Donnerstag, 29. Juli 2004
Aufklärung statt brauner Bildung Nahe der
NPD-Bundeszentrale in Köpenick
eröffnete das Zentrum für Demokratie
Viel Platz ist nicht. Nur ein kleiner Raum mit Tisch und Computer, an der Wand ein
Regal mit Ordnern, dazu Folien mit handschriftlich notierten Informationen und
einer Frage: „Was ist Demokratie?“ Ihr will man sich im neu eröffneten Zentrum
für Demokratie am Mandrellaplatz in Köpenick
(Tel.6548 72 93) besonders widmen. Denn der Bezirk ist schon seit einiger Zeit
neben Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg Schwerpunkt rechtsextremer
Aktivitäten, wie der Verfassungsschutz feststellte. So befindet sich seit vier
Jahren die Bundeszentrale der NPD gleich um die Ecke in der Seelenbinderstraße.
Und jetzt will die Partei im Hinterhof auch noch ein „Nationaldemokratisches
Bildungszentrum“ eröffnen, in einem zweistöckigen Gebäude, in dem Seminare
abgehalten und Kader geschult werden, Schlafplätze für Aktivisten bereitstehen
und eine „nationale Bibliothek“ entstehen soll.
„Dagegen wollen wir etwas tun“, sagt Björn Malycha
vom Zentrum für Demokratie, das vom Bezirk gefördert wird. „Wir möchten von Antifa-Gruppen bis zu den Sportvereinen die verschiedensten
Leute ansprechen“, ergänzt Tanja Berg, die zweite Hauptamtliche. Es soll
Bildungsseminare zu Themen wie „Rechtsextremismus“ oder „Zivilgesellschaft“
geben.
Kürzlich belegte eine Kommunalanalyse
über Treptow-Köpenick, dass sich die rechtsextreme
Szene immer stärker organisiert. Es komme aber in Köpenick kaum zu
Ausschreitungen und Übergriffen, wie das in Treptow-Johannisthal
oder am S-Bahnhof Schöneweide immer wieder der Fall
sei, sagt Ingo Grastorf, Koordinator der Studie. Gerade die organisierte
rechtsextreme Szene versuche sich in Nähe der NPD-Parteizentrale und des
künftigen Bildungszentrums „ruhig und umgänglich zu präsentieren“. Auch
neonazistische Kameradschaften beobachte man vermehrt, insbesondere die im
Vorjahr gegründete Berliner Alternative Süd-Ost (BA-SO), eine von fünf in
Berlin existierenden Kameradschaften.
Doch seit einiger Zeit regt sich Widerstand. Nach der Verlegung der
NPD-Bundeszentrale nach Berlin gründete sich als Gegeninitiative das Bündnis
„Bunt statt Braun", ein Zusammenschluss diverser Jugendeinrichtungen.
Viele Menschen aber bekommen von alldem nichts mit. „Nationales
Bildungszentrum? Zentrum für Demokratie? Nie gehört“, heißt es in einem Laden
gleich um die Ecke. Die NPD gibt sich als umgänglicher Nachbar und fällt darum
nicht sonderlich auf. „Über diese Strukturen wollen wir aufklären“, sagt Malycha. Und dazu wolle man nicht nur Jugendliche
ansprechen: „Demokratie geht alle etwas an.“ Jens Thomas
Donnerstag,
29. Juli 2004
GÖRLITZ taz Die Verhaftung des Görlitzer Stadtratsmitglieds Jürgen Hösl-Daum (DSU) durch die Polizei in Boleslawiec sorgt im deutsch-polnischen Grenzgebiet für Aufregung. Der 26-jährige Hösl-Daum hat gestanden, mit zwei Helfern in der polnischen Stadt Plakate geklebt zu haben. Darauf wird mit drastischen Bildern und Texten die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg angeprangert. Ob er schon länger derartig aktiv ist, prüft die Staatsanwaltschaft.
Der Görlitzer Oberbürgermeister Rolf Karbaum zeigte sich gestern betroffen: "Mich bedrückt, künftig in einem Stadtrat sitzen zu müssen, in dem ein solcher Mann anwesend ist." Der Kreisverband der DSU distanzierte sich von der Aktion Hösl-Daums. "Das, was er da macht, gehört nicht zum Stil der DSU, das habe ich ihm klipp und klar gesagt", erklärt Christfried Wiedemuth, DSU-Kreisvorsitzender in der Oberlausitz. "Wir greifen zwar die Inhalte der Plakate auf, aber diese Methoden unterstützen wir nicht." Hösl-Daums Posten im Stadtrat stehe aber erst in Frage, "wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte", sagt Wiedemuth. Am Freitag soll Hösl-Daum sich gegenüber dem DSU-Vorstand erklären.
Hösl-Daum stammt aus Nürnberg und war früher in Bayern CSU-Mitglied. Erst vor etwa drei Monaten wechselte er in die DSU und wurde bei den Kommunalwahlen im Juni in den Görlitzer Stadtrat gewählt. Vergangenes Jahr wurde er in Polen vorläufig festgenommen, als er Holzkreuze in Niederschlesien aufstellte. Für seine Aktionen gibt er als Hauptgrund "die ungleiche Behandlung der Geschichte" an.
Zur Herkunft der Plakate sagt er, sie seien ihm anonym per Post zugesandt worden. "Sie sind aber grafisch so ähnlich gestaltet wie Rundschreiben, die ich früher mal verfasst habe", so Hösl-Daum. Die Überschrift "Polen und Tschechen, herzlich willkommen in der Europäischen Union! Unsere Gerichte arbeiten bereits fleißig, denn Mord verjährt nicht" bezeichnet Hösl-Daum zwar als "provokant". Die Berichte über Vertreibung, Tötungen und Zwangsarbeit seien aber Tatsachen.
Dass in Polen inzwischen die Mühlen der Justiz mahlen, beunruhigt Hösl-Daum nicht sonderlich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Aufruf zum Rassenhass und Verunglimpfung der polnischen Nation. "Ich bin sicher, dass wir nicht bestraft werden", so Hösl-Daum. Polnische Anwälte hätten gesagt, "da sei nichts zu befürchten".
Die Stadt Görlitz bemüht sich inzwischen um Schadensbegrenzung in der Grenzregion. "Ich habe bereits mit dem Zgorzelecer Bürgermeister über den Sachverhalt gesprochen", sagt Oberbürgermeister Karbaum. Die Beziehungen zwischen den beiden Städten werde der Vorfall nicht belasten. In Zgorzelec habe man Verständnis geäußert, dass "niemand gegen Derartiges gefeit" sei." CORNELIA SOMMERFELD
Donnerstag, 29. Juli 2004
Frühere jüdische NS-Zwangsarbeiter können noch im August mit einem zweiten Teil ihrer Entschädigung rechnen. Dabei handle es sich um je 2.500 Euro, sagte der Deutschland-Repräsentant der Claims Conference, Karl Brozik, gestern. Der Betrag werde von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" ausgezahlt. (ap)
Donnerstag, 29. Juli 2004
Musik gegen rechte
Propaganda?
André Keil: Den Neonazis nicht die Schulhöfe überlassen
Der 20-jährige Geschichtsstudent ist Sprecher des Arbeitskreises
Antifaschismus bei Solid.
ND: Rechtsextreme wollen bundesweit Propaganda-CDs
auf Schulhöfen verteilen. Dagegen will der PDS-nahe Jugendverband
Solid etwas tun. Wie soll das aussehen?
Keil:
Wir werden eigene CDs produzieren, die wir dann ab Ende September vor Schulen
in ganz Deutschland verteilen. Das Projekt heißt »AufMUCKEn
gegen rechts« (www.solid-web.de), und die CD soll den
Titel »Nazis out of school« (Nazis raus aus der
Schule) tragen. Je nach Höhe der Spenden wird es eine mehr oder weniger große
Auflage geben. Neben ungefähr 16 Musiktiteln sollen
Informationen und Texte zu Rassismus, Diskriminierung und Rechtsextremismus
sowie Kontaktadressen antifaschistischer Organisationen enthalten sein. Zudem
wollen wir uns nicht auf die CD-Verteilaktion beschränken. Zusätzlich wird es
Informationsveranstaltungen zum Thema Nazi-Rock und -Subkultur geben, um
Jugendliche auf das Problem aufmerksam zu machen.
Welche Künstler wollen sich an der Aktion beteiligen?
Neben
den Liedermachern Konstantin Wecker und Hannes Wader
werden zum Beispiel auch die Hip-Hop-Band »Absolute Beginner«
und die Pop-Gruppe »Virginia Jetzt« jeweils einen Titel beisteuern. Viele
andere Bands haben noch nicht fest zugesagt. Wir waren erstaunt und erfreut,
dass auch sehr bekannte Musiker, wie Konstantin Wecker, sofort zum Mitmachen
bereit waren.
Zielgruppe sind Schüler. Soll die Aktion ausgeweitet werden – zum Beispiel auf
Jugendclubs?
Zunächst wollen wir uns auf Schulen beschränken. Andere Zielgruppen könnten wir
uns auch vorstellen, das hängt aber von den Finanzen ab.
Werden die Schulen gefragt?
Wenn
die CD produziert ist, werden wir Anfragen an die Schulen richten. Wir denken
nicht, dass da größere Probleme entstehen werden, da ja alle zuständigen
Ministerien und auch viele Schulleiter sich schon gegen die Aktion der
Rechtsextremisten ausgesprochen haben. Weil unser Projekt auch keine politische
Werbung für irgendeine Partei sein soll, sondern sich um Aufklärungsarbeit
gegen Rassismus und Neofaschismus bemüht, hoffen wir auf Unterstützung.
Was passiert, wenn Sie auf dem Schulhof den Rechten
begegnen?
Wir
werden dann versuchen, die Aufmerksamkeit auf unsere Aktion zu lenken und den
Nazis nicht den öffentlichen Raum zu überlassen. Zudem werden wir Lehrer und
Schüler dazu auffordern, die rechtsextremen CDs gleich an Ort und Stelle zu
zerstören. Natürlich werden wir auch die zuständigen Behörden über
rechtsextreme CD-Verteiler informieren.
Wie wird das Projekt finanziert?
Wir
finanzieren uns ausschließlich durch Spenden. Die Künstler verzichten auf ihre
Gagen. Sämtliche Mitarbeiter investieren unheimlich viel Zeit für die Aktion.
Wir wollen ja damit auch kein Geld verdienen. Um die CD aber in hoher Auflage
produzieren zu können, sind wir auf jede Spende angewiesen.
Gibt es Unterstützung durch die PDS?
Wir
haben Kontakt zu PDS-Abgeordneten und dem Parteivorstand. Ganz spontan wurden
so viele Mittel und Spenden aufgetrieben. Wir hätten die Aktion nicht ohne die
PDS organisieren können. Es geht uns aber nicht darum, Werbung für die PDS oder
eine andere Partei zu machen, sondern das Projekt steht im Mittelpunkt.
Fragen: Grit Gernhardt
Spendenkonto: Solid e.V.
Konto-Nr.:
4393851500
BLZ: 10020000 (Berliner Bank)
Kennwort: CD-Projekt-Spende