(1) Obwohl als Medienthema nur noch eine Randerscheinung und trotz grosser Befürchtungen hinsichtlich des internationalen Terrorismus fundamentalistisch-islamischer Spielart ist es nach wie vor besonders der Rechtsradikalismus, der heute die Demokratie in Deutschland herausfordert. Der gegenwärtige Rechtsradikalismus ist aber kein einheitlicher Block von Organisationen und Gruppen, die schnell geortet und bekämpft werden können. Er erscheint in vielen Facetten und begegnet einem in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen und sozialen Prozessen. Auch die Träger rechtsradikaler Ideologie sind nicht immer auf den ersten Blick als solche zu erkennen.
Die Existenz rechtsradikaler Organisationen gehört zu den Konstanten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Betrachtet man das aktuelle Erscheinungsbild der radikalen Rechten in der Bundesrepublik, dann dominieren auf den ersten Blick die drei Parteien DVU, NPD und Republikaner. Mit zusammen etwa 33.000 Mitgliedern organisierten sie 2001 ca. 66,4% der amtlich erfassten Rechtsradikalen (1999 waren es noch ca. 72%) und sollen nach Recherchen der Frankfurter Rundschau (vom 5.8.2000) zwischen 1990 und 2000 staatliche Zuschüsse von insgesamt 71,5 Millionen DM erhalten haben. Tatsächlich aber zeigt sich das rechtsradikale Parteienspektrum in einem desolaten Zustand. Die NPD hat in den letzten Jahren bei keiner Landtags- oder Bundestagwahl mehr über 1% der Stimmen erzielen können und hat die ernsthafte Teilnahme an Wahlen praktisch zugunsten des Kampfes um die Straße und um die Köpfe aufgegeben. Allenfalls wird noch die bei mehr als 0,5% der Stimmen fällige Wahlkampfkostenerstattung kassiert, was allerdings bei der Bundestagswahl 2002 nicht einmal gelang. Auch die Republikaner schnitten jüngst sehr schlecht bei Wahlen ab (BTW 2002: 0,6%) und flogen in Baden-Württemberg aus dem letzten Landesparlament raus. Presseberichten zufolge, steht die Partei außerdem aufgrund von Forderungen der Finanzämter vor dem Ruin (Vgl. Michael Stiller, "Republikaner stehen vor dem Ruin", in: Süddeutsche Zeitung vom 8.3.2003). Die DVU schließlich, die erst garnicht zur letzten Bundestagswahl angetreten war, steht vollkommen unter dem Regime des Vorsitzenden und Übervaters Dr. Gerhard Frey. Folgen sind ein kaum ausgeprägtes Parteiinnenleben und rückläufige Mitgliederzahlen, was die DVU zu einer Phantompartei macht, die hauptsächlich zum Vertrieb von Freys Druck- und Medienerzeugnissen dient. Das Parteinspektrum ist also der am wenigsten vitale Teil der radikalen Rechten in Deutschland.
Hohe Signifikanz erhält die radikale Rechte mittlerweile auf andere Weise. Gegenwärtig besteht eine vitale rechtsradikale soziale Bewegung in Deutschland, die über eine starke kollektive Identität und, zumindestens in einem qualitativen Sinne, über eine hohe Mobilisierungsstärke verfügt (vgl. Grumke 2003). Den Bewegungskern bilden Bewegungsunternehmer aus NPD/JN, Blood&Honour oder Bündnis rechts, aber auch Kameradschaftsführer, rechtsintellektuelle Zirkel sowie einschlägige Musik- und Medienproduzenten bzw. -vertreiber (vgl. die ausführliche Darstellung in Grumke/Wagner 2002).
Die zentrale Bedeutung der rechtsradikalen Bewegung liegt bei der erfolgreichen Schaffung und Festigung rechtsradikaler (Jugend)Milieus und des - oft in einen lokalen rassistischen Konsensus eingebetteten - Etablierens kultureller Hegemonien, in denen z.B. eine örtliche Kameradschaft auch die Definitions- und Identifikationsmacht übernimmt. So verbindet sich das diffus rechtsradikale Milieu und wird durch Orientierungen, Gruppen und Teilbewegungen verdichtet. Als kollektives Deutungsmuster der Akteure fungieren u.a. Ideologiefragmente des völkischen Nationalismus, vor allem die Ethnisierung der sozialen Beziehungen und ihre Folgewirkungen auf Migrations-, Asyl- und Ausländerpolitik. Demnach wird die radikal rechte Bewegung stabilisiert durch den Versuch der Abwehr von Modernisierungs- und Individualisierungsprozessen, der sich programmatisch in der Forderung nach ethnischer Homogenität ausdrückt. Auf diese Weise bildet sich eine stark mit sich selbst befaßte, geradezu selbstreferenzielle Bewegung mit einer fundamentaloppositionellen Lagermentalität, die allerdings in der Lage ist, für die von ihr aufgebrachten Themen und Forderungen - besonders mit dem master frame Asyl- und Ausländerpolitik, gewendet zu kultureller oder ethnischer "Überfremdung" - ist hier in einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung Resonanz zu finden. Dies haben jüngste empirische Studien einer Forschungsgruppe um Professor Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld (vgl. Heitmeyer 2002) sowie von Professor Oskar Niedermayer (Freie Universität Berlin) und Professor Elmar Brähler (Universität Leipzig; vgl. Niedermayer/Brähler 2002) zum wiederholten Male deutlich nachgewiesen. Die gesellschaftlichen Kontextstrukturen, in denen sich alle politischen Akteure bewegen, sind also für die radikale Rechte trotz eines starken Staates, dem ein wahres Arsenal juristischer Maßnahmen zur Verfügung steht (von der Poenalisierung des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach §86a bis zum Parteienverbot), nicht schlecht.
(2) Eine Reihe eklatanter Schwächen bei den im sog. "Antifa-Sommer" 2000 (oder "Aufstand der Anständigen", je nach Geschmack) mit heißer Nadel gestrickten Regierungsprogrammen gegen rechts (vgl. Roth 2003) als auch in einem Teil der Projekte gegen Rechtsradikalismus selbst, die jüngste Forderung des Bundesrechnungshofes, diese Programme auf ihre Effektivität überprüfen zu lassen sowie die wachsende Front von Gegnern der zivilgesellschaftlichen Arbeit gegen rechts per se, die von CDU/CSU bis zur Jungen Freiheit reicht, lassen befürchten, dass nach dem absehbaren Abwickeln bzw. Verschwinden eines Großteils der vor allem in den neuen Bundesländern aktiven Projekte sich die Kontextstrukturen für die rechtsradikale Bewegung vor allem hinsichtlich der kulturellen Resonanz noch einmal verbessern wird.
So gab zum Beispiel der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Wolfgang Götzer in einem Interview mit der Jungen Freiheit (Nr. 10/03 vom 28.2.2003) im Zusammenhang mit der von ihm und Fraktionskollegen erwirkten Fragestunde zu den Programmen gegen rechts zu besten, es stehe "außer Frage [...], dass der Kampf gegen Extremismus eine staatspolitische Notwendigkeit" sei: "Der von linken Gutmenschen inszenierte Kampf gegen rechts' hat damit aber wenig zu tun". Auf die Frage "Ist der Kampf gegen rechts' nun am Ende" antwortete Götzer: "Leider nein, aber die Fragestunde war ein Anfang". Ein weiterer Beleg ist die fast vollständige Schließung des Vereins Miteinander, des mit Abstand größten Trägers von Projekten gegen Rechtsradikalismus in Sachsen-Anhalt, durch die CDU/FDP-Landesregierung mit dem eindeutigen Hinweis, dies geschehe wegen "politischer Einseitigkeit".
Wenn es bestimmte zivilgesellschaftliche, demokratiefördernde Institutionen gerade im ländlichen Raum nicht mehr geben wird, ist die rechtsradikale Bewegung ihrem Ziel einer kulturellen Hegemonie ein gutes Stück näher gekommen. Um so mehr steht fest, dass die Bekämpfung des Rechtsradikalismus sich nicht auf die Bekämpfung seiner Organisationen reduzieren kann, sondern vor allem auf die Stärkung einer nachhaltigen demokratischen Kultur konzentriert sein muß. Gerade staatliche Repression und Verbote gegen die radikale Rechte sind nicht notwendigerweise mobilisierungshemmend, sondern verstärken das Selbstverständnis als verfolgte Gruppe von Aufrechten bzw. als "nationaler Widerstand", d.h. die kollektive Identität. Es wäre also in vieler Hinsicht tragisch, wenn auch durch selbst verschuldete programmatische, strukturelle oder auch personelle Problemlagen die so dringend wie eh und je notwendige zivilgesellschaftlich-demokratische Gegenmobilisierung zum Erliegen käme.
(3) Im Jahr dreizehn der deutschen Einheit sind erhebliche Verschleißerscheinungen der repräsentativen Demokratie im Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung festzustellen. Die Förderung von demokratischem Handeln und Bürgerengagement ist angezeigt, denn antidemokratische Diskurse im politischen Spektrum verbreitern und intensivieren sich. Dabei stehen die Ethnisierung der Betrachtung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie Absagen an die Menschenrechte im Mittelpunkt. Besonders soziale Konflikte werden oft über die "Ausländerfrage" ausgetragen und mit ihr verquickt. Es kommt zur Ausprägung einer Kontrastgesellschaft, die der demokratischen Bindung nicht bedarf. Gewalt gegen sog. "Undeutsche" und "Ausländer" ist fester Bestandteil dessen.
In Deutschland besteht ein Netzwerk von heterogen rechtsradikal orientierten Gruppierungen, die auf kommunaler Ebene als kulturelle, politische und geistige Institution fest etabliert und vielfach in der Öffentlichkeit dominant sind. Gleichzeitig bröckelt, wie an wenigen Beispielen angedeutet, der zivilgesellschaftliche Kampf gegen rechts nach und nach ab. Darüber hinaus bieten die leider teilweise unprofessionell geführten und weitgehend sich selbst überlassenen Projekte gegen rechts reichlich Angriffsfläche für Kritiker, denen diese - aus ihrer Sicht prinzipiell unter Linksradikalismusverdacht stehende Arbeit - von Anfang an ein Dorn im Auge war. Gerade in Zeiten prekärer Staatsfinanzen wird es ein Leichtes sein, die Beendigung der von vornherein hochproblematischen, staatlich alimentierten Programme gegen rechts zu erklären. Der zu vernehmende Plan, die jeweiligen Projekte nach und nach in die Verantwortung der Länder zu überführen, ist aufgrund der desolaten Finanzen dort keine Alternative. Entweder es gelingt sehr bald, die bestehenden Projekte und Netzwerke gegen Rechtsradikalismus auf eine konzeptionell und nicht zuletzt personell professionelle Basis unter ausdrücklichem Einschluss von Evaluation und klassischem Fundraising zu stellen oder sie werden zwischen politischen, finanziellen und ideologischen Problem- und Interessenslagen zerrieben.
Obwohl Selbstkritik bekanntlich die schwerste Kritik ist, muß sie der Anfang sein, wenn die gesamtgesellschaftlich so wichtige zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsradikalismus nachhaltig bestehen bleiben soll.
Literatur:
Grumke, Thomas (2003): "'Und sie bewegt sich doch'. Die rechtsradikale
soziale Bewegung", in Dieter Rucht/Roland Roth (Hrsg.), Handbuch soziale
Bewegungen, Frankfurt/Main (Campus Verlag), im Erscheinen.
Grumke, Thomas/Wagner, Bernd (Hrsg.) (2002): Handbuch Rechtsradikalismus. Personen
- Organisationen - Netzwerke, vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft,
Opladen (Leske + Budrich).
Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2002): Deutsche Zustände. Folge 1, Frankfurt/Main
(Suhrkamp).
Niedermayer, Oskar/Brähler, Elmar (2002): Rechtsradikale Einstellungen
in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im April 2002,
unveröffentlichtes Manuskript.
Roth, Roland mit Anke Benack (2003): Bürgernetzwerke gegen Rechts. Evaluation
von Aktionsprogrammen und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit,
Bonn (Friedrich-Ebert-Stiftung).