Mittwoch, 26. Mai 2004

Plakatwettbewerb für Schüler gegen Fremdenhass

Die Landeskommission Berlin gegen Gewalt startet einen Plakat-Wettbewerb für Schüler zum Thema "Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus". Die Plakatentwürfe können Bilder, Zeichnungen, Fotografien, Collagen, Texte, Schlagwörter oder Argumente zum Thema enthalten und sollen sich vor allem mit den Gewaltopfern auseinander setzen. Die Ausschreibungsunterlagen können vom 3. Juni an bei der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt im Haus der Senatsbildungsverwaltung, Beuthstraße 6-8 (Mitte), angefordert oder unter www.berlin-gegen-gewalt.de heruntergeladen werden. Einsendeschluss ist der 1. Oktober 2004.

Demokratie und Toleranz will auch das Programm "respectabel" fördern. Der Senat stellt für 2004 und 2005 wieder jeweils 150 000 Euro zur Verfügung, um damit Projekte zu diesem Thema zu fördern. Die Förderhöhe für jedes Projekt ist auf 5000 Euro begrenzt. Näheres unter Telefon 29 35 21 82 oder unter www.respectabel.de.

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Neues Netzwerk gegen Rechts

Hohenschönhausen - Ein Netzwerk gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Plattenbau-Großsiedlung Hohenschönhausen wird heute, 18 Uhr, in der Seghers-Bibliothek am Prerower Platz 2 vorgestellt. Gäste einer Gesprächsrunde mit Bürgermeisterin Christina Emmrich (PDS) sind Vertreter freier Träger, der Polizei sowie eine Selbsthilfegruppe von Eltern rechtsextrem orientierter Kinder.

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Abrissbirne für NS-Gedenkstätte

Bund, Land und Gedenkstätten-Stiftung stornieren wegen unkalkulierbarer Kosten endgültig ambitionierten Betonstäbebau des Schweizer Architekten Peter Zumthor

BERLIN taz Der Entwurf des Schweizer Architekten Peter Zumthor für die NS-Gedenkstätte "Topographie des Terrors" in Berlin wird nicht gebaut, das Projekt wird neu ausgeschrieben. Darauf haben sich der Bund, das Land und die "Topographie"-Stiftung geeinigt, wie Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) mitteilte.

Die Gründe dafür seien Risiken für Mehrkosten von 3 bis 5 Millionen Euro allein bei der Realisierung des ambitionierten Betonstäbebaus, erklärte die Bundesministerin. Dazu kämen Schätzungen für Betriebskosten, die "enorm hoch" seien. Die Kosten waren aber schon seit Jahren auf 38,9 Millionen Euro gedeckelt worden, hälftig zu tragen vom Bund und dem Land Berlin. Der Bund übernimmt vom Land nun auch die Bauplanung des Projekts. Bisher wurden etwa 13 Millionen Euro verbaut, erklärte die Berliner Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Zwei bereits gebaute mehrstöckige Versorgungstürme würden abgerissen, Förderkräne auf der überwucherten Brache in Kreuzberg abgebaut. Die Senatorin schätzt die Kosten für den Abriss und ausstehende Honorare auf max. 2 Millionen Euro. Den Planungen nach soll nun in zwei Jahren der erste Spatenstich für den (neuen) Neubau erfolgen, zwei Jahre später soll er fertig sein.

In einer ersten Reaktion zeigte sich der Schweizer Stararchitekt "erschüttert" und "sprachlos" über die Entscheidung aus Berlin. Das Projekt, so Zumthor zur taz, habe ihm "elf Jahre Blut, Schweiß und Tränen" gekostet. Man habe in sein Schweizer Dorf "immer wieder Dreck geworfen": "Man lügt mich an." Seit zehn Jahren habe man insgeheim Gründe gesucht, den Entwurf nicht zu verwirklichen. Er habe noch "keine Ahnung", ob er gegen den Berliner Beschluss prozessieren werde. Wenn man ihn gebeten hätte, beim Entwurf vielleicht etwas mehr als die vorgesehenen 1,2 Millionen Euro an Sicherheitsmarge einzuplanen, "hätte ich nicht Nein gesagt".

Auf dem Gelände der "Topographie" waren die Zentralen der Terrorinstitutionen des NS-Staates, etwa der Gestapo, untergebracht. Das Projekt einer Gedenkstätte wird seit Jahrzehnten verfolgt. Nach dem Baubeginn 1995 wurde wegen explodierender Kosten 1999 ein Baustopp verhängt." PHILIPP GESSLER

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Kasachisches Roulette

Junge Russlanddeutsche gelten als besonders gewaltbereit. Belegen lässt sich das nur schwer. Viele haben sich erfolgreich integriert - in einem Land, das immer weniger mit ihnen anzufangen weiß

VON MAREKE ADEN

Im Leben des Nicolaj Kuzelev gibt es einen schönsten Tag und die drei schrecklichsten Monate. Der schönste Tag war sein erster in Deutschland. Am Kaspischen Meer hatte der 17-jährige Aussiedler nur Verheißungsvolles über Deutschland gehört. Er kam nach Hamburg, und Hamburg war tatsächlich schön und grün und reich. Am zweiten Tag begannen die drei schrecklichsten Monate.

Er bezog eine Bleibe in einem Wohnschiff in Altona, um ihn herum wohnten viele Einwanderer aus vielen Ländern, provisorisch abgetrennt durch dünne Wände. Nachts hielten ihn Lustschreie von nebenan wach. Seine Eltern hatten keine Arbeit, die Familie tat sich mit der deutschen Sprache schwer. "In Kasachstan haben die Leute alle gesagt, es sei kein Problem, in Deutschland eine Wohnung oder einen Job zu finden. Sie haben vergessen zu sagen, dass man vor 1995 hätte kommen sollen", erzählt Nicolaj Kuzelev.

Der junge Russlanddeutsche macht bald Abitur und spielt in einer deutschen Mannschaft Fußball. Er hat es geschafft. Obwohl Nicolaj eigentlich kriminell sein müsste - statistisch gesehen. Nach Joachim Walters Beobachtungen zählt er zu der Personengruppe, die überproportional häufig kriminell wird. Joachim Walter ist Leiter der Justizvollzugsanstalt Adelsheim in Baden-Württemberg, dem klassischen Rücksiedlerland. 80 Männer mit russischem Akzent und deutschem Pass verbüßen in seiner Anstalt eine Jugendstrafe, das sind 15 Prozent der Insassen und zwei- bis dreimal so viele, wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Die meisten der 80 sind wie Nicolaj Kuzelev mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen. Jungen in dem Alter hätten oft Probleme und brauchten Hilfe, selbst wenn sie gesetzestreu lebten, sagt Walter. "Wenn man zusätzlich in Migration lebt, ist die Gefahr, ins Gefängnis zu kommen, sehr groß."

Nun sind 80 junge Männer nicht unbedingt eine gute Grundlage für eine fundierte Untersuchung, das sieht auch Walter so. Das Problem ist nur, dass niemand näher dran ist, wenn es um die Bewertung von Kriminalität von jugendlichen Russlanddeutschen geht. Weder gibt es genaue Zahlen, wie viele Russlanddeutsche in Deutschland leben, noch wie viele polizeilich auffällig werden. Denn Statistiker erfassen Straftäter nach Nationalitäten, und die Pässe der Russlanddeutschen sind so deutsch, wie Pässe nur deutsch sein können.

Der Soziologe Rainer Strobl von der Universität Bielefeld hat es deswegen mit klassischer Dunkelfeldforschung versucht und Schüler befragt. Er ging mit Fragebögen in nordrhein-westfälische Schulen, um herauszufinden, ob russlanddeutsche Jugendliche eine andere Mentalität haben als deutsche. Er fand Überraschendes heraus: dass es keinen signifikanten Unterschied gibt. Zwar seien Russlanddeutsche traditioneller, was Geschlechterrollen betrifft, und stärker an ihre Familien und einen Ehrenkodex gebunden. Das aber habe nicht die vermuteten kriminellen Auswirkungen.

Strobl berichtet auch, dass das Ergebnis seiner Studie "immer wieder eine gewisse Unzufriedenheit" auslöse. Dass er den Fragern noch mal laut diktieren müsse: "Ja, Russlanddeutsche liegen tatsächlich im statistischen Mittelfeld." Die Frager würden dann entweder schweigen oder antworten: "Ja, aber bei uns ist das anders."

"Bei uns", das ist zum Beispiel in Marzahn. Zwischen den nun rosa gestrichenen ehemaligen DDR-Wohnblocks steht das "Schalasch Ost", Treffpunkt für rund 20 Russlanddeutsche. Sie sprechen nur russisch, weil ihnen das nach nur sechs Monaten Sprachkurs Deutsch leichter fällt. Gemeinsam ist ihnen zudem, dass sie keine Lehrstelle finden. Von anderen Jugendlichen unterscheidet sie eines, sagen sie: "Wir können mehr Wodka trinken." Zwar wären sie mit ihren Eltern lieber nach New York oder Australien ausgewandert. Aber Gewalt? Nein, Gewalt gebe es nicht unter ihnen.

Vielleicht lügen sie. Auch der der Soziologe Rainer Strobl hat dies in Betracht gezogen. "Niemand erzählt gerne von seiner eigenen Delinquenz", so Strobl. Allerdings würde er die Lügner mit statistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen erwischen. Wer in einer kriminellen Subgruppe lebe, werde auch schneller Opfer von Gewalttaten. "Wer prügelt, wird auch verprügelt", sodass auffiele, wenn es in einer Schulclique nur Opfer, aber keine Täter gäbe. Das sei aber nie aufgefallen.

Bleibt die Frage, wie es sein kann, dass Strobl nur durchschnittliche Gewalt unter jungen Russlanddeutschen ermitteln kann, aber Gefängnisleiter Joachim Walter überdurchschnittlich viele betreuen muss. Eine Erklärung von Walter ist, dass junge Leute, die in Osteuropa einen Teil ihrer Jugend bewusst verbracht haben, die Regeln des Systems dort stärker verinnerlicht hätten. Sie hätten gelernt, der Polizei gründlich zu misstrauen und am besten immer alles abzustreiten. "In Deutschland gilt man dann aber verstockt", so Walter - und kassiert wesentlich schneller eine Haftstrafe. Rainer Strobl erklärt sich die Tatsache unter anderem damit, dass Alternativen zur Haft für Russlanddeutsche oft nicht in Frage kämen. Antigewaltkurse etwa, die das Jugendgericht gerne statt Knast verordnet, werden auf Deutsch gehalten. Hinzu kommen allgemeine Befunde, wie Fehlerquellen bei der Dunkelfeldforschung, die mit ihren an Schulen verteilten Fragebögen zum Beispiel nur Schüler erreichen - und nicht die Schwänzer oder Abbrecher.

Nur bei einem Punkt sind sich alle Experten einig: Sie betonen, dass das Problem bisher eigentlich keins sei, aber bestimmt noch eins werde.

Bisher waren Russlanddeutsche eine Einwanderergruppe, wie sie sich Deutschland nur wünschen konnte. Qualifizierte Leute, die in Deutschland in Demut jeden Job annahmen. Gerade weil sie wussten, dass es ihnen in der ehemaligen Sowjetunion wirtschaftlich nicht so gut gehen würde, klagten sie nicht über Dequalifizierung. Ingenieure wurden zu Hausmeistern, Dozentinnen zu Bürohilfen, Goldsucherinnen zu Putzfrauen. Ihren Kindern dagegen predigten sie, Bildung sei der Weg zurück in die Schicht, die sie mit der ehemaligen Sowjetunion verlassen hätten. Die Kinder waren dadurch mit dem typischen Ehrgeiz der zweiten Generation geprägt, von dem Einwanderungsländer profitieren. Die 20-jährige Russlanddeutsche Helene Unger zum Beispiel studiert Chemie und strebt eine Promotion an, obwohl sie nicht davon überzeugt ist, dass ihr das Spaß machen wird. Aber sie hat ein großes Ziel im Leben: ihren Eltern hier ein Haus zu bauen, genau wie jenes, das sie in Kasachstan verlassen haben. Also arbeitet und lernt sie fleißig.

Seit Mitte der 90er-Jahre wandern jedoch viele Aussiedler nicht wegen ihres Bewusstseins für ihre deutsche Kultur ein, sondern aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage. Oft sind sie weniger qualifiziert, haben zudem eine Gesellschaft ohne Normgefüge erlebt, als der Kommunismus in ihren ehemaligen Heimatländern zusammenbrach. Und sie kommen heute in ein Land, das immer weniger mit ihnen anzufangen weiß und Sprachkurse hauptsächlich für eine Belastung des Finanzhaushalts hält. Auch wahltaktisch motiviertes Interesse von Parteien können Aussiedler nicht auf sich ziehen. Den Konservativen gelten Aussiedler als "Russen", den für Zuwanderer grundsätzlich engagierten Linken jedoch als notorische CDU-Wähler.

Junge Russlanddeutsche, die die Erfahrung machen, dass sie nicht erwünscht sind, ziehen sich häufig in eine hermetische Cliquenwelt zurück. Dort haben sie Chancen auf eine Karriere - eine kriminelle. "Wir produzieren Loser par excellence", sagt Gefängnisleiter Walter. Deutschland hat sich selbst ein neues Problem geschaffen.

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Korn tadelt Preußenstiftung

Der Streit über die "Flick-Sammlung" nimmt an Schärfe zu. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, warf in der Süddeutschen Zeitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor, eine öffentliche Debatte über die Rolle des Mäzens Friedrich Christian Flick verhindern zu wollen. Mit der Erklärung, Enkel und Urenkel könnten nicht für die Taten ihrer Großväter in "andauernde Sippenhaft" genommen werden, habe Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann die Rolle des Verteidigers Flicks übernommen. Die Erklärung Flicks, mit der Leihgabe an Berlin wolle er der "dunklen Seite seiner Familiengeschichte eine hellere hinzufügen", habe Lehmann mit "schicken Signalworten" akzeptiert, kritisiert Korn: Mit gleicher Begründung könnte man auch die Leihgabe eines Enkels Hermann Görings annehmen. DPA

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Hooligans schauen in die Röhre

Vor der Fußball-EM belegt die Polizei gewaltbereite Hooligans mit Ausreiseverboten. Ihre Auftritte schaden dem Ansehen Deutschlands in der Welt, begründet Polizeipräsident Dieter Glietsch

VON PLUTONIA PLARRE

Die Fußball-Europameisterschaft in Portugal wirft ihre Schatten voraus. Mit 7 Ausreiseverboten und 46 Gefährdeansprachen will die Polizei verhindern, dass Berliner Hooligans in der Zeit vom 12. Juni bis zum 4. Juli auf die Iberische Halbinsel fahren, um sich mit anderen Fans Schlachten zu liefern und Straftaten zu begehen.

Szenen wie 1998 in Lens bei der Fußballweltmeisterschaft, als der französische Gendarm Daniel Nivel von deutschen Hooligans fast zu Tode geprügelt wurde, dürften sich nicht wiederholen, begründete Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern die Maßnahmen. Straftaten wie diese seien nicht nur eine Bedrohung für Leib und Leben, sondern schadeten dem Ansehen von Berlin und Deutschland in der Welt. Als Konsequenz aus den Vorfällen in Lens hatte die Berliner Polizei seinerzeit die aus 24 szenekundigen Beamten bestehende "Ermittlungsgruppe Hooligan" gegründet. In Zusammenarbeit mit der Polizeiinformationsstelle für Sporteinsätze erstellt die EG Hooligan Lagebilder über Spiele und Reisebewegungen, gibt Prognosen ab und versucht die Klientel bei den Spielen ständig im Visier zu behalten. Die Zahl der Berliner Hooligans, die in die Kategorie C als "gewaltsuchend" eingestuft sind, wird von der Polizei auf rund 270 Personen beziffert. 50 Fans werden Hertha zugeordnet, 60 dem FC Union, 150 dem BFC Dynamo und 5 Tennis Borussia.

Im Vorfeld der anstehenden Europameisterschaft hat die EG Hooligan jetzt aus dem Fundus der Kategorie C acht Männer als potenziell besonders gefährlich herausgesiebt und mit einem Ausreiseverbot aus Deutschland während der Zeit der Europameisterschaft belegt. Einer davon sitzt ohnehin in Haft, die übrigen müssen sich einmal täglich zu einer bestimmten Uhrzeit auf einem Polizeirevier ihrer Wahl melden. Weitere 46 Personen wurden durch Gefährdeansprachen - Beamte geben Bescheid: "Wir kennen dich" - davor gewarnt, nach Portugal zu fahren, um dort Straftaten zu begehen. Wie die übrigen Bundesländer wird auch Berlin einen szenekundigen Beamten zu der Europameisterschaft schicken, um den Portugiesen mit Rat zur Seite zu stehen.

Die Polizei führt insgesamt drei Fan-Kategoriegruppen. A steht für nomale Anhänger, unter B sind zur Gewalt neigende Fans und Nachwuchs-Hooligans subsummiert, ihre Zahl wird auf rund 450 geschätzt. Damit nicht zu verwechseln ist die bundesweite Verbunddatei "Gewalttäter Sport", in der rund 4.500 Personen gespeichert sind. 700 davon sind Berliner. In der Datei befinden sich keineswegs nur Straftäter, sondern auch ganz normale Fußballfans, die irgendwann einmal in eine Personalienkontrolle geraten sind. Wer einmal erfasst ist, bleibt das auch - wenn er keine Initiative zur Löschung betreibt. Die böse Folge: Gespeicherten Fans droht, dass sie bei Besuchen von Auslandsspielen - ähnlich wie Globalisierungskritiker - an der Grenze festgehalten werden (siehe Interview). Die Kriminalität in Berlin rund um die Fußballspiele ist rückläufig. 2003 wurden 242 Straftaten gezählt, 11,7 Prozent weniger als im Vorjahr.

"Friedliche Fans werden behindert"

Matthias Bettag, Sprecher des Bündnisses aktiver Fußballfans, beklagt, dass Fans schon wegen Bagatelldelikten von der Polizei als Sportgewalttäter gespeichert werden

taz: Herr Bettag, sind die Berliner Hooligans eine relevante Gruppe, die bei der Fußball-Europameisterschaft in Portugal gefährlich werden könnte?

Matthias Bettag: Im Berliner Fußballalltag spielen die Hooligans fast keine Rolle mehr. Hertha hat ungefähr 50 Hooligans, Union ungefähr 30. Das sind aber Altbestände, die vor Jahren erfasst wurden, aber nicht mehr aktiv sind. Beim BFC Dynamo gibt es noch aktive Hooligans, aber nicht über 100 Leute.

Wird es mit den von der Polizei verhängten 7 Ausreiseverboten und 46 Gefährderansprachen sein Bewenden haben?

Das glaube ich nicht. Unsere Erfahrung ist, dass es direkt an der Grenze noch ganz andere trifft. Dass friedliche Fans wie Hooligans behandelt und an der Ausreise gehindert werden, nur weil sie früher einmal wegen Bagatelldelikten in der Gewalttäter-Sport-Datei gespeichert worden sind. Betroffen sind ganz normale Reisegruppen, die zu den Vielfahrern unter den Fußballfans gehören.

Was heißt wegen Bagatellen gespeichert?

Um erfasst zu werden, reicht, als Fan bei einer Ausweiskontrolle im gleichen Bus oder Zug mit polizeibekannten Personen angetroffen zu werden, die einen Sitz zerschlitzt oder eine Scheibe eingeschlagen haben. Oder dass man bei einem Flaschenwurf im Stadion in der Nähe war. Man muss nicht persönlich auffällig geworden sein.

Was hat es für Folgen, in der Datei gespeichert zu sein?

Man läuft Gefahr, beim jedem Auslandsbesuch, egal ob aus privaten oder fußballerischen Gründen, an der Ausreise gehindert zu werden.

Die Sicherheitsmaßnahmen im Fußball haben ungeheuer angezogen. Wird der Fan zum Freiwild für Kontrollaktionen?

Der Fan ist ein williges Opfer. Er will die Spiele sehen und ist bereit, sehr viel dafür in Kauf zu nehmen. Nicht nur die großen Strapazen der An- und Abreise, sondern auch die elektronischen Eintrittskarten …

beim Kartenkauf müssen die persönlichen Daten angegeben werden.

Man muss sogar einwilligen, dass die Uefa und Fifa die persönlichen Daten zum Abgleich mit der Gewalttäter-Sport-Datei an die deutsche Polizei weiterleiten. Karten werden nur an Leute verkauft, die unterschreiben, dass sie noch nie ein Stadionverbot hatten. Wer in seiner Jugend mal ein Verbot hatte, ist sein Leben lang von Fußballveranstaltungen ausgeschlossen.

Die Aktionen an der Grenze erinnern an die Schikanen gegen Globalisierungsgegner.

Das ist durchaus vergleichbar.

Was kann man als Fan gegen ein Ausreiseverbot tun?

Am besten man macht sich schlau, ob man in der Datei gespeichert ist, bevor man an der Grenze festgehalten wird. Dazu muss eine Kopie des Personalausweises und ein förmliches Anschreiben an die Polizei geschickt werden. Den entsprechenden Vordruck gibts bei profans.de.

Nach Portugal fährt auch ein so genannter szenekundiger Beamter der Polizei, SKB genannt, mit. Kennen sich diese Beamten wirklich aus?

Unsere Erfahrung ist, dass bei denen ein sicherheitsoptimierendes, paranoides Denken überwiegt. Mit den Fans wird viel zu wenig kommuniziert. Aber es gibt auch positive Bespiele, wo SKBler schlichtend auf die eigenen Polizeikollegen einzuwirken versucht haben.

Ist man als Fan gut beraten, allein zu Auslandsspielen zu fahren?

Ich würde es nicht empfehlen. Wenn man dann in Gewahrsam kommt, hat man keinen, der Bescheid weiß.

INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

 

Streit um Flick

Kunst unter Verdacht Von Bernhard Schulz

Die Vergangenheit vergeht nicht. Wer geglaubt hatte, Deutschland sei mit der Verantwortung für seine unselige Geschichte inzwischen zurande gekommen, wird jetzt eines anderen belehrt. Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat mit seinen heftigen Vorwürfen die Diskussion um die Kunstsammlung von Friedrich Christian Flick, genannt Mick, und ihre künftige Präsentation in Berlin erneut angefacht.

Der 59-jährige Flick ist ein deutscher Erbe par excellence. Er ist ein Enkel des NS-Wehrwirtschaftsführers Friedrich Flick, der bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verurteilt wurde – und später zu den Gründerfiguren des bundesdeutschen Wirtschaftswunders zählte. Der Enkel wurde 1975 ausbezahlt, vervielfältigte sein Erbteil und begann, eine Sammlung zeitgenössischer Kunst aufzubauen, deren Umfang er selbst kaum mehr überblickt. Diese Sammlung soll ab September in Berlin gezeigt werden, in einer auf Kosten des Sammlers umgebauten Halle, aber betreut und im laufenden Betrieb finanziert von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Dies alles hatte bisher den Segen der Bundesregierung und des Regierenden Bürgermeisters. Natürlich wurde die Familiengeschichte Flicks in allen Facetten beleuchtet – nicht so sehr von der Politik, doch in der Öffentlichkeit. Die direkte Linie indessen, die manch einer von den Verbrechen des alten Flick zur Sammlung des jungen ziehen wollte, wurde allgemein als „Sippenhaft“ zurückgewiesen. Aber ein gewisses Unbehagen an der Verwandlung des Namens Flick vom Synonym für NS-Profit zum strahlenden Inbegriff des mäzenatischen Kunstsammlers bleibt.

Genau das meint Salomon Korn mit seinem Vorwurf, es gehe Flick „um eine Art Weißwäsche von Blutgeld in eine gesellschaftlich akzeptable Form des Kunstbesitzes“. Starke Worte, die eine mittelbare Haftung des Enkels für die Untaten des Großvaters unterstellen. Der Vorwurf des „Blutgeldes“ meint, dass auch Mick Flicks Vermögen noch mit dem Blut und Schweiß der Zwangsarbeiter erkauft sei. Nun ist es aber so, dass der Enkel sein Vermögen, mit wie viel Startkapital auch immer, selbst vervielfacht hat. Vor allem aber ist es das Vertrackte am anonymen Geld, dass es seine Herkunft nicht verrät, sondern stets Teil ist eines riesigen, nicht immer aus völlig reinen Quellen gespeisten Kreislaufs. Wer die Herkunft aller hochnoblen Vermögen dieser Erde untersuchen wollte, versänke bald in den Abgründen der Geschichte, Mord, Raub und Ausbeutung inbegriffen.

Etwas anderes ist es, darüber auch in aller Offenheit zu reden. In Deutschland hat sich – spät, dafür umso ernsthafter – eine Kultur der schonungslosen Erinnerung herausgebildet, die auch im Falle Flick nicht aufgegeben werden darf. Der Sammler selbst hat sich dazu stets bekannt. Gleichwohl – Aufklärung lautet das Gebot, wenn die Sammlung Flick demnächst in aller Unschuld ihrer Kunstwerke gezeigt wird. Da hat sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bislang allzu stark hinter der Vernünftigkeit ihrer Argumente verschanzt. Es sind eben auch Emotionen, die zählen: Emotionen, wie sie Salomon Korn artikuliert, wenn auch in überzogenen Worten.

Michael Blumenthal, der besonnene Direktor des Jüdischen Museums Berlin, hat das Nötige gesagt: Es spricht nichts gegen die Ausstellung in Berlin – wenn Flick sich zugleich mit der Preußen-Stiftung nachdrücklich um die Aufklärung dieses, seines Stücks deutscher Geschichte bemüht.

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Im Klemperer-Wettbewerb engagiert für die Menschen

 

Seit Juden existieren, gibt es Antisemiten – und Antisemitismus-Konferenzen. Wie unlängst in Berlin, demnächst in Rom. Da wird die Judenfeindschaft mit harschen Worten verurteilt.

   Den wohlmeinenden Deklarationen zum Trotz nimmt der Antisemitismus weltweit zu. In Deutschland erhöhte sich im vergangenen Jahr die Zahl antisemitischer Gewalttaten von 28 auf 35. In Frankreich ereigneten sich knapp zehn Mal so viele antijüdische Vergehen.

   Straftaten sind jedoch nur ein Nebenaspekt eines allgemeinen antisemitischen Trends. So glaubt die Mehrheit in Europa, dass „die“ Juden vom Holocaust profitieren und die Hebräer zuviel Macht besitzen.

   Bemerkenswert ist die Variationsbreite des Antisemitismus. Juden werden wegen ihrer Religion, ihrer sozialen Stellung, ihrer angeblichen zionistischen, kommunistischen, kapitalistischen Einstellung angefeindet. Die vielfältigen Erscheinungsformen des Antisemitismus begründete der französische Philosoph Jean-Paul Sartre mit Minderwertigkeitsgefühlen und Hass. „Wenn es die Juden nicht gäbe, müsste der Antisemit sie erfinden“, schrieb er in seinem Essay „Betrachtungen zur Judenfrage“.

   Judenfeindschaft tritt fast ausschließlich im Zusammenhang mit anderen Hassobjekten auf. Antisemiten verachten auch Ausländer, Behinderte, Homosexuelle, kurz: Minderheiten und Schwache.   Diese Einsicht war vor vier Jahren Grundlage des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz“. Es wird vom Bundesinnenministerium, dem ZDF und der Dresdner Bank unterstützt.

   Um junge Menschen zur aktiven Bekämpfung von Vorurteilen zu motivieren, wurde der Victor-Klemperer-Preis ausgelobt. Wie sein Namensgeber, der famose Tagebuchschreiber und Chronist der Naziherrschaft aus Dresden, sollen die Teilnehmer Unrecht dokumentieren und sich für ihre Mitmenschen einsetzen. Die Initiatoren wissen, dass eine Immunisierung gegen Vorurteile bei Jugendlichen am wirksamsten ist.

   Auch Wirtschaft und Medien bekennen sich zu ihrer Verantwortung: „Politik allein kann Toleranz nicht sicherstellen. Auch Unternehmen müssen sich im eigenen Haus und in der Gesellschaft offensiv für eine demokratische Bürgergesellschaft und gegen Vorurteile einsetzen“, begründet der Dresdner Bank-Chef Herbert Walter das Engagement seiner Firma.

   Das Engagement von Politik, Wirtschaft und Presse hat Erfolg. Weit über 60 000 Jugendliche aus ganz Deutschland, auch aus Rostock, beteiligten sich bislang am Victor-Klemperer-Wettbewerb und machten ihn zu einer der erfolgreichsten Jugendausschreibungen.

   Die Teilnehmer treten für Menschen- und Minderheitenrechte ein und helfen, wem sie können: Armen, Alten, Behinderten, Fremden, Juden, Sinti und Roma. Morgen werden in Berlin die diesjährigen Preise verliehen.

   Jugendlicher Idealismus und die Besinnung auf Menschenwürde sind die wirksamsten Mittel gegen Vorurteile – einschließlich Antisemitismus.

* Der Historiker Dr. Rafael Seligmann (57) lebt in Berlin. Der Autor von fünf Romanen, Fernsehfilmen und zahlreichen Artikel veröffentlichte zuletzt die Biografie „Hitler. Die Deutschen und ihr Führer“.

RAFAEL SELIGMANN

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

 

Keine Toleranz der Intoleranz

Katrin Kagelmann, PDS-Kreisrätin und Mitglied im Jugendhilfeausschuss, schreibt:

Am 10. Oktober 2000 beschloss der Kreistag – unter dem Eindruck der vorangegangenen Ausschreitungen auf dem Nieskyer Herbstmarkt und einem Aufmarsch des rechtsextremen „Jungen Nationalen Spektrums“ in der Kreisstadt – einstimmig einen „Aufruf für Demokratie und Toleranz – Gegen Extremismus und Gewalt“. Ein Konsenspapier aus vier Einzelanträgen. Das Zeichen war wichtig – ein Zeichen in einer Zeit, da der durch den Bundeskanzler initiierte „Aufstand der Anständigen“ die Bundesrepublik wachrüttelte.

Die Zeit der Aufrufe ist vorbei. Die Anständigen haben auch noch andere Sorgen. Die Situation freilich ändert sich kaum. Rechte Führungskader mit bundesweiter Vernetzung mobilisieren wie jedes Frühjahr wieder verstärkt für Konzerte, Liederabende, Agitationsveranstaltungen in der Region und haben kaum Schwierigkeiten, geeignete Lokalitäten im NOL zu mieten. Wie jüngst Mitte Mai in der Discothek „Wodan“ in Mücka oder demnächst Mitte Juni in Steinbach bei Rothenburg. Neben Skinheadbands kommt mit Rennicke immerhin wiederholt ein tief brauner Liedermacher in den Kreis, der wegen mehrfacher Volksverhetzung und Verbreitung jugendgefährdender Texte verurteilt wurde. Und damit staatlichen und polizeilichen Interventionen – die in der Regel ohnehin ausbleiben – keine Chance haben, wird im Fall von Steinbach das Treffen rechter Kameraden als private Geburtstagsfeier tituliert.

Das alles ist bekannt, der Verfassungsschutz beobachtet. Wie beruhigend. Eine breite demokratische Gegenkultur – wie sich Bundeskanzler im Jahr 2000 mit seinem Aufruf verfestigen wollte – ist nicht entstanden. Als ich im letzten Jugendhilfeausschuss im Zusammenhang mit den Veranstaltungen in Mücka und Steinbach Aktivitäten des Präventionsrates des NOL einforderte, der sich laut oben genannten Kreisaufruf dieser Problematik besonders zuwenden sollte, kannte man in der Landkreisverwaltung den Aufruf nicht mehr. Wahrscheinlich wurde auch der Aufruf gegen Fremdenfeindlichkeit vom August 2002 vergessen.

Hinschauen, Handeln, Helfen – fordert der Aufruf für Demokratie und Toleranz des NOL. Ich fordere den Landrat auf, sich persönlich für die Umsetzung des Kreistagsbeschlusses zu engagieren. Ich ermutige Bürgermeister, Vertreter von Parteien, Organisationen, Kirchen, Vereinen, sich öffentlich zu positionieren, wenn braune Rattenfänger in ihrer Stadt, ihrer Gemeinde auftreten unabhängig davon, ob der Veranstaltungsort ein öffentlicher oder privater ist. Zivilcourage kann man nicht delegieren. Es muss gelten: Keine Toleranz der Intoleranz!

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

 

Berlin: "Topographie des Terrors" wird neu ausgeschrieben

Der Neubau der Gedenkstätte "Topographie des Terrors" in Berlin wird vom Bund als Bauherren noch in diesem Jahr neu ausgeschrieben.

Das haben am Dienstag Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos), Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) vereinbart. Das Projekt des Schweizer Architekten Peter Zumthor wird ad acta gelegt.

Die "Topographie des Terrors" auf dem ehemaligen Prinz-Albrecht-Gelände in Kreuzberg dokumentiert die Geschichte des
Ortes und der dort von 1933 bis 1945 ansässigen Terroreinrichtungen des Nazi-Regimes. Ab 1933 war auf dem Areal die Zentrale der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zu finden, in deren Kellergefängnissen zahlreiche Mitglieder des Widerstands gefoltert, ermordet oder in den Freitod getrieben wurden.

1934 zogen auch die Zentrale des Sicherheitsdienstes (SD) des Reichsführers SS und die SS-Führung in die Gebäude ein. Im Jahr 1939 kam die Zentrale des Reichssicherheitshauptamtes hinzu.

 

 

Trotz einer Überarbeitung der Pläne sei ein Kostenrisiko von drei bis fünf Millionen Euro ermittelt worden, hieß es aus der
Senatskulturverwaltung. Das Informations -und Dokumentationszentrum der Berliner Gedenkstätte "Topographie des Terrors" sei für eine Gesamtbausumme von 38,8 Millionen Euro nicht zu realisieren. Das Land Berlin steigt daher aus dem bisherigen Projekt aus.

Die Neuausschreibung dient dem Ziel, in zwei Jahren mit dem Bau der Ausstellungshalle zu beginnen, wurde betont. Selbst die
bisherigen Kosten eingerechnet, falle ein Neubau noch günstiger aus als die Realisierung des Zumthor-Entwurfs, hieß es.

Der Bau des Dokumentationszentrums kommt seit Jahren nicht voran. Seit April 2000 wird auf dem Areal nicht mehr gearbeitet. Schuld daran waren mehrere Pleiten von Baufirmen sowie der anspruchsvolle Architekturentwurf.

Unterdessen reagierte der Schweizer Architekt Peter Zumthor verärgert auf den Stopp seines Projektes. "Ich bin außerordentlich überrascht. Es hat noch nie so wenig Grund gegeben wie heute, das Projekt aufzugeben", sagte er der "Berliner Zeitung" (Mittwochausgabe).

In einer Machbarkeitsanalyse habe er nachgewiesen, dass der von ihm entworfene Bau sich zu den geforderten Bedingungen realisieren lasse, unterstrich Zumthor. Der Architekt fügte hinzu, er sei gekränkt, dass er nicht angehört worden sei und stattdessen Behauptungen öffentlich gemacht würden.

Zugleich kündigte er im Gespräch mit der Zeitung an, er werde prüfen, ob er Ansprüche gegen den Bund und das Land Berlin anmelden und gegebenenfalls einklagen wird.