Dienstag, 1. Juni 2004
Potsdam - Die brandenburgischen Schulen haben nach Ansicht des CDU-Innenexperten Sven Petke bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft "komplett versagt". Anlass des direkt an Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) gerichteten Vorwurfs ist der aktuelle Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Freitag vorgestellt hatte.
Trotz erheblichen personellen und materiellen Aufwands würden die Aktivitäten des Bildungs- und Jugendministeriums bei der eigentlichen Zielgruppe "offenbar total ins Leere laufen", kritisierte Petke gestern. Er forderte Reiche auf, "schnell neue Wege für die Auseinandersetzung mit den gefährdeten Jugendlichen zu suchen. Auch mit rituellen Lippenbekenntnissen über ein tolerantes Brandenburg kommt man jetzt nicht mehr weiter."
Petke nannte es eine ernüchternde Tatsache, dass im vergangenen Jahr 84,2 Prozent der Tatverdächtigen bei Gewaltstraftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Ersttäter waren. Da die Aufklärungsquote sehr hoch sei, müsse jetzt die gesellschaftliche Kontrolle jenseits von Polizei und Justiz völlig neu angegangen werden.
Bildungsstaatssekretär Martin Gorholt sagte dazu: "An den Schulen ist das Klima gegen Gewalt und Rechtsextremismus deutlich verbessert worden." Die Zahl rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Vorfälle sei dort seit 2000 von 257 auf jetzt 117 pro Schuljahr gesunken. dpa
Dienstag, 1. Juni 2004
Der vierte Anti-Gewalt-Cup, ein Fußballturnier mit 24 Mannschaften, ist Pfingsten in Britz ausgespielt worden. Mit dem Cup wird gegen Gewalt und Ausschreitungen bei Fußballspielen protestiert. Organisiert haben das Turnier Schwarz-Weiss Neukölln, Polizei und Deutscher Fußballbund. "Dabei werden Probleme wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, häusliche Gewalt, Opferschutz und Jugendgruppengewalt angesprochen", sagt Ronny Frank von der Polizeidirektion 5. Den Siegerpokal gewann das Team des Lichtenrader BC.
Dienstag, 1. Juni 2004
Unbekannte haben auf dem Wanderweg zur Murellenschlucht an der Glockenturmstraße in Charlottenburg insgesamt 18 der dort aufgestellten Gedenkspiegel mit NPD-Wahlwerbungszetteln beklebt. Die teilweise beschrifteten Spiegel sollen an Wehrmachtsangehörige erinnern, die dort hingerichtet worden waren. In der Schlucht waren zwischen August 1944 und April 1945 insgesamt 232 Männer als Deserteure oder "Wehrkraftzersetzer" erschossen worden. Eine Objektstreife hatte den Schaden am Sonnabend gegen 21.15 Uhr entdeckt. Der für politische Straftaten zuständige Polizeiliche Staatsschutz ermittelt.
Dienstag, 1. Juni 2004
BLZ
WITTSTOCK. Die Polizei hat in Wittstock (Ostprignitz-Ruppin)
mehrere randalierende und Naziparolen grölende Jugendliche festgenommen. Wie ein
Sprecher am Wochenende mitteilte, ereignete sich der Vorfall bereits in der
Nacht zu Sonnabend.
Demnach waren die Beamten gegen 23 Uhr von Zeugen in die
Kirchgasse der Stadt gerufen worden. Dort hatten laut Polizei etwa zehn junge
Leute an einer Pizzeria Aufsteller beschädigt. Zwei der Beschuldigten sollen
den Angaben zufolge zudem "Heil Hitler" gegrölt und dabei den
Hitler-Gruß gezeigt haben.
Stopp auf dem Marktplatz
Die Beamten konnten die mutmaßlichen Randalierer am
Markplatz stoppen. Doch als sie die Personalien der Jugendlichen aufnehmen
wollten, widersetzten sich diese den Beamten. Daraufhin seien acht
alkoholisierte Personen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren in Gewahrsam
genommen worden, hieß es. Bei ihnen wurde später bei einem Atemalkoholtest Werte
zwischen 0,98 und 2,3 Promille festgestellt. Bei den Vernehmungen bestritten
die Festgenommenen jegliche Tatbeteiligung an der Randale vor der Pizzeria.
Kriminalpolizei ermittelt
Laut Polizei sind die meisten der festgenommenen jungen
Leute für die Beamten nicht unbekannt. So sei gegen sie bereits unter anderem
wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt
worden.
Die acht Tatverdächtigen wurden nach ihrer polizeilichen
Vernehmung auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Neuruppin aus dem Gewahrsam
entlassen. Die weiteren Ermittlungen wegen Sachbeschädigung und des Verwendens
von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen führe die Kriminalpolizei in
Wittstock, hieß es. Über den Schaden, den die mutmaßlichen Täter bei ihrer
nächtlichen Randale angerichtet hatten, machte die Polizei keinerlei Angaben.
(BLZ)
Dienstag, 1. Juni 2004
Unbekannte haben die Gedenkstätte für hingerichtete Wehrmachtssoldaten in Berlin-Charlottenburg mit NPD-Wahlwerbung entwürdigt. Nach Polizeiangaben beklebten sie 18 Gedenkspiegel am Denkzeichenweg. In der Murellenschlucht wurden 1944/45 232 "Deserteure" und "Wehrkraftzersetzer" erschossen. (epd)
Dienstag, 1. Juni 2004
Pro & Contra zur Topographie: Klares Votum
gegen Neubau
91 Prozent der Anrufer wollen kein NS-Dokumentationszentrum auf dem Gelände
– auch in der Stiftung gibt es Stimmen dagegen
Braucht die Topographie des Terrors einen Neubau? So lautete die Frage in
unserem Pro & Contra am Sonntag. Das Votum der Anrufer ist eindeutig: 90,7
Prozent sprachen sich gegen einen Neubau aus, nur 9,3 Prozent waren dafür.
„Die Grabenausstellung ist offensichtlich ausreichend.“ So wertet Christine
Fischer-Defoy die deutliche Absage an einen Neubau. Die Zeithistorikerin ist
Mitglied im Stiftungsrat der Topographie und Vorsitzende des Vereins Aktives
Museum, der das Gelände an der Niederkirchnerstraße zuerst erschlossen hatte.
Auch die Besucherzahlen sprechen dafür, das Gelände so zu belassen: 2002 waren
es 300 000, 2003 kamen schon 350 000 Besucher, die den Ort des Schreckens
besichtigten, an dem sich die zentralen Institutionen des
NS-Verfolgungsapparates, Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt, befunden
hatten.
Stiftungsdirektor
Andreas Nachama will kein architektonisch aufwändiges neues Projekt, sondern
ein Gelände, das „mit den Besuchern spricht“. Er fordert die minimalistische
Variante: den Besuchercontainer angemessen ersetzen und den Ausstellungsgraben
besser überdachen. Die Bodendenkmäler, also die Zellenböden der Gestapo und der
Küchentrakt, sollen offen gelegt und dauerhaft geschützt werden. Hinzu kommt,
dass die Topographiestiftung Ende des Jahres von der Budapester Straße in die
Nähe des Geländes zieht, nämlich in das DKV-Haus in die Stresemannstraße.
Nachama bestätigte dem Tagesspiegel, dass es einen „langjährigen Mietvertrag“
gibt.
Warum sollte man die wenigen Meter vom Topographie-Gelände zum
wissenschaftlichen Zentrum mit Bibliothek und Archiv nicht laufen können? „Ein
Wissenschaftszentrum auf dem Gelände ist nicht notwendig“, sagt
PDS-Kulturpolitiker Wolfgang Brauer. Ausreichend sei ein Besucher- und
Begegnungszentrum. Auch in Senatskreisen hält man nichts mehr von einem Gebäude
größeren Ausmaßes. Dass auf dem Gelände aber gar nichts gebaut wird, das würde
„dem Gedenken nicht entsprechen“, sagt Senatssprecher Michael Donnermeyer und
verweist auf den Beschluss von Bund und Land, einen neuen Wettbewerb
auszuschreiben. In die Debatte um Neubau oder nicht ist also Bewegung gekommen:
Für ein großes Symposium zu dem Thema haben sich inzwischen alle
Verantwortlichen ausgesprochen. Sabine Beikler
Dienstag, 1. Juni 2004
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Betrifft beide Veranstaltungen in Saalfeld Saalfeld (OTZ/PD). Am 29. Mai fand von 12 bis 22 Uhr auf dem Parkplatz "Schießteich" eine Versammlung der NPD anlässlich des "3. Thüringentages der Nationalen Jugend" zirka 300 Personen statt. Zeitgleich führte die Stadt Saalfeld auf dem Marktplatz ein Pfingstfest mit regem Besucherverkehr durch. "Durch ihren Einsatz gewährleistete die Polizeidirektion mit eigenen und unterstellten Kräften jederzeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung", teilte die Polizei mit. Durch starke Präsenz und konsequentes Einschreiten an neuralgischen Punkten im Vorfeld und während der Versammlung seien Sicherheitsstörungen verhindert worden. "Gegen 26 Personen des rechten und linken Spektrums wurden Platzverweise ausgesprochen. In Gewahrsam mussten 20 zum Teil stark alkoholisierte Personen genommen werden. Im Zusammenhang mit den Veranstaltungen wurden sechs Straftaten registriert. Es handelt sich hierbei um vier Sachbeschädigungen und einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Gegen eine Person wurde Anzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erstattet", so die Polizei weiter. Die Polizei dankt den Bürgern für ihr Verständnis während der polizeilichen Maßnahmen. |
Dienstag, 1. Juni 2004
Politik bagatellisiert rechte Gewalt
Beratungsteams registrieren Zunahme von Neonazi-Angriffen in Sachsen-Anhalt
Die »Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt« unterhält
Anlaufstellen in Halberstadt, Halle, Salzwedel und Magdeburg. Seit Jahresbeginn
hat sie in Sachsen-Anhalt einen Anstieg neonazistischer Angriffe beobachtet.
Mit Heike Kleffner, Projektleiterin der Initiative in Magdeburg, sprach Stefan
Mentschel.
ND: Die Mobile Opferberatung hat dieser Tage eine Zunahme
rechtsextrem motivierter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt beklagt.
Das ist richtig. Seit Jahresbeginn haben wir 39 Angriffe mit rechtsextremem
oder fremdenfeindlichem Hintergrund registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist
die Anzahl der bekannt gewordenen Gewalttaten um ein Viertel gestiegen.
Das Landeskriminalamt nennt für 2003
andere Zahlen.
Ein Vergleich der bei LKA und Opferberatung registrierten Angriffe ergab
erhebliche Abweichungen. Von den 46 vom LKA vorgelegten Fällen waren uns 28
nicht bekannt. Umgekehrt fehlten auf der Liste des LKA 32 Gewalttaten, die wir
als rechtsextrem motiviert eingestuft hatten, darunter auch zwei Angriffe,
welche die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe als rechtsextrem gewertet
hat. Beide Statistiken stellen also nur einen Ausschnitt des tatsächlichen
Ausmaßes rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt dar. Zusammengezählt kommen wir im
vergangenen Jahr auf über 70 Angriffe.
Wie lassen sich die Abweichungen
erklären?
Das müssen Sie das LKA fragen. Uns gegenüber wurde angekündigt, die Ursachen
prüfen zu wollen.
Die Landesregierung zeigt sich
unbeeindruckt von den Zahlen.
Wenn man sich den Jahresbericht des Landesverfassungsschutzes anschaut, wird
deutlich, das rechte Gewalttaten den Schwerpunkt politisch motivierter Gewalt
in Sachsen-Anhalt ausmachen. Trotzdem wird ein Rückgang rechter Straftaten
herbeigeredet.
Wird das Problem verharmlost?
Es wird bagatellisiert oder schlicht verschwiegen. Der Mord an Alberto Adriano
im Dessauer Stadtpark jährt sich im Juni zum vierten Mal. Mitte der 90er Jahre
wurden zwei junge Punks in Magdeburg von Neonazis getötet. Auch diese Vorfälle
prägen natürlich das Image von Sachsen-Anhalt. Und so werden noch immer aus
gezielten rechtsextremen Angriffen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden
Jugendbanden gemacht. Man will nicht erkennen, dass es hier ein strukturelles
Problem gibt, sondern schiebt es immer auf Einzeltäter.
Wo tritt rechte Gewalt besonders häufig
auf?
Dessau nimmt mit 15 Angriffen in diesem Jahr bislang die Spitzenposition in
Sachsen-Anhalt ein. In Magdeburg gibt es immer wieder Angriffe auf Flüchtlinge
und Migranten. Aber auch die Harzregion mit Städten wie Halberstadt,
Quedlinburg und Wernigerode ist ein Schwerpunkt, in der es organisierte
neonazistische Strukturen gibt. Erst im April wurde in der Kleinstadt Wegeleben
ein junger Mann von Rechten überfahren und anschließend mit Eisenstangen
verprügelt. Das Opfer musste mit multiplen Schädelbrüchen, einem Nasen- und
Jochbeinbruch auf die Intensivstation eingewiesen werden.
Wurde Anzeige erstattet?
Bei den Angreifern handelt es sich um polizeibekannte Neonazis. Aber bislang
befindet sich erst ein Täter in Untersuchungshaft. Doch schlimmer ist, dass die
Polizeidirektion Halberstadt bei diesem Fall völlig entgrenzter rechtsextremer
Gewalt lediglich davon spricht, dass ein Fußgänger »mit Absicht« angefahren
worden sei.
Stoßen sie bei ihrer täglichen Arbeit
auf Widerstände?
Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Einerseits werden Menschen, die
rechte Gewalt beim Namen nennen, als Störenfriede angesehen. Ihnen wird
unterstellt, das Image einer Kommune oder des ganzes Bundeslandes beschädigen
zu wollen. Andererseits hört man uns zu. Wir stellen zudem immer fest, dass wir
Menschen ermutigen können, sich öffentlich an die Seite der Opfer zu stellen.
Es bleibt aber festzuhalten, dass die politisch Verantwortlichen das Thema am
liebsten unter den Teppich kehren wollen.
Infos: www.miteinander-ev.de
Dienstag, 1. Juni 2004
GEBIRGSJÄGERTREFFEN IN OBERBAYERN
Mit dem Hakenkreuz zum Gedenken an die toten Soldaten
Trotz Proteste ehren Gebirgsjäger von Wehrmacht und
Bundeswehr weiter gemeinsam ihre toten Kameraden - darunter auch einige
Kriegsverbrecher.
VON J. TORNAU (MITTENWALD)
"Mörder" - in meterhohen Lettern haben
Unbekannte dieses Wort auf die monumentalen Steinstelen des Ehrenmals der Gebirgstruppe
im bayerischen Mittenwald gesprüht. Als Beleidigung und Provokation dürften
dies die meisten Teilnehmer des alljährlichen Totengedenkens des
Kameradenkreises der Gebirgstruppe empfunden haben. Am Pfingstsonntag kamen
mehr als 2000 Wehrmachtsveteranen, Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen nach
Mittenwald.
Für Historiker ist die Sache hingegen klar: Gebirgsjäger der
nationalsozialistischen Wehrmacht haben im Zweiten Weltkrieg dutzende Massaker
begangen, tausende unschuldige Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet und sich
an der Deportation von Juden in Konzentrationslager beteiligt.
Jahrzehntelang ist davon bei den Pfingsttreffen der Gebirgssoldaten in
Mittenwald nicht ein Wort zu hören gewesen. In diesem Jahr aber sah sich der
Präsident des Kameradenkreises, Ernst Coqui, angesichts der zunehmenden
Proteste gegen die größte soldatische Feier in Deutschland erstmals zu einer
Stellungnahme genötigt: "Der Kameradenkreis ist sich in gleicher Weise der
großen Leistungen der Gebirgstruppe im Zweiten Weltkrieg bewusst wie der leider
auch von Gebirgsjägern begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit", sagte der Brigadegeneral a. D. in seiner
Begrüßungsansprache.
Konsequenzen zeitigt dieses Eingeständnis nicht. Kriegsverbrecher würden vom
ehrenden Totengedenken nicht ausgeschlossen, sagte Coqui der FR.
"Wir gedenken Toter und Menschen, nicht ihrer Handlungen." Und: Die
Traditionskameradschaften der nachweislich an Massakern beteiligten Einheiten
blieben selbstverständlich weiter im Kameradenkreis der Gebirgstruppe
vertreten.
In der Organisation, der rund 6400 Wehrmachtsveteranen und
Bundeswehr-Gebirgsjäger angehören, gebe es nicht einen einzigen
Kriegsverbrecher, denn es sei bislang noch niemand gerichtlich verurteilt
worden, sagte Coqui.
Gegen den Schulterschluss von alten und jungen Kameraden protestierten in
diesem Jahr erneut etwa 600 Menschen, die einem Aufruf des Arbeitskreises
"Angreifbare Traditionspflege" und der Vereinigung der Verfolgten des
Nazi-Regimes (VVN) folgten.
Dabei sahen sich die Aktivisten nicht nur einer rüde vorgehenden Polizei
gegenüber, die mehrere Demonstranten wegen kleinerer Delikte festnahm und zum
Teil über Nacht festhielt. Mit ihren Forderungen nach Bestrafung der Täter und
Entschädigung der Opfer trafen sie bei der einheimischen Bevölkerung auf
Feindseligkeit. Eine mitgebrachte Gedenktafel für die von deutschen
Gebirgsjägern Ermordeten war schon nach wenigen Minuten wieder abgerissen und
zerstört. Ein 59-jähriger Mittenwalder präsentierte demonstrativ einen
Anstecker mit dem Hakenkreuz. Und Ernst Grube, jüdischer Überlebender des KZ
Theresienstadt und Landessprecher der VVN in Bayern, musste sich von einem
Ladenbesitzer gar übelst beleidigen lassen: "Euch haben sie vergessen zu
vergasen", schleuderte ihm der Mann entgegen - und erhielt von Umstehenden
Zuspruch.
Unterstützung für das Anliegen der Demonstranten war dagegen nur hinter
vorgehaltener Hand zu hören. In Mittenwald, seit jeher Kasernenstandort, ist
das Militär sakrosankt. "Ich würde ja was sagen", so ein Mann.
"Aber dann müsste ich hier wegziehen."
29. Mai 2004
Kuschelkurs der Neonazis
Von Christiane Wolters
Dresden als Testfall: Unter dem Namen
"Nationales Bündnis Dresden" will ein Konglomerat rechtsextremer Parteien
bei den Kommunalwahlen in den Stadtrat einziehen. Verfassungsschützer fürchten,
dass der neue Schmusekurs der zerstrittenen Rechten im Falle eines Wahlerfolgs
Schule machen könnte.
Dresden -
"Einigkeit macht stark! Gemeinsam Denken - Handeln - Siegen!"
verkündet das Nationale Bündnis Dresden (NBD) die neue Strategie auf seiner
Homepage. Vor über einem Jahr gegründet ist das NBD ein Sammelbecken für
Anhänger verschiedener rechtsextremer Organisationen. Gemeinsam wollen sie das
schaffen, was alleine nicht möglich scheint: bei den Kommunalwahlen am 13. Juni
in den Stadtrat einziehen.
Die sonst zwischen den zerstrittenen Parteien bestehenden Eifersüchteleien und
Meinungsverschiedenheiten werden für dieses Ziel offenbar zurückgestellt -
stattdessen üben sich die Mitglieder von NPD, DVU, Republikanern und
verschiedener Kameradschaften in deutschtümelnder Harmonie. In der sächsischen
Landeshauptstadt sei das gelungen, was seit langem als "Gebot der
Stunde" erkannt werde, heißt es etwa: "Die politische Einheit
nationalgesinnter Deutscher bei gleichzeitiger Achtung unterschiedlicher
Parteibücher." Dresden wird zum Testfall erklärt, in dem der "Funke
zünden" und das "richtige Signal" gesetzt werden soll.
Im NBD federführend ist offenbar die NPD, die damit nach dem im März 2003
gescheiterten Verbotsantrag gegen sie erstmals wieder öffentlich von sich reden
macht. Angeführt wird das NBD dann auch vom stellvertretenden
NPD-Bundesvorsitzenden Holger Apfel, der selbst als Kandidat antritt. Da der
Verlagskaufmann die Geschäfte des NPD-Verlags "Deutsche Stimme" in
Riesa führt, kann der NBD auch von der Logistik der NPD-Parteipresse
profitieren.
Symbolik ist ernstzunehmen
Die sächsischen Verfassungsschützer beobachten die neue rechtsextreme Allianz
genau. "Wir nehmen das NBD durchaus ernst", sagt Olaf Vahrenhold vom
Amt für Verfassungsschutz. Immerhin sei das von der NPD massiv gestützte
Wahlbündnis mit dem erklärten Ziel gegründet worden, die zersplitterte
rechtsextreme Szene zu bündeln. Während die Bundesvorstände von DVU und
Republikanern dieses Experiment zwar eher ablehnten, sei auf lokaler und
regionaler Ebene die Bereitschaft zum Zusammengehen ungleich größer. Wenn das
rechte Bündnis tatsächlich einen oder mehrere Sitze im Stadtrat erringen würde,
könnte das die beabsichtigte bundesweite Wirkung nach sich ziehen, etwa wenn
sich die Parteien auch in anderen Regionen nach ähnlichem Muster zusammentun:
"Die Szene schaut schon genau hin, was passieren wird."
Die demokratischen Parteien in Dresden zeigen sich unterdessen wenig
beeindruckt von den markigen Parolen des NBD. "Das Bündnis spielt im
Wahlkampf keine große Rolle", erklärt etwa Jürgen Eckoldt, Stadtrat der
CDU-Fraktion, die derzeit die meisten Sitze hat. André Schollbach, der für die
an zweiter Stelle liegende PDS-Fraktion im Stadtparlament sitzt, sieht das
ähnlich: Bisher seien die Rechten in Dresden schließlich noch nie im Stadtrat
vertreten gewesen. Auch das neue Bündnis werde mit seinen "platten
Parolen" nicht mehr Wähler überzeugen als die jeweiligen Einzel-Parteien
zuvor. Erst vor kurzem habe das NBD beispielsweise zu einer Demonstration
aufgerufen, dabei aber "Schiffbruch erlitten", da nur einige wenige
Anhänger erschienen seien. Doch auch Schollbach warnt davor, die symbolische
Bedeutung des gemeinsamen Antritts zu unterschätzen.
Rechte Szene mit geringem Potenzial
Etwa hundert Mitglieder hat das NBD, das in allen Dresdner Wahlkreisen
Kandidaten aufgestellt hat - die Zahl der Sympathisanten wird weitaus höher
eingeschätzt. Da die Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen nicht gilt, sei
derzeit nicht völlig auszuschließen, dass die Allianz die erforderlichen
Stimmen für den Einzug in den Stadtrat erhält, so der Verfassungsschützer
Vahrenhold. Abhängig von der Wahlbeteiligung seien etwa 1,5 Prozent der Stimmen
nötig, um einen Sitz zu erringen.
Insgesamt schwindet die Bedeutung der in Parteien organisierten rechtsextremen
Szene im Freistaat allerdings seit Jahren. So sind die Mitgliederzahlen von
NPD, DVU und Republikanern laut Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz
auch 2003 weiter gesunken. Daher sei es auch im Falle eines Wahlerfolgs des NBD
eher fraglich, dass sich das bisherige Potenzial der Rechtsextremen tatsächlich
erhöhe, mutmaßt Vahrenhold. Und wenn der "Testfall Dresden" - wie von
den meisten Beobachtern erwartet - scheitert, werde das ohnehin ein herber
Rückschlag für die Szene sein: "Das wird sehr viel Frust geben."