Samstag, 28. Februar
2004
Israels aschkenasischer Oberrabbiner Jona Metzger hat Papst Johannes Paul
II. indirekt zu einem Vorgehen gegen Gibsons "The Passion"
aufgefordert. Das Kirchenoberhaupt solle "bei der ersten Gelegenheit
angemessene Maßnahmen" gegen jede Form von Antisemitismus treffen, die aus
dem Film resultieren könnte.
Samstag, 28. Februar 2004
Aufzug in Masken und
schwarzen Kapuzen
Neonazis tarnen sich als Autonome/Extrem hohe Dunkelziffer bei Gewalttaten
Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten in Berlin sind 2003 auf 70
angestiegen, nachdem es im Jahr davor 52 gegeben hatte. Dennoch ist der
Vize-Chef des Staatsschutzes, Klaus Gäth, der Ansicht, dass die Summe der Fälle
für einen Ballungsraum nicht extrem hoch ausgefallen ist, wie er gestern vor
der Presse erklärte. Andererseits geht man von einer bis zu zehn Mal höheren
Dunkelziffer aus. Denn nur die gröbsten Vorfälle würden angezeigt. Auch von
Auseinandersetzungen mit linken Gruppen erfahre man gewöhnlich nichts.
Über die Gründe, warum neonazistische Gewalt über die Jahre zugenommen hat, ist
man sich beim Staatsschutz nicht so recht klar. Erwähnt wurde die »allgemeine
Verrohungstendenz in der Gesellschaft«, die sich auch in der Gewaltkriminalität
niederschlage. Es fehlten nach dem Eindruck der Polizei schlichtweg
wissenschaftliche Forschungsergebnisse.
Fremdenfeindliche Straftaten vermehrten sich um 12 auf 150. Ein antisemitischer
Hintergrund liege in 123 Fällen vor, ein Rückgang um 103. Neonazi-Kriminalität
konzentriere sich wie zuvor im Ostteil der Stadt, meinte Michael Knape, Chef
einer für Ostbezirke zuständigen Polizeidirektion. Vor allem in Köpenick und
Treptow berichteten seine Beamten von Angstgefühlen bei den Bewohnern.
Konfliktpunkt seien S-Bahnhöfe.
Knape sprach von einer Tendenz, dass sich Mitglieder von
Neonazi-Kameradschaften ähnlich kleiden wie Autonome und etwa bei Demos mit
einem schwarzen Block – bestückt mit Kapuze und Sonnenbrille – auftreten. Der
Polizeidirektor kündigte deshalb für den Aufzug der NPD am 1. Mai ein rigoroses
Durchgreifen im Sinne des Vermummungs- und des Uniformverbotes an. Er werde
sich nicht scheuen, den Abmarsch der Versammelten zu untersagen oder Blöcke von
50 Neonazis aus der Demo herausholen zu lassen. Zugleich verhalte sich die
rechte Szene zunehmend militant auch gegenüber der Polizei, sagte Knape. Seine
Direktion reagiere auf die aktuelle Situation mit verstärkter nächtlicher
Präsenz in den Kiezen und setze auf einen erhöhten Verfolgungsdruck, der zur Verunsicherung
der rechtsextremistischen Szene führen soll. Razzien an Treffpunkten der
Neonazis, bei deren Versammlungen oder Konzerten seien in seinem
Direktionsbereich ein erprobtes Mittel, die Szene zurückzudrängen.
Als besonders aktiv erwähnte Gäth die im Sommer 2003 gebildete Kameradschaft
»Berliner Alternative Süd-Ost« (BASO). Sie verfüge über etwa 15 Mitglieder. Die
meisten von ihnen seien bereits durch Gewalt- oder Propagandadelikte
aufgefallen. Derzeit versuche man verstärkt, Jugendliche zwischen 14 und 16
Jahren zu rekrutieren. Im Oktober 2003 habe die Kameradschaft ein Haus im
Märkischen besetzt – »als Demonstrationsübung für jüngere Kameraden«, wie es
hieß.
Samstag, 28. Februar 2004
Von Uwe Schmitt
Es war kein Aufstöhnen zu hören im Premieren-Publikum des "Avalon" zu Washington, als die Geißelstränge sich nach dem 38. Hieb mit einem Schmatzen aus der blutigen Masse des Rückens Jesu lösten. Da war kein Schluchzen, als das untragbare Kreuz den fast Gehäuteten zum dritten Mal in Zeitlupe auf den Felsboden warf. Man vernahm kein lautes Stoßgebet, als Blut sprinklerartig aus der Speerwunde auf seine römischen Peiniger sprühte. Kein Amen, als es endlich vollbracht war und die Erde bebte und die Träne Gottes hinabstürzte auf Golgatha. Da war stattdessen Schweigen und Ekel. Man war entsetzt, abgestoßen, grausam gelangweilt von der längsten, am wenigsten begründeten Folter eines wehrlosen Helden, die ein Hollywoodstar je seinem Publikum zugemutet hat.
Nach einer halben Stunde fließt das Blut des Messias ohne Unterlass. Nach 50 Minuten brüllt der Mob "Kreuzigt ihn", nach 90 Minuten ist Golgatha erreicht und in den Schaulustigen entlang der Via Dolorosa haben Niedertracht und Barmherzigkeit gerungen. Jede Gasse ein Schlachthof Jesu. Ein Heiliger wälzt sich unter Schlägen, Fußtritten, Peitschenhieben, angespieen und verhöhnt. Aber man hat nie verstanden, warum er heilig, noch warum er des Todes sein sollte. Niemand hatte es erklärt. Mel Gibson hatte es vergessen. Wahrlich: Was immer die Mel-Passion "The Passion of the Christ" bei vorkostenden Vorführungen vor ausgewählten Gläubigen seit einem Jahr an Offenbarung, Schock und Confirmatio erreicht haben mag, diese Magie versagte in der ersten Vorstellung des Films im "Avalon".
Das lag zuletzt daran, dass der Film in Zungen spricht, Aramäisch und Latein, mit englischen Untertiteln. Die kommerziell vermeintlich todbringende Wahl zählt zu den besten, die Gibson traf; seine Geschichte ist frei von gestelzter Bibelsprache und angefüllt mit gutturaler Poesie. Es lag auch nicht daran, dass ein schwelender Antisemitismus-Vorwurf jüdische Cineasten ins Kino gelockt hatte. Eher musste heiße Luft aus dem Gebilde entweichen, das sich aus Rumor und Hybris unter der liebevollen Regie Gibsons aufgebläht hatte. Der Film bekehrt die Gläubigen; er wirkt keine Wunder. Abgesehen von dem Zweckbündnis aus Gibsons erzkonservativer Catholic Church, die mit der katholischen Lehre nach den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 nichts zu tun haben will, und Evangelikalen der "Religious Right". Liebe und Vergebung, um die es Gibson zu tun war, sind schwer zu entdecken in dem Blutrausch. Die ökumenischen Sachverständigen, Theologen aller Weltreligionen, Imame, Padres, Pastoren und Rabbiner, die sich am Mittwoch über die Gibson-Passion beugten, konnten bisweilen nicht verstehen, worüber man sich seit Monaten so erregt hatte. Einige bekannten, Gibsons Gottessohn sei spirituell, intellektuell, emotional anämisch - Jesus lasse sie kalt.
Das heißt nicht, dass nicht Tausende in ihrem Innersten berührt werden. Skandal hat der Film, den Regisseur Mel Gibson schrieb und mit 30 Millionen Dollar eigenen Geldes produzierte, aber mitnichten wegen seiner frohen Botschaft gemacht. Was reizte, war von Anfang an die Frage, ob der Mann gesegnet oder verrückt, schwer am Märtyrer-Komplex leidend oder gesalbt sei. Ein judäo-christlicher Expertenrat hatte im Sommer 2003 nach Prüfung einer frühen Drehbuchfassung die Darstellung der Juden "blutrünstig, rachsüchtig und geldgierig" genannt und Änderungen verlangt. Man wollte Gibson und den Gläubigen ersparen, dass der Film in die uralte Antisemitismus-Falle der Passionsspiele geriet. Das misslang. Mel Gibson ließ sich zu Schnitten herbei, löschte etwa den Blutschwur des Kaiphas gegen die Juden in den Untertiteln. An der Weißwaschung von Pontius Pilatus, des wegen seiner Grausamkeit von Rom abberufenen Gewaltherrschers, änderte er nichts. Kaiphas hingegen und die Pharisäer haben nicht nur auffallend schlechte Zähne, ihre Hasstiraden tönen dumm und karikaturhaft.
Es steht Mel Gibson weiß Gott frei, seinen Glauben und sein Geld in einen Film zu gießen. Man mag ihn auch mühsam verstehen, wenn er es ablehnt, sich anders als lavierend von dem himmelschreienden Unsinn zu distanzieren, den sein Vater Hutton in vatikanfeindlichen und den Holocaust relativierenden Büchern und Interviews von sich gibt. Er liebe seinen Vater, erklärt der Sohn, Antisemitismus sei eine Sünde und unchristlich, Hitler ein "Okkultist und Monster". Hutton Gibson sagt, es habe nur "Arbeitslager" gegeben, und redet von Verschwörungen der Juden. In Mel Gibsons Alter kann man etwas für sein Gesicht - aber für den Vater? "Im Zweiten Weltkrieg kamen Dutzende Millionen Menschen um; einige davon waren Juden." Sein Vater habe nur gesagt, es seien weniger als sechs Millionen gewesen. Der New-York-Times-Kolumnist Frank Rich nannte ihn einen "Holocaust-Leugner-Verteidiger". Wofür sich der Star mit dem Versprechen revanchierte, er werde Richs Eingeweide aufspießen und auch dessen Hund töten. Er entschuldigte sich. Es liege ihm fern, sagte er im Fernsehen, Richs Hund zu beleidigen.
Mel Gibson kann etwas für seine Gewaltphantasien und für seine Paranoia. Er
spielt mit Blasphemie, wenn er sagt, der Heilige Geist schaue wohlgefällig auf
seinen Film. Unterdessen werden mit seinem Segen neben Tassen und T-Shirts in
christlichen Devotionalienläden Kreuznägel an Lederschlaufen für günstige 16,99
Dollar an den Christenmenschen gebracht. Wenn "Passion" Geld macht,
werden biblische Stoffe Hollywood in seinem Glauben festigen. Der besagt, dass
es nur eine Sünde gibt - Erfolglosigkeit.
Samstag, 28. Februar 2004
Die rechtsextremistischen Gruppierungen in Berlin agieren zunehmend aggressiver und gewaltbereiter. Diese besorgniserregende Feststellung trafen Vertreter der Berliner Polizei gestern bei einer Pressekonferenz, bei der die Behörde über die Bilanz der Bekämpfung des Rechtsextremismus im vergangenen Jahr informierte.
"Wir stellen fest, dass das Aggressionspotenzial in der rechten Szene ebenso wächst wie die Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten", sagte Michael Knape, Leiter der Polizeidirektion 6, gestern. Im Bereich dieser Direktion mit den Bezirken Treptow-Köpenick, Hellersdorf-Marzahn und Lichtenberg liegen seit Jahren die Hochburgen der rechten Szene. Auch die gestern dargestellte Entwicklung bei den rechtsextremistischen Gewalttaten ist wenig erfreulich. Die Zahl der Delikte stieg von 42 im Jahr 2002 auf 70 im vergangenen Jahr.
Bei den rechtsextremistischen Straftaten insgesamt konnte der über Jahre verzeichnete Anstieg 2003 erstmals gestoppt werden, die Zahlen sind sogar leicht rückläufig (von 946 auf 944). Auch der deutliche Rückgang von Delikten mit antisemitischem Hintergrund (von 229 auf 123) wertete die Polizei gestern als Erfolg.
"Insgesamt gesehen haben wir die rechte Szene in Berlin unter Kontrolle", versicherte Klaus Gäth, Vize-Chef der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes. Zustimmung erhielt Gäth gerade in den letzten Tagen von Politikern verschiedener Parteien, die übereinstimmend die Auffassung vertraten, ohne den hohen Einsatz der Polizei wäre die Situation weitaus schlimmer.
Mit hohem Einsatz geht vor allem die Direktion 6 seit Jahren gegen die Rechten vor. Direktionsleiter Michael Knape ist bei Skinheads und Neonazis entsprechend unbeliebt. Doch das stört den Leitenden Polizeidirektor offenbar nicht. "Wir müssen den Rechtsextremisten klar machen, dass es für sie keinen Fußbreit Boden in dieser Stadt gibt", stellte Knape gestern unmissverständlich klar.
Damit diese Botschaft ihre Empfänger auch wirklich erreicht, rückt Knape regelmäßig mit demonstrativ starkem Aufgebot bei Feiern und Veranstaltungen der Rechtsextremisten in Lichtenberg, Treptow und Marzahn an. Besuche, die in aller Regel zum abrupten Ende dieser Veranstaltungen führen. Permanenten Überwachungen von Treffpunkten und Anlaufstellen der Rechten sorgen zusätzlich für Verunsicherung und Frustration dieser Kundschaft. Und das werde auch in Zukunft so bleiben, kündigte Knape an.
Als Erfolg der Polizei wertete Staatsschützer Klaus Gäth gestern auch die in
den letzten Monaten angelaufenen Großverfahren der Justiz gegen drei in Berlin
aktive rechtsextremistische Gruppierungen. Gegen mehrere Rädelsführer wurden
dabei bereits Freiheitsstrafen bis zu sechs Jahren verhängt.
Samstag, 28. Februar 2004
Neonazis
haben es in Berlin immer schwerer, sich konspirativ zu treffen. Das glaubt
zumindest die Polizei. Nach ihrer Einschätzung konnte sie in den vergangenen
Jahren die Konzerte von Nazi-Bands komplett verhindern. Das gab die Polizei am
Freitag bekannt. Sie begründet den Erfolg mit aktiver Präventionsarbeit und
"hohem Verfolgungsdruck". Der Bewegungs- und Aktionsraum der rechten
Szene sei deutlich eingeschränkt worden, heißt es in der Erklärung.
Lehrer sollen genauer hinhören
Auch künftig will die Polizei den Druck auf
die rechte Szene aufrechterhalten. "Es ist ein unerträglicher Zustand,
wenn dunkelhäutige Menschen Angst haben müssen, S-Bahn zu fahren oder durch
bestimmte Straßen zu gehen", sagte der Leiter der Direktion 6, Michael
Knape. Seine Direktion ist für jene Bezirke zuständig, in denen es rechte
Hochburgen gibt, etwa Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Teile von Treptow.
"Der Treptower Bereich und Johannisthal sind ein Schwerpunkt der rechten
Kriminalität", sagte Knape. Er kündigte eine engere Zusammenarbeit mit den
Bezirksämtern an. Zu den polizeilichen Maßnahmen gehören Knape zufolge Fuß- und
Gruppenstreifen in besonders "belasteten" Gebieten, das Aufspüren von
rechten Treffpunkten und eine permanente Aufklärung durch Zivilkräfte.
"Ziel ist es, die Szene transparent zu machen und die rechte Klientel zu
ent-anonymisieren." Auch die Schulen seien gefordert, sagte der Polizist.
"Die Lehrer müssen genauer hinhören und sich mit Rechten auseinander
setzen." Das habe nichts mit Ausspitzelung zu tun, sondern mit
Gefahrenabwehr. Gesinnung, so Knape, könne man oft nicht an der Kleidung wie
der Bomberjacke erkennen.
Dass, wie berichtet, immer mehr Neonazis im
Outfit der Links-Autonomen herumlaufen, entgeht auch der Polizei nicht.
Sonnenbrille, Basecap und schwarze Kapuzen waren bislang Utensilien der Linken.
"Auf Grund des gestiegenen Überwachungsdrucks nimmt die rechte Szene diese
Formen an", glaubt Knape. Entsprechende Konsequenzen soll das für die am
1. Mai in Berlin geplante NPD-Demonstration haben, auf der Rechte einen
"Schwarzen Block" planen. Knape machte am Freitag klar, dass die
Polizei das Vermummungs- und Uniformierungsverbot anwenden werde. "Wir
werden uns nicht scheuen, ganze Blöcke aus dem Aufzug herauszunehmen."
Als eines der wichtigsten Mittel zur
Verunsicherung der Szene sieht die Polizei die Razzia. Allein im November gab
es drei Großeinsätze, unter anderem gegen die so genannten Hammerskins. Die für
politisch motivierte Straftaten zuständige Abteilung Staatsschutz im
Landeskriminalamt ist davon überzeugt, dass die Razzien ihre Wirkung zeigen.
Das sehe man daran, dass nur wenige der Überprüften mit verbotenen Symbolen
angetroffen würden, sagte der zuständige Dezernatsleiter Oliver Stepien.
"Die Betreffenden rechnen mit dem Erscheinen der Polizei. Sie haben sich
das Prinzip Hase und Igel verinnerlicht." Dieser Aussage dürften viele
Neonazis zustimmen, wenn auch aus anderen Gründen: Mittlerweile gehört der
erwartete Polizeieinsatz bei der Jahresfeier der Nazigruppe Vandalen zum festen
Programmpunkt, weshalb sogar Rechte aus Brandenburg anreisen.