Freitag, 2. April 2004
Juden- und fremdenfeindliche Tendenzen sind nach Ansicht von Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden, nicht nur Angriffe auf Minderheiten. Sie gingen auch die Mehrheit an, sagte Spiegel der Neuen Osnabrücker Zeitung. Auch unter dem nationalsozialistischen Holocaust habe die ganze deutsche Bevölkerung gelitten. (epd)
Freitag, 2. April 2004
Sechs mutmaßliche Neonazis müssen sich seit gestern vor dem Amtsgericht Halberstadt wegen eines Überfalls im August verantworten. Den 16- bis 31-Jährigen wird gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch zur Last gelegt. Sie sollen ein Jugendzentrum überfallen und einen 21-Jährigen schwer verletzt haben. (epd)
Freitag, 2. April 2004
Rund 250 Rechtsextreme aus Meck-Pomm und anderen Bundesländern erwartet die Polizei am Samstag zu einer Demo gegen die Agenda 2010 in Neubrandenburg. Auch wenn noch keine offiziellen Gegendemonstrationen angemeldet seien, werde die Polizei den Aufmarsch mit rund 600 Beamten absichern, hieß es gestern. (epd)
Freitag, 2. April 2004
BERLIN taz Der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Josef Winkler, hat die nächste Verhandlungsrunde über das Zuwanderungsgesetz am 30. April als "letzte Chance" bezeichnet, um zu einer Einigung mit der Union zu kommen. Winkler sagte der taz: "Man muss das gesamte Paket beim nächsten Mal dicht machen - oder eben nicht." Die Gespräche zwischen SPD, Grünen, Union und FDP waren gestern erneut ohne Ergebnis zu Ende gegangen.
Der Grünen-Politiker warf der Union vor, bereits erzielte Einigungen wieder in Frage gestellt zu haben. Dies betreffe den Schutz vor geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung sowie das Kindernachzugsalter. "So kann man nicht verhandeln", sagte Winkler. "Wenn die Union am 30. April nicht klar und eindeutig sagt, was sie will, sollte man die Gespräche scheitern lassen."
Die Union versuche, "im Windschatten der Sicherheitsfragen von bereits erreichten Kompromissen in anderen, für uns wichtigen Bereichen abzurücken", sagte Winkler. Damit habe sie eine Einigung erschwert. Wenn es keine gemeinsame Lösung gebe, müsse man andere Wege suchen, um zu Fortschritten in der Zuwanderungspolitik zu kommen. "Es macht keinen Sinn, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu verhandeln."
Die Opposition machte Rot-Grün für den Stillstand verantwortlich. Das gestrige Treffen sei "für die Katz" gewesen, schimpfte CDU-Verhandlungsführer Peter Müller, weil die Regierung keine konkreten Vorschläge zu neuen Sicherheitsgesetzen präsentiert habe. FDP-Unterhändler Max Stadler schloss sich den Vorwürfen an. "Diese Verhandlung war leider nahezu vollkommen nutzlos", so Stadler. "Das lag an der rot-grünen Koalition, die keinerlei Texte vorgelegt hat." Innenminister Otto Schily (SPD) hatte lediglich allgemein seine Bereitschaft zu Ergänzungen der Anti-Terror-Gesetze bekräftigt. Die von ihm kürzlich vorgeschlagene "Sicherungshaft" für terrorverdächtige Ausländer erwähnte er nicht. Stadler sagte, Schily habe auf Nachfrage erklärt, dies sei ein schwieriges Thema, über das man beim nächsten Mal reden könne. Schily versprach, am 30. April Texte zu den Sicherheitsfragen vorzulegen." LUKAS WALLRAFF
Freitag, 2. April 2004
Gefahr
unterschätzt: Rassismus im HipHop?
WIPPERFÜRTH. Seit die
Musikstilrichtung HipHop in den achtziger Jahren ihre Anfänge fand, beeinflusst
sie die Jugendszene nicht nur im Bereich der Mode, sondern auch in der
Lebenseinstellung. Aber ist es auch im HipHop, wie in anderen Musikrichtungen,
zu beobachten, dass nationalsozialistische Tendenzen die populäre Musik
unterwandern?
Zu diesem Thema lud die „Wipperfürther Initiative gegen rechts“ (W.I.R.) den Referenten Hannes Loh ins Wipperfürther Jugendzentrum ein. Der 32-jährige Kölner Lehrer für Geschichte und Deutsch, der gemeinsam mit Murat Güngör das Buch „Fear of a Kanakplanet“ verfasst hat, erzählte den zahlreichen Besuchern, wie der deutschsprachige HipHop sein Gesicht im Laufe der Zeit verändert hat.
Mit Hilfe von Videomitschnitten erklärte Loh zu Beginn die Geschichte der Gastarbeiter, die in den fünfziger Jahren nach Deutschland kamen. „Die Nachfolgegenerationen nutzten den HipHop, um auf soziale Ungerechtigkeiten gegenüber den Migranten und Probleme der Integration aufmerksam zu machen“, so der Referent.
Allerdings habe sich HipHop mit der Zeit in einigen Sparten von einem Ausdruck der Weltkultur hin zum „Nazirap“ verändert. Hannes Loh bewies mit Zitaten aus Internetdiskussionsforen, wie in „rechten Kreisen“ über eine „Unterwanderung“ der deutschen HipHop-Szene mit rassistischer Propaganda debattiert wird. „Mitreißende Beats werden schnell und unbemerkt mit ausländerfeindlichen Ausdrücken gespickt“, umriss Loh die Gefahr.
Selbstverständlich gebe es aber auch eine Gegenkultur. So seien natürlich nicht alle HipHop-Bands rechtsradikal. „Ganz im Gegenteil, HipHop wird wieder zu seinen Ursprüngen zurückfinden“, gab der Referent den Jugendlichen mit auf den Weg.
Dieser Vortrag soll der Anfang einer Reihe im Wipperfürther Jugendzentrum sein. „Lange Zeit hatten wir mit der Abrockzentrale nur Musik als Botschaft“, erklärte Daniel Hoffstadt von W.I.R. Das durch die Abrockzentrale eingenommene Geld soll in Zukunft mehrere kostenlose politische Infoveranstaltungen ermöglichen. (vjo)
Freitag, 2. April 2004
Billigung der Anschläge
Mahler erneut
vor Gericht
Vor dem Hamburger Landgericht hat am Donnerstag der
Berufungsprozess gegen den umstrittenen Rechtsanwalt Horst Mahler wegen
Billigung der Terroranschläge vom 11. September 2001 begonnen. Zum
Prozessauftakt wies Mahler die Schuld von sich. Er habe immer die Auffassung
vertreten, dass Gewalt in Deutschland kein legitimes politisches Mittel
darstelle.
Der einstige Mitbegründer
der Rote Armee Fraktion und spätere Anwalt der rechtsextremen NPD hatte die
Terror-Attacken im ARD-Fernsehmagazin "Panorama" als
"rechtens" bezeichnet. Im Mai 2003 hatte das Hamburger Amtsgericht
Mahler freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein.
In dem Fernsehinterview
am 20. September 2001 hatte Mahler über die Anschläge gesagt: "Es war ein
Erschrecken und gleichzeitig auch das Gefühl: Endlich mal! Endlich sind sie mal
im Herzen getroffen. Und deshalb sage ich, das war eine Aktion, die, so grausam
sie ist, rechtens war."
Freitag, 2. April 2004
Bundesrichter sehen Mord statt Totschlag
Karlsruher Juristen heben Urteil gegen
Türken aus Anatolien auf, der seine Ehefrau erstach
Ein aus einem fremden Kulturkreis stammender in
Deutschland lebender Ausländer kann wegen Mordes an seiner Ehefrau verurteilt
werden, wenn er die westliche Werteordnung kennt. Auf seine eigene Einschätzung
kommt es dabei nicht an.
Karlsruhe · 1. April · ukn · Mit dieser Entscheidung hat
der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein Urteil gegen einen aus Anatolien stammenden
Türken aufgehoben, der seine Ehefrau erstochen hatte, aber nur wegen Totschlags
verurteilt wurde.
Die Ehe zwischen dem in Anatolien aufgewachsenen Mann und der in Deutschland
geborenen und aufgewachsenen türkischen Frau wurde auf Betreiben der jeweiligen
Eltern geschlossen. Die Mutter der Frau und der Vater des Mannes sind
Geschwister. Schon wenige Monate nach der Heirat kam es zu Streit, weil sich
die nach westlichen Vorstellungen erzogene Frau nicht als Besitz behandeln ließ
und ohne Erlaubnis ihres Mannes zum Einkaufen ging und sich mit ihrer Schwester
traf. Bei den zunehmenden Streitigkeiten kam es zu Misshandlungen. Damit ihre
Schreie nicht gehört wurden, stellte der Ehemann die Musik lauter.
Versuche der Familienmitglieder, den Mann zu einer Änderung seines Verhaltens
zu bewegen, scheiterten. Die Frau wollte die Scheidung. Der Ehemann hätte im
November 2002 Deutschland verlassen und nach Anatolien zurückkehren müssen. Das
empfand er als demütigend. Bei einem erneuten Streit um seine Aufenthaltsverlängerung
schlug er zunächst auf die Frau ein, zog schließlich ein Klappmesser und
erstach sie mit 48 Messerstichen.
Das Landgericht Frankfurt a.M. verurteilte den Angeklagten zu dreizehn Jahren
Freiheitsstrafe wegen Totschlags, nicht jedoch zu lebenslanger Freiheitsstrafe
wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Das Landgericht war nicht überzeugt,
dass sich der Mann subjektiv bewusst war, dass er aus niedrigen Beweggründen
handelte.
Nicht die Staatsanwaltschaft, aber die Familienangehörigen der Opfers legten
gegen das Urteil Revision ein und hatten damit Erfolg. Der Bundesgerichtshof
sah in der Verurteilung lediglich wegen Totschlags einen Rechtsfehler. Der
Angeklagte habe mehrfach angekündigt, er werde "eine Leiche
mitnehmen", wenn er nach Anatolien zurückgeschickt werde und folglich
bewusst gehandelt.
Außerdem hätten ihm Familienmitglieder die in Deutschland geltenden Bräuche
mehrfach erklärt. Schließlich sei auch nicht festgestellt, dass sich der Mann
nach anatolischen Wertevorstellungen für berechtigt halten durfte, seine Frau
zu misshandeln.
Eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Frankfurt muss nun erneut
über den Mordvorwurf entscheiden.
Aktenzeichen: 2 StR 452/03
Freitag, 2. April 2004
KOMMENTAR: BUNDESGERICHTSHOF
Eine Frage der Anerkennung
VON URSULA KNAPP
Vor dem Gesetz sind alle gleich. Ein Fundamentalsatz
bürgerlicher Rechtssysteme. Der hat es in sich. Das zeigt das Karlsruher Urteil
über Mord und Totschlag.
Niemand, der die Grundrechte ernst nimmt, wird ein Problem damit haben,
Menschen fremder Kulturen vor Diskriminierung zu schützen. Keinem Ausländer
sind etwa gefährlichere Arbeitsbedingungen zuzumuten, weil in seiner Heimat
keine Schutzvorschriften gelten. Können wir aber umgekehrt verlangen, dass sich
Menschen fremder Kulturen unseren Rechtsstandards unterwerfen? Müssen wir bei
der Scheidung in einer iranischen Familie darauf Rücksicht nehmen, dass dort
Männer alleiniges Sorgerecht für ihre Söhne haben? Kann ein deutsches Gericht
einen Mann aus Anatolien wegen Mords an seiner Frau verurteilen, obwohl für den
Angeklagten andere Ehrbegriffe gelten? Kann einer Mutter aus Gambia das
Sorgerecht entzogen werden, weil sie ihre Tochter beschneiden lassen will? Die
höchsten Gerichte beantworten diese Fragen zunehmend eindeutig: Wir verlangen
die Anerkennung der Rechtsordnung von allen.
Dem Vater sprach der Bundesgerichtshof das Sorgerecht vor Jahren ab. Bald
entscheiden die Richter über den Entzug dieses Rechts für besagte Mutter. Jetzt
stellte ein Senat des Gerichts klar, dass sich der Anatolier nicht dem
Mordvorwurf entziehen kann, weil seine Motive für ihn selbst nicht niedrig
waren. Er kannte das Recht. Das genügt. Die Forderung nach Integration enthält
jedoch auch einen Auftrag: etwas für sie zu tun.