten die Gekürten: „Wir werden den Preis
halbjährlich untereinander austauschen. Auf jeden Fall bekommt er einen Platz
in einer Vitrine“.
Um eine tragende
Führungsrolle zu übernehmen, wurden qualifizierte und interessierte junge Leute
ausgewählt: Sie tragen im Rahmen eines Ausbildungsprogrammes den Titel „Peer
Leaders“. In etwa zwei Jahren werden sie zu Multiplikatoren im Bereich
präventiver Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzungs- sowie
Ungleichheitsideologien ausgebildet. Peer Leader sind engagierte junge Leute,
die was zu sagen haben“, erklärt Foucault-Schülerin Anne Lippinski. Mit
Abschluss der Ausbildung sind die Verantwortlichen eigenständig in der Lage, in
ihren Schulen, Ausbildungs- und Berufsfeldern als Peer Leader zu wirken. Man
kann die Position auch als Rolle eines Wort- oder Anführers definieren, der
eine bestimmte Gruppe in seinem Umfeld (peer group) aktiv durch demokratisches
Handeln mit Respekt erreichen möchte.
Dienstag, 16. Dezember 2003
Scharons Hexenküche
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Eine verwerfliche Studie über
Antisemitismus in Europa
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Thomas
Immanuel Steinberg |
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Daniel
Haw, der Leiter des jüdischen Theaters in Hamburg, erzählte kürzlich im
Deutschlandfunk: »Ich ging auf der Straße und trug die Kippa – also unsere
religiöse Kopfbedeckung. Mir schrie ein Jugendlicher aus einer Gruppe nach –
ich weiß nicht, was das für eine Gruppe war – Judensau. Ich wußte, daß es
gefährlich war, hab’ mich trotzdem umgedreht und bin der Gruppe
entgegengelaufen, weil ich nicht hätte damit leben können. Wir müssen uns
wehren. Das haben wir gelernt aus der Shoa. Also bin ich da reingerannt.
Damit haben sie nicht gerechnet, sind weg. Da war auf seiten der Jugendlichen
Panik. Es löste sich so auf, aber ich bin allzeit bereit. Also das weiß man
schon, daß man bereit sein muß.« Von solchen
antisemitischen Angriffen berichten viele der etwa hunderttausend deutschen
Juden. Auch viele der etwa sechshundertausend französischen Juden haben seit
der Verschärfung des Bürgerkriegs in Israel furchterregende Überfälle
erleiden müssen. Wie verbreitet ist
Antisemitismus in Deutschland? Welche Rolle spielt der Antisemitismus in
Europa? Solche Fragen stellte sich das European Monitoring Centre on Racism
and Xenophobia (EUMC) in Wien, eine EU-Einrichtung. Im Frühjahr 2002 gab es
dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin den Auftrag,
Antisemitismus in den 15 Ländern der Europäischen Union, untersuchen – oder
besser gesagt: feststellen – zu lassen. Werner Bergmann und Juliane Wetzel
koordinierten im Berliner Institut die Erhebungen, derer sich in jedem
EU-Land ein nationales Zentrum annahm. Die Berliner fügten den nationalen
Beiträgen übernationales Material hinzu, unter anderem von
Nichtregierungsorganisationen, faßten die Ergebnisse zusammen und erläuterten
sie. Das EUMC erhielt den
Bericht aus Berlin Anfang 2003, veröffentlichte ihn aber nicht. Am 25.
November 2003 schrieb der Vorsitzende der US-amerikanischen
Anti-Defamation-League, Abraham Foxman, dem Präsidenten der Europäischen
Kommission deswegen einen Brief. Presseberichten zufolge, so Foxman, würde
der EUMC-Bericht seit Februar aus politischen Gründen zurückgehalten. Das
EUMC begründete seine Zurückhaltung mit ungeklärten Problemen bei der
Begriffsdefinition und Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit von
Erhebungsdaten. Der Präsident der EU-Kommission, so verlangte Foxman, möge
das EUMC, das der Europäischen Kommission unterstellt ist, drängen, die
Untersuchung zu veröffentlichen. Es gelte Wege zu finden, wie dem
Antisemitismus in Europa zu begegnen sei. Auf Initiative von Daniel
Cohn-Bendit schließlich gelangte der englische Text ins Internet. Der
Vertreterrat der jüdischen Organisationen Frankreichs (CRIF) veröffentlichte
den Bericht sogleich auf französisch. Der Zentralrat der Juden in Deutschland
hielt sich zurück. Angeblich seien urheberrechtliche Fragen zu klären. Gab es tatsächlich
politische Gründe für die Zurückhaltung? Oder taugen die begrifflichen
Abgrenzungen nicht? Geben die Daten nichts her für einen innereuropäischen
Vergleich? Nur schlechte Recherche?
Die Länderberichte
machen zwei Drittel des 105 Seiten starken Papiers aus. Sie haben, je nach
Land, unterschiedliche Schwerpunkte – teils wegen unterschiedlicher
Datenlage, teils wegen unterschiedlicher Ereignisse in dem Zeitraum, auf den
die nationalen Erhebungsstellen ihr besonderes Augenmerk richten sollten (15.
Mai bis 15. Juni 2002). In jedem Land werden »antisemitische Vorfälle« anders
definiert und untergliedert. Sorgfältig erhoben werden dem Bericht zufolge
Vorfälle in Deutschland und Frankreich, wenn auch nach unterschiedlichen
Kategorien. Der Berichtsteil über Deutschland referiert ausführlich die
Debatten um Möllemann und Karsli und erwähnt Walser, Friedman und Paul
Spiegel. Der Berichtsteil über Frankreich konzentriert sich auf die Angriffe
junger Männer nordafrikanischer Herkunft auf Juden und jüdische
Einrichtungen, teils nur widerliche, teils schwer kriminelle Akte. Neben einleuchtenden
Schilderungen enthält der Gesamtbericht einige grobe sachliche Fehler, die
die Sonntags-FAZ schnell entdeckt hat. Wer den Begriff »Massaker« auf
israelische Vergeltungsaktionen anwende, so der Bericht, setze Israel mit den
Nazis gleich. Das ist Unsinn, meint auch die FAZ. Ein anderes Beispiel aus
der Untersuchung: Auf einer ATTAC-Demonstration gegen Bush sei ein
antisemitisches Flugblatt verteilt worden. Zu sehen gewesen sei Uncle Sam mit
jüdischer Hakennase, der die Strippen zum Rest der Welt ziehe. Die FAZ
korrigierte: Die gleiche »jüdische« Nase hatte schon der Original-Sam, ein
Selbstporträt des – nichtjüdischen – Schöpfers der Symbolfigur. Ist das nur schlechte Recherche?
Wie wurden nationale Antisemitismen in den EU-Ländern miteinander verglichen?
Wie grenzt die Studie Antisemitismus ab, z. B. vom Haß auf einen – jüdischen
– Gegner? Wird der gesellschaftliche Zusammenhang, in dem Antisemitismus
jeweils steht, erörtert? Die
Anti-Defamation-League Um internationale
Vergleichszahlen einzubringen, referiert der Bericht die Ergebnisse einer
Befragung der Anti-Defamation League (ADL) in zehn europäischen Ländern über
»europäische Haltungen zu Juden, Israel und dem Palästina-Israel-Konflikt«.
Das ist dieselbe ADL, deren Vorsitzender Foxman auf Veröffentlichung der
Berliner Studie gedrängt hat. Eine Behauptung im Fragebogen, zu der Stellung
zu nehmen war, lautete: »Juden sind Israel gegenüber loyaler als diesem Land
gegenüber.« Starke Bestätigung dieser Behauptung, so die ADL, lasse auf
starken Antisemitismus schließen. Die Frager unterstellten also, Loyalität
zum eigenen Land sei etwas Gutes; und größere Loyalität zu Israel als zum
eigenen Land sei etwas Schlechtes. Beide Unterstellungen
sind allerdings nationalistisch. Wer aber kein Nationalist ist, den stört es
nicht, wenn ein Jude für Israel vielleicht mehr Loyalität aufbringt als für
sein eigenes Land. Richard Chaim Schneider zum Beispiel, ein deutscher Jude,
meint: »... es gibt die Loyalität der Juden gegenüber Israel – egal, wie sie
von Antisemiten und Antizionisten interpretiert wird«. Die
Anti-Defamation-League dagegen hat den befragten Europäern eine
nationalistische Grundauffassung unterstellt, die sie vielleicht gar nicht
haben. Herauskam schließlich, was die ADL hineingesteckt hatte: In allen zehn
untersuchten Ländern fand unter den angeblich antisemitischen Feststellungen
genau diese Feststellung die höchste Zustimmung. Zur Frage, ob die Medien
in Europa im Untersuchungszeitraum den Antisemitismus verstärkt hätten,
verweist der Berliner Bericht erneut auf ADL-Erkenntnisse. Jene Europäer,
welche die Ereignisse im Nahen Osten intensiv in den Medien verfolgt hätten,
hätten auch stärker mit den Palästinensern sympathisiert. Kurz und grad: Wer
in Europa viel Zeitung liest oder Fernsehen guckt, ist auch für die
Palästinenser, also gegen Israel, also antisemitisch. Daher sind auch die
europäischen Medien antisemitisch. America’s pro-Israel Lobby Derartiger Quark als Bestätigung
der eigenen Vorurteile über Antisemitismus in der Welt erstaunt bei einer
Organisation, die den Kampf gegen Antisemitismus auf ihre Fahnen geschrieben
hat. Was ist die Anti-Defamation-League für eine Organisation? Sie hat ihren
Sitz in New York und Washington, verfügt über ein Jahresbudget von 53
Millionen Dollar und unterhält dreißig Regionalbüros in den USA, eines in
Jerusalem, eines in Moskau und eines in Downsview, Ontario. Zusammen mit der
Zionist Organization of America und zahlreichen anderen jüdischen
Organisationen ist sie Mitglied des American Israel Public Affairs Committee
– AIPAC. »AIPAC is America’s pro-Israel Lobby« lautet der erste Satz auf der
Internetseite von AIPAC. Zurück zur
Anti-Defamation League. Sie war es, die Silvio Berlusconi den diesjährigen
Distinguished Statesman Award verlieh – den Preis als hervorragendem
Staatsmann. Der Preis, so Foxman, komme Berlusconi zu für seinen Einsatz im
Kampf gegen den Antisemitismus. Wenige Tage zuvor hatte Berlusconi behauptet,
Juden sei in Italien unter Mussolini nichts passiert. Von der Öffentlichkeit
auf den Widerspruch hingewiesen, meinte Foxman, Berlusconi stünde fest an der
Seite Israels und habe Bushs Irak-Krieg unterstützt. Für seine
Mussolini-Bemerkung habe sich Berlusconi entschuldigt. Bei der ADL ist der
Antisemitismus eine Waffe im Kampf für die Bush-Scharon-Linie in der
Weltpolitik. Wie’s grad paßt, blasen sie den Antisemitismus auf oder reden
ihn klein. Foxmans parteiliche
Identifizierung Israels mit der Sache der Juden in der Welt durchzieht auch
die Berliner Antisemitismusuntersuchung. Diesen Strukturmangel haben die
Autoren bemerkt und genannt: Zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus sei
in den Länderstudien nicht immer klar unterschieden worden, beide seien auch
schwer zu unterscheiden, müßten aber unterschieden werden. Um genau diesen
Punkt tobte der Streit im Untersuchungszeitraum 2002, nicht nur in
Deutschland. Heftig ging es auch in Frankreich zu. Der EUMC-Bericht zählt die
innerdeutsche Auseinandersetzung um Walser, Möllemann und Karsli her, erwähnt
Paul Spiegel und Friedman, begnügt sich aber inhaltlich damit zu behaupten:
»Die Grundfrage, welche Art von Kritik (an Israel) gerechtfertigt sei, ohne
Gefahr zu laufen, Antisemit genannt zu werden, bleibt unbeantwortet.« Ist das wirklich die
Frage? Hätte im Bericht nicht durchgängig geklärt werden müssen, was
antisemitisch ist? Darüber hinaus: In welchen gesellschaftlichen Prozeß waren
die jeweiligen Vorfälle eingebunden, die auf Antisemitismus zu überprüfen
waren? Mit Organisationen wie
der Anti-Defamation League kann die Frage nicht beantwortet werden. Saugt die
ADL doch den bitteren Honig für ihre politische Position gerade aus der
Identifizierung Israels und seiner Regierungspolitik mit den Juden der Welt. Im Berichtsteil über
Frankreich fehlt jeder Hinweis auf den Fall des renommierten
Fernsehjournalisten Daniel Mermet. Er wurde wegen seiner Palästina-Berichte
in der Sendung »Là-bas si j’y suis« heftig angegriffen und stand deshalb
mehrfach vor Gericht. Immer wieder wurde er wegen fehlender Beweise
freigesprochen und konnte – wegen besonderer Vorschriften in der
französischen Strafprozeßordnung – doch aufgrund ähnlicher Anschuldigungen
immer wieder vor Gericht gezerrt werden. Zivile Nebenkläger der
Verfahren waren französische jüdische Organisationen, die unter dem Dach des
CRIF (Conseil Représentatif des Institutions juives de France), des
Vertreterrats der jüdischen Einrichtungen in Frankreich, arbeiten. 1) Der
CRIF machte 2002 Antisemitismus aus, wo immer Israel verbal angegriffen
wurde. Seine Internetseite enthielt Links zu rassistischen jüdischen Seiten.
Sein Präsident, Roger Cukierman, zeigte sich bei der Präsidentenwahl erfreut
über Le Pens Erfolg im ersten Wahlgang. Le Pens Erfolg sei »eine Botschaft an
die Muslime, daß sie sich ruhig verhalten sollen, denn er ist bekannt dafür,
daß er sich immer gegen ihre Einwanderung ausgesprochen hat«. 2) Roger
Cukierman verkündete 2003: »Als Scharon in Frankreich war, habe ich ihm
gesagt, daß er unbedingt ein Propagandaministerium schaffen müsse, wie
Goebbels.« 3) Juden und Israel in eins
gesetzt Der CRIF von Roger
Cukierman trug zum Berichtsteil der Berliner Antisemitismusstudie über
Frankreich bei. Angaben über das Auftreten des CRIF selbst sucht man
vergebens in der Studie. In den USA schrieb
Judith Butler, die Philosophin und Feministin, eine Replik auf Äußerungen des
Präsidenten der Havard-Universität, Lawrence Summers. Der hatte Judentum und
Israel in eins gesetzt. Butler: »Israel mit dem Judentum zu identifizieren,
verschleiert die Existenz einer kleinen, aber wichtigen postzionistischen
Bewegung in Israel, der die Philosophen Adi Ophir und Anat Biletzki
angehören, der Soziologe Uri Ram, der Professor für Theaterwissenschaften
Avraham Oz und der Dichter Yitzhak Laor.« Und weiter fragt Butler: »Was ist
mit der neuen Brit-Tzedek-Organisation in den USA mit fast 20 000 Mitgliedern
bei der letzten Zählung, die eine kritische Alternative anzubieten versucht
zum American Israel Political Action Committee (AIPAC)? Sie stellt sich gegen
die gegenwärtige Besatzung und arbeitet für eine Zweistaatenlösung. Was
ist mit Jewish Voices for Peace, Jews against the Occupation, Jews for Peace
in the Middle East, mit der Faculty for Israeli-Palestinian Peace, mit
Tikkun, Jews for Racial and Economic Justice, Women in Black oder Neve
Shalom-Wahat al-Salam …?« Judith Butler folgert: »… Juden mit Zionisten gleichzusetzen oder
Jüdischsein mit Zionismus – das geht nicht.« Ironischerweise ist
gerade das die Taktik, die auch Antisemiten bevorzugen. »Zu behaupten, daß
alle Juden eine bestimmte Meinung zu Israel haben oder von Israel angemessen
vertreten werden, oder umgekehrt, daß das Vorgehen Israels, des Staates, für
das Verhalten aller Juden genommen werden kann, heißt, die Juden mit Israel
zu verschmelzen und dadurch eine antisemitische Reduktion des Jüdischseins zu
befördern.« 4) Es war Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in
Deutschland, der sich zu Lebzeiten immer wieder über Menschen empörte, die
ihn, einen jüdischen Deutschen, freundlich fragten, warum er »die Heimat«
Israel verlassen habe. Auch viele französische
Juden erkennen, worauf Cukiermans Positionen hinauslaufen. In einer Anzeige
in Le Monde verlangten sie die Entfernung der Links zu jüdischen Rassisten
von der Internetseite des CRIF, erklärten Cukiermans Le-Pen-Äußerungen für
gefährlich und stellten fest: »Der CRIF verhält sich wie eine Hexenküche der
israelischen Regierung und wird darin zu einem Überträger des Antisemitismus,
indem er alle Kritik an der israelischen Politik verbietet und indem er
ständig einen besonderen Status für Israel einfordert.« Der Historiker Pierre
Vidal-Naquet, der Regisseur Bernard Tavernier und die Anwältin Gisèle Halimi
gehörten zu den zahlreichen, meist jüdischen Unterzeichnern. Zurück zur Berliner
Studie. Sie verwendet die Begriffe Antizionismus, Antiisraelismus, Judenhaß,
Judenfeindlichkeit und Antisemitismus; sie nennt ein wichtiges Element
vieler, nicht aller Formen des Antisemitismus, nämlich den Glauben an
Verschwörungsmythen, aber operationalisiert nicht, sie grenzt die Begriffe
nicht voneinander ab. Darüber hinaus betrachtet sie den Antisemitismus
insgesamt als ein Phänomen außerhalb des Geflechts aus gesellschaftlichen und
weltpolitischen Wechselwirkungen. Israels Politik löst, wenn nicht
Antisemitismus, so doch Haß aus bei denen, die unter ihr leiden. Der Haß
schlägt auf ganz Israel und, häufig völlig undifferenziert, auf die Juden in
der Welt zurück. Michel Warschawski, ein israelischer Antizionist, hat
Verständnis dafür gezeigt, daß Demonstrationen gegen die israelische Politik
vor Synagogen in Europa stattfinden, da europäische jüdische Repräsentanten
sich oft mit der israelischen Politik identifizieren und keinen Widerspruch
bei den Repräsentierten ernten. European Jews for a Just Peace Doch die jüdischen
Gegner der israelischen Regierungspolitik in Europa sammeln sich. Die
European Jews for a Just Peace fordern das sofortige Ende der Besatzung des
Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ostjerusalems sowie die Anerkennung
der Grenzen vom 4. Juni 1967; die vollständige Räumung aller jüdischen
Siedlungen in den besetzten Gebieten; die Anerkennung des Rechtes beider
Staaten, Jerusalem als ihre Hauptstadt anzusehen und die offizielle
Anerkennung des Anteils Israels am palästinensischen Flüchtlingsproblem.
Israel sollte im Grundsatz das Rückkehrrecht der Palästinenser als
Menschenrecht anerkennen. Fanny-Michaela Reisin,
eine Berliner Computerwissenschaftlerin, gründete kürzlich die deutsche
Sektion dieser Organisation, »ausdrücklich in der Absicht, sichtbar zu
machen, daß die gegenwärtige Politik der israelischen Regierung entgegen der
Behauptung ihrer Vertreter und der wiederholten Beteuerung von Sprechern
großer jüdischer Gemeinden keineswegs von allen Menschen jüdischer Herkunft
gestützt wird. All jenen, die sich anmaßen, für alle Juden einer Nation oder
gar der Welt zu sprechen, rufen wir entgegen: Nicht in unserem Namen!« Reisin kannte die
Berliner Antisemitismusstudie noch nicht, als sie mit Gleichgesinnten an die
Öffentlichkeit ging. Sie wird die Studie ebenso verwerfen wie jeder, dem an
einer friedlichen Welt gelegen ist. |