Donnerstag, 1. April 2004
Reichlich schwierige Übung
Beratungsteam gegen Rechts zieht Bilanz/Teilfinanzierung weiterhin offen
Von Peter Liebers, Erfurt
Das mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen MOBIT e. V.
hat gestern in Gotha die Bilanz seiner zweijährigen Arbeit gezogen.
Die Beratungsaktivitäten von MOBIT zielten vordergründig auf die Stärkung der
demokratischen Kultur vor Ort, um langfristig eine Klimaveränderung in den
Kommunen zu erreichen, betonte DGB-Landes- und Vereinschef Frank Spieth. Er
verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass sich einer von der Landesregierung
in Auftrag gegebenen Studie zur politischen Situation im Freistaat zufolge
20Prozent der Thüringer für ein nationale Diktatur ausgesprochen haben. In der
Auseinandersetzung mit diesem Gedankengut wolle MOBIT einen konstruktiven
Beitrag leisten.
Keine Patentrezepte
Spieth wertete es als wichtigen Durchbruch, dass sich das Land zu dem über
das Civitas-Programm des Bundes geförderten Verein bekannt hat. Derzeit sei
allerdings noch völlig offen, ob die im kommenden Jahr erfolgende Kürzung der
derzeit rund 300000 Euro Bundesmittel vom Land kompensiert werde. Die
Streichung von 20 Prozent der Förderung gegenüber 2003 hatte in diesem Jahr
dazu gezwungen, das MOBIT-Büro in Saalfeld zu schließen. Im derzeit einzigen
Büro in Gotha sind noch sechs Mitarbeiter beschäftigt. Nach Angaben von
Projektmanagerin Frauke Büttner arbeitet MOBIT mit den unterschiedlichsten
Gruppen, politischen Initiativen und Arbeitskreisen zusammen und unterstützt
deren Vernetzung. Ihnen werde unter anderem mit Fortbildungs- und
Diskussionsveranstaltungen geholfen, Handlungssicherheit im Umgang mit
rechtsextremistischen Erscheinungen zu erlangen. In Gotha würden derzeit
beispielsweise Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer und Polizisten
vorbereitet.
Eine andere Möglichkeit sei es, Jugendklub-Sozialarbeiter über neofaschistische
Symbolik und die einschlägige Musikszene zu informieren, damit sie
rechtsextreme Entwicklungen in ihren Einrichtungen erkennen und ihnen wirksam
begegnen können. Dabei gebe es aber keine Patentrezepte, betonte Büttner. Es
sei schließlich ein Unterschied, ob in einer Kommune eine rechte Jugendkultur
das Stadtbild präge oder ob der Ortsverband der DVU seine Propaganda per Wurfsendung
oder in Stammtischgesprächen verbreite. Entsprechend differenziert müssten die
Gegenkonzepte sein. Letztendliches Ziel sei es, ein konfliktfähiges
demokratisches Gemeinwesen aufzubauen. Das erweise sich allerdings oft als
reichlich schwierige Übung, bekennt Andrea Wenk, eine von vier Beraterinnen und
Beratern des Vereins. Vor allem in Kommunen sei die Angst verbreitet, dass ihr
Ansehen schweren Schaden nimmt, wenn sie in der Öffentlichkeit im Zusammenhang
mit Rechtsextremismus erwähnt würden.
Täter bleiben anonym
Für den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Thüringen, Wolfgang Nossen,
der dem Vereinsvorstand angehört, ist der Rechtsextremismus im Freistaat ein
wachsendes Problem. Er sehe einen erheblichen Widerspruch zwischen der Aussage
von Innenminister Andreas Trautvetter (CDU), dass rechtsextremistische
Gewalttaten zurückgehen, und dem Thüringer Alltag, sagte er dem ND. Allein in
den ersten drei Monaten dieses Jahres seien beispielsweise im Freistaat drei
jüdische Friedhöfe schwer verwüstet worden; dabei entstand ein Schaden von rund
100000 Euro. In Walldorf hätten Unbekannte etwa die Hälfte der 91 Grabsteine
zerstört. Nossen registriert dabei eine neue Qualität. Früher hätten
Rechtsextremisten in solchen Fällen ihre »Visitenkarte« in Gestalt faschistischer
Schmierereien hinterlassen. Jetzt handelten sie anonym. Nossen betonte, er
hätte sich nach den Verbrechen des deutschen Faschismus nicht träumen lassen,
dass eine solche Entwicklung noch einmal möglich sein würde.
Donnerstag, 1. April
2004
Straßburg - Die Zahl antisemitisch motivierter Handlungen ist in der Europäischen Union in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Dies geht aus einem Bericht der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hervor. Besonders dramatisch sei die Entwicklung in Deutschland gewesen. Dort sei die Zahl antisemitischer Handlungen von 1999 bis 2000 um 69 Prozent gestiegen. 2002 habe es zwar einen leichten Rückgang gegeben, doch nahmen die Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr von 18 auf 28 zu. Die Täter seien in der EU vor allem junge Rechtsextreme weißer Hautfarbe. dpa
Donnerstag, 1. April
2004
Inzwischen sind auch sie Teil des 1.-Mai-Rituals in Berlin: Rechtsextremisten, die am Tag der Arbeit so gegen Mittag irgendwo im Stadtgebiet aufmarschieren und von einigen Gegendemonstranten ausgepfiffen werden, bevor sich die Linken ab dem späten Nachmittag dem eigentlichen Trubel in Kreuzberg widmen können. Und doch kommt es jedes Jahr zu kleineren Veränderungen. Nach jahrelangen Querelen marschieren NPD und Freie Kameradschaften dieses Jahr das erste Mal wieder gemeinsam. Und hat die Versammlungsbehörde die Rechtsextremisten bis vor zwei Jahren noch an den Rand der Stadt verbannt, wo sie einsam und unbeobachtet ihre Parolen grölen konnten, durften sie im vergangenen Jahr mitten in der City West in Charlottenburg demonstrieren. Dieses Jahr wollen sie mit ihrer Demonstration am Ostbahnhof beginnen.
Die örtliche Nähe zu den revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen in Kreuzberg sei "eine Provokation", findet Markus Roth von einem eigens gegen den Naziaufmarsch gegründeten antifaschistischen Bündnis. Es ruft zu einer Kundgebung in unmittelbarer Nähe am Straußberger Platz auf, und zwar eine halbe Stunde bevor die Neonazis sich treffen wollen. Die Polizei wollte beide Anmeldungen gestern nicht bestätigen. Erst recht nicht, ob die Rechten tatsächlich auf Kreuzberg zumarschieren wollen, wo in aller Regel gegen 13 Uhr die erste der revolutionären Demonstrationen der Linksradikalen beginnt. Ines Heuer-Sehlbaum vom Bezirksamt Kreuzberg bezweifelt aber, dass die Rechten eine solche Route genehmigt bekommen. "Ich verlasse mich ganz auf die Weitsichtigkeit der Versammlungsbehörde", sagte die Referentin der PDS-Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer. Und auch Sebastian Lorenz von der Antifaschistischen Linken Berlin rechnet nicht damit, dass sich die Nazis am 1. Mai nach Kreuzberg wagen.
Dennoch läuft ein Monat vor
dem demonstrationsreichen Feiertag die Gegenmobilisierung auf Hochtouren. Auf
ihrer Internetseite bietet die Antifa Friedrichshain unter der Rubrik
"Antifa zum Selbermachen" kostenlos Aufkleber und Spuckis zum
Herunterladen an. Zudem lockt sie mit einem ganz besonderen Angebot: Wer ihnen
abgerissene Naziaufkleber schickt, erhält gratis ein ganzes Paket mit
Aufklebern, die sich gegen den Naziaufmarsch richten. Da müssen rechte
Aktivisten schon tiefer in die Tasche greifen. Zwar ist auch ihre Auswahl an
Demo-Artikeln durchaus bemerkenswert - aber 105 Euro für ein mit Plaka-Farben
bemaltes Transpi ist dann doch ein ganz schöner Happen.
" FELIX LEE
Donnerstag, 1. April 2004
VON UWE RADA
Gerade erst wurde er noch gescholten, nun wird er wissenschaftlich geadelt. Wie die taz gestern erfuhr, bekommt der Architekt Peter Eisenman eine Honorarprofessur an der Technischen Universität Berlin. Nicht am Fachbereich Architektur, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern am renommierten Zentrum für Antisemitismusforschung. Dies bestätigte gestern gegenüber der taz der Leiter der bundesweit einmaligen Institution, Wolfgang Benz.
Eisenman zeigte sich gestern hocherfreut über die Berufung. "Ich will nicht von Genugtuung reden, aber es hat gut getan", sagte er der taz. Damit spielte Eisenman auf die zahlreichen Konflikte an, in denen er in der Stiftung "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" involviert war. Zuletzt hatte der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins, Alexander Brenner, eine Sitzung des Kuratoriums der Stiftung verlassen, weil Eisenman einen angeblich antisemitischen Witz erzählt habe. Eisenman hatte sich daraufhin bei Brenner entschuldigt.
Mit der Entscheidung für Eisenman lehnt sich das Zentrum für Antisemitismusforschung weit aus dem Fenster. Chancen für eine Berufung hatte sich nämlich auch die Vizevorsitzende der Mahnmalsstiftung, Lea Rosh, ausgerechnet. In ihrer Bewerbung hatte sie sogar angekündigt, die Diskussionen um das Holocaust-Mahnmal der vergangenen Monate explizit zum Schwerpunkt ihrer Arbeiten an der TU machen zu wollen. "Dies betrifft vor allem das sonderbare Verständnis von Humor, wie es Herr Eisenman zum Ausdruck bringt", hatte Rosh vor Wochenfrist durchblicken lassen.
Die nun bekannt gewordene Berufung Eisenmans wollte sie nicht kommentieren. Rosh kündigte allerdings an, in der Mahnmalsstiftung die Frage zu stellen, ob Benz dort länger bleiben könne. Schließlich habe der bereits nach dem Eklat um den Eisenman-Witz gesagt: "Er hat uns Deutschen US-Humor vorgeführt. Dort geht man viel lockerer mit sich und der Geschichte um, auch mit der jüdischen."
Wolfgang Benz verteidigte gestern seine Entscheidung. "Eisenman steht für einen offensiven, offenen und undogmatischen Umgang zwischen Juden und Nichtjuden", sagte er. Eine solche Kultur des Dialogs sei in den letzten Jahren zunehmend verhärteten Fronten gewichen. "Wir hatten die Wahl zwischen einer jüdischen Nichtjüdin und einem nichtjüdischen Juden", beschrieb Benz die Entscheidungssituation. Man habe sich schließlich für Eisenman entschieden, weil er ein Gegner von Denkverboten jeder Art sei.
Der Vorsitzende des Kuratoriums des Holocaustmahnmals, Wolfgang Thierse, gratulierte gestern Peter Eisenman zur Berufung und gab sich überzeugt, dass Eisenman eine Bereicherung nicht nur für das architektonische, sondern auch das kulturelle Leben der Stadt werde. Eisenman selbst versprach, sein Bestes zu tun. Der Titel seiner Antrittsvorlesung im Oktober steht schon fest: "Die Kultur des jüdischen Witzes und seine Rezeption in Deutschland".
Donnerstag, 1. April 2004
taz: Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat kürzlich während der Leipziger Buchmesse gesagt, dass mit der EU-Osterweiterung eine neue Welle des Antisemitismus Europa bedrohe. Übertreibt Herr Korn?
Wolfgang Benz: Eher nicht. Antisemitismus ist in Osteuropa salonfähig und die Sorge vor dem Antisemitismus der neuen EU-Mitglieder ist berechtigt. Das hat sich in den dreizehn Jahren seit der Wende durch Äußerungen osteuropäischer Politiker reichlich bewiesen.
Manche baltischen Zeitungen sind offen antisemitisch, manche polnischen Politiker stellen sich taub. Womit hat das zu tun?
Antisemitismus dient ja immer zur schlichten Welterklärung. Damit kann man sich die Leiden in den sowjetisch besetzten und dominierten Ländern erklären. Man macht es sich einfach und sagt: Die Juden waren schuld. Denn die hätten den Kommunismus in die Welt gebracht, weil ja viele führende Kommunisten Juden gewesen seien. Das ist der gleiche Unsinn, den der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann kürzlich verzapfte.
Seit wann dient in Osteuropa der Antisemitismus als Erklärung für gegenwärtige Missstände?
Erstaunlich ist, dass zum Beispiel in Russland, in Weißrussland und in der Ukraine der christliche Antijudaismus nach 1989 einfach wiederbelebt werden konnte - als seien 70 Jahre Kommunismus spurlos verschwunden. Dies steht in einer bestimmten Tradition der esoterisch-mystischen Welterklärung - und es ist kein Zufall, dass jetzt dort auch wieder die "Protokolle der Weisen von Zion", ein antisemitischer Klassiker, wieder erhältlich sind. Da wird in die ganz alten Arsenale der Judenfeindschaft gegriffen. Damit sperrt man sich gegen rational-westliches Denken. Das ist eine spezifisch russische Variante, in der der Antisemitismus eine große Rolle spielt.
Und die hat in den Jahren der russischen Dominanz auf Osteuropa abgefärbt?
Nicht nur. In Polen gibt es einen autochthonen katholisch unterfütterten Antisemitismus. In den baltischen Ländern wird der Antisemitismus jetzt zum russischen Import erklärt. Aber jeder arbeitet gerne mit Schuldzuweisungen an die Juden, nur möchte man nicht den Eindruck erwecken, diese selbst erfunden zu haben.
Wer formuliert denn die öffentlichen Schuldzuweisungen an Juden?
Die orthodoxe Kirche hat nach der Wende beträchtlichen Einfluss gewonnen. Und wenn der Pope sagt, "Die Juden sind böse, weil sie Jesus ans Kreuz geschlagen haben", dann prallt eine staatliche und schulisch betriebene Aufklärung daran ab. Die christlichen Kirchen müssen in diese Verantwortung für ein westlich demokratisches Denken mit einbezogen werden.
Wo genau sehen Sie da Verantwortlichkeiten?
Im Weltkirchenrat und in der europäisch-kirchlichen Zusammenarbeit steckt ein wesentliches Arbeitspotenzial, das genutzt werden muss. Die christlich-jüdische Verständigung hier im Westen ist eine sehr schöne Sache.
Aber die katholischen und protestantischen Amtsträger müssen dem orthodoxen Amtsbruder klarmachen, dass er diese entsetzlichen Welterklärungen, bei denen die Juden die Schuldigen an allem Weltübel sind, unterlassen muss.
Viele Osteuropäer meinen, dass Stalin schlimmer war als Hitler. Beinhaltet das Ihrer Ansicht nach eine unzulässige Relativierung des Holocaust? Oder sogar ein antisemitisches Ressentiment?
Nein, die gemeinsame Geschichtsdeutung hat damit nicht viel zu tun. Etwas überspitzt gesagt, würde ich so weit gehen und es dem Ukrainer überlassen, ob er Stalin schrecklicher als Hitler findet. Darum geht es nicht. Die antisemitischen Traditionen in Russland reichen weit bis in den Zarismus zurück, im Baltikum bis tief ins 19. Jahrhundert. Dort wurzelt die Tradition der Ausgrenzung und Schuldzuweisung, die sich an religiösen, kulturellen und sozialen Kategorien festmacht. Diese Traditionen sind völlig unabhängig von der Frage, wie man Hitler und Stalin bewertet.
Es spielt also keine Rolle, ob man der Totalitarismustheorie anhängt und Kommunismus mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt. Oder wie immer man sich Geschichte auf simple Weise erklären mag. Wir haben es beim Antisemitismus mit einem Phänomen weit älterer Art zu tun.
Viele Juden befürchten - wie Salomon Korn -, dass der Westen diesen, wie Sie sagen, alten osteuropäischen Antisemitismus achselzuckend hinnimmt. Besteht die Gefahr, dass die europäischen Juden mit diesem Problem allein gelassen werden?
Sie haben keine Gewissheit. Aber es gibt die unbedingte Hoffnung darauf, dass sich dieses Europa als eine demokratische Völkergemeinschaft nach parlamentarisch-demokratischen, liberalen und menschenfreundlichen Spielregeln versteht.
Daher muss Antisemitismus, wo immer er auftritt, sanktioniert werden. In diesem erweiterten und vergrößerten Europa ist dies ein Auftrag der westlichen Länder gegenüber den östlichen, genau dafür zu sorgen. Aber den hier lebenden Juden kann man die Furcht, allein gelassen zu werden, nicht so ohne Weiteres nehmen. "INTERVIEW:
ADRIENNE WOLTERSDORF
Donnerstag, 1. April 2004
Antisemitismus
"Die
Hemmschwelle wird niedriger"
Die Hemmschwelle zur Äußerung antisemitischer Klischees wird nach Ansicht
des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland immer niedriger. Er
bedauere, dass er mit seinen Forderungen nach stärkerer Bekämpfung von
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit auf wenig Resonanz stoße, sagte Paul
Spiegel.
Osnabrück
- "Dieses Problem wird bestehen bleiben, so lange die Bevölkerung die
Bekämpfung des Rechtsradikalismus und Antisemitismus nicht als ihr ureigenstes
Thema betrachtet", sagte der Zentralratspräsident in der heutigen Ausgabe
der "Financial Times Deutschland". Nach wie vor gebe es in
Deutschland einen von Wissenschaftlern festgestellten antisemitischen Bodensatz
von 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung.
Es sei falsch, juden- und fremdenfeindliche Tendenzen lediglich als Angriffe
auf Minderheiten zu betrachten, die die Mehrheit in der Gesellschaft nichts
angehe. Unter dem nationalsozialistischen Holocaust habe schließlich die
gesamte Bevölkerung gelitten, betonte Spiegel. Er verwies darauf, dass zwischen
1933 und 1945 auch Millionen von Andersgläubigen ihr Leben gelassen haben.
Die Veranstaltung im Bundestag zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar zeige
"kaum Außenwirkung", beklagte Spiegel. Er forderte, alle Schüler
sollten sich an diesem Tag wenigstens eine Stunde mit dem Thema beschäftigen
"nicht aus Schuldgefühl, sondern aus Verantwortung dafür, dass so etwas
wie der Holocaust nie wieder passiert".
Donnerstag, 1. April 2004
EU-Institut
warnt vor Zunahme von Antisemitismus
Laut
einer Studie haben antisemitische Übergriffe in mehreren EU-Ländern erheblich
zugenommen. In Deutschland wurde hohe Gewaltbereitschaft beobachtet.
Das EU-Institut zur Beobachtung
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) sieht einen «beträchtlichen
Anstieg» von Antisemitismus in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union.
In Deutschland sei die Zahl antisemitischen Vorfälle zwischen 1999 und 2000 um fast 70 Prozent gestiegen, heißt es in einer Untersuchung des Instituts mit Sitz in Wien, die am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg vorgestellt wurde. 2002 habe die Gesamtzahl der Übergriffe in dem Land zwar leicht abgenommen. Dafür seien 28 «antisemitisch motivierte Gewalttaten» registriert worden, zehn mehr als im Vorjahr.
Aufstachelung zum Hass
In den meisten Fällen sei Hetzpropaganda verbreitet worden, geht es aus
der Studie hervor. Jüdische Organisationen hätten sich außerdem darüber
beklagt, deutlich mehr Briefe, E-Mails und Anrufe mit «aggressivem
antisemitischen Inhalt» erhalten zu haben.
Nach Angaben von Institutschefin Beate Winkler handelt es sich bei dem
Bericht um den ersten Versuch, den Antisemitismus innerhalb der gesamten EU zu
dokumentieren.
Auch in Frankreich besteht demnach Grund zur Sorge. Mehr als die Hälfte der 2002 registrierten rund 300 rassistischen und fremdenfeindlichen Übergriffe habe sich gegen jüdische Gemeinden gerichtet, heißt es in der Studie.
Ein deutlicher Anstieg antisemitischer Gewalt wurde zudem in Belgien, den Niederlanden und Großbritannien beobachtet. Das Spektrum der Delikte reicht laut EUMC von Anschlägen mit Brandbomben über tätliche Angriffe, Beleidigungen und Wandschmierereien bis zur Verbreitung antisemitischer Inhalte im Internet.
Tief verwurzelte Vorurteile
Eine geringere Zahl von Angriffen auf Juden und deren Einrichtungen habe
es in Griechenland, Italien, Österreich und Spanien gegeben, stellten die
Experten fest. In der Bevölkerung herrschten dort allerdings starke Vorurteile
vor.
Laut dem Bericht gehen die Übergriffe zum einen auf das Konto von Skinheads und anderen Rechtsextremisten. Häufig seien die Täter aber auch «junge Moslems», «Personen nordafrikanischer Abstammung» und «andere Immigranten».
Der Erhebung liegen Ermittlungen der EUMC-Außenstellen in allen 15 Mitgliedsländern zu Grunde. (nz)