"Aus dem Osten kommt die Gewalt"- Überlegungen zur Statistik rechtsextremistischer Straftaten
Frank B. Halfar

In der Kriminologie ist das Phänomen der "gefühlten Bedrohung" so bekannt wie die gefühlte Temperatur (der sogenannte "Windchill-Faktor") im Wetterbericht. Genau so wie das Kälteempfinden nicht allein von der gemessenen Temperatur abhängt, so ist das Sicherheits- oder Bedrohungsgefühl nicht allein eine Frage der objektiven Gefährdung, sondern hängt von vielen weiteren Faktoren ab. Die hier gegenübergestellten Statistiken stellen einen Versuch dar, durch Fakten die Gefährdung von typischen Opfern rechtsextremer, fremdenfeindlicher, rassistischer Gewalt darzustellen, ohne dieses Phänomen zu verkennen.

Jede Statistik sieht sich Vorbehalten ausgesetzt. Insbesondere ist bei der Untersuchung dieses Gegenstandes in Erinnerung zu halten, dass die Dunkelziffer bei ausländerfeindlichen Übergriffen erheblich ist. Tatsächlich werden aus verschiedenen Gründen etliche Vorfälle nicht angezeigt, die Angst vor Racheakten der Täter oder mangelndes Vertrauen in die Polizei werden am häufigsten als Motive für diese falsche Zurückhaltung genannt. Deswegen muss mit Sicherheit angenommen werden, dass die tatsächlichen Zahlen weitaus höher sind als das vorgelegte Zahlenwerk sie wiedergibt.
Ein weiterer Punkt ist die Klassifizierung der Vorfälle durch die Statistik selbst. Was ist ein schweres Vergehen, was eine Ordnungswidrigkeit, die aufzunehmen eine Übertreibung und somit Verfälschung der Statistik bedeuten würde? Die Wahrnehmung eines Polizisten oder eines Ministerialbürokraten wird hier oft eine sehr andere sein als die eines Opfers. Dies wird dramatisch klar angesichts der Kritik, die die Darstellung rechtsextremer Gewalt der Bundesregierung gefunden hat, deren Zahlen von der Summierung der entsprechenden Berichte der einzelnen Bundesländer teilweise drastisch nach unten abwichen.

Dennoch kann eine um Objektivität bemühte Betrachtung nur von den Zahlen ausgehen, wie sie Statistisches Bundesamt und Landesämter, Bundeskriminalamt, Ausländerbeauftragte und andere mit der Materie Befasste zur Verfügung stellen. Diese bilden nicht zuletzt auch die Grundlage für den Gesetzgeber, Politik, Justiz und Verwaltung. Die Schlussfolgerungen lassen denn auch ein klares Bild aufkommen. Während die fünf neuen Bundesländer in der Tabelle 2, die den prozentualen Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung auflistet, die fünf letzten Plätze belegen, steht Brandenburg in der Tabelle 3 (rechtsextrem motivierte Brandanschläge und Angriffe gegen Personen), gemeinsam mit NRW an erster Stelle, Sachsen folgt bereits an dritter.

Nicht weniger anschaulich ist der Vergleich der drei Stadtstaaten, die zu den Spitzenreitern beim Anteil ausländischer Mitbürger gehören, aber in der "Schandliste" der schweren Straftaten Plätze an den entgegengesetzten Enden einnehmen, Berlin weit oben, die westlichen Vertreter Hamburg und Bremen ganz unten, wo also die Präsenz rechtsextrem motivierter schwerer Gewalt eine verhältnismäßig geringe ist. Die "Ostlastigkeit" fremdenfeindlich motivierter Gewalt tritt in beiden Fällen deutlich hervor.

Die Tabelle 4 bedarf einer besonderen Anmerkung. Sie ist der statistischen Ehrlichkeit halber Teil dieser Studie, relativiert aber die Aussage der "Schandliste" nicht annähernd so, wie ein erster Blick dies suggerieren mag. Bei den meisten Ländern ist hier eine Annäherung an den Rangplatz beim Anteil der ausländischen Bevölkerung zu konstatieren. Wenn also hier gefolgert werden könnte, dass es mehr rechtsextreme Vergehen dort gibt, wo auch vermehrt Nichtdeutsche leben, würde das genau den eingangs geschilderten Faktor der gefühlten Bedrohung verkennen. Denn die schweren Vergehen haben einen völlig anderen, ungleich schwerwiegenderen sozialen und psychischen Effekt als die hier mitgemessenen Taten insgesamt.

Die Kriminalitätsfurcht, die von der Bedrohung durch rechtsextreme Schläger oder Brandstifter verursacht wird, mindert objektiv Lebensqualität, wie auch der periodische Sicherheitsbericht der Bundesregierung zur Kriminalitätsfurcht allgemein festhält: Sie führt zu "Schutzvorkehrungen und Vermeideverhalten, insbesondere zur Reduzierung von Aktivitäten, zur Lockerung von sozialen Beziehungen bis hin zur Isolation. (Etwa) das Meiden von als gefährlich eingestuften Straßen, Plätzen oder Verkehrsmitteln kann sogar dazu führen, dass diese später einmal tatsächlich unsicher werden." Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit die zurückhaltende Formulierung "kann" in bestimmten Teilen beispielsweise Brandenburgs nicht längst von den Entwicklungen ein- und überholt worden ist.

Ein Baseballschläger schwingender oder Hetzparolen brüllender Täter wird sich durch Zahlen, Fakten und Argumente kaum beeindrucken oder gar zum Umdenken anregen lassen. Mit dieser Ernüchterung muss jeder leben, auch und gerade derjenige, der sich antirassistisch engagiert. Doch was auch die hier vorgelegten Zahlen wieder zeigen, darf schließlich nie vergessen werden: Der Gewalttäter hat die Fakten gegen sich.

1. Rangliste der 16 Bundesländer nach absoluter Gesamtzahl der dort lebenden ausländischen Bürger
Quelle: Statistisches Bundesamt 2002, Zahlen vom 31. 12. 2001, aktualisiert am 13. Nov. 2002

 

2. Rangliste der 16 Bundesländer nach dem Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung
Quelle: Statistisches Bundesamt 2002, Zahlen vom 31. 12. 2001, aktualisiert am 13. Nov. 2002

 

3. Rangliste (Schandliste) der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten schwerer Art (Brandanschläge und Angriffe gegen Personen)
Quelle: Angaben des BKA, zitiert in Info-Zentrum für Rassismusforschung, Zahlen für das Jahr 1999 (prozentuale Umrechnung und Rangaufstellung vom Autor)

(Angabe in absoluten Zahlen und Anteil an den insgesamt aufgenommenen Straftaten)

 

4. Rangliste der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten insgesamt (obige plus sonstige Straftaten)
Quelle: Angaben des BKA, zitiert in Info-Zentrum für Rassismusforschung, Zahlen für das Jahr 1999 (prozentuale Umrechnung und Rangaufstellung vom Autor)
(Angabe in absoluten Zahlen und Anteil an den insgesamt aufgenommenen Straftaten)


5. Zusammenfassende Gegenüberstellung der in den Diagrammen gezeigten Zahlen

  1. Ausländer absolut (Rang) 2. Ausländer prozentual (Rang) 3. schwere Straftaten (Rang) 4. Straftaten insgesamt (Rang)
Baden-Württembg. 2 3 8 3
Bayern 3 7 10 4
Berlin 6 2 4 12
Brandenburg 13 12 1 5
Bremen 12 4 15 15
Hamburg 8 1 14 14
Hessen 4 5 13 8
Meckl.-Vorp. 16 14 5 13
Niedersachsen 5 10 5 2
NRW 1 6 1 1
Rheinland-Pfalz 7 9 9 9
Saarland 11 8 15 16
Sachsen 10 12 3 6
Sachsen-Anhalt 14 16 7 9
Schleswig-Holstein 9 11 12 7
Thüringen 15 15 11 11

Anmerkung: Verwendet wurden jeweils die aktuellsten verfügbaren Daten, wobei in Kauf genommen wurde, dass die Jahresangaben nicht korrespondieren (2001 bei Bevölkerung, 1999 bei Straftaten). Zur Absicherung wurde ein Vergleich mit den Bevölkerungszahlen von 2000 durchgeführt, der vernachlässigbare Abweichungen ergab.