töten würd ick dafür
nich!
Entwicklung von Projekten und Maßnahmen,
die gezielt mit Jugendlichen arbeiten, die von rechtsextremen und demokratiefeindlichen
Ideen und Gruppen beeinflusst werden
Projektleitung: Dr. Gerhard
Wenzke, Prof. Dr. Jürgen Gries
Autoren: Prof. Dr. Jürgen
Gries, Marlitt Köhnke, Mathias Lindenau, Kai Maaz, Dominik Ringler, Dr.
Gerhard Wenzke
Regionaler Einzugsbereich: Marzahn-Hellersdorf,
Lichtenberg-Hohenschönhausen
Interview-Gruppen: SozialarbeiterInnen
einzelner Jugendhilfeprojekte und Jugendliche im Alter von 13 bis 24 Jahren
Herausgeber: ISIS
Berlin e.V.
Institut für Sozialforschung, Informatik & Soziale Arbeit
c/o Katholische Fachhochschule Berlin
Köpenicker Allee 39-57
10318 Berlin
gefördert durch: respect!
- Berliner Aktionsprogramm für Demokratie und Toleranz
Download
des vollständigen Abschlussberichts (pdf-Datei, 569kb, 162 Seiten)

Projekt- und Forschungsauftrag:
Im Bemühen, Toleranz und Demokratiefähigkeit im Denken
und Handeln junger Menschen zu fördern und da-mit rechtes Gedankengut,
Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung durch junge Menschen einzudämmen,
sollen
"bestehende Projekte, die mit solchen jungen Menschen
arbeiten, (..) evaluiert und ihre Ergebnisse im Sinne von best-practise Beispielen
verbreitet werden. Daraus sollen Erkenntnisse für die Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit
und die politische Bildung gewonnen werden, die in eine zukünftige Arbeit
einfließen sollen" (Senatsverwaltung
für Schule, Jugend und Sport 2001).
Daraus folgen zwei Aspekte:
- Analyse der Projekte: In engster Zusammenarbeit mit den MitarbeiterInnen
sind sozialpädagogische Zielstellung, Zielgruppe, materielle und personelle
Ressourcen, Arbeitsmethoden und -instrumente zu ermitteln.
- Klientel der Projekte: Analyse der gegenwärtigen Denk-
und Verhaltensweisen, Aspekte der Genese von Einstellungen, durch Projekte
bewirkte Veränderungen von Verhaltensweisen und Einstellungen.
Forschungsperspektive und Forschungsdesign:
Forschungsperspektive:
- lebensweltlicher Ansatz, d. h. die Forscher übernehmen
zeitweilig die Perspektive der Jugendlichen, um deren Situation - einschließlich
ihrer Probleme - verstehen zu können.
Forschungsdesign:
- quantitativer Ansatz: standardisierter Erfassungsbogen, der
eine vergleichende Auswertung der mate-riellen, finanziellen und personellen
Ressourcen der in die engere Untersuchung einbezogenen Projekte ermöglichte.
- qualitativer Ansatz: Interviews mit Jugendlichen aus den Projekten
und den MitarbeiterInnen sowie LeiterInnen der Projekte.
Die quantitative Erhebung mittels standardisiertem Erhebungsbogen
und die qualitative Erhebung mittels Interviews ermöglichte eine kombinierte
Auswertung in Bezug auf die Projekte:
Die Interviews:
Die Interviews wurden von den Mitarbeitern des Forschungsteams
anhand eines Leitfadens durchgeführt, der viel Raum und Zeit für möglichst
freies Erzählen vor allem bei den Jugendlichen bot.
Die Seriösität der Interviewer und die Zusage der Anonymität
schufen eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der die Jugendlichen sowohl
der Aufzeichnung des Interviews auf Tonträger zustimmten, als auch über
ihre jetzigen Probleme ebenso wie über straffälliges Verhalten in
der Vergangenheit berichteten.
Themenbereiche der Leitfäden:
Interviews mit Jugendlichen
- Alltagsrealitäten - Freizeit,
Schule/Ausbildung, Freunde/Netzwerkbeziehungen
- Veränderungen in der Lebensführung/Lebenswelt
In Bezug auf: -Spezifische Ereignisse, Freizeit (Aktivitäten, Musik),
Schule/Ausbildung
- Projektbezug - Stellenwert
im Alltag, Angebote der Projekte
- Einstellungen - Politische
Einstellungen, Soziale Einstellungen
- Zukunftsvorstellungen - Privat
,Beruflich
Interviews mit MitarbeiterInnen
I. Über den Mitarbeiter selbst und das Jugendprojekt,
in dem er/sie arbeitet
- Vorschläge des Mitarbeiters über den Umgang mit
rechten Jugendlichen
- Ziel und Aufgaben des Projektes, pädagogische Konzeption
- Die persönliche Einstellung zum Nutzen des Projekts,
Erfolge und Misserfolge
- Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit im Projekt und
zur Erhöhung der Effizienz der Arbeit
- Sozio-demographische Daten über den Experten
II. Über die aus dem Forschungsprojekt entwickelten
Fragen zu den Jugendlichen
- Freizeitbereich der Jugendlichen
- Bedeutung und Nutzung der Medien für und durch die Jugendlichen
- Rolle der Schule für die Lebensgestaltung der Jugendlichen
- Rolle der Schule für die Herausbildung von Einstellungen
und Handlungsweisen
- Rolle der Arbeit für die Lebensgestaltung der Jugendlichen
- Rolle der Arbeit für die Herausbildung von Einstellungen
und Handlungsweisen
- Rolle der Infrastruktur des Nahraumes für die Lebensgestaltung
Jugendlicher
- Rolle der Familie für die Lebensgestaltung, die Einstellungen,
die Handlungsorientierungen
- Politische Einstellungen Jugendlicher
- Haltung Jugendlicher zu Projekten der Jugendarbeit
Erfassung von Projekten nach Indikatoren und Erhebungsbögen
In einer Vorerhebung wurden ca. 40 Projekte und Einrichtungen
im Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf erfasst. Zudem wurden 11 Projekte aus den
Stadtbezirken Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg-Hohenschönhausen besonders
intensiv mit Hilfe eines Erhebungsbogens befragt, der in folgende Bereiche gegliedert
war:
A. Allgemeine Kennzeichnung der Einrichtung bzw. des Anbieters
B. Angebotsprofilbogen
C. Problembogen
Neben der systematischen Befragung mit Hilfe der Erhebungsbögen,
flossen auch die Interviews mit den Sozial-arbeiterInnen der Einrichtungen sowie
die der jugendlichen BesucherInnen in die Evaluation der Projekte mit ein.
Evaluation wurde hierbei als ein Prozess verstanden, der dazu
dient, die Qualität des Projektes zu verbessern, Ressourcen aufzudecken
und nicht der Abwicklung oder Schließung des Projektes. Vielleicht noch
wichtiger als Evaluation durch Außenstehende ist die Selbstevaluation
durch die MitarbeiterInnen.
Untersuchte Projekte:
Die Auswertung ergab u.a. themen- bzw. zielgruppenorientierte
Projekte, die sich unterscheiden lassen in:
- "Akzeptierende" Ansätze
- "Arbeitsweltbezogene" Ansätze
- "Sportorientierte" Ansätze
Die verschiedenen Profile der Jugendprojekte sprechen sicher
den einen oder den anderen sozialen Typ der jungen Menschen (jugendliche Handlungstypen,
die auf den weiteren Tafeln näher beschrieben sind) stärker an.
Jugendliche Handlungstypen:
Als ein zentrales Element zeigt sich, dass die Verarbeitungs-
und Bewältigungsmuster, die bei den interviewten jungen Menschen anzutreffen
sind, nicht beliebig-zufällig kombiniert sind, sondern dass sich bestimmte
wieder-kehrende Konstellationen feststellen lassen. Für typische Kombinationen
und Verarbeitungs- und Bewälti-gungsmuster der Basisstruktur der Alltagswelt
der jungen Menschen wird der Begriff "jugendliche Handlungs-typen"
eingeführt. Von diesen konnten drei typische Konstellationen ermittelt
werden:
Typ I
- Keine besonderen Probleme mit der sozialen Umwelt
- Wenig Schwierigkeiten in der Schule
"Ich denke mal, in Naturwissenschaften bin ich sehr gut und in den anderen
Sachen stehe ich auch ganz gut, bis auf Englisch."
- Kaum Probleme mit den Eltern
- Bescheidene Zukunftspläne und ziele
"Ja, so in der Richtung irgend wat mit Computer, wat mit Technik zu tun
hat, wo ick ooch ein bisschen wat machen kann. So wat wäre schon toll."
- Wunsch nach Partnerschaft und einem Kind
"Heiraten? Nein, glaube ich nicht", und Kinder? "Ja, denke
ich mal schon. Eins mindestens."
- Schreiben sich keiner bestimmten Jugendszene zu
- Keine spezifischen Freizeitinteressen, "Abhängen"
in der Gruppe
"Aber ich treffe mich öfter mal mit Freunden. Ich hab nen Kumpel,
der macht öfter mal einen Treff und dann gehen wir irgendwo hin, in eine
Cocktailbar oder so, dann zieh'n wir durch die Straßen. Das nächste
Mal gehen wir wahrscheinlich alle Mann auf den Weihnachtsmarkt. Und so treffen
wir uns unterschiedlich, da gibt es keine be-stimmten Orte."
- Jugend- und Sportprojekte werden gelegentlich aufgesucht
- Verbreiteter Tabakkonsum, Alkohol spielt kaum eine Rolle
- Cliquen und Freundschaften stehen im Mittelpunkt
- Politik und politische Diskussionen spielen eine untergeordnete
Rolle
"Da kenn ich mich eigentlich gar nicht so aus. Ist mir eigentlich egal."
- Demokratische Wertorientierungen und Verhaltensweisen sind
gering entwickelt
- Habituierte Gewaltbereitschaft ist nicht zu beobachten
Typ II
- Beträchtliche Differenzen mit Familie, Schule
und Umwelt; fehlende soziale Bindung
"(...) ich kam mit meiner Mutter nicht mehr so klar. Ich habe keine Mutterliebe
empfangen von meiner Mutter. Die hat mir sehr dolle gefehlt. Deshalb kam ich
in der Schule nicht klar und jetzt so ab und zu in der Lehre auch nicht mehr."
- Wechselwirkung zwischen Leistungsversagen und anomischem
Verhalten
"Ja, weil mein Lebensweg ein wenig holprig war. Also weil ich erst auf
einem Gymnasium war. Dann bin ich auf die Hauptschule gegangen, weil ich völlig
demotiviert war und dachte ich schaff das nicht. Ja, dass meine Leistun-gen
einfach schlecht waren und ich auch unzufrieden war, weil ich halt dachte,
ich kann es Ja, ich hatte damals ei-ne schwierige Phase und äh habe viel
geschwänzt, Drogen genommen etc. Und hab's dann nicht geschafft, also
ich habe so oft gefehlt, dass ich letztendlich keine Bewertung bekommen habe
und es nicht geschafft habe. Und es wur-de mir ans Herz gelegt, das Gymnasium
zu verlassen."
- Zugehörigkeit zu geschlossenen Cliquen, in denen
sich selbst gesetzte Normen und Verhaltensweisen verfestigen
- Latente Drogenproblematik (vorwiegend Haschisch, Marihuana
und "Partydrogen")
"Na Haschisch, nur Haschisch. Alkohol zum Teil auch, ja (
) ich
war damals in einer Clique, die auch viel Party gemacht hat und sich auch
nicht dafür eingesetzt hat, den Abschluss gut hinter sich zu bringen."
- Ordnen sich keiner bestimmten Jugendszene zu
- Sympathien für "linke" Gruppierungen
- Problembündelung verhinderte Lösung eigener
Entwicklungsaufgaben
Typ III
Es lassen sich drei, gemeinhin rechtsextrem orientierte
Gruppierungen unterscheiden:
Gruppierung 1:
- Grundstruktur wie Handlungstyp II
- Versagen bei der Lösung von Entwicklungsaufgaben und
daraus resultierendes anomisches Verhalten
"Ich hatte viel Stress mit den Eltern. Es gab keinen Abend wo es mal
ruhig war, immer nur Geschrei wegen der Clique und den Sachen, die vorgefallen
sind. Ich hatte für zu Hause gar kein Interesse mehr, auch für die
Schule kein Interesse mehr. Und irgendwann wollte ich das Ganze nicht mehr.
Da kam ich dahinter, dass es Schwachsinn ist. Ich habe auch von den eigenen
Leuten auf die Fresse bekommen."
- Rauchen und Alkohol (seltener Drogen) spielen eine dominante
Rolle im Freizeitverhalten
"(
) jeder hatte dann ne Reisetasche oder nen Rucksack bei, die
hab'n wir dann gefüllt mit Alkoholflaschen ohne Ende, immer die Hochprozentigen.
Denn sind wa raus, da haben wir uns hingestellt, da an die Eisbahn, haben
gesoffen."
- Verstärktes Eingreifen von Ordnungskräften und
Jugendämtern
"Ich hab 240 Arbeitsstunden bekommen, weil es die erste Anzeige war,
die ich bekommen hab. Aber danach ging's halt mit den Anzeigen Schlag auf
Schlag dann."
- Rechtsextreme Denk- und Verhaltensmuster werden angenommen,
um das kriminelle Verhalten zu legitimieren
"Ja, det warn eigentlich so die Leute, det war zur Schulzeit, (
)
und naja halt, wie jesagt, da jibts halt Streit mit den Schülern und
denn hat man sich doch mal jejenseitig in de Schule uf de Fresse jekloppt
(
) naja nu, wenn alle mit Springerstiefeln da langlofen, und so, denn
muß ick det natürlich och, also, ick muß et nich, aber, ick
fand et zu der Zeit, fand ick det einfach jut."
- Politische Auffassungen sind häufig nur plakativ,
während Gewalt und anomische Verhaltensweisen in-ternalisiert und habituiert
sind
Gruppierung 2:
- Probleme mit Elternhaus und Schule
"Die meisten, ja kaum einer ist aufs Gymnasium gegangen, die meisten
haben ziemlich früh die Schule abgebro-chen, so 8. Klasse, waren auf
sich selbst gestellt."
- Bekenntnis und Zugehörigkeit zur Skinheadszene
"Das war meine wilde Zeit damals (
) 11. Klasse war schlimm bei
mir mit Stiefel, Glatze, Bomberjacke. Da war ich voll Skinhead. Da war ich
tief in der Szene."
- Häufiger Alkoholkonsum und Gewaltaffinität
- Keine Bindung an politische Gruppierungen, werden aber von
rechten Parteien instrumentalisiert
- Starkes Interesse an: 2tem Weltkrieg, Wehrmacht und Bundeswehr
Gruppierung 3:
- In rechte Parteien oder ihre Gliederungen fest eingebunden
"Wir sind ja die Jugendorganisation von der NPD. Wir unterstützen
die und versuchen neue Mitglieder zu werben."
- Verfestigte rechte Ideologien: Pflege des germanisch-völkischen
Brauchtums, nationalsozialistische Überzeugungen, "Kameradschaften"
"Da gibt es gewisse Stützpunkte in Berlin, z. B. Nord-Ost und so
was. Da treffen sich aus einzelnen Bezirken die Leute immer, (
) es wird
auch mal gesungen. Dann machen wir Fahrten, so Zelten."
- Organisierte Bildungsarbeit
"Dann zeigen sie so politische Blätter, so zur politischen Bildung,
mit Geschichte und so. Dann sprechen wir das zusammen durch."
- Tendenziell erkennbarer Gewaltverzicht, weniger delinquentes
Verhalten
Und Judenvernichtung?"Das finde ich nicht gut. Eigentlich empfinde ich
Hass auf die Leute, die so was gemacht haben. Aber das ist noch nicht lange
so."
- Starkes Interesse an: 2tem Weltkrieg, Wehrmacht und Bundeswehr
"Mal zu wissen, wie das alles zustande gekommen ist, wieso, warum und
auch davor die Zeit, wie es da mal war."
Was bleibt zu tun?
Die Frage, die hier zu beantworten bleibt, ist die nach der Rolle
der Jugendhilfe speziell von Jugend(sozial)arbeit im Zusammenhang mit Rechtsextremismus
und Gewalt. Jugend(sozial)arbeit kann Rechtsextremismus nicht überwinden.
Das kann nur Politik. Jugend(sozial)arbeit kann aber in Zusammenarbeit mit anderen
Einrichtungen, Institutionen und der Öffentlichkeit:
- einer Jugendkultur der Rechten politisch neutrale Handlungsorientierungen
in der Freizeit entgegensetzen bzw. Jugendkulturen fördern, die
humanistischen und demokratischen Idealen verpflichtet sind.
- gezielte Freizeitangebote machen, die den Interessen
und Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechen.
- durch sinnvolle Freizeitangebote für Jugendliche
deren Rechtsextremismus sowie Gewaltbereitschaft und -akzeptanz in der
Öffentlichkeit einschränken und damit zur Befriedung beizutragen.
- durch Konzentration auf sportliche Aktivitäten
habituierte Gewaltakzeptanz und Gewaltverhalten abbauen und in sinnvolle
Bahnen lenken
- mithelfen, dass SchülerInnen, die Schwierigkeiten
unterschiedlichster Art haben, elementare Entwicklungsaufgaben zu bewältigen,
Möglichkeiten finden, diese nachzuholen.
- Leistungs- und Schulversagen verhindern durch bessere
Abstimmung und Kooperation von Elternhaus, Schule und Schulsozialarbeit.
- Etikettierung vermeiden und Jugendliche als Persönlichkeiten
respektieren.
- Gruppen mit anomischem und deviantem Verhalten durch
Aufsuchende Sozialarbeit erreichen.
- politische Bildung etablieren, aber nicht primär
kognitiv, sondern affektiv und lebensweltbezogen.
- Toleranz und Zivilcourage einüben.
|
Download
des vollständigen Abschlussberichts (pdf-Datei, 569kb, 162 Seiten)