Mittwoch, 7. Januar 2004

 



Geheuchelter Antifaschismus

 

Hamm: Antideutsche nutzen Neonaziprovokation, um Angriffe gegen Linke zu verstärken

Unter dem Motto »Antisemitismus und Faschismus bekämpfen – für eine kosmopolitische Linke« will die Antifa Hamm am 17. Januar gegen einen Aufmarsch von Neonazis protestieren. Die wiederum will in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt ihre »Solidarität mit Palästina« demonstrieren.

Der Aufzug der Rechten könnte indes die weitere Spaltung der Antifaszene des Ruhrgebietes fördern. Denn neben der sich gemäßigt antideutsch gebenden Antifa Hamm mobilisieren auch die Bellizisten diverser Gruppen mit einem eigenen Aufruf zu Aktionen, die den Neonaziaufmarsch zum Anlaß nehmen. So findet sich auf der Internetseite www.no-nazis.de ein Aufruf verschiedener antideutscher Gruppen, in dem zum wiederholten Mal eine Art antisemitische Volksfront aus »deutschen Nazis, DemokratInnen und nicht unwesentlichen Teilen der radikalen Linken« herbeifabuliert wird, die »Israel und die USA, also »Individualität, Weltbürgertum und Fortschritt«, bekämpfen wolle. Im weiteren Text findet sich allerdings ohne Bezug zum oben Zitierten, die Erkenntnis, daß der Kapitalismus »Verblendungszusammenhänge« produziert, die sich »unter anderem als Nationalismus, Rassismus oder eben Antisemitismus äußern können«.

Antifaschisten, die gegen die Neonaziprovokation protestieren wollen, ohne imperialistische Aggressionen zu befürworten, bleibt wohl nichts übrig, als abseits der »Antideutschen« zu demonstrieren.

 

Mittwoch, 7. Januar 2004

 

 

Mit Anstand aufstehen und sich wehren
Fragen an Stefanie Schulze (PDS), Mitglied des Hauptausschusses 

ND: Was kann man gegen rechte Aufmärsche tun?
Schulze: Mit Anstand aufstehen, sich gegen Rechts öffentlich wehren. Dabei hilft ein Bündnis für Demokratie und Toleranz. Lichtenberg hat dafür mit seinem kommunalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus und für zivilgesellschaftliches Engagement den richtigen Weg eingeschlagen. Geschaffen wird ein Netzwerk aller Träger und Strukturen aus Kiezbeiräten, Schulen, dem Bezirksamt und vielen anderen.

Müssen die vom Senat geförderten Projekte des Programms »Gegen Rechtsextremismus« den Sparkurs fürchten?
Genau dieses Programm erhält der Senat für die nächsten Jahre. Es bekräftigt seinen und den Willen des Abgeordnetenhauses, gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen, sich für die Stärkung von zivilgesellschaftlichem Engagement einzusetzen. Als die Projekte ihre Arbeit dem Parlament und der Öffentlichkeit vorstellten, war das ein voller Erfolg. Viele Abgeordnete erhielten, gerade wenn sie vorher am Sinn mancher Projekte zweifelten, einen differenzierteren Einblick. Viele Schüler haben die Ausstellung besucht, Diskussionsforen organisiert und Experten haben über die inhaltliche Weiterentwicklung beraten.

Der Wert der einzelnen Projekte wurde geprüft, fallen nun welche weg?
Es trifft zu, dass evaluiert wurde. Aber es ging nicht um einzelne Projekte, sondern um das Programm als Ganzes. Experten schlugen vor, wie sich das Programm inhaltlich weiterentwickeln muss. Das Berliner Programm soll ein eigenständiges Profil erhalten – insofern sollte die Überprüfung die Förderung optimieren helfen.

In welcher Richtung?
Rechtsextremistische und fremdenfeindliche Haltungen lassen sich nicht auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, Schichten oder Regionen eingrenzen. Sie sind eher ein Problem der politischen Kultur und nicht einfach als abweichendes Verhalten in einer bestimmten Lebensphase zu betrachten. Aber es gibt natürlich Regionen, in denen sich rechtsradikale Kräfte gezielt organisieren. Die Programme müssen also vornehmlich zivilgesellschaftliche Veränderungen sowie demokratische Strukturen fördern.

In diesem Sinne bitte ein Blick voraus.
Das Ziel des Berliner Programms muss sein, ein gesellschaftliches Klima zu fördern, in dem menschen- und demokratiefeindliche Bestrebungen keinen Raum finden. Gezielt wird Respekt vor anderen und die Bereitschaft in der Bevölkerung gestärkt, sich Rechtsorientierten und Fremdenfeindlichen entgegenzustellen.

Woran ließe sich die Wirksamkeit von Projekten und Programm messen?
Nicht einfach an der an- oder absteigenden Zahl rechtsorientierter Übergriffe. Das Gesamtkonzept des Berliner Programms muss mit seinen einzelnen Projekten eine große Vielfalt entwickeln. Wichtig ist dabei die Verzahnung der bezirklichen- und Landesstrukturen, staatlicher Institutionen und Beratungsstellen. Kriterien für die Wirksamkeit und damit auch die Förderung von Projekten sollen künftig konkret formuliert werden.

Gibt es Zielgruppen?
Die Experten halten beispielsweise Berufsschüler für besonders gefährdet, die aus den anderen Förderprogrammen herausfallen. Zuwendung benötigen Projekte für Opfer von Rassismus. Es geht zudem um die Einbindung von Projekten in bezirkliche Aktionspläne.

Wie lange werden Förderprogramme zwangsläufig nötig sein?
Solange Aufmärsche der neonazistischen Szene Zulauf finden, Konzerte dort gut besucht sind, CDs, Filme und Bücher Käufer finden – solange braucht das Land Berlin ein Programm zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Positive Veränderungen vollziehen sich nicht in Haushaltsjahren.

 

Mittwoch, 7. Januar 2004

 

 

EU sagt Seminar mit jüdischen Verbänden ab
 

Kommissionspräsident Romano Prodi hat in Dublin die Absage des Seminars zur Bekämpfung des Anti-Semitismus verteidigt. Beim jüdischen Weltkongress (WJC) stieß die Absage auf Unverständnis.

"Das Problem liegt nicht auf der Seite der EU-Kommission", sagte Prodi nach einem Arbeitstreffen mit dem irischen EU-Präsidenten, Premierminister Bertie Ahern in Dublin. Er habe dem Kampf gegen den Anti-Semitismus "höchste Priorität" einräumen wollen und dies auch bei einem Treffen mit europäischen Rabbinern in Brüssel deutlich gemacht. Diese hätten ihn unterstützt.

Prodi hatte das für Februar geplante Seminar am Montagabend abgesagt, nachdem die Präsidenten des Jüdischen WJC und des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), Edgar Bronfman und Coby Benatoff, der EU vorgeworfen hatten, den Antisemitismus in Europa zu fördern. Beide hatten diese These in einem Meinungsbeitrag formuliert, der am Montag in der FTD und der Financial Times erschienen war. Prodi erklärte in einem der FTD vorliegenden Brief an die beiden, er sei "überrascht und schockiert": "Die Haltung, die sie in ihrem Brief zum Ausdruck gebracht haben, zwingt mich, die Vorbereitungen des geplanten Seminars auszusetzen."

Prodi weist Verantwortung für Umfragen zurück

Die beiden Vorsitzenden der größten jüdischen Dachverbände hatten sich mit ihrer Kritik auf eine EU-Umfrage bezogen, in der 59 Prozent der Befragten angekreuzt hatten, Israel stelle die größte Bedrohung für den Weltfrieden dar. Außerdem wiesen sie auf eine Studie des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung hin, die ergeben hatte, dass vor allem eingewanderte Muslime für den Anstieg des Antisemitismus in Europa verantwortlich seien. Durch die Nichtveröffentlichung dieser Studie habe die EU ebenso zum Antisemitismus beigetragen wie durch die Umfrage über die von Israel ausgehende Kriegsgefahr.

Prodi wies am Dienstag jede Verantwortung für die umstrittene Studie und Umfragen zurück. Diese seien von Institutionen erstellt worden, welche wie das Institut für Anti-Semitismus-Forschung in Wien unabhängig von der EU-Kommission arbeiteten.

Unverständnis beim WJC

In Prodis Umfeld in der Brüsseler Kommission wurde die Absage des Seminars mit der harschen Kritik begründet. Geplant war für die Veranstaltung zunächst ein Eröffnungsvortrag von Prodi. Hätten anschließend Bronfman oder Benatoff ihre bei der EU als Schock empfundene Kritik wiederholt, hätte das Seminar seinen Sinn verloren, hieß es. Man wolle nun abwarten, bis eine neue Grundlage für das Seminar geschaffen sei. Bei anderen EU-Kommissaren stellte man sich hinter die Entscheidung Prodis. Allerdings war dort auch Kritik an Ton und Form des schlampig und fehlerhaft geschriebenen Briefes zu hören. Dies wurde in Brüssel mit der noch laufenden Urlaubszeit zu Weihnachten erklärt.

Beim WJC reagierte man mit Unverständnis auf die Absage: "Nicht wir brauchen dieses Seminar, sondern die EU braucht es, um den Antisemitismus zu bekämpfen", sagte WJC-Vizepräsident Elan Steinberg der FTD. Die EU solle nicht über kritische Formulierungen, sondern über das Maß des Antisemitismus in Europa geschockt sein. "Wir sind überrascht, dass es in der EU nicht dieselbe Empörung über den Antisemitismus gibt", so Steinberg. Er wiederholte den Vorwurf, dass die EU-Spitze ihrer moralischen und politischen Pflicht zur Bekämpfung der Judenfeindlichkeit nicht ausreichend nachkomme. Der WJC-Vizepräsident nahm Prodis Person allerdings von der Kritik aus. Es sei unglücklich, dass dies nun auf der persönlichen Ebene diskutiert werde.

 

Mittwoch, 7. Januar 2004

 

 

Neonazis huldigen Landser-Band
Antifa kündigt Widerstand gegen Aufzug von Kameradschaften an 
 
 
Einen Protestaufzug unter dem Motto »Weg mit dem Landser-Urteil – Musik ist nicht kriminell« planen Neonazi-Kameradschaften für den kommenden Samstag (10. Januar). Ab 12 Uhr will man sich, wie gestern eine Polizeisprecherin bestätigte, am S-Bahnhof Lichtenberg treffen.
Details über Marschroute, Ziel und angekündigte Teilnehmerzahlen mochte die Polizei gegenüber ND vorerst nicht mitteilen. Man verwies auf noch anstehende Gespräche mit dem Veranstalter. Dem Vernehmen nach soll es sich bei dem Anmelder um den berüchtigten Hamburger Nazifunktionär Christian Worch handeln.
Laut Fred Löwenberg, dem Vorsitzenden der antifaschistischen Berliner Vereinigung VdN, handelt es sich bei dem Aufzug neuerlich um eine Provokation sowie zugleich um einen weiteren Test, inwieweit sich die Stadt und ihre Bürger solche Auftritte bieten lassen.
Tatsächlich probt man offenbar für ein »größeres Vorhaben«. In der hauptstädtischen braunen Szene plant man, Ende Januar den berüchtigten Nazi-Marsch vom 30. Januar 1933 mit Fackeln durch das Brandenburger Tor nachzuinszenieren – wenn dies dort nicht genehmigt wird, dann eben überraschend oder an anderer Stelle in Berlin oder beides.
Bei dem Aufzug am Samstag will man derweil die »Landser« huldigen. Bekanntlich war die Band, die in der rechtsextremistischen Szene eine Art Kultstatus erlangt hat, im Dezember nach einem halbjährigen Prozess vom Berliner Kammergericht zur kriminellen Vereinigung erklärt worden, als terroristische Bande, die sich selbst als »politische Gruppe mit Kampfauftrag« und »Terroristen mit E-Gitarre« sahen. Der Band-Chef und zugleich Sänger sowie Texter hatte eine 40-monatige Haftstrafe bekommen, die beiden Mitangeklagten – Bassist und Schlagzeuger – kamen mit einer Bewährungsstrafe davon. Seit einem Dutzend Jahren sind von der Landser-Band fünf zumeist konspirativ von Gesinnungskameraden im Ausland produzierte CD veröffentlicht worden.
Wie die Ermittler meinen, gibt es bundesweit 30000 solcher Original-CD und weitere 100000 Raubkopien. Auf den CD triefen die Texte der Band vor Hass auf Ausländer und Juden, rufen zu Gewalt bis hin zum Mord auf. Als Beweis hatte das Kammergericht die Texte der Landser-Songs analysiert. Darin heißt es, wie ND bereits aus dem Gerichtssaal berichtete, u.a.: »Wenn in der Nacht die Kreuze brennen, dann könnt ihr stinkenden Kaffer um euer Leben rennen.« Oder: »Zigeunerpack – jagt sie alle weg – ich hasse diesen Dreck... Rotzt du in die Fresse ihnen, bekommen sie das, was sie verdienen... Verlogenes Verbrecherheer. Fällt wie Heuschrecken über uns her. Stoppen wir nicht mal ihren Lauf, fressen sie am Ende uns alle auf.« Der Richter bezeichnete die Angeklagten als »musikalische Brandstifter, die hetzen und es anderen überlassen, die rassistische und antisemitische Botschaft umzusetzen«.
Man müsse diesen Neonazis Einhalt gebieten und dürfe ihnen keineswegs die Straße freimachen, so Fred Löwenberg. In ähnlicher Weise reagierte die Treptower Antifa Gruppe. Den öffentlichen Raum werde man den Neonazis für ihre Verkündigungen weder in Lichtenberg noch anderswo überlassen, der Aufmarsch müsse deshalb verhindert werden, hieß es zu den Demoplänen der Kameradschaften vom Samstag. Antifa-Gruppen wollen den Aufzug verhindern. Einzelheiten will man im Laufe der Woche mitteilen.