Nick Ryan:
Homeland: Into a World of Hate
Mainstream
Publishing, £15.99, 320 Seiten, englischsprachig
http://www.homelandbook.com
rezensiert von Thomas Grumke
Nick Ryans Homeland ist das Ergebnis einer sechsjährigen Recherche, die ihn durch die rechtsextremen Untiefen Großbritanniens, Kontinentaleuropas und der USA geführt haben. Es ist eine Art Tagebuch des weitgereisten englischen Journalisten Ryan, der nach dem Abschluss einer kleineren Recherche zur rechtsterroristischen Gang Combat 18 (C18) Mitte der 1990er Jahre nach eigenem Bekunden nicht aufhören konnte und in der Folgezeit geradezu von dem Thema aufgesogen wurde. Das Ergebnis ist ein Parforceritt durch die von Ryan zu Recht als männerdominierte Stammesgesellschaft ("tribal society") bezeichnete Halbwelt des äußersten rechten Randes der westlichen Industriegesellschaft.
Um es vorweg zu nehmen: die saloppe, absichtlich nichtwissenschaftliche Schreibweise von "Homeland" ist Stärke und Schwäche zugleich des Buches. Während die schiere Anzahl der einschlägigen Interviewpartner schlichtweg beeindruckend ist und Ryan trotz widriger Bedingungen erstaunliche O-Töne auch aus den finstersten Neo-Nazis herausbekommt, verliert sich der Text allzu oft in einer Abfolge von "Er hat gesagt und dann habe ich gesagt ". Dabei ist wiederum positiv hervorzuhaben, dass Nick Ryan seine Schularbeiten gemacht hat. Er berichtet kenntnisreich über die Hintergründe und die Vorgeschichte der von ihm aufgesuchten Gruppen und Personen und erweist sich als Kenner des internationalen rechtsextremen Netzwerkes. Deshalb bleibt das Buch trotz des unverbindlichen Stils eine fesselnde Lektüre.
"Homeland" beginnt dort, wo die meisten Autoren bereits aufgegeben hätten: in der von Gewalt, Vulgärnationalismus und noch mehr Gewalt durchtränkten Welt vom Combat 18 außerhalb Londons. Inmitten interner Machtkämpfe, die standesgemäß mit der Ermordung eines Anführers durch seinen Rivalen aufgelöst werden, heftet sich Nick Ryan an die Fersen zweier unmittelbar in diesen Mord verwickelten C18-Aktivisten, mit denen er in berüchtigten Szenekneipen und Privathäusern Gallonen von Ale und Lager vernichtet, um dabei einen tiefen Einblick in das Innenleben der Protagonisten zu gewinnen. Auf dem Weg trifft der Autor auf so unwirkliche Gestalten wie den ehemaligen Physiker, Mönch und nun Oberideologen von C18, David Myatt, der sich über seine Visionen eines arischen Reservats im Hinterland von Essex auslässt und Ryan später sogar zu einen Duell herausfordert - zu einem späteren Zeitpunkt jedoch zum Islam konvertiert und unter dem Namen Abdul Aziz zum binLaden-Anhänger mutiert.
Weiter geht die Reise über Skandinavien, Belgien, Österreich
(es würde Seiten füllen, hier alle im Buch erwähnten und befragten
Aktivisten zu nennen) in die USA, wo sich Ryan mit Mark Cotterill, dem Statthalter
der British National Party (BNP) in den USA, anfreundet. Dieser öffnet
ihm die Türen zur amerikanischen Szene, zu Anhängern David Dukes,
der National Alliance, der Reform Party als auch Holocaustleugnern des einschlägigen
Institute for Historical Review und Christian Identity-Pastoren.
Besonders spannend für deutsche Leser sind die Kapitel, in denen Nick Ryan
über seine Eindrücke in Deutschland während seines Berlin-Aufenthaltes
um den 1. Mai 2002 herum berichtet. Wieder macht er unermüdlich Termine
mit zentralen Akteuren der rechtextremen Szene und schafft es, binnen weniger
Tage Interviews mit Horst Mahler, Christian Worch, Steffen Hupka sowie dem Aussteiger
Matthias zu führen und gleichzeitig Beobachtungen bei dem rechten 1.Mai-Umzug
in Hohenschöhnhausen und der turnusgemäßen 1.Mai-Randale in
Kreuzberg zu machen. Atemlos staunt der geneigte Leser nicht schlecht, was da
der Kette rauchende Herr Worch und der wie immer Hegel zitierende Herr Mahler
dem Briten Ryan so alles anvertrauen und wie sorglos der Neu-Schlossherr Hupka
ihn in seinem eben erworbenen Gut Trebnitz empfängt. Hier wird es für
den Autoren scheinbar zum Vorteil, dass er aus einem fremden Land kommt und
deshalb scheinbar so viele Informationen wie möglich braucht - was sich
mit meinen eigenen Erfahrungen bei Interviews mit US-Kadern deckt. Ryan lässt
sie gerne gewähren.
Nick Ryan kann, trotz der erwähnten stellenweisen analytischen Schwächen eigentlich nur vorgeworfen werden, dass er zu wenige Seiten für zu viel Material hatte. Der Bogen, der hier über die rechtextremen Szenen einer beachtlichen Anzahl von Ländern geschlagen wird, ist mir auch aus umfangreichen Sammelbänden kaum bekannt. Zu einer Fundgrube auch für Rechtsextremismuskenner wird "Homeland" endgültig durch das dankenenswerterweise vom Verlag besorgte Namens- und Sachregister. Es bleibt zu hoffen, dass sich so schnell wie möglich ein Verlag findet, der das Buch bald auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich macht.