Samstag, 20. März 2004
Jan Thomsen
So richtig
fassen kann es Inna Vollstädt noch nicht. Eben ist ein Fax gekommen, und die freundliche
ältere Dame, Leiterin des Wachsfiguren-Kabinetts am Checkpoint Charlie, ist
schwer getroffen. Denn ihr Vermieter, eine Immobilientochter der
Württembergischen Hypobank, wirft sie raus aus dem vierten Stock im Eckhaus an
der Friedrichstraße 45. In dem Schreiben heißt es: "Vor dem Hintergrund
des nun bekannten Ausmaßes Ihrer Nutzung fordern wie Sie auf, die Ausstellung
unverzüglich zu beenden." Man wünsche "keinen Publikumsverkehr"
mehr. Inna Vollstädt setzt sich an ihren kleinen Kassiertisch im Flur, direkt
neben eine täuschend echte Dostojewski-Figur. "Das war meine
Existenz", sagt sie. "Wie soll ich jetzt Geld verdienen?"
Genau einen
Fehler hat die 63-Jährige gemacht. Einen Fehler, den man in dieser Tragweite
womöglich nur in Berlin machen kann. Unter ihren 70 Wachsfiguren, allesamt
entliehen aus dem renommierten Stroganow-Museum in Sankt Petersburg, ist auch
ein wächserner Adolf Hitler - mit dem sie ebenso als Attraktion warb wie mit
Napoleon, Franz Josef Strauß oder Erich Honecker. Seit der Eröffnung des
Panoptikums im Januar stand der deutsche Diktator und
Massenmord-Verantwortliche im gläsernen Erker über dem Checkpoint, vereint in
einem Ensemble mit seinen alliierten Kriegsgegnern Stalin, Roosevelt und
Churchill.
Sonderlich
gut besucht war die Ausstellung von Anfang an nicht, sagt Inna Vollstädt; an
schlechten Tagen fanden nicht einmal zwei Dutzend Besucher den Weg hier hoch.
Aber in der vergangenen Woche gab es plötzlich Aufregung um die Hitler-Figur.
Am Dienstag schrieb die in Tel Aviv erscheinende zweitgrößte israelische
Tageszeitung Maariv kritisch über die Wachspuppe ("Hitler wax doll
displayed at Berlin museum"), es folgten Berichte Berliner Medien, die
eifrig Bedenken von Kommunalpolitikern wie dem Vize-Bezirksbürgermeister Lorenz
Postler (SPD) und dem Innenpolitik-Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Frank
Henkel, zitierten. Inzwischen wollen auch Fernsehsender wie Sat1, RTL, BBC und
CNN Interviews. Zuerst versuchte sich Inna Vollstädt, geboren in Sankt
Petersburg und Vorsitzende des Russischen Künstlerverbands "Art el",
noch zu verteidigen, doch dann kam die Kündigung. Zwar sagte am Freitag ein
Sprecher der Württembergischen Hypobank in Stuttgart, die Kündigung habe mit
dem Streit um die Wachs-Schau nichts zu tun - man hätte eben gern wieder eine
Büronutzung. Er räumte aber zugleich ein, dass seine Firma mit dem Hitler-Thema
"ungern in der Presse erscheinen" wolle.
Inna
Vollstädt ist nicht die Einzige, die die Aufregung nicht versteht. Auch
Historikern und Holocaust-Forschern geht es so. Wolfgang Benz, Leiter des
Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der TU Berlin, sagte der Berliner
Zeitung, ein Wachsfiguren-Kabinett sei nun mal kein Geschichtsmuseum. "Das
fällt eher in die Abteilung Volksbelustigung." Man dürfe eine solche
Ausstellung nicht so ernst nehmen. "So etwas bedient ein eher schlichtes
Unterhaltungsbedürfnis." Auch der Direktor des Potsdamer
Moses-Mendelssohn-Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien, Julius H. Schoeps,
fühlt sich eher belustigt denn belästigt von der Vorstellung, ein Wachs-Hitler
stehe am Checkpoint Charlie. Sich darüber erregen, sei "Hokuspokus",
sagte er: "Das muss man niedriger hängen." Die Berliner Jüdische
Gemeinde, die angeblich schon eine "Abordnung" in die Friedrichstraße
geschickt hatte, dementierte dies am Freitag, wollte sich aber ansonsten nicht
äußern. Nur der Faschismus-Forscher Wolfgang Wippermann von der Freien
Universität nannte die Puppe eine Geschmacklosigkeit, die auch gefährlich
werden könne. "Hitler wird langsam zur Ikone für alles - wie ein Stück
Alltagskultur."
Inna
Vollstädt hat den Ex-Diktator jetzt erstmal weggeräumt. Und zwar in eines der
hinteren Zimmer - er steht nun gegenüber von Charlie Chaplin.
Berlin: In
Berlin haben Wachsfigurenkabinette eine lange Tradition. Eines der
berühmtesten, gegründet 1873 von Louis Castan, war in der Kaiserpassage an der
Friedrichstraße Ecke Behrenstraße zu sehen. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg
zerstört, heute steht dort das Hotel Westin Grand. Das 1972 gegründete Panoptikum
im alten Kudamm-Eck musste 1997 schließen. Pläne zur Neueröffnung scheiterten
bislang.London: Das berühmteste Wachsfigurenkabinett ist das von Madame Tussaud
in London, zu besichtigen seit 1835. Wie viele Häuser zeigt auch Tussaud s ganz
selbstverständlich eine Hitler-Figur - direkt am Eingang zum Chamber of
Horrors, dem Horrorkabinett. Auch in der Amsterdam-Filiale von Tussaud s steht
eine Hitler-Puppe.
Hamburg: Das
Hamburger Panoptikum nahe der Reeperbahn feiert in diesem Jahr sein 125.
Jubiläum. In einer Gruppe stehen dort Hitler, Göring, Goebbels, Rommel, Eva
Braun, Mussolini und Franco zusammen. Die Hitler-Puppe wurde bereits 1941
modelliert - durfte aber erst nach dem Krieg gezeigt werden.
20.03.2004
Mel Gibsons Film "Die Passion Christi", der am Donnerstag in Berlin angelaufen ist, erntete bereits vorab heftige Kritik: zu viel Blut, zu viel Gewalt, antisemitische Elemente. Freigegeben ist die schwer verdauliche Kost ab 16 Jahren. Und wie reagieren die jüngsten Zuschauer auf das umstrittene Werk? Schüler der Klasse 10 f des Askanischen Gymnasiums in Tempelhof, die aus verschiedenen Glaubensrichtungen stammen, haben sich den Film angeschaut - und sich darüber ihre eigene Meinung gebildet. Morgenpost-Mitarbeiterin Anemi Wick sprach mit den Schülern nach dem Film.
Berliner Morgenpost: Ein
Jesus, der sich zwei Stunden lang blutüberströmt und entstellt durchs Bild
schleppt - muss das sein?
Gizem Kaya ist türkischstämmige Muslimin: "Ich finde den Film gut, weil er die Wahrheit nicht verharmlosend darstellt - auch wenn der Anblick belastend ist."
Ga-Lem Ngs Eltern kommen aus Hongkong. Sie ist Buddhistin und kennt die Jesusgeschichte aus dem Ethik-Unterricht. Sie sucht in dem Film eher einen historischen als religiösen Inhalt.
Ga-Lem: "Ich fand den Film deshalb gut, weil man das Leiden von Jesus richtig mitfühlen konnte. Ja, der Film ist sehr brutal und abstoßend. Das ist aber weniger ein Vorwurf an den Film, sondern an die Brutalität der Menschen."
Artur Merins, dessen Vater jüdischer Abstammung ist, lehnt so viel Brutalität aber entschieden ab.
Artur: "Ich halte einige Gewaltszenen für übertrieben: Die detailgetreue Auspeitsch-Szene etwa, in der die Peitschenhaken das Fleisch aus dem Rücken reißen. Oder die Nahaufnahme der Hand, wie sie bei der Kreuzigung vom Nagel durchbohrt wird. Das war einfach zu viel."
Die deutsch-polnische Schülerin Julia Neig, bekennende Atheistin, gibt Artur Recht. Bei den brutalen Szenen musste sie oft die Augen schließen.
Julia: "Ich fand die Auspeitsch-Szene einfach nur pervers. Ich hatte den Eindruck, dass Mel Gibson hier seine ganzen kranken Fantasien rauslässt."
Cäcilia Karnasch möchte sich keiner bestimmten Glaubensrichtung zuordnen, sie hat ihren persönlichen Gottesbegriff und glaubt an Seelenwanderung.
Cäcilia: "Bei einem Horrorfilm fließt auch viel Blut, aber man gerät ins Nachdenken. Das hat mich emotional mehr berührt. Viel schlimmer als die blutigen Szenen fand ich, wie man die Mutter Maria weinen und leiden sieht. Das ist doch schlimmer als ein Horrorfilm wie "Scream'!"
Welche Botschaft will der Film übermitteln?
Olga Klotschko kommt aus einer ukrainischen, russisch-orthodoxen Familie und ist von den Gewaltszenen genauso schockiert. Sie sieht darin aber einen Spiegel, der der Menschheit vorgehalten wird.
Olga: "Mich haben die brutalen Szenen nachdenklich gemacht: Warum machen Menschen so was? Warum konnten sie dastehen und ohne Mitleid zusehen?"
Cäcilia: "Aber das ist doch heute noch so: Wenn jemand auf der Straße geschlagen wird, gucken auch alle weg. Wer greift bei so was schon ein?"
Ga-Lem: "Ich glaube, der Film wurde gedreht, um den Menschen die Augen zu öffnen. Um uns zu sagen, dass wir nicht weggucken, sondern Courage zeigen sollen."
Haltet ihr denn den Film für
authentisch?
Cäcilia: "Os sich wirklich so zugetragen hat? Mir kommen schon dadurch Zweifel, dass historische Fakten verfälscht sind. Wir wissen doch heute, dass bei der Kreuzigung die Nägel nicht durch die Handfläche, sondern durchs Handgelenk gebohrt wurden. Und gewisse Elemente, die in diesem Film auftauchen, finde ich völlig unpassend. Dieser Horror-Satan zum Beispiel. Den hätte er weglassen können."
Thao Le ist Buddhistin vietnamesischer Abstammung. Die Glaubensrichtung ist für sie aber bei der Betrachtung des Filmes nicht zentral - für sie geht es in der Geschichte "einfach um Menschen". Sie beruft sich aber auf historische Grundlagen, die nicht mit Fiktion vermischt werden sollten.
Thao: "ich stört, dass der Autor eine reale Geschichte mit Szenen angereichert hat, von denen er nicht wissen kann, ob sie so stimmen. Der Film kommt als Doku daher, ist aber in Wirklichkeit ein Spielfilm. Mel Gibsons Meinung wird den Leuten als Wahrheit angedreht."
Ga-Lem: "Der Film hätte neutraler sein müssen, und gewisse Dinge einfach offen lassen für die Interpretation des Zuschauers."
Kritiker bezeichnen den Film als
antisemitisch . . .
Arthur: "Nein, ich halte ihn nicht für antijüdisch. In der Geschichte kommen Juden und Römer vor, gute wie böse."
Gizem: "Es ist vielmehr eine Aufarbeitung der Vergangenheit, wie auch die Nazi-Zeit aufgearbeitet wird."
Cäcilia: "Daran sieht man, dass sich die Geschichte wiederholt. Brutalität und Gewalt gab und gibt es bei allen Völkern. Grausamkeit liegt in der Natur des Menschen."
Würdet ihr den Film
Gleichaltrigen weiterempfehlen?
Jannis Seifert, der einzige Christ in der Runde, ist sich da nicht so sicher: zur reinen Unterhaltung nicht, zur Auseinandersetzung mit der Jesusgeschichte ja. Man soll sich aber gut überlegen, ob man sich so viel Blut antun will.
Cäcilia: Die Altersgrenze ist mit 16 zu tief angesetzt. Ich würde den Film erst ab 18 freigeben. Unreifere Jugendliche, die den Film nicht verstehen, könnten nach dem Film verstört sein. Oder sogar erbrechen. Sensiblen Personen würde ich auf jeden Fall von diesem Film abraten.
Samstag, 20. März 2004
BERLIN epd Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat gegen die Tierschützer-Plakatkampagne "Holocaust auf dem Teller" vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erwirkt. Damit drohe der Organisation Peta als Initiatorin der Plakataktion im Falle weiterer öffentlicher Verwendung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro, teilte der Dachverband der jüdischen Gemeinden gestern mit. Die direkte Gegenüberstellung von Tieren mit Opfern des nationalsozialistischen Völkermords sei Menschen verachtend und verharmlose den Holocaust.
Das Gericht hatte Peta bereits am Donnerstag jede Verbreitung der Bilder untersagt, sei es durch Plakate, Handzettel, Internet oder andere Medien. Sollte die Organisation das Verbot missachten, werde der Zentralrat in jedem Fall ein Ordnungsgeld beantragen, kündigte der Verband an. Am Freitagnachmittag waren die fraglichen Bilder noch auf der Homepage der Tierschützer (www.peta.de) zu sehen. Die Tierschützer planen eine Wanderausstellung mit acht Großplakaten, die mit der Gegenüberstellung der Fotos von Schweinen, Hühnern und Rindern mit Bildern von KZ-Opfern die Tötung von Tieren anprangern will.
Die Tierrechtsorganisation Peta
verglich Massentierhaltung mit dem Holocaust - und die Empörungsgesellschaft
blieb merkwürdig lange still. Jetzt hat der Zentralrat der Juden die Kampagne
stoppen lassen. Endlich
Als der Architekt des Holocaust-Mahnmals in Berlin, Peter Eisenman, den Degussa-Witz seines Zahnarztes erzählte, schrie die Öffentlichkeit auf. Politiker hatten etwas dazu zu sagen, die Worte "Antisemitismus" und "Holocaust" gingen wieder einmal von Mündern zu Ohren. Im Büro des Zentralrats der Juden wird hinter vorgehaltener Hand über Arbeitsüberlastung geklagt. Zu allem wolle die deutsche Öffentlichkeit eine Stellungnahme. Darüber, dass die Tierrechtsorganisation Peta mit ihrer aktuellen Kampagne Tiere in Massenhaltung mit Kindern im KZ vergleicht, hörte man zu lange nichts. Trotz Zeitungsberichten blieb die deutsche Empörungsgesellschaft still.
Zu viele glauben zu verstehen, was Peta macht. Die Tierschützer, so meinen sie, haben den gemeinsamen Nenner hinter Holocaust und Massentierhaltung entdeckt: fabrikmäßigen Schmerz und Tod. Währenddessen schlagen die Gegner der Kampagne mit dem Holocaust-Hammer um sich, mit dem sich noch jede Debatte beenden ließ. Verstecken sich feige hinter einem Tabu. Deshalb sagen intelligente Menschen wie der Rapper Thomas D., die Plakate seien noch viel zu sanft. Und sie haben in einem Recht: Menschen lassen Tiere unnötig schlimmste Qualen leiden. Das ist einer zivilisierten Welt nicht würdig. Doch die Peta-Kampagne zeigte dies nicht.
Die Bilder erzählen eine Geschichte, die es so nie gab. Die Gerippe der Schweine neben den Gerippen von Häftlingen. Beide schmerzen - es fühlt sich so vergleichbar an. Doch Holocaust und Massentierhaltung sind zwei Dinge. Zwei schreckliche, aber zwei verschiedene. Selbstverständlich kann Peta Holocaust-Überlebende vorweisen, die eigenes Leid mit dem von Tieren vergleichen. Die Organisation hat lange Jahre Medienerfahrung. Doch das ändert nichts an der Unseligkeit des Vergleichs. Nach dem 11. September vertraten viele Deutsche die Meinung, die Amerikaner hätte es so schlimm nicht getroffen. Und zählten auf: Korea, Vietnam und erster Irakkrieg. Attentat auf das World Trade Center minus drei Kriege, was wundern sich die Amerikaner? Über die Folgen der US-Außenpolitik lässt sich natürlich diskutieren. Miteinander vergleichen und verrechnen lässt es sich nicht.
Damit wird etwas subtrahiert und addiert, was sich den Kategorien der Mathematik entzieht. Der große Protest blieb deshalb aus, weil es sich zu viele angewöhnt haben, Vergleiche wie Peta zu ziehen und Schmerzensmathematik zu betreiben.
DANIEL SCHULZ
Samstag, 20. März 2004
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Weimar. (tlz) Biedermann und die Brandstifter: Junge Frauen und Männer werben für Toleranz und in eigener Sache. Sie streben derzeit an, Teil der Weimarer Zivilgesellschaft zu werden, begehren Einlass und stufen sich selbst ganz selbstbewusst als rechtsextrem ein. Im Internet spielen sie mit braunen Symbolen, wie zum Beispiel jener "Hagen Kreuz", der als Webmaster des Nationalen Widerstandes auftritt. Alles unter dem erlaubten Motto "Im Kampf gegen ZOG", denn das Netz dürfte vertraglich wohl kaum den Gesetzen der Bundesrepublik unterliegen. "ZOG" ist die Kurzformel für "Zionist Occupied Government", mit der Rechtsextremisten, insbesondere rechtsextreme Verschwörungsphantasten ihre Behauptungen von einer weltweiten Verschwörung des Judentums schmücken. Und vielleicht sollte man wissen, dass ein weiterer Oberstratege der Weimarer Rechten für den Messerstich auf einen vietnamesischen Händler am Graben verantwortlich war oder auch schon mal an den "Rudolf-Heß-Gedenkmärschen" im bayerischen Wunsiedel teilnimmt. Biedermann und die Brandstifter? Die Antwort fällt mehr als leicht. Heute zeigt der braune Mob wieder sein hässliche Fratze in dieser Stadt. Er will dies bis Oktober noch 25mal tun. Das Frühlingserwachen beschert Weimar nicht nur einen alten Wirrkopf namens Georg Paletta, der mit seiner revanchistischen "Interessensgemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands" demonstrieren darf. Auch die freien Kräfte aus dem Nationalen Widerstand haben sich kurzerhand angeschlossen, um den "BRD-Hobby-Faschisten Gasser", so ihr rüder und im Internet nachzulesener Vorwurf, in die Schranken zu verweisen. Hintergrund: Thüringens Justizminister Karl Heinz Gasser (CDU) sprach sich Anfang des Jahres für ein generelles Demonstrationsverbot für Buchenwald aus und hielt es für möglich, Demonstrationsverbote für Rechte auf die gesamte Stadt auszudehnen. Geschehen ist: wieder einmal nichts, weshalb nicht zuletzt OB Volkhardt Germer es kritisierte, dass nach vollmundigen Politikeraussagen auf Bundes- und Landesebene vieles im Sande versickere. Die Polizei ist für den heutigen Tag gerüstet. Mit rund 500 Beamten aus Thüringen und Sachsen wird sie den Verlauf der genehmigten Neo- und Altnazi-Demo sichern und für den Schutz der Gegendemonstranten sorgen. An die Anwohner und Geschäftsinhaber wurden bereits Info-Zettel verteilt, um sie über mögliche Beeinträchtigungen zu informieren. Unter dem bewährten Motto "Bunte Vielfalt statt brauner Einfalt" machen ab 10 Uhr auf dem südlichen Teil des Baudertplatzes die "BürgerInnen gegen Rechtsextremismus" (BgR) mobil. Die Teilnehmer der Demonstration sind unter anderem dazu aufgerufen, Instrumente, Töpfe und Krachwerkzeuge mitzubringen, um unter der Leitung des Bauhaus-Professors Bernd Nentwig unter freiem Himmel einen "Drumcircle zu wagen. Motto der Aktion: "Weimar im Einklang". Und auch Besen sollen mitgebracht werden, um den "braunen Dreck wegzufegen". "Ich hoffe und wünsche, dass die Bürgerinnen und Bürger Weimars auch heute wieder ihre humanistische Gesinnung auf den Straßen unserer Stadt beweisen und zahlreich und deutlich Farbe bekennen, wenn hier Menschen aufmarschieren, mit deren rückwärtsgewandten und unfriedlichen Parolen diese Stadt nichts zu tun haben will", betonte der OB am Freitag. Er selbst werde der Demonstration für ein friedliches und weltoffenes Weimar mit einem Grußwort ein symbolisches Geleit geben. Dem Aufruf der BgR folgt übrigens auch das "weimarwerk bürgerbündnis". ! Heute, Samstag, 10 Uhr: Am südlichen Teil des Baudertplatzes versammelt sich Weimars buntes Bündnis; die eigentliche Demonstration beginnt um 11 Uhr und führt in die Innenstadt; weitere Informationen gibt es im Internet: http://www.weimar-zeigt-sich.de |
Samstag, 20. März 2004
Im Zuwanderungsstreit droht eine neue Verhandlungsschleife
An der Unions-Forderung nach einer
leichteren Ausweisung von Ausländern könnte am Sonntag eine Einigung scheitern
In einer Marathonsitzung am Sonntagabend wollen die
Chefverhandler von Regierung und Opposition einen Schlussstrich unter den
Zuwanderungsstreit ziehen. Ob das gelingt, ist fraglich: Eine
Sicherheitsdebatte überlagert die Verhandlungen.
VON VERA GASEROW
Berlin · 19. März · Der Zeitplan schien vereinbart, die
Einigung in greifbarer Nähe. Doch nun könnte es sein, dass die sieben
Chefverhandler, die seit Wochen nach einem Zuwanderungskonsens suchen, eine
weitere Schleife drehen müssen. Denn nach den Anschlägen von Madrid spürt die
Union Rückenwind für ihre Forderung, die Debatte über die Zuwanderung mit
Gesetzesverschärfungen zur Überwachung und Ausweisung von Ausländern zu
verknüpfen.
Eigentlich wollte die so genannte Kerngruppe aus den sieben Unterhändlern von
Union, SPD, Grünen und FDP am morgigen Sonntag ein letztes Mal in kleiner Runde
zusammenkommen. Dabei sollen ausformulierte Gesetzesvorschläge beider Seiten zu
sämtlichen umstrittenen Punkten vorliegen. Anhand der Vorlagen soll dann
geprüft werden, ob CSU/CDU auf der einen Seite und SPD, Grüne und FDP auf der
anderen Seite sich wirklich so einig sind, wie es nach den jüngsten
Verhandlungen schien. Dabei hatten vor allem die Grünen beim Kapitel
Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt deutlich Federn lassen müssen.
Ob es bei dem Treffen zu einer Einigung kommt, könnte deshalb davon abhängen,
ob die Union nun ihrerseits zu den bisher nur vage signalisierten
Zugeständnissen beim Flüchtlingsschutz steht. Dabei geht es um einen besseren
Schutz für Opfer von nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung,
um die Abschaffung der so genannten Kettenduldungen für Flüchtlinge und um die
Schaffung von Härtefallkommissionen in den Ländern. Entscheidend wird sein,
welche konkreten Formulierungen die Unterhändler von CDU/CSU zu diesen Punkten
auf den Tisch legen. Grünen-Verhandler Volker Beck äußerte sich vorab eher
skeptisch.
Haupthürde für eine Einigung wird jedoch zunächst der Umgang mit dem Thema
Sicherheit sein. Als Schrittmacher der Union hat das bayerische Kabinett Anfang
der Woche dazu einen Katalog mit sechs Forderungen verabschiedet. Hauptpunkt:
Künftig soll ein Ausländer schon dann ausgewiesen werden, wenn er nur unter
Verdacht steht, einer extremistischen Vereinigung anzugehören oder sie zu
unterstützen.
SPD, Grüne und auch die FDP hatten hingegen argumentiert, dass die geltenden
Gesetze zur Abwehr von Terrorismus reichten. Danach können Ausländer an der
Einreise gehindert oder ausgewiesen werden, wenn konkrete Tatsachen belegen,
dass sie Kontakte zu Terrornetzwerken haben oder eine Gefahr für Sicherheit und
Ordnung in Deutschland darstellen. In einem Interview sagte Innenminister
Schily jetzt jedoch, die geltenden gesetzlichen Hürden für die Ausweisung seien
möglicherweise "zu hoch" und nicht "lebensnah" genug. Er
sei darüber zu Gesprächen mit der Union bereit.
Die Union fordert weiterhin eine zwingende Regelüberprüfung bei Polizei- und
Verfassungsschutz für alle Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis oder
Einbürgerung beantragen. Außerdem soll künftig die "ethnische
Herkunft" aller Ausländer im Ausländerzentralregister gespeichert werden.
Reichlich Konfliktstoff also. CDU-Verhandler Wolfgang Bosbach ist denn auch
skeptisch, dass die Runde am Sonntag wirklich wie geplant ihre Arbeit
abschließen kann: "Einen Durchbruch", sagt Bosbach, "sehe ich
noch nicht."