Donnerstag, 27. Mai 2004

Rechte Szene spaltet sich

Mehrere Aussteiger - Gefahr der Radikalisierung

Potsdam - Die rechtsextreme Szene in Brandenburg ist in Bewegung geraten. Auf der einen Seite zeigen sich Verfassungsschützer mit den bisherigen Ergebnissen des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten zufrieden. Mehrere junge "Nachwuchskräfte" hätten seit Beginn des Programms im Jahr 2001 aus der Szene herausgelöst werden können, sagte gestern der Leiter des Landesverfassungsschutzes, Heiner Wegesin. Zahlen wollte er nicht nennen, aber er betonte, die Resultate könnten sich "sehen lassen". Ideologisch gefestigte Führungspersonen seien jedoch nicht erreicht worden, räumte er ein.

Andererseits rechnen Extremismus-Experten nach der Spaltung von Brandenburgs NPD mit einer Radikalisierung der Szene. Die nach der Auflösung des NPD-Kreisverbands Prignitz-Ruppin im Februar in Vetschau gegründete "Bewegung neue Ordnung" (BNO) ist nach Meinung von Fachleuten des Mobilen Beratungsteams (MBT) eine "gefährliche und sehr aktive Bande". Das MBT setzt sich seit Jahren mit rechtsextremen Entwicklungen in der Mark auseinander. In der neuen Gruppe versammelt sich auch eine gewaltbereite Klientel, betonen Sicherheitskreise.

Die BNO wird vom ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Mario Schulz angeführt. An ihrer Gründung waren nach Angaben aus Sicherheitskreisen etwa 100 Neonazis beteiligt. Als Anlass für die Abspaltung gilt die geplante Öffnung der NPD für Ausländer. Nach Einschätzung des Mobilen Beratungsteams hat die Splittergruppe ein "revolutionäres Selbstverständnis". Sie sei "völkisch und fremdenfeindlich".

Kenner der rechtsextremen Szene in Brandenburg weisen darauf hin, dass die Anhänger der Vereinigung um ein angepasstes Auftreten bemüht seien. Sicherheitskreise halten sie zwar für gefährlich, sie rechnen jedoch nicht damit, dass die BNO über das Verteilen von Flugblättern und das Anmelden von Demonstrationen hinaus in der Mark als feste Organisation Fuß fassen wird. ddp

 

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Volksverhetzung: Horst Mahler erneut angeklagt

Der frühere NPD-Anwalt Horst Mahler muss sich erneut wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten. Ein Richter der Berliner Staatsschutzkammer sagte gestern, Mahler sei eine entsprechende Anklage zugestellt worden. Ein Termin sei noch nicht anberaumt. Mahler hatte den Holocaust geleugnet.

Seit Februar muss sich der 68-Jährige bereits wegen Volksverhetzung vor der 22. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts verantworten. Aus seinen Aussagen dort resultieren die neue Anklage und ein vorläufiges Berufsverbot, das das Amtsgericht Tiergarten im April ausgesprochen hatte. Dagegen hat Mahler Beschwerde eingereicht. Er gehört seit den 90er-Jahren zum rechten politischen Lager. dpa

 

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

 

Wo die Schreibtische der Täter standen

Nach dem Befreiungsschlag: Nun kann die Topographie des Terrors gebaut werden

Von Bernhard Schulz

Am Ende ging alles ganz schnell. Eine Krisensitzung vereinte die Beteiligten am Vorhaben der Topographie des Terrors – und mündete in den lange erhofften Befreiungsschlag. Oder doch nicht ganz: Zwar übernimmt der Bund die Aufsicht über das seit 14 Jahren geplante Projekt, doch bleiben Trägerschaft und Finanzierung weiter paritätisch beim Bund und dem Land Berlin.


Damit ist Berlin gerade noch am voll gültigen Eingeständnis vorbeigeschrammt, ein herausragendes Vorhaben nicht bewerkstelligen zu können. Gleichwohl: Die Berliner Bauverwaltung hat sich als unfähig erwiesen, den anspruchsvollen Bau zu leiten. Alle verantwortlichen Senatoren waren stets darauf fixiert, sich – koste es was es wolle – mit dem genialischen Entwurf Peter Zumthors zu schmücken.

So weit ist der ganze Vorgang eine Provinzposse, betrüblich zwar, aber doch eher von lokalem Interesse, was die Beurteilung hiesiger Politik und Verwaltung anbelangt. Doch es geht um mehr – um sehr viel mehr. Denn die Topographie des Terrors ist eben kein lokales Vorhaben. Sie ist eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung, und wenn etwas an der Entscheidung, Berlin aus der Bauleitung zu entlassen, zu kritisieren ist, dann die Halbherzigkeit, mit der Kulturstaatsministerin Christina Weiss den Bund nur zum Primus inter Pares, nicht aber zum alleinigen Träger des Vorhabens gemacht hat.

Was sich seit Jahren vordergründig als unendliche Baupleite darbietet und die Öffentlichkeit mit immer neuen Kostensteigerungen verärgert, ist in Wahrheit ein, wenn nicht überhaupt das zentrale Vorhaben in Sachen Aufarbeitung der NS-Zeit. Es gibt auf deutschem Boden weniger Zeugnisse der braunen Diktatur, als man angesichts ihres allumspannenden Charakters erwarten sollte. Vieles ist nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt und eingeebnet worden; teils aus Gleichgültigkeit und schierer Unkenntnis, teils aus mit Wiederaufbauplanungen getarntem schlechten Gewissen. Beides trifft für das Gelände des „Reichssicherheitshauptamtes“ und der „Gestapo“-Zentrale zu, der berüchtigten Adresse Prinz-Albrecht-Straße 8.

Es ist dies ein authentischer Ort: Ein Ort, an dem die Geschichte gemacht wurde, die es zu erinnern und aufzuarbeiten gilt. Und es ist dies einer der wenigen auffindbaren Orte der Täter. Dort, inmitten der Reichshauptstadt befand sich das Verwaltungszentrum der Vernichtungsmaschinerie, mit der die NS-Diktatur ganz Europa überzog. Wenn der Begriff des „Schreibtischtäters“ seine topographische Entsprechung hat, dann hier, wo die Schreibtische von Himmler und Konsorten standen.

Authentischer Ort und zugleich Ort der Täter: Das sind die beiden Elemente, die die Brachfläche gegenüber dem Berliner Abgeordnetenhaus und dem einstigen Reichsluftfahrtministerium auszeichnen. Wenn irgendwo, dann muss hier die Dokumentation der Täter und ihrer Verbrechen erfolgen. Aus diesem Gedanken erwuchs das Konzept der Topographie des Terrors – und der Wunsch nach einem repräsentativen Bauwerk, der das Projekt beinahe unter sich begraben hätte.

Mit dem Abschied von dem zumindest auf dem Papier grandiosen, aber wohl unbaubaren Entwurf Zumthors ist der Politik nicht bloß Gelegenheit, sondern vielmehr die Verpflichtung aufgegeben, über die Rolle der Topographie des Terrors erneut nachzudenken. Dabei geht es insbesondere um das Verhältnis zu den anderen beiden Stätten der Erinnerung, die in Berlin herangewachsen sind oder in Kürze fertig gestellt werden: das Jüdische Museum und das Holocaust-Mahnmal. Beider Aufgaben sind unabdingbar. Und doch ist der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen, dass beide Einrichtungen im Seelenhaushalt des heutigen Deutschland eine positive, jedenfalls gemeinschaftsstiftende Rolle spielen. Die Geschichte der Juden in Deutschland zu erzählen und der Opfer zu gedenken, erregt heute – zum Glück – keinen ernst zu nehmenden Widerspruch mehr. Die Geschichte der Täter aber und ihrer Verbrechen, zumal die „Gewöhnlichkeit“ des organisierten Mordens zu dokumentieren, das kommt uns immer noch hart an.

Genau darum ist die Topographie des Terrors unabdingbar. Und genau darum war und ist es richtig, sie endlich aus dem Schlamassel eines fehlgehenden Architekturexperiments zu befreien.

 

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

 

Zwickau: Demokratie-Tage von Gottesdienst bis Rock

Programm startet am Pfingstsonntag – Jede Menge Aktionen gegen Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und das Vergessen

Mit einem Festgottesdienst im Zwickauer Dom beginnen am Pfingstsonntag um 10.30 Uhr die Tage der Demokratie und Toleranz. Bis zum 12. Juni machen Institutionen, Vereine und Schulen aus der Stadt Zwickau und dem Landkreis mit ihrem Aktionsprogramm Front gegen Ausländerfeindlichkeit, rechtsextreme Gewalt, Nationalismus und Intoleranz gegenüber anderen Kulturen. Theatervorstellungen, Filme, Ausstellungen, Erlebnisbericht sowie ein Konzert mit „Keimzeit“ sollen Leute jeden Alters anlocken.

In diesem Jahr stehen die Tage im Zeichen der EU-Osterweiterung. „Angesichts des vereinten Europas geht es darum, verlässliche Rahmenbedingungen für eine friedliche, soziale und menschenwürdige Zukunft zu schaffen“, sagt DGB-Regionsvorsitzende Sabine Zimmermann. Die Tage der Demokratie und Toleranz sollen zu Einsichten verhelfen und das Handeln der Leute beeinflussen.

Damit spricht die Gewerkschafterin Wende-Aktivist Erwin Killat von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Herzen. „Die jungen Leute sollen im Geist von Demokratie und Toleranz aufwachsen.“ Er hat schon mitgemischt, als die Aktion noch „Bündnis gegen Rechts“ hieß. Sein größter Wunsch: „Es muss uns gelingen, dass von Zwickau der Funke auf andere Städte überspringt. Und dass mehr Schulen eingebunden werden.“ Immerhin, vier sind dabei. So werden die Schüler des Zwickauer Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums am 2. Juni Stolpersteine pflastern, die an Zwickauer Holocaust-Opfer erinnern. Gegen das Vergessen kämpft auch eine Ausstellung im Zwickauer Landgericht, für deren Zustandekommen sich besonders Zwickaus Sozialbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) stark gemacht hat.

Inzwischen weisen überall in Zwickau Plakate auf die Veranstaltungsreihe der Tage der Demokratie und Toleranz hin. 17 verschiedene waren von Azubis des 3. Lehrjahres entworfen worden. Aber nur ein Motiv wurde gedruckt. „Die Wahl fiel der Jury außerordentlich schwer“, sagt Peter Zimmermann, der Geschäftsführer der CIT-GmbH in Zwickau. „Je intensiver sich die Azubis mit dem Thema auseinander setzten, umso mehr waren wir und sie selbst erstaunt, was dabei an kreativen Ideen herauskam.“ Die übrigen 16 Plakatentwürfe können schon jetzt in der Muldenbühne im Alten Gasometer bestaunt werden.

Das Programm

Pfingstsonntag: 10.30 Uhr: Festgottesdienst im Zwickauer Dom. Pfingstmontag: 20 Uhr: Alter Gasometer, Kino Casablanca, Dokumentarfilm „Testamento“ über einen Anwalt, der seit 50 Jahren für Gerechtigkeit in Guatemala kämpft. 1. Juni: 13 Uhr: Priesterhäuser Zwickau, Ausstellung zum Martyrium von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in den Rüstungsbetrieben der Stadt Zwickau und Orten der Umgebung. 2. Juni: 15 Uhr: zeitgleiche Enthüllung der Mahnsteine in Zwickau, Bahnhofstraße 60 (Gedenkfeier), Emilienstraße 22, Leipziger Straße 15, Dr.-Friedrichs-Ring (Höhe KPD-Denkmal); 19 Uhr: Galerie Domhof 2, Erlebnisbericht der jüdischen KZ-Häftlinge Michaela Vidlakova und Artur Radvansky; 20 Uhr: Kleine Biergasse 3, Konzert mit Don Ross (Kanada) 3. Juni: 9.25 Uhr: Wieckgymnasium. KZ-Häftlinge berichten; 14 Uhr: IHK Zwickau, „Berufsausbildung im Rahmen der EU-Osterweiterung“; 19 Uhr: Kleine Muldenbühne, Alter Gasometer Zwickau, „Mode, Macht und Frauenrechte“, Theaterstück mit der Gruppe Kompakt. 4. Juni: 20.30 Uhr: Georgenplatz Zwickau, Das Straßenkino zeigt den Film „Edgar“. 6. Juni: 20 Uhr: Muldenbühne, Kleine Biergasse 3, Kabarettprogramm „Herr Lehmann wünscht gute Nacht“ – gepflegte Abendunterhaltung mit Albtraumgarantie. 7. Juni: 15.30 Uhr: VW-Bildungsinstitut Reichenbacher Straße 76 in Zwickau, „Polen, der (un)bekannte Nachbar“, eine Ausstellung mit dem Titel „Kaczmarek und andere“. 8. Juni: 18.30 Uhr: Breuergymnasium, Vortrag „Formen des Extremismus in Deutschland“. 19 Uhr: Grundbuchamt Zwickauer Straße 19 in Werdau, Vortrag zur friedlichen Wende in Deutschland 1989/90. (Programm wird fortgesetzt)

 

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Rechtsextremismus

Völkisches Liedgut von Skinhead-Bands

Sie nennen sich Hassgesang, Endlösung oder Blutrausch. Ihre Songs - meist im Metal- oder Hardcore-Sound - heißen "Weltherrschaft", "Asylbetrüger" oder "Skinhead für immer". Dem Bundesverfassungsschutz zufolge ist diese Skinhead-Musik ein wesentlicher identitätsstiftender Faktor der rechtsextremen Subkultur. Für viele Jugendliche bilde die Musik einen Anreiz zum Einstieg in die Szene, heißt es im neuen Verfassungsschutzbericht. Und die Zahl der Nazi-Bands und Skinhead-Konzerte steigt.

Als Beispiel für die menschenverachtende Ideologie zitiert der Bericht der Verfassungsschützer aus dem Lied "Volk steh auf" der Band Rassenhass: "Jeder Neger ist dann zu Haus in Afrika oder hängt an einem Baum und Europa ist dann wieder weiß, denn für Affen ist hier kein Raum." Aber das Stück richtet sich nicht nur gegen Afrikaner, es ist ein Rundumschlag gegen Christen, Juden und das bestehende System in der Bundesrepublik - unter anderem mit der Ankündigung, das Bundeskanzleramt in Brand zu stecken.

Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
Gegen mehrere Nazi-Musikgruppen leiteten die Strafverfolgungsbehörden im vergangenen Jahr Verfahren ein. So fanden Durchsuchungen bei Mitgliedern der Bands Oidoxie, Race War, Skalinger, Weisse Wölfe und Stahlgewitter statt. Im vergangenen Dezember verurteilte das Kammergericht Berlin erstmals Mitglieder einer Neonazi-Band wegen Mitgliedschaft in einer kriminelle Vereinigung. Drei Mitglieder der Band Landser erhielten Gefängnisstrafen, Bandleader Michael R. musste als Rädelsführer für drei Jahre und vier Monate hinter Gitter.

Doch Skinhead-Musik erfreut sich trotzdem wachsender Beliebtheit. Der Verfassungsschutz zählte 95 Bands, die bei Konzerten auftraten oder Tonträger veröffentlichten, fünf mehr als im Vorjahr. Bundesweit 119 Skinhead-Konzerte gab es 2003, sieben mehr als im Vorjahr. 22 Veranstaltungen konnten bereits vor Beginn verhindert werden, 17 weitere löste die Polizei auf - auch hier stiegen die Zahlen.

Konzerte sind Treffpunkte der Szene
Die Konzerte der Skinhead-Bands haben nach Einschätzung des Verfassungsschutzes für die ansonsten zersplitterte Szene eine besondere Bedeutung: "Diese Veranstaltungen sind die eigentlichen Treffpunkte der Szene. Bei den Besuchen erzeugen sie ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke. Als nicht alltägliche und nicht jedermann zugängliche Veranstaltungen üben sie auf Jugendliche einen besonderen Reiz aus", heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Organisiert werden die Konzerte meist konspirativ. Bis kurz vor Beginn sind meist nur wenige Szeneangehörige über den Ort des Konzerts informiert, auch die Verpächter der Veranstaltungsorte werden bei Anmietung häufig getäuscht.

CDs nicht im allgemeinen Handel erhältlich
Skinhead-Musik ist nicht im allgemeinen Handel erhältlich, es hat sich ein eigenes Vertriebsnetz gebildet. Konsumenten können die Musik bei über 50 bundesweiten aktiven Versandhändlern beziehen. Darüber hinaus wird die Musik in Szenetreffpunkten und bei Konzerten über mobile Händler verkauft. Für den Vertrieb der Musik spielt aber vor allem das Internet eine große Rolle. Mit der Eingabe des Namens einer Nazi-Band in einer Suchmaschine landet man in der Regel sofort bei einem entsprechenden Vertrieb - häufig im Ausland und damit weitgehend sicher vor dem Zugriff der deutschen Behörden.

Wem die Parolen im Heavy-Metal-Sound zu laut sind, der wird mit Folk-Musik von rechtsextremen Liedermachern bedient. Vermeintlich harmlos klingt der CD-Titel von Annett "Eine Mutter klagt an..." Bei der Formation Gaskammer ist der Name dagegen eindeutig.

Völkisches Liedgut von nationalen Barden
2003 traten den Verfassungsschützern zufolge 18 verschiedene Musiker dieser Art bei Musikveranstaltungen auf. Bekanntester Protagonist der rechtsextremen Liedermacher ist Frank Rennicke aus der Nähe von Stuttgart, der sich selbst als "Nationalen Barden" bezeichnet und wegen Volksverhetzung verurteilt ist - sein Verteidiger vor Gericht war übrigens das Ex-RAF-Mitglied Horst Mahler.

Im Visier der Strafverfolger stand Rennickes "Heimatvertrieben-Lied" mit zahlreichen Text-Passagen im Stile wie etwa "Fremdvölker vernichten deutsche Natur ... Fremde Völker raus, endlich wieder Herr im eigenen Haus". Die CD "An Deutschland" mit dem Song ist im Internet leicht erhältlich - etwa bei einem amerikanischen Versand.

Stephan Köhnlein, AP

 

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Protestmarsch noch am Weihetag X
Antifa-Gruppen plant Aktionen gegen neues NPD-Schulungszentrum 
 
Von Rainer Funke 
 
Antifa-Gruppen bereiten derzeit weitere Protestaktionen gegen das so genannte Nationale Bildungszentrum der NPD vor, das demnächst in der Köpenicker Seelenbinderstraße 42 eröffnet werden soll. Dort befindet sich bekanntlich auch die Zentrale der Neonazi-Partei.
Am morgigen Freitag will man am S-Bahnhof Köpenick ab 15 Uhr über Lautsprecherwagen und mittels Flugblättern die Anwohner näher über ihre braunen Nachbarn informieren. An mehreren Ständen werden die rechtsextremen Strukturen im Stadtbezirk dargestellt und die Ideologie der Neonazis analysiert. Auch auf die teils katastrophalen Bedingungen im nahe gelegenen Abschiebeknast soll hingewiesen werden. Die Aktion endet mit einer Kundgebung.
Die NPD-Spitze müht sich derweil, den Weihetermin für das Bildungszentrum geheim zu halten. Da ihr zwischendurch mehrfach das Geld ausging, gilt eine Verschiebung für durchaus möglich. Bisher sollte das Hinterhof-Gebäude mit Seminarräumen für 60 Personen sowie entsprechenden Unterkünften Ende Mai eröffnet werden. Die NPD möchte einen bundesweiten Anlaufpunkt für Gleichgesinnte schaffen, weshalb in den Räumen auch die »Nationale Zentralbibliothek« entstehen soll.
Hier plant man zugleich, vor allem junge Kader aus der Neonazipartei, aber auch aus rechtsextremistischen Kameradschaften und Cliquen politisch aufzumunitionieren, bei denen es bislang nur reicht, simple Sprüche nachzuplappern. Jetzt gehe es aber laut NPD darum, im Lande »eine geistige Revolution zu entfachen«. Für besagten Eröffnungstag X gibt es ab 17 Uhr eine Antifa-Demo vom S-Bahnhof Köpenick zur NPD-Zentrale.
Unabhängig davon ist für den 6. Juni ein weiterer Aufzug im Stadtbezirk angesagt. Dazu haben 46 Antifa- bzw. Jugendgruppen aus allen Bundesländern aufgerufen. Gestern wurde auch die Marschroute bekannt: Sie führt ab etwa 13 Uhr wiederum vom S-Bahnhof Köpenick über die Bahnhofstraße zur NPD-Zentrale in der Seelenbinderstraße, von dort über den Platz des 23. April und die Linden- in die Grünauer Straße zum Abschiebeknast.
Der Aufzug endet nahe der Ottomar-Geschke-Straße am S-Bahnhof Spindlersfeld. Man wolle dabei »das System ankreiden, das ruhige Hinterland aufmischen und den rassistischen Normalzustand durchbrechen«, heißt es im Demo-Aufruf.
Weitere Details sind im Internet unter www.antifa.de zu finden.

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Edle Einfalt hilft nicht gegen den Antisemitismus

von Rafael Seligmann

Die Arglist der Antisemiten gewinnt ihre Wirkung durch die Einfalt der Judenfreunde. So hatte Gotthold Ephraim Lessing mit seinem Lehrstück vom "Weisen Nathan" nur beschränkten Erfolg. Denn ihm gebricht es an Glaubwürdigkeit. Sein Protagonist ist ein allzu gütiger, kluger, versöhnungswilliger Geselle, kurz, eine Figur ohne Fleisch und Blut. Anders William Shakespeares venezianischer Kaufmann Shylock. Der blutet, wenn er gestochen und hasst, wenn er gequält wird.

Niemand komponierte eine derart einfühlsame Erklärung des menschlichen Leidens wie der Meister aus Stratford-upon-Avon: "Er hat mich beschimpft..., meinen Verlust belacht, meinen Gewinn bespottet, mein Volk geschmäht, meinen Handel gekreuzt, meine Freunde verleitet, meine Feinde gehetzt. Und was hat er für einen Grund? Ich bin ein Jude." Starker Tobak für deutsche Philosemiten. Erträglich in der Regel nur, wenn Musterjuden wie Ernst Deutsch oder Fritz Kortner den Shylock mimen.

Der Judenfeindschaft indessen ist mit braven Deklarationen über deren Verderblichkeit nicht beizukommen. Daher zeigen Anti-Antisemitismus-Tagungen wie die unlängst in Berlin abgehaltene Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kaum Wirkung. Dennoch werden hurtig neue Antisemitismus-Kongresse geplant. Im kommenden Monat soll in Rom ein entsprechendes Meeting stattfinden, nächstes Jahr ist im spanischen Cordoba eine erneute Konferenz vorgesehen. Am Ende stehen jeweils gut gemeinte, aber erfolglose Appelle gegen Rassismus und Judenfeindschaft.

Gegen Juden gerichtete Untaten und Tendenzen nehmen weltweit kontinuierlich zu. In Deutschland erhöhte sich die Zahl antijüdischer Gewalttaten im vergangenen Jahr von 28 auf 35. In Frankreich liegen die Zahlen zehn Mal so hoch. Die Täter sind in der Regel verhetzte islamische Jugendliche. Für sie sind Juden- und Israelfeindlichkeit identitätsstiftend.

Derweil wurde eine Studie des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, die auf diesen Zusammenhang hinwies, von der Antidiskriminierungsbehörde der EU unterdrückt. Die Eurokraten wollten nicht wahr haben, dass die diskriminierte Minderheit der Moslems versucht, die jüdische Minorität zu unterdrücken.

Antijudaismus findet sich auch in der Mitte der europäischen Gesellschaft. So ist die Mehrheit in den meisten europäischen Staaten überzeugt, "die" Juden würden den Holocaust ausbeuten, sich einseitig mit Israel identifizieren.

Vor vier Jahren führte das Bewusstsein, dass Antisemitismus kein isoliertes Phänomen, sondern ein übergreifendes Verhalten ist, das sich nicht ausschließlich gegen Juden, sondern gegen alle Minderheiten und Schwache richtet, in Deutschland zur Gründung des "Bündnisses für Demokratie und Toleranz". Träger sind das Bundesinnenministerium sowie das ZDF und die Dresdner Bank. Die Tätigkeit konzentriert sich auf Jugendliche. Sie sind die Lernwilligsten - für Aufklärung ebenso offen wie für Hetze.

Um die Jugendlichen zu motivieren, wurde der Victor-Klemperer-Preis geschaffen. Der Name ist Programm. Denn der Dresdner Romanist fühlte sich trotz seiner Herkunft nicht als Jude. Er verstand sich als Chronist der Inhumanität der Naziherrschaft und deren Sprache. In Anlehnung daran rufen die Initiatoren des Demokratiebündnisses dazu auf, "ihre Ideen einer weltoffenen, toleranten Gesellschaft" zu dokumentieren. "Bei dieser Aufgabe dürfen wir die Politik nicht allein lassen", meint Dresdner Bank-Chef Herbert Walter.

Die Aktion findet breiten Zuspruch. Mehr als 60 000 Schüler beteiligten sich bislang am Victor-Klemperer-Wettbewerb. Heute werden in Berlin die diesjährigen Victor-Klemperer-Preise verliehen. Die Teilnehmer werden vom Bedürfnis geleitet, Menschen beizustehen. Einerlei ob diese benachteiligt werden, weil sie alt, Ausländer, Behinderte, Juden, Schwarze, sind. Durch die Bestärkung ihrer Hilfsbereitschaft tragen die Jugendlichen dazu bei, allen Diskriminierungen den Boden zu entziehen - auch dem Antisemitismus.

Von Rafael Seligmann erschien zuletzt im Ullstein-Verlag das Buch "Hitler. Die Deutschen und ihr Führer".

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Im Vertrauen auf die Angst

In ihrer Wahlwerbung spielen Rechtsextremisten mit dem von Neid genährten Gefühl mancher Bürger, zu kurz zu kommen

VON STEPHAN LOICHINGER

Der Mann sitzt in einem Auto. Seiner Hautfarbe nach zu urteilen, kommt er nicht aus Deutschland, eher aus dem Mittelmeerraum, Nordafrika, dem Nahen bis Mittleren Osten, vielleicht Südeuropa. Der Mann lächelt in die Kamera. Dabei zieht er die Oberlippe rechts hoch und zeigt ein paar Zähne, die golden funkeln.

Das Foto des Mannes ist auf der ersten Seite eines Faltblatts abgedruckt, das die rechtsextremen Republikaner in diesen Tagen verteilen lassen. Jasmin B., Erzieherin in einem Kindergarten in Frankfurt am Main, hat eines in ihrem Briefkasten gefunden. Sie sagt, sie habe "beim ersten Hinschauen geglaubt, es handelt sich um eine Gratisprobe der Satirezeitschrift Titanic". Oberhalb des Fotos des Mannes im Auto ist zu lesen: "Goldzähne für die einen". Darunter: "Zahnlücken für die anderen?" Und dann kleiner: "Vom Wahnsinn schwarz-rot-grüner Gesundheitspolitik". Ganz unten das Parteilogo der Republikaner.

Martin Kohlmann hat das Faltblatt verfasst. Er ist 26 Jahre alt, Jurist und einziger Republikaner im Stadtrat von Chemnitz. "Der Spruch kam nicht von mir, sondern von den bayerischen Republikanern im Landtagswahlkampf im vorigen Jahr. Die hatten ein Faltblatt, worauf stand: ,Goldzähne für Asylbewerber - Zahnlücken für Deutsche?' Aber das war mir zu krass. Ich wollte es textlich offener gestalten." Mit seiner Parteienwerbung habe er darauf aufmerksam machen wollen, "dass Asylbewerber alles bezahlt bekommen. Und das kann nicht sein, dass Asylbewerber besser dastehen als ein Deutscher, der dumm und fleißig in die Krankenversicherung einzahlt."

Jasmin B., in deren Briefkasten das Faltblatt lag, findet, vor allem die Titelseite schüre Ängste und Vorurteile. "Der abgebildete Mann soll für den Ausländer an sich stehen, der in Deutschland schmarotzt, nichts arbeitet, sich aber Goldzähne leisten kann." Sie könne sich nicht vorstellen, dass der Mann auf dem Foto sein Einverständnis gegeben habe, dass er in diesem Kontext abgebildet werde: "Das ist doch wohl ein Taxifahrer, der nett in die Kamera lächelt."

Kohlmann behauptet, er kenne den Namen des Mannes nicht. Man habe ihm zugesichert, "dass der Mann mit der Veröffentlichung des Fotos einverstanden ist und dass ich rechtlich abgesichert bin". Wer ihm das Foto und die Zusicherung gab, sagt Kohlmann nicht: "Das Faltblatt ist bundesweit verteilt worden. Wäre der Mann nicht einverstanden, hätte er sich längst gemeldet und geklagt. Das ist nicht passiert." Allein in Sachsen, wo die Republikaner bei Kommunalwahlen am 13. Juni in Chemnitz, Freital und Burkhardtsdorf antreten, habe man 20 000 Faltblätter verteilt. In Frankfurt, schätzt der dortige Republikaner-Stadtverordnete Klaus Sauer, seien es bis zu 4000 Stück. Kohlmann glaubt im Übrigen nicht, dass sein Faltblatt dazu tauge, Ressentiments gegen Ausländer zu schüren. In der Broschüre schreibt er: "Unglaublich, aber wahr: Durch ein ,deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen' sind in der Türkei lebende Eltern und Großeltern hier lebender Türken bei uns mitversichert - ohne einen Cent zu bezahlen! Millionen von unseren Beiträgen wandern direkt ins Ausland." Und: "Während wir Deutschen überall geschröpft werden, erhalten Asylbewerber alle ärztlichen Leistungen völlig kostenlos." Die Republikaner, sagt Kohlmann, "geben die Schuld daran nicht den Ausländern, sondern dem deutschen Staat. Das verstehen auch alle Leute so."

Dass Asylbewerber im Notfall behandelt werden, sei korrekt, aber sie dürften "nicht das ganze Gebiss neu bekommen", sagt Kohlmann, der von einem "richtigen Tourismus" in deutsche Zahnarztpraxen berichtet. Tatsächlich, sagen Gesundheitsexperten, bekämen Asylbewerber lediglich eine Notfallbehandlung. Eine Zusatzvereinbarung zum Rahmenvertrag Sozialhilfeabkommen von 1994 regelt, dass Leistungen nur "bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen" zu erbringen seien.

 

 

Die Republikaner

 

 

Die 1983 gegründeten Republikaner, meldet der Mitte Mai vorgelegte Verfassungsschutzbericht für 2003, seien weiterhin fremdenfeindlich, antisemitisch sowie revisionistisch, agitierten gegen das Demokratieprinzip und arbeiteten mit anderen Rechtsextremisten zusammen. Bundesvorsitzender ist Rolf Schlierer. Die Partei hatte 2003 rund 8000 Mitglieder, 1000 weniger als im Jahr zuvor. Im Jahr 2000 waren es noch 13 000.

 

 

Was die Krankenversicherung von im Heimatstaat lebenden Eltern hier versicherter ausländischer Arbeitnehmer angeht: Annette Widmann-Kauz und Andreas Storm, Gesundheitsexperten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, verfassten für ihre Kollegen eine Argumentationshilfe, falls sie auf das Thema angesprochen würden. Beide Politiker erkennen eine Ungleichbehandlung darin, dass die Eltern deutscher Arbeitnehmer nicht mitversichert seien. Kündigte Deutschland die EU-weiten und bilateralen Regelungen mit der Türkei und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens auf, wirkte sich das jedoch negativ auch auf deutsche Arbeitnehmer aus: Sie müssten sich bei einem Job im Ausland dort zusätzlich versichern.

Für volksverhetzend und somit strafbar hält der Frankfurter Rechtsanwalt Fred Wenzel den Titel von Kohlmanns Faltblatt nicht. Doch es sei überaus perfide. Tja, sagt Wenzel mit bitterem Unterton: "Deutsche haben sich schon immer für die Goldzähne anderer interessiert."

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Mit den Händen formen

Neonazis sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Ihre Internetseiten belegen das. von robert jackopp

Leverkusener Aufbruch

Wenn die Nacht am tiefsten ist, wissen auch deutsche Neonazis nicht mehr weiter. In ihrem Oberstübchen rumort es gewaltig, aber was es ist, wissen sie nicht so recht. Der Naziverein Leverkusener Aufbruch zum Beispiel ist schon ganz verzweifelt: »Wer soll uns führen und vor allem, wohin soll man uns führen? Gibt es eine ultimative Weltanschauung, eine allgemeingültige Wahrheit, eine Generallinie?« Zweifel is in the house.

Aber nicht nur die großen Grundsatzfragen, sondern auch feinsinnigere werden gestellt: »Ist Homosexualität eine Krankheit, eine Perversion, ein Verbrechen?« Ja, wer solch knifflige, spitzfindige Fragen auf Anhieb fachlich korrekt zu beantworten wüsste!

Jedenfalls beginnt man, sich Fragen zu stellen. Wer, wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm. Keine klare Marschroute ist derzeit vorhanden, kein Identitätsbums findet sich, an dem man sich festklammern kann, und ein ordentlicher Führer, der den jungen Leuten vom Leverkusener Aufbruch rasch beibiegen könnte, wo’s langgeht, ist auch weit und breit nicht in Sicht.

So müssen sie also eingestehen, dass sie in der Tat »keine unumstößlichen, absoluten Antworten auf jene mitunter quälenden Fragen« anbieten können. Allerorten Orientierungslosigkeit, Unsicherheit, Verwirrung. Was ist bloß geschehen? Wie kann man helfen? Wo man markige Sprüche und zünftiges Haudraufgebrüll erwartet hat, ist plötzlich von »Resignation« und »mehr oder minder demonstrationsmüden Gliedern« die Rede.

Erschöpfung und Überdruss bleiben da nicht aus: »Das Ergebnis sind enttäuschte, desillusionierte Volksgenossen. Denn es ist ja die Natur des Menschen und noch mehr die Natur des Deutschen, in Zeiten des Identitätsverlustes und der Orientierungslosigkeit einen festen Halt zu suchen. Einfache Antworten auf komplexe Problemstellungen geben zu können.«

Zweifelsohne hat’s der deutsche Faschist ohne festen Halt und ohne einfache Antworten schwer. Schließlich kannte er sich ja zumindest bisher mit derlei Dingen bestens aus. Was nun?

Deutsche Jugendwacht

Doch wo man auch sonst hinschaut, ist die gesamte Nazijugend anscheinend schon erfasst von einer starken Neigung zu Innenschau und Weinerlichkeit. Auch die Deutsche Jugendwacht, die ja, wie der Name vollmundig verspricht, eigentlich ihre schützende Hand über die deutsche Jugend halten sollte, blieb am vergangenen Weihnachtsfest traurig und verstockt zuhause hocken. In den »Gedanken zur Weihnacht« heißt es: »Für uns beginnt nun die Zeit des Sehnens und Hoffens. Statt, wie sonst, hinauszujagen in die Natur, bleiben wir doch oft daheim und gehen all den Dingen nach, für die man sonst kaum Ruhe findet.« Und was tun sie da? Heidegger lesen? Ringelpiez mit Anfassen ausprobieren? So was Ähnliches oder eine Mischform aus beidem, muss man wohl vermuten: »Der eine beginnt mit den Händen zu formen, der andere hängt Gedanken hinterher, dem Formenden die Arbeit zu erleichtern. Andere wiederum entdecken den Philosophen, den Dichter in sich, kurz: jeder spürt sich selbst am stärksten im Jahreslauf, weil er sich selbst viel inniger betrachtet.«

Daheim bleiben, Besinnlichkeit, Sehnsucht, Ruhe, Einkehr, Kontemplation, mit den Händen formen. Das klingt eher nach Daumenlutschen, Teestube und Töpferwerkstatt als nach Manneszucht und Schlachtgebrüll. Verbirgt sich etwa auch im gemeinen Neonazischergen das sensible, zärtlichkeitshungrige Kind? Ist manch ein Neonazi in Wirklichkeit ein stiller, bescheidener Däumchendreher und Melancholiekloß, der auf dem heimischen Flokatiteppich hockt und heimlich Gedichte schreibt? Neue deutsche Innerlichkeit jetzt auch unter Rechtsextremisten? Wo soll das noch hinführen?

Gemeinschaft deutscher Frauen (GdF)

Auch die Nazifrauen wollen da nicht abseits stehen. Nicht etwa pflichtschuldigen Beischlafdienst und die Herstellung reinrassigen Nachwuchses haben sie im Kopf, wie sich das gehörte. Während ihre Männer offenbar resignieren, machen sie sich eine Gaudi, berichten von albernen »Schattenspieldarbietungen, Fahnenschwingen und Volkstanz« und haben nichts Besseres zu tun, als sich stolz als kostenlose Hilfstruppe dem Umweltministerium anzudienen: »Wir erlebten gemeinsam viele schöne Stunden, so sammelten wir im nahe gelegenen Wald in eingeteilten Gruppen Müll und übergaben die dutzenden Tüten, wie vereinbart, dem Ordnungsamt. Das ›außergewöhnlichste‹ Stück Müll wurde ›prämiert‹, man findet wirklich die haarsträubendsten Dinge im Wald! Gleichzeitig sammelten wir Naturmaterialien, um später hieraus etwas Schönes zu basteln.«

Von »bunten Abenden«, »Plaudern«, »Quasselrunden«, lustigem Beisammensein und allerlei »Bastelstunden« wird freimütig geplappert, obwohl in der Abteilung »Brauchtum« deutlich gemahnt wird: »Leere Töpfe klappern, leere Köpfe plappern.« Wenn ausnahmsweise mal nicht fanatisch gebastelt oder stramm in der Gegend herumgestanden wird, aalt man sich träge und müßig »einen ganzen Tag bei strahlendem Sonnenschein unter freiem Himmel« und ist stinkfaul. Auch hier also Enttäuschung auf der ganzen Linie.

Kameradschaft Tor

Wendet man sich nun aber wieder den Herren zu in der Hoffnung, wenigstens hier walte noch Zackigkeit, liest man verbittert von »Festen« und schon wieder von »Tänzen, die man aus Anlass dieser Feste tanzt. Oftmals kann man Äußerungen von Kameraden hören, dass z.B. Volkstanz oder Ähnliches nichts für revolutionäre Aktivisten ist. Diese Meinung teile ich überhaupt nicht.« Was ist mit unseren Neonazis los? Degenerieren sie zu einem verweichlichten Haufen von Stubenhockern und Tanzbären? Und zu allem Übel werden auch hier in der »Mädelecke« alberne »Bastelideen« aufgelistet.

Eins sei wenigstens den Buben in der Bewegung verraten: So wird das nichts. Mit Springen, Trällern, Hopsen und Extrembasteln ist noch nie ein Sieg im Volkskrieg errungen worden. Man muss sich Sorgen machen. Wenn nicht bald was passiert, ist Deutschland verloren.

 

 

 

Mittwoch, 26. Mai 2004

Deutsches Haus

Wie die Polizei am 17. Mai mitteilte, haben zwei Deutsche im Alter von 17 und 20 Jahren in einem Linienbus in Frankfurt an der Oder (Brandenburg) einen Polen und einen Palästinenser mit fremdenfeindlichen Parolen beschimpft. Der Jüngere der beiden schlug dem 25jährigen polnischen Studenten der Europa-Universität Viadrina mit der flachen Hand ins Gesicht. Verletzt wurde niemand. Der Busfahrer alarmierte die Polizei, die beiden Täter wurden vorläufig festgenommen. Am gleichen Tag bedrohten und beleidigten drei deutsche Männer zwei chinesische Studenten im Regionalexpress von Berlin nach Wittenberg (Sachsen-Anhalt). Die 20jährigen aus Brandenburg drohten, die Chinesen im Alter von 31 und 26 Jahren wegen ihrer Nationalität aus dem Zug zu werfen und beleidigten sie mit ausländerfeindlichen Sprüchen. Alle drei konnten in Wittenberg gefasst werden; sie sind der Polizei einschlägig bekannt. Sie wurden einen Tag später aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen. Mehrere deutsche Männer belästigten am Abend des 13. Mai in der Nähe des Hauptbahnhofs von Bochum (Nordrhein-Westfalen) Personen ausländischer Herkunft. Die 24jährigen beleidigten MigrantInnen mit rassistischen Parolen und griffen sie an. Gegen die bereits wegen ähnlicher Delikte vorbestraften Täter wurde Haftbefehl erlassen. In Aachen (Nordrhein-Westfalen) sollen Beamte des Bundesgrenzschutzes am 12. Mai einen 50jährigen Afrikaner misshandelt haben. Wie die taz berichtete, sei der Mann mit Fausthieben zu Boden geschlagen worden. Eine Zeugin berichtete der Aachener Zeitung: »Einer der Beamten schubste ihn und schlug ihn ungezählte Male mit Fäusten. Der Mann fiel auf eine Bank, dennoch wurde er weiter geschlagen.« Der Afrikaner habe »keinerlei Gegenwehr« geleistet, sich lediglich vor den Schlägen zu schützen versucht. Als die Frau den prügelnden Beamten ansprach, habe ihr dieser gedroht. Die beschuldigten BGS-Beamten wiesen die Vorwürfe zurück. Der Mann habe sich geweigert, seinen Ausweis zu zeigen und deswegen in Handschellen zur Dienststelle gebracht werden sollen. Die Kontrolle auf dem Aachener Bahnhof sei Teil der Bekämpfung von Schleuserkriminalität gewesen. Viele Fahrgäste, die aus dem Zug aus Paris ausstiegen, seien kontrolliert worden. Der Extremismusexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Edathy, sagte dem Hamburger Abendblatt, der Rechtsextremismus sei weiterhin die größte innenpolitische Bedrohung Deutschlands. Im Jahr 2003 registrierte das Innenministerium 10 792 rechtsextremistische Straftaten, ein Prozent weniger als im Jahr zuvor. 759 Gewalttaten wurden verübt. Die Zahl antisemitischer Gewalttaten stieg von 30 auf 38 Fälle, die Täter seien nach Edathys Angaben überwiegend deutsche Rechtsextremisten. Nach einem Rückgang auf 2 600 im Jahr 2002 wurden im vergangenen Jahr 3 000 Personen der gewaltbereiten Neonaziszene zugerechnet.