Samstag, 17. Januar 2004

Deutsche lieber unter sich

Die Ausländerbeauftragten von Berlin und Brandenburg verlangen von der Bundesregierung ein Antidiskriminierungsgesetz. Vor Brandenburger Clubs hören Migranten oft: Hier kommt ihr nicht rein

VON RICHARD ROTHER

Die rot-grüne Bundesregierung soll endlich ein Antidiskriminierungsgesetz verabschieden. Das forderten gestern Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening und die Brandenburger Ausländerbeauftragte Almuth Berger. "Es kann nicht sein, dass der Bund sich dieser Verantwortung entzieht", sagte Piening in Potsdam. Eine Richtlinie der Europäischen Kommission verpflichtet Deutschland, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Ein erster Entwurf des Bundesjustizministeriums von 2001 war am Widerstand der Kirchen und der SPD gescheitert.

Die Arbeit gegen die Ausgrenzung ethnischer Minderheiten in Berlin und Brandenburg müsse dringend auf eine breitere gesetzliche Grundlage gestellt werden, forderte Berger. Die Antidiskriminierungsstellen, die Berlin und Brandenburg eingerichtet hätten, seien bereits eine Vorleistung gewesen. "Der Abbau von Diskriminierung ist ein wesentlicher Bestandteil von Integration", so Berger. Ausgrenzung und fremdenfeindliche Übergriffe seien ein zentrales Problem.

Stichproben in Brandenburg hätten ergeben, wie verbreitet Diskriminierung ist. So sei Zuwanderern in jeder dritten von fünfzehn Diskotheken der Zutritt verweigert worden, berichtete Berger, und zwar "aus deutlich nicht nachvollziehbaren Gründen".

Laut Pienings hinke Deutschland bei der Antidiskriminierung hinterher, weil Besitzstände Alteingesessener bedroht seien, etwa auf dem Arbeitsmarkt. "Wir sind von einer Gleichbehandlung von Minderheiten weit entfernt." Die Umsetzung der EU-Richtlinie gebe es nicht zum Nulltarif. Geregelt werden müsse die Finanzierung der Gleichbehandlungsstellen. Piening und Berger: "Die Bundesregierung muss zumindest einen Teil der Kosten übernehmen."

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

gegen diskriminierung

Höchste Zeit für ein Gesetz

Bundesinnenminister Otto Schily hat kein Problem mit neuen Gesetzen zur inneren Sicherheit. Aber ein neues Gesetz gegen die Diskriminierung von Ausländern und Migranten, das hält er bislang für überflüssig. Dabei könnte ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es jetzt die Integrationsbeauftragten von Brandenburg und Berlin fordern, Klarheit schaffen. Holland und die USA machen es vor.

KOMMENTAR VON
ADRIENNE WOLTERSDORF

Unter dem Richtliniendruck der Europäischen Kommission hat die Bundesregierung bereits "Antidiskriminierungsgesetze" zur Gleichstellung von Frauen, Behinderten und Homosexuellen erlassen. Bei Migranten und Ausländern, so ist regelmäßig zu hören, reiche das Grundgesetz mit seiner Formulierung, alle Menschen seien gleich. Bislang haben Ausländer und Migranten in Deutschland aber keinerlei Handhabe, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen und rassistische Motive vermuten. Ein entsprechendes Gesetz würde die Ungleichbehandlung aus dem undefinierten moralischen Bereich in eine einklagbare juristische Dimension holen. Es kann zwar Diskriminierung im Alltag nicht grundsätzlich verhindern, aber Bewerbungsverfahren, Diskothekenrausschmisse und Rassismus bei Polizei und Behörden werden dadurch überprüfbar. Gerade wenn es der rot-grünen Politik um die innere Sicherheit geht, muss Gleichbehandlung einklagbar sein. Denn eine wesentliche Voraussetzung für die Integration von Migranten ist die gefühlte Gerechtigkeit.

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

Nur keine Aufregung

Während Regierung und Union über das Zuwanderungsgesetz verhandeln, belegt die Integrationsbeauftragte den Rückgang der Einwandererzahlen

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Marieluise Beck ist eine gute Schauspielerin. Als die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung gestern Vormittag ihren neuesten Migrationsbericht vorstellte, begannen wenige hundert Meter entfernt gerade die Verhandlungen über das Schicksal des rot-grünen Zuwanderungsgesetzes. Natürlich wusste die Grünen-Politikerin genau, was dabei besonders für ihre Partei auf dem Spiel steht. Trotzdem oder gerade deshalb gab sie sich cool und behauptete auf ihrer Pressekonferenz, es gebe "überhaupt keinen Anlass zu aufgeregter Diskussion über Zuwanderung nach Deutschland".

Um diese These zu belegen, hatte Beck einen Zahlenberg mitgebracht. Denn: "Wer über Zuwanderung debattiert, sollte dies auf der Grundlage verlässlicher Daten und Fakten tun." Auf 158 Seiten dokumentierten ihre Mitarbeiter deshalb die Entwicklung der Einwanderungsbewegungen in Deutschland. Das Ergebnis: Im Vergleich zu den 90er-Jahren ist die Zahl der Zuwanderer deutlich zurückgegangen. Während damals noch über 1 Million Zuzüge jährlich zu verzeichnen waren, wurden im Jahr 2002 nur noch rund 840.000 Neuankömmlinge registriert. Davon seien lediglich 658.000 Menschen ausländische Staatsangehörige gewesen, teilte Beck mit.

Noch wichtiger ist der Integrationsbeauftragten der Hinweis darauf, dass gleichzeitig über 620.000 Menschen aus Deutschland wegzogen. Wenn man sich dem Thema Migration "sachlich" nähern wolle, wie es sich Beck wünscht, müsse man diese Zahl von den Neuzugängen abziehen. Entscheidend sei der "Wanderungsüberschuss" - und der ist 2002 erneut von "+273.000" auf "+219.000" gesunken.

Nach Abschluss ihrer scheinbar staubtrockenen, aber gezielt platzierten Rechenspiele verkündete Beck ihre politische Botschaft: "Die Fakten belegen zweierlei: Deutschland ist gleichermaßen Einwanderungs- und Auswanderungsland."

Beck bemühte sich so sehr, die von der Union betriebene Empörung über angebliche Massenzuwanderungen ad absurdum zu führen, dass eine Journalistin die zugespitzte, aber nahe liegende Frage stellte, ob Deutschland denn überhaupt ein neues Zuwanderungsgesetz brauche, wenn alles so "unaufregend" sei, wie Beck ja gerade sagte.

Ein klares Ja oder Nein war der Taktikerin Beck nicht zu entlocken. Solange ein Wille zur Einigung erkennbar sei, sollte man weiterverhandeln, empfahl sie ihrem Parteifreund und Namensvetter Volker Beck, dem einzigen Grünen im Vermittlungsausschuss. Sie habe in ihrer politischen Laufbahn gelernt: "Der Fortschritt ist eine Schnecke." Auch bei der Homoehe habe es 10 bis 15 Jahre gedauert, bis die gesellschaftliche Realität sich in Gesetzen wiedergefunden habe. Wenn man es so sieht, ist wirklich alles "weniger dramatisch".

Der Migrationsbericht im Internet unter www.integrationsbeauftragte.de

 

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

NEONAZI-AUSSTEIGERHILFE

Bisher 38 Anfragen

Die "AussteigerhilfeRechts" des Landes Niedersachsen hat in den gut zwei Jahren ihres Bestehens 38 Anfragen von Rechtsradikalen erhalten, die der Szene den Rücken kehren wollten. Sechs von ihnen seien mittlerweile erfolgreich wieder in die Gesellschaft integriert worden, sagte ein Sprecher der Aussteigerhilfe. (dpa)

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

ÜBERGRIFF VON NEONAZIS

Vorfall erfunden

Der angebliche Angriff von Neonazis auf eine dunkelhäutige Schülerin in Dieburg war ein Produkt der Fantasie der 16-Jährigen. Laut Polizei hat sie die Beschreibung der Neonazis erfunden. Vielmehr sei das Mädchen am Mittwoch offenbar von zwei deutschen Mitschülern nach Zigaretten gefragt und angerempelt worden. (ap)

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

Brandenburg und Berlin fordern Gesetz gegen Diskriminierung

Berlin und Brandenburg haben von der Bundesregierung die schnelle Verabschiedung eines Gesetzes gegen Diskriminierung gefordert. Ein solches Gesetz sei überfällig, betonten die Ausländerbeauftragten beider Länder, Günter Piening und Almuth Berger, gestern nach einem Treffen in Potsdam. "Es kann nicht sein, dass der Bund sich dieser Verantwortung entzieht", sagte Piening. Eine EU-Richtlinie aus dem Juni 2000 verpflichtet Deutschland zur Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes. Ein Entwurf des Bundesjustizministeriums von 2001 war gescheitert.

Die Arbeit gegen die Ausgrenzung ethnischer Minderheiten in den beiden Bundesländern müsse dringend auf eine breitere gesetzliche Grundlage gestellt werden, forderte Berger. "Der Abbau von Diskriminierung ist ein wesentlicher Bestandteil von Integration", sagte sie. Ausgrenzung und fremdenfeindliche Übergriffe seien ein zentrales Problem bei der Integration von Zuwanderern. Bei Stichproben hätten fünf von 15 Brandenburger Diskotheken Zuwanderern den Zutritt "aus deutlich nicht nachvollziehbaren Gründen" verweigert, schilderte Berger.

Nach Ansicht Pienings hinkt Deutschland bei der Verabschiedung eines Gesetzes wie auch Spanien und Österreich hinterher, "weil auch Besitzstände von Alteingesessenen bedroht sind" - etwa was den Zugang zum Arbeitsmarkt anbelange. "Wir sind von einer Gleichbehandlung der Minderheiten noch weit entfernt", sagte der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration. dpa

Infos im Netz

Berlins Ausländerbeauftragter hat die Adresse www.berlin.de/auslb

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

Kampf in der Kinderkonfektion

Eine Potsdamer Tagung über die Migrationsgeschichte der DDR

Jan-Hendrik Wulf

Man hat sich daran gewöhnt, die DDR spätestens seit dem Mauerbau als geschlossene Gesellschaft zu begreifen. Für die ostdeutsche Bevölkerung stellte sich das anders dar: Schließlich war die Anwesenheit von Menschen fremder Herkunft nicht zu übersehen: sowjetische Besatzungstruppen und politische Flüchtlinge, vietnamesische Vertragsarbeiter und polnische Pendler, Studenten aus sozialistischen Bruderstaaten der Dritten Welt und nicht zuletzt die als "Umsiedler" bezeichneten Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Diese Fremden waren Thema der Tagung "Ankunft - Alltag - Ausreise. Zeithistorische Forschung zu Migration und Interkulturalität in der DDR-Gesellschaft" am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung. Im Hintergrund stand immer die Frage, inwiefern die Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern historisch auf die Bedingungen des sozialistischen Alltags zurückzuführen sind.

Als Sonderfall in der ostdeutschen Migrationsgeschichte beschrieb Christian Müller vom Hamburger Institut für Sozialforschung die sowjetischen Streitkräfte, die mit einer halben Million die größte Gruppe der Fremden in der DDR. Persönliche Kontakte wurden unterbunden, soweit sie nicht den offiziellen Formen - "Freundschaftstreffen", "Erfahrungsaustausche", Patenschaften" - entsprachen. Unter der der Oberfläche einer offiziell proklamierten deutsch-sowjetischen Freundschaft wirkten so in der Bevölkerung tradierte Russlandbilder und tabuisierte Gewalterfahrungen mit den Besatzern fort. Schon im Februar 1981 wurde das sowjetische Ehrenmal am Potsdamer Bassinplatz mit Hakenkreuzen beschmiert. In Neuruppin kam es 1986 in einen Kinderkonfektionsgeschäft zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen deutschen Kundinnen und sowjetischen Offizierfrauen, die bevorzugt bedient werden wollten.

Hier zeigt sich der von Jonathan Zatlin hergestellte Zusammenhang von Planwirtschaft und Fremdenfeindlichkeit: Im DDR-Alltag konnte die Unterscheidung zwischem dem Fremden und dem Eigenen aus der Konkurrenz um knappe Konsumgüter hervorgehen. So führte der seit 1972 bestehende kleine Grenzverkehr mit Polen auf deutscher Seite nicht zu größerer Völkerfreundschaft, sondern stärkte antipolnische Ressentiments, da die Nachbarn aus dem Osten die neue Reisefreiheit vor allem für Einkaufstouren nutzten.

Als Aufnahmeland für politisch Verfolgte orientierte sich die DDR weniger an humanitären Prinzipien als an den außenpolitischen Interessen der SED. Bevorzugt wurden verfolgte Funktionäre sozialistischer Bewegungen aus der Dritten Welt aufgenommen. Die ab 1973 einreisenden chilenischen Flüchtlinge wurden - zur Demonstration internationaler Solidarität - großzügig mit finanziellen Eingliederungshilfen und Neubauwohnungen bedacht. Andererseits galt ihr Asyl-Aufenthalt in der DDR als vorübergehend. Weil sie die Pässe ihrer Heimatländer zu Reisen in den Westen nutzen konnten, wurden die politischen Flüchtlinge von der Bevölkerung als privilegierte Abgesandte der Staatspartei wahrgenommen. Da sie sich außerdem selbstbewusst als Kampfgenossen an der Seite der SED verstanden und ihre politischen Aktivitäten selbstständig organisieren wollten, gerieten sie zunehmend auch in ihrem Gastland ins Visier der Staatssicherheit. Für viele politische Flüchtlinge blieb die DDR daher eine Etappe auf dem Weg nach Westen.

Auch die ausländischen Studenten galten als Gäste auf Zeit - die es zu schützen galt, und zwar nicht zuletzt vor sich selbst, wie Damian Mac Con Uladh ausführte. Sie "vom Flanieren, vom Zeitvertrödeln, vom ungesunden langen Tagesschlaf abzubringen" und an ein "unseren klimatischen Verhältnissen" angemessenes Tagesregime zu gewöhnen, erfordere viel pädagogischen Takt, hieß es in einer Instruktion des Leipziger Herder-Institutes von 1957. Fürsorge, Kontrolle und Isolation verbanden sich auf diese Weise. Weil dies so blieb und die Widersprüche einer verordneten gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht artikuliert werden konnten, wurden die Fremden dauerhaft in einer vom DDR-Alltag abgekoppelten Sonderexistenz wahrgenommen.

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

Polizeiübergriffe

 

Auszüge aus einer Dokumentation zur alltäglichen Gewalt gegen Migranten

 

* Polizeiübergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland 2000–2003. Dokumentation, Projektleitung: Gerd Pflaumer (Bonn), Recherche: Otto Diederichs (Berlin)

AKTIONCOURAGE e.V. , Dr. Werner-Schuster-Haus, Kaiserstr.201, 53113 Bonn, Tel.: 02 28/21 30 61, Fax: 02 28/26 29 78, E-Mail: kontakt@respectabel.de www.aktioncourage.de


Gewalt zu erleiden, schädigt jeden Menschen auch dann noch nachhaltig, wenn die körperlichen Verletzungen längst wieder verheilt sind. Umso mehr gilt dies, wenn die Gewalt von Polizisten ausgeht und mit verbalen Attacken verbunden ist, die, ob tatsächlich fremdenfeindlich motiviert oder nicht, von Opfern nichtdeutscher Herkunft aufgrund ihrer sozialen Erfahrungen in Deutschland zumeist als bewußte zusätzliche Demütigung empfunden wird. Unverschuldet erlittene staatliche Gewalt wiegt zudem doppelt schwer und führt nicht selten zu jahrelanger Traumatisierung. Diese Erfahrung kann jeder machen, der mit den Opfern polizeilicher Übergriffe über dieses Erlebnis spricht.

(Auszug Editorial)


8. Februar 2003, München

Abschiebung: Nach rund zwölf Jahren Aufenthalt in Deutschland wird die Togolesin Dopke Dikewu am 6. Februar überraschend festgenommen und zwei Tage später über den Münchner Flughafen abgeschoben. Damit verhindern die Behörden eine kurz bevorstehende Eheschließung, die Dopke Dikewu ein Bleiberecht gesichert hätte. In der Abschiebehaft und/oder während des Fluges wird sie offenbar mißhandelt, denn als sie in Togo ankommt, hat sie nach Angaben ihrer Schwester am ganzen Körper Blutergüsse. Erste Informationen, wonach ihr auch ein Arm gebrochen worden sein soll, erweisen sich später jedoch als falsch. In der Bundesrepublik bleiben die dreijährige Tochter von Dopke Dikewu, drei Kinder einer verstorbenen Schwester sowie die Mutter zurück, die einen Herzinfarkt erlitten haben soll, als sie von der Abschiebung ihrer Tochter erfährt.

Weitere Einzelheiten sind nicht bekannt.

* Quelle: caravan v. 11.02.2003; tel. Information bei »The Voice Göttingen« v. 01.09.2003


4. Mai 2003, Oberhausen

Personenkontrolle: Gegen 23.00 Uhr am Abend wartet der von der Elfenbeinküste stammende Student Moulaye Dagnogo, ein Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung, auf dem Hauptbahnhof in Oberhausen auf seinen Zug nach Herne. Dabei gerät er in eine Personenkontrolle des Bundesgrenzschutzes. Als zwei Beamte seinen Ausweis überprüfen wollen, fragt Moulaye Dagnogo danach, warum nur ausländische Personen kontrolliert würden. Nach eigenen Angaben entwickelt sich daraus ein Wortgefecht, in dessen Verlauf er plötzlich von den Beamten an den Armen ergriffen und weggezerrt wird, noch bevor er seinen Ausweis zeigen kann. Auf dem Weg zur Bahnhofswache habe man ihn dann mit Handschellen gefesselt und mehrfach geschlagen. Auch auf der Wache sei er von mehreren Grenzschützern beschimpft, bedroht und erneut geschlagen worden. Nach mehreren Stunden sei er von den beiden festnehmenden Beamten wieder aus der Wache herausgezerrt und schließlich in der Bahnhofshalle freigelassen worden. Die Bahnpolizisten erstatten gegen ihn Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Darin erklären sie, Moulaye Dagnogo habe eine Personalienfeststellung verweigert und auf dem Weg zur Wache einen Fluchtversuch unternommen. Als dieser vereitelt worden sei, habe der Schwarzafrikaner sie angegriffen. Angesichts seiner schlechten Beweislage verzichtet Moulaye Dagnogo auf eine Gegenanzeige wegen Körperverletzung im Amt. Daraufhin wird das Widerstandsverfahren gegen ihn kurze Zeit später eingestellt. Ein zweites Ermittlungsverfahren wegen eines angeblichen Verdachts auf Leistungserschleichung wird vom Bundesgrenzschutz an die Polizei in Herne abgegeben. Dieses ist gegenwärtig noch offen.

* Quellen: Strafanzeige v. 05.05.2003; Gedächtnisprotokoll von Moulaye Dagnogo v. 09.05.2003; Pressemitteilung des AStA der Ruhr-Universität Bochum v. 13.05.2003; Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Duisburg v. 16.07.2003; tel. Gespräch mit AStA-Vertretern der Ruhr-Universität und M. Dagnogo v. 23.09.2003


17. Januar 2002, München

Personenkontrolle: Als Polizeibeamte in München versuchen, eine Gruppe von vier Mazedoniern zu kontrollieren, flüchten die Männer. Lediglich ein 27jähriger kann festgehalten werden. Mit den Worten: »Sag, wo sind Kollegas, oder willst du Schmerzen?« werden ihm von einem Beamten die angelegten Handschellen so eng angezogen, daß seine Gelenke gequetscht werden und er »starke Schmerzen« erleidet. Im September 2002 wird der Beamte wegen Körperverletzung im Amt zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe und 1 000 Euro Geldstrafe verurteilt. In seiner Urteilsbegründung stellt der Richter fest, der Beamte sei »über das Ziel hinausgeschossen«.

* Quellen: Süddeutsche Zeitung v. 03.09. 2002, Dokumentation der Antirassistischen Initiative Berlin v. Januar 2003, S. 236


14. Juli 2003, Berlin

Verkehrsunfall: Nach einem Beinahe-Unfall ruft ein Busfahrer die Polizei, da ein Fahrgast bei der Vollbremsung leicht verletzt wurde. Nach einem Wortwechsel wird die Unfallverursacherin, die Türkin Inci G., nach eigenen Angaben von einem der herbeigerufenen Beamten unvermittelt »mit Gewalt gegen ein anderes Auto gepreßt« und auf den Boden geworfen, wo ihr der Beamte das Knie auf den Bauch gesetzt habe. Ihr Freund, der ihr helfen will, soll ebenfalls attackiert worden sein. Frau G. erleidet Hämatome am ganzen Körper und eine Platzwunde am Kopf, der Freund Schürfwunden an Hals und Nacken. Nach Darstellung der Polizisten soll sich Frau G. geweigert haben, ihre Personalien anzugeben und den Beamten beschimpft, gekratzt und gebissen haben. Gegen Inci G. wird Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erstattet, der Freund wird wegen versuchter Gefangenenbefreiung angezeigt. Über den weiteren Verlauf des Verfahrens ist bisher nichts bekannt.

* Quelle: die tageszeitung (Lokalteil Berlin) v. 15.07.2003


15. März 2003, Hamburg

Festnahmeversuch: Auf der Flucht vor der Polizei springt ein 20jähriger Kameruner, der zuvor beim Dealen erwischt worden war, in einen Kanal, um sich der Festnahme zu entziehen. Dabei ertrinkt der Mann »vor den Augen von über 20 PolizistInnen«. Weitere Einzelheiten sind zu diesem Fall nicht bekannt.

* Quelle: die tageszeitung (Lokalteil Hamburg) v. 18.03.2003


16. Juli 2003, Leipzig

Abschiebeversuch: Für den Transport von Leipzig zum Bremer Flughafen, von wo er abgeschoben werden soll, fesseln die begleitenden Polizeibeamten den knapp 18jährigen nigerianischen Flüchtling Pitchou Ilunga mit Handschellen an die Haltestange des Dienstbusses. Zudem werden ihm Fußfesseln angelegt. Die gesamte rund fünfstündige Fahrt muß Ilunga auf diese Weise mit über dem Kopf erhobenen Armen verbringen. In Bremen scheitert die geplante Abschiebung zunächst. Aufgrund eines vorherigen Versuches vom März 2003, den seinerzeit noch Minderjährigen in den Kongo abzuschieben und ihn damit der Gefahr der Zwangsrekutierung durch eine der Bürgerkriegsparteien auszusetzen, wurde der Fall am 11. September 2003 Gegenstand einer Anhörung im Sächsischen Landtag und soll auch im parlamentarischen Innenausschuß noch erörtert werden. Eine Woche nach der Landtagsanhörung stellt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die an der Abschiebung beteiligten Polizisten ein, da Pitchou Ilunga sich bereits wegen massiven Widerstandes erfolgreich zwei Abschiebeversuchen widersetzt habe. Damit seien die Beamten »berechtigt und verpflichtet« gewesen, mögliche Widerstandshandlungen und Selbstverletzungen zu verhindern.

* Quellen: Schreiben der »Abschiebehaftgruppe beim Flüchtlingsrat Leipzig« an das Regierungspräsidium Chemnitz v. 18.09.2003; Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft v. 18.09.2003; tel. Auskünfte der »Abschiebehaftgruppe beim Flüchtlingsrat Leipzig« v. 09.10.2003 u. 13.10.2003


30. Januar 2003, Fürth

Festnahme: In der Ausländerbehörde in Fürth wirft ein ugandischer Abschiebehäftling wütend zwei Gläser auf den Boden, als ihm mitgeteilt wird, ihm werde ein Teil seines Taschengeldes von monatlich 40 Euro gestrichen, da er sich weigere, konstruktiv an Befragungen mitzuwirken. Nachdem er in das sogenannte Ausreisezentrum zurückgekehrt ist, erscheinen dort Polizeibeamte, um ihn in Gewahrsam zu nehmen. Nach Angaben der Nürnberger Flüchtlingshilfsorganisation »Karawane« soll der Mann »unter Anwendung heftiger Prügel« festgenommen und elf Stunden lang festgehalten worden sein. Dabei habe er Verletzungen im Mund- und Brustbereich erlitten. Eine medizinische Behandlung sei ihm aber nicht gewährt worden. Die Polizei bestätigt lediglich, daß es »einen Vorfall gab« und der Ugander bereits mehrfach wegen aggressiven Verhaltens aufgefallen sei. Nähere Einzelheiten sind nicht bekannt.

* Quelle: caravan v. 07.02.2003; Nürnberger Nachrichten v. 08.02.2003; dpa-Landesliste, Ausgabe 211 v. 11.02.2003


27. August 2003, Braunschweig

Festnahme: Gegen 18.00 Uhr hebt der Nigerianer Michael Ibeh in Braunschweig an einem Bankautomaten Geld ab. Als er zu seinem auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten Auto zurückkehrt und losfährt, bemerkt er einen Streifenwagen, der ihn mit eingeschaltetem Blaulicht zum Halten auffordert. Da er gerade an einer Kreuzung angefahren ist, will Michael Ibeh zunächst einen geeigneten Halteplatz anfahren, wird von dem Polizeifahrzeug jedoch zum Halten gezwungen. Er weist sich aus und fragt den Beamten, welcher Vorwurf ihm gemacht werde. Nach seinen Angaben wird ihm darauf geantwortet, er sei kurz zuvor mit überhöhter Geschwindigkeit aufgefallen. Er wird aufgefordert, seinen Kofferraum zu öffnen. Dann habe der Beamte begonnen, diesen zu durchsuchen und erklärt, er suche nach Kokain. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung über diese Anschuldigung und die Form der Durchsuchung wird Michael Ibeh auf ein naheliegendes Revier gebracht und dort ebenfalls ergebnislos nach Drogen durchsucht. Hierzu habe er sich in einem abgedunkelten Raum vollständig ausziehen müssen. Plötzlich habe einer der beteiligten fünf Beamten ihn so stark gegen den Knöchel getreten, daß er zu Boden gefallen sei. Als er wieder aufgestanden sei und gefragt habe, was dies solle, sei er erneut zu Boden geworfen und gefesselt worden. Dann hätten ihn alle Polizisten etwa eine Dreiviertelstunde getreten und geschlagen. Da er anschließend nicht mehr selbständig aufstehen konnte, sei er an den Handschellen hochgezogen und auf einen Stuhl gesetzt worden. Immer noch nackt, sei er nach einer Weile in ein anderes Polizeirevier gefahren worden. Dort sei er erkennungsdienstlich behandelt worden. Seine Kleidung habe er erst bei seiner Entlassung zurück erhalten. Neben einem Sohlenabdruck auf dem Oberschenkel erleidet Michael Ibeh diverse weitere Prellungen und Schürfwunden sowie geschwollene Handgelenke. Am 01.09.2003 erstattet er gegen die Beamten Anzeige wegen Körperverletzung. Drei Tage später reagieren die Polizisten mit einer Gegenanzeige. Ihren Angaben zufolge war der Nigerianer geflüchtet, als ein Streifenwagen einen Parkplatz anfuhr, auf dem häufiger Drogen verkauft werden. Auf dem Revier habe er dann einen der Beamten mit der Faust ans Ohr geschlagen. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft bestätigt zahlreiche Verletzungen und Prellungen und nimmt die Vorwürfe von Michael Ibeh »sehr ernst«. Näheres über den aktuellen Stand ist bisher nicht bekannt.

* Quellen: Presseerklärung der Initiative Refugium Braunschweig v. 08.09.2003; Weser-Kurier und die tageszeitung v. 11.09.2003; junge Welt v. 15.10.2003

 

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

»Fremdenfeindliche Herabsetzung jeden Tag«
Grauzonen in Köpfen und das Antidiskriminierungsgesetz – Workshop mit Polizisten und Lehrern 
 
Von Rainer Funke 
 
Kein Durchlass am Eingang der Diskothek, Schwierigkeiten beim Eröffnen eines Kontos, beim Mieten einer Wohnung oder im Umgang mit der Behörde – Bürgern mit einem fremdländischen Antlitz sehen sich alltäglich Diskriminierungen ausgesetzt. Gar nicht zu reden von fremdenfeindlichen Übergriffen.
Bei einem Test verweigerten beispielsweise fünf von 15 märkischen Diskotheken drei Männern nichtdeutscher Abstammung – sie kamen aus Ghana, Indien und Nordafrika – das Betreten des Hauses, und zwar unter fadenscheinigen Begründungen. Gleichzeitig kamen andere Gäste mit scheinbar deutschem Aussehen problemlos hinein, wie die brandenburgische Ausländerbeauftragte, Almuth Berger, gestern anlässlich eines Workshops mit Polizisten und Lehrern in Potsdam berichtete. Die herbeigerufenen Ordnungshüter gaben sich hilflos und sahen sich außerstande, etwas für die Testpersonen zu tun.
Für Berlin bestätigte Günter Piening, Integrations- und Migrationsbeauftragter des Senats, ähnliche Tendenzen, obgleich es seit 1997 weniger Beschwerden und Anzeigen wegen Diskriminierungen gebe. Das hänge aber damit zusammen, dass manche Bevölkerungsgruppen inzwischen über eigene Diskos verfügen, andererseits viele ausländische Mitbürger es aufgegeben haben, Fehlverhalten der Einheimischen mitzuteilen oder anzuzeigen – »Es ist sinnlos. Herabsetzungen, Ungleichbehandlungen gibt es jeden Tag«, heißt es bei der Frage nach den Gründen.
Wie Berger und Piening erläuterten, geht es auch zuvörderst nicht um Fallzahlen oder statistische Kurven, das Problem sei die Grauzone. In den Köpfen müsse etwas bewegt werden. Und deshalb sei ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es die EU allen Mitgliedsstaaten vorschreibt, auch hierzulande überfällig. Es löse zwar nicht die Probleme, sei aber Voraussetzung dafür. Im Vorgriff auf das Gesetz haben Berlin und Brandenburg Antidiskriminierungsstellen eingerichtet, die sich Fragen der Gleichbehandlung und des toleranten Zusammenlebens von Minder- und Mehrheiten widmen. Da die personelle und materielle Ausstattung noch sehr dürftig ist, soll sich der Bund an der Finanzierung beteiligen.
Der schier unendliche, holprige Weg, den das anvisierte Gesetz als Entwurf hinter sich hat, hänge damit zusammen, dass mit ihm Besitzstände bedroht seien, so Pirning. Es müsse z.B. vor dem europäischen Hintergrund gleiche Zugänge zum Arbeitsmarkt sichern. Auf vielen Gebieten würden jetzt noch gegen Minderheiten Entscheidungen getroffen, die nicht legitimiert werden müssten. Dem Gleichheitsprinzip widerspreche auch, wenn sich katholische Kitas Kindern anderer Glaubensrichtungen verweigerten.
Rinus Visser, der das nationale Büro der niederländischen Polizei für Diskriminierungsfälle leitet, schilderte Erfahrungen seiner Behörde in der Region Rotterdam. Da dort in manchen Wohngebieten bis zu 40 Prozent Nichtniederländer lebten, habe man in der Polizei reagiert: Heute sind 11 Prozent der Polizisten ausländischer Herkunft, darunter Türken und Marokkaner.
Jeder Stadtteilpolizist gebe in den Schulen etwa acht Stunden im Jahr und debattiere mit 10- bis 12-Jährigen insgesamt 14 Themenkomplexe, darunter Gewalt, Verkehr, Vandalismus, Diskriminierung. Es handele sich um ein Alter, in dem man als Polizist noch Kinder beeinflussen könne, so Visser.
Zudem haben Gleichheits-Gruppen Kriterien aufgestellt, die – unterzeichnet vom jeweiligen Bürgermeister – für jedermann beim Besuch einer Diskothek gelten, dort deutlich sichtbar aushängen müssen und gegebenenfalls auch einklagbar sind. Ansonsten könne man dem Problem mit dem Strafgesetzbuch eher nicht beikommen, sagte Visser.

 

 

Samstag, 17. Januar 2004

 

RECHTSEXTREMISMUS

Polizei findet Sprengstoff bei Hausdurchsuchung

Hoyerswerda · 16. Januar · dpa · Die Polizei hat bei einer bundesweiten Durchsuchungsaktion in der rechtsextremen Szene ein umfangreiches Waffenarsenal sichergestellt, darunter auch 500 Gramm Plastiksprengstoff. Ein 26 Jahre alter Mann aus dem sächsischen Hoyerswerda wurde vorläufig festgenommen, wie die Polizei in Bautzen am Freitag berichtete. Die Aktion habe am Donnerstag vom Morgen bis zum Nachmittag gedauert. Bundesweit seien 72 Beamte im Einsatz gewesen: in Hoyerswerda, im baden-württembergischen Ludwigsburg und in Großräschen im Süden Brandenburgs.

Außer dem Plastiksprengstoff mit Zündschnur wurden nach Polizeiangaben 2500 Stück Munition, Munitionsmagazine, Übungsgranaten und vier aus Tschechien illegal eingeführte Waffen beschlagnahmt.

Auch ein Computer und Datenträger seien sichergestellt worden. Neben mehreren Wohnungen wurde in Hoyerswerda eine Gaststätte durchsucht, die seit Jahren als Treffpunkt Rechtsextremer diene. Bei der Durchsuchung in Großräschen wurde laut Polizei nichts gefunden.

Auslöser der Durchsuchungsaktion war ein seit September in Bautzen anhängiges Strafverfahren, bei dem es um den Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz gehe, berichtete die Polizei.