Hamm: Antideutsche nutzen Neonaziprovokation, um Angriffe gegen Linke zu verstärken
Unter dem
Motto »Antisemitismus und Faschismus bekämpfen – für eine kosmopolitische
Linke« will die Antifa Hamm am 17. Januar gegen einen Aufmarsch von Neonazis
protestieren. Die wiederum will in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt ihre
»Solidarität mit Palästina« demonstrieren.
Der Aufzug der Rechten
könnte indes die weitere Spaltung der Antifaszene des Ruhrgebietes fördern.
Denn neben der sich gemäßigt antideutsch gebenden Antifa Hamm mobilisieren auch
die Bellizisten diverser Gruppen mit einem eigenen Aufruf zu Aktionen, die den
Neonaziaufmarsch zum Anlaß nehmen. So findet sich auf der Internetseite
www.no-nazis.de ein Aufruf verschiedener antideutscher Gruppen, in dem zum
wiederholten Mal eine Art antisemitische Volksfront aus »deutschen Nazis,
DemokratInnen und nicht unwesentlichen Teilen der radikalen Linken«
herbeifabuliert wird, die »Israel und die USA, also »Individualität,
Weltbürgertum und Fortschritt«, bekämpfen wolle. Im weiteren Text findet sich
allerdings ohne Bezug zum oben Zitierten, die Erkenntnis, daß der Kapitalismus
»Verblendungszusammenhänge« produziert, die sich »unter anderem als Nationalismus,
Rassismus oder eben Antisemitismus äußern können«.
Antifaschisten,
die gegen die Neonaziprovokation protestieren wollen, ohne imperialistische
Aggressionen zu befürworten, bleibt wohl nichts übrig, als abseits der
»Antideutschen« zu demonstrieren.
Mittwoch, 7. Januar 2004
Mit
Anstand aufstehen und sich wehren
Fragen an Stefanie Schulze (PDS), Mitglied des Hauptausschusses
ND: Was kann man gegen rechte Aufmärsche tun?
Schulze: Mit Anstand aufstehen, sich gegen Rechts öffentlich wehren. Dabei
hilft ein Bündnis für Demokratie und Toleranz. Lichtenberg hat dafür mit seinem
kommunalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus und für zivilgesellschaftliches
Engagement den richtigen Weg eingeschlagen. Geschaffen wird ein Netzwerk aller
Träger und Strukturen aus Kiezbeiräten, Schulen, dem Bezirksamt und vielen
anderen.
Müssen die vom Senat geförderten Projekte des Programms »Gegen
Rechtsextremismus« den Sparkurs fürchten?
Genau dieses Programm erhält der Senat für die nächsten Jahre. Es
bekräftigt seinen und den Willen des Abgeordnetenhauses, gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen, sich für die Stärkung
von zivilgesellschaftlichem Engagement einzusetzen. Als die Projekte ihre
Arbeit dem Parlament und der Öffentlichkeit vorstellten, war das ein voller
Erfolg. Viele Abgeordnete erhielten, gerade wenn sie vorher am Sinn mancher
Projekte zweifelten, einen differenzierteren Einblick. Viele Schüler haben die
Ausstellung besucht, Diskussionsforen organisiert und Experten haben über die
inhaltliche Weiterentwicklung beraten.
Der Wert der einzelnen Projekte wurde geprüft, fallen nun welche weg?
Es trifft zu, dass evaluiert wurde. Aber es ging nicht um einzelne
Projekte, sondern um das Programm als Ganzes. Experten schlugen vor, wie sich
das Programm inhaltlich weiterentwickeln muss. Das Berliner Programm soll ein
eigenständiges Profil erhalten – insofern sollte die Überprüfung die Förderung
optimieren helfen.
In welcher Richtung?
Rechtsextremistische und fremdenfeindliche Haltungen lassen sich nicht auf
bestimmte Bevölkerungsgruppen, Schichten oder Regionen eingrenzen. Sie sind
eher ein Problem der politischen Kultur und nicht einfach als abweichendes
Verhalten in einer bestimmten Lebensphase zu betrachten. Aber es gibt natürlich
Regionen, in denen sich rechtsradikale Kräfte gezielt organisieren. Die
Programme müssen also vornehmlich zivilgesellschaftliche Veränderungen sowie
demokratische Strukturen fördern.
In diesem Sinne bitte ein Blick voraus.
Das Ziel des Berliner Programms muss sein, ein gesellschaftliches Klima zu
fördern, in dem menschen- und demokratiefeindliche Bestrebungen keinen Raum
finden. Gezielt wird Respekt vor anderen und die Bereitschaft in der
Bevölkerung gestärkt, sich Rechtsorientierten und Fremdenfeindlichen entgegenzustellen.
Woran ließe sich die Wirksamkeit von Projekten und Programm messen?
Nicht einfach an der an- oder absteigenden Zahl rechtsorientierter
Übergriffe. Das Gesamtkonzept des Berliner Programms muss mit seinen einzelnen
Projekten eine große Vielfalt entwickeln. Wichtig ist dabei die Verzahnung der
bezirklichen- und Landesstrukturen, staatlicher Institutionen und
Beratungsstellen. Kriterien für die Wirksamkeit und damit auch die Förderung
von Projekten sollen künftig konkret formuliert werden.
Gibt es Zielgruppen?
Die Experten halten beispielsweise Berufsschüler für besonders gefährdet,
die aus den anderen Förderprogrammen herausfallen. Zuwendung benötigen Projekte
für Opfer von Rassismus. Es geht zudem um die Einbindung von Projekten in
bezirkliche Aktionspläne.
Wie lange werden Förderprogramme zwangsläufig nötig sein?
Solange Aufmärsche der neonazistischen Szene Zulauf finden, Konzerte dort
gut besucht sind, CDs, Filme und Bücher Käufer finden – solange braucht das
Land Berlin ein Programm zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Positive
Veränderungen vollziehen sich nicht in Haushaltsjahren.
Mittwoch, 7. Januar 2004
EU sagt Seminar mit jüdischen Verbänden ab
Kommissionspräsident Romano Prodi hat in Dublin die
Absage des Seminars zur Bekämpfung des Anti-Semitismus verteidigt. Beim
jüdischen Weltkongress (WJC) stieß die Absage auf Unverständnis.
"Das Problem liegt nicht auf der Seite der EU-Kommission",
sagte Prodi nach einem Arbeitstreffen mit dem irischen EU-Präsidenten,
Premierminister Bertie Ahern in Dublin. Er habe dem Kampf gegen den
Anti-Semitismus "höchste Priorität" einräumen wollen und dies auch
bei einem Treffen mit europäischen Rabbinern in Brüssel deutlich gemacht. Diese
hätten ihn unterstützt.
Prodi
hatte das für Februar geplante Seminar am Montagabend abgesagt, nachdem die
Präsidenten des Jüdischen WJC und des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC),
Edgar Bronfman und Coby Benatoff, der EU vorgeworfen hatten, den Antisemitismus
in Europa zu fördern. Beide hatten diese These in einem Meinungsbeitrag
formuliert, der am Montag in der FTD und der Financial Times erschienen war.
Prodi erklärte in einem der FTD vorliegenden Brief an die beiden, er sei
"überrascht und schockiert": "Die Haltung, die sie in ihrem
Brief zum Ausdruck gebracht haben, zwingt mich, die Vorbereitungen des
geplanten Seminars auszusetzen."
Prodi weist Verantwortung
für Umfragen zurück
Die
beiden Vorsitzenden der größten jüdischen Dachverbände hatten sich mit ihrer
Kritik auf eine EU-Umfrage bezogen, in der 59 Prozent der Befragten angekreuzt
hatten, Israel stelle die größte Bedrohung für den Weltfrieden dar. Außerdem
wiesen sie auf eine Studie des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung
hin, die ergeben hatte, dass vor allem eingewanderte Muslime für den Anstieg
des Antisemitismus in Europa verantwortlich seien. Durch die
Nichtveröffentlichung dieser Studie habe die EU ebenso zum Antisemitismus
beigetragen wie durch die Umfrage über die von Israel ausgehende Kriegsgefahr.
Prodi
wies am Dienstag jede Verantwortung für die umstrittene Studie und Umfragen
zurück. Diese seien von Institutionen erstellt worden, welche wie das Institut
für Anti-Semitismus-Forschung in Wien unabhängig von der EU-Kommission
arbeiteten.
Unverständnis beim WJC
In
Prodis Umfeld in der Brüsseler Kommission wurde die Absage des Seminars mit der
harschen Kritik begründet. Geplant war für die Veranstaltung zunächst ein
Eröffnungsvortrag von Prodi. Hätten anschließend Bronfman oder Benatoff ihre
bei der EU als Schock empfundene Kritik wiederholt, hätte das Seminar seinen
Sinn verloren, hieß es. Man wolle nun abwarten, bis eine neue Grundlage für das
Seminar geschaffen sei. Bei anderen EU-Kommissaren stellte man sich hinter die
Entscheidung Prodis. Allerdings war dort auch Kritik an Ton und Form des
schlampig und fehlerhaft geschriebenen Briefes zu hören. Dies wurde in Brüssel
mit der noch laufenden Urlaubszeit zu Weihnachten erklärt.
Beim WJC reagierte man mit Unverständnis auf die Absage: "Nicht wir
brauchen dieses Seminar, sondern die EU braucht es, um den Antisemitismus zu
bekämpfen", sagte WJC-Vizepräsident Elan Steinberg der FTD. Die EU solle
nicht über kritische Formulierungen, sondern über das Maß des Antisemitismus in
Europa geschockt sein. "Wir sind überrascht, dass es in der EU nicht
dieselbe Empörung über den Antisemitismus gibt", so Steinberg. Er
wiederholte den Vorwurf, dass die EU-Spitze ihrer moralischen und politischen
Pflicht zur Bekämpfung der Judenfeindlichkeit nicht ausreichend nachkomme. Der
WJC-Vizepräsident nahm Prodis Person allerdings von der Kritik aus. Es sei
unglücklich, dass dies nun auf der persönlichen Ebene diskutiert werde.
Mittwoch, 7. Januar 2004
Neonazis
huldigen Landser-Band
Antifa kündigt Widerstand gegen Aufzug von Kameradschaften an
Einen Protestaufzug unter dem Motto »Weg mit dem Landser-Urteil – Musik ist
nicht kriminell« planen Neonazi-Kameradschaften für den kommenden Samstag (10.
Januar). Ab 12 Uhr will man sich, wie gestern eine Polizeisprecherin
bestätigte, am S-Bahnhof Lichtenberg treffen.
Details über Marschroute, Ziel und angekündigte Teilnehmerzahlen mochte die
Polizei gegenüber ND vorerst nicht mitteilen. Man verwies auf noch anstehende
Gespräche mit dem Veranstalter. Dem Vernehmen nach soll es sich bei dem
Anmelder um den berüchtigten Hamburger Nazifunktionär Christian Worch handeln.
Laut Fred Löwenberg, dem Vorsitzenden der antifaschistischen Berliner
Vereinigung VdN, handelt es sich bei dem Aufzug neuerlich um eine Provokation
sowie zugleich um einen weiteren Test, inwieweit sich die Stadt und ihre Bürger
solche Auftritte bieten lassen.
Tatsächlich probt man offenbar für ein »größeres Vorhaben«. In der
hauptstädtischen braunen Szene plant man, Ende Januar den berüchtigten
Nazi-Marsch vom 30. Januar 1933 mit Fackeln durch das Brandenburger Tor
nachzuinszenieren – wenn dies dort nicht genehmigt wird, dann eben überraschend
oder an anderer Stelle in Berlin oder beides.
Bei dem Aufzug am Samstag will man derweil die »Landser« huldigen. Bekanntlich
war die Band, die in der rechtsextremistischen Szene eine Art Kultstatus
erlangt hat, im Dezember nach einem halbjährigen Prozess vom Berliner
Kammergericht zur kriminellen Vereinigung erklärt worden, als terroristische
Bande, die sich selbst als »politische Gruppe mit Kampfauftrag« und »Terroristen
mit E-Gitarre« sahen. Der Band-Chef und zugleich Sänger sowie Texter hatte eine
40-monatige Haftstrafe bekommen, die beiden Mitangeklagten – Bassist und
Schlagzeuger – kamen mit einer Bewährungsstrafe davon. Seit einem Dutzend
Jahren sind von der Landser-Band fünf zumeist konspirativ von
Gesinnungskameraden im Ausland produzierte CD veröffentlicht worden.
Wie die Ermittler meinen, gibt es bundesweit 30000 solcher Original-CD und
weitere 100000 Raubkopien. Auf den CD triefen die Texte der Band vor Hass auf
Ausländer und Juden, rufen zu Gewalt bis hin zum Mord auf. Als Beweis hatte das
Kammergericht die Texte der Landser-Songs analysiert. Darin heißt es, wie ND
bereits aus dem Gerichtssaal berichtete, u.a.: »Wenn in der Nacht die Kreuze
brennen, dann könnt ihr stinkenden Kaffer um euer Leben rennen.« Oder:
»Zigeunerpack – jagt sie alle weg – ich hasse diesen Dreck... Rotzt du in die
Fresse ihnen, bekommen sie das, was sie verdienen... Verlogenes Verbrecherheer.
Fällt wie Heuschrecken über uns her. Stoppen wir nicht mal ihren Lauf, fressen
sie am Ende uns alle auf.« Der Richter bezeichnete die Angeklagten als
»musikalische Brandstifter, die hetzen und es anderen überlassen, die
rassistische und antisemitische Botschaft umzusetzen«.
Man müsse diesen Neonazis Einhalt gebieten und dürfe ihnen keineswegs die
Straße freimachen, so Fred Löwenberg. In ähnlicher Weise reagierte die
Treptower Antifa Gruppe. Den öffentlichen Raum werde man den Neonazis für ihre
Verkündigungen weder in Lichtenberg noch anderswo überlassen, der Aufmarsch
müsse deshalb verhindert werden, hieß es zu den Demoplänen der Kameradschaften
vom Samstag. Antifa-Gruppen wollen den Aufzug verhindern. Einzelheiten will man
im Laufe der Woche mitteilen.