Analyse der rechtsextremen Szene in Berlin
in Redaktion des Zentrums Demokratische Kultur

Personenpotential
Laut Landesamt für Verfassungsschutz umfasst die rechtsextreme Szene in Berlin rund 3000 Personen. (Angaben für 1999) Davon werden 740 als gewaltbereit eingestuft, also etwa 25%. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 17%, also deutlich niedriger. Seit Jahren ist ein nomineller Anstieg sowohl des gesamten rechtsextremen Personenpotentials, als auch des gewaltbereiten Teiles zu verzeichnen. Hierbei ist beachtenswert, dass der Anteil der gewaltbereiten Rechtsextremisten prozentual stärker ansteigt, als der Rest der Szene. Dieser Trend steht ebenfalls dem bundesweiten Trend der Abnahme des rechtsextremen Personenpotentials entgegen.

Dieses Personenpotential lässt sich grob in 4 Gruppen einordnen:

Einstellungspotentiale
Nach einer von der Ausländerbeauftragten des Senats, Barbara John, in Auftrag gegebenen Studie unter deutschen Jugendlichen im Alter von 16-25 Jahren bekundeten zwar nur noch 1% der Befragten Zustimmung für rechtsradikale Parteien (1998:5%), aber 23% äußerten ein gewisses Verständnis für rechtsradikale Ansichten. Auch wenn rechtsextreme Parteien in der übergroßen Mehrheit abgelehnt werden, so sind rechtsradikale Items zu Detailfragen sehr stark verbreitet. 12% der Jugendlichen geben Ausländern die Schuld an der Arbeitslosigkeit, 32% lehnen die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften ab, 21% lehnen Moscheen in Berlin ab und 15% befürworten die Ausweisung krimineller Ausländer.

Obwohl beispielsweise in den östlichen Bezirken 33% der Befragten angaben, dass in ihrer Nachbarschaft fast keine Ausländer wohnen, so empfinden dennoch 26%, dass in Deutschland zu viele von ihnen leben. Diese Zahlen stehen im Einklang mit der weitverbreiteten Fehleinschätzung des Ausländeranteils in der Stadt. Von den Befragten wurde ein Durchschnittswert von 660.000 Ausländern in Berlin geschätzt, lediglich 20% konnten die Zahl (450.000) korrekt angeben.

Kurzer historischer Abriss der Entwicklung der rechtsextremen Szene in Berlin:
Aufgrund der besonderen Verhältnisse in Berlin war Rechtsextremismus hier bis 1989, sowohl in West- als auch in Ost-Berlin, ein Problemfeld, welches nahezu ausschließlich außerhalb von Parteiverbänden und öffentlichen Auftritten, sondern vielmehr in losen Personenzusammenschlüssen, im subkulturellen Bereich und in kleinen Zirkeln angesiedelt war. Wegen der Verbote von Parteitagen und Kundgebungen seitens der Westalliierten fand z.B. das Parteileben des seit 1966 in Berlin aktiven Landesverbandes der NPD fast ausschließlich in internen Zusammenkünften statt. Öffentlichkeitswirksamkeit wurde dadurch nicht erzielt. Aufgrund der räumlichen Trennung vom übrigen Bundesgebiet, und damit von den jeweiligen Parteizentralen, waren die Landesverbände weitgehend auf sich allein gestellt, die spezifischen Berliner Probleme wiederum spielten in den Parteizentralen eine untergeordnete Rolle, wodurch die verbreiteten Propagandamittel wenig Wirkung auf die Berliner Bevölkerung erzielen konnte. Lediglich die Nationalistische Front (NF) hatte neben ihrer Zentrale im Bundesgebiet auch in Berlin einen wichtigen Stützpunkt.

Erst mit dem politischen Wandel in der Sowjetunion änderte sich die starre Haltung der Alliierten in Bezug auf rechtsradikale Organisationen und Veranstaltungen. 1987 gründete sich ohne Einwände der Alliierten der Landesverband der "Republikaner", der es mit massiver Öffentlichkeitsarbeit schaffte, die allgemeine Politikverdrossenheit für sich auszunutzen und bereits zwei Jahre nach seiner Gründung 7,5% der Stimmen zum Berliner Abgeordnetenhaus gewinnen konnte. Jedoch setzte sehr bald die Ernüchterung über diesen Wahlerfolg ein. Nach etlichen internen Querellen und der immer stärker werdenden Offensichtlichkeit des Charakters der Partei, der sich im politischen Tagesgeschäft, im Gegensatz zum Wahlkampf nur schwer hinter platten Parolen verbergen ließ, sank dieser Anteil bereits bei den ersten Gesamtberliner Wahlen ein Jahr später auf knapp 3% ab.

In Ost-Berlin stellte sich die Situation ähnlich dar. Nach Vorstellung der SED konnte es in einem Arbeiter- und Bauernstaat keinerlei rechtsextremistische Kräfte geben, Parteigründungen, oder gar öffentliche Veranstaltungen waren daher unmöglich. Dennoch gab es auch in Ost-Berlin eine straff organisierte Szene von rechtsextremistischen Zirkeln und Einzelpersonen. Neben subkulturell geprägten Gruppen, welche vorwiegend bei Fußballspielen in größerer Anzahl auftraten, waren sehr viele rechtsextremistische Skinheads in den diversen staatlichen Organisationen aktiv. Besonders die sogenannten "FDJ-Ordnergruppen" und die GST (Gesellschaft für Sport und Technik) waren ein ideales Auffangbecken für militante rechtsextreme Jugendliche.

Mit dem Überfall von Ost- und Westberliner Skinheads und Hooligans auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche wurde dieses Problempotential erstmals auch in den DDR-Medien erwähnt und damit auch öffentlich diskutiert und verurteilt. Dennoch hatten große Bevölkerungsteile eher Sympathie mit rechtsextremistischen Skinheads als mit linksalternativer Subkultur, waren doch "preußische Tugenden" wie Fleiß, Mut, Stärke, Handlungs- und Leistungsbereitschaft Charaktereigenschaften die gleichlautend sowohl von der SED als auch von Rechtsextremisten vertreten wurden.

In der Zeit des politischen Umbruchs in der DDR nutzen Rechtsextremisten das sich im Ostteil der Stadt gebildete Machtvakuum und traten insbesondere innerhalb der als Ableger der Kühnenbewegung gegründeten "Nationalen Alternative" massiv und äußerst militant in Erscheinung. Auch wenn es sowohl in der BRD als auch in der DDR fremdenfeindliche Übergriffe gegeben hatte, so war dieses Ausmaß an politisch rechts motivierter Gewalt eine völlig neue Entwicklung. Die Parteizentrale der NA befand sich in mehreren besetzten Häusern in der Lichtenberger Weitlingstrasse, welche sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Anlaufpunkt für gewaltbereite Rechtsextremisten aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland, sowie zum Ausgangspunkt verschiedenster äußerst brutaler Übergriffe entwickelte.

Nach der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften glichen sich auch die Verhältnisse langsam aber stetig einander an. Seit 1990 ist es keiner der rechtsextremistischen Parteien mehr gelungen bemerkenswerte Resultate zu erzielen. Die Republikaner verloren ihre Abgeordneten-Mandate. Die 1998 zur Bundestagswahl erstmalig in Berlin angetreten DVU blieb berlinweit sogar noch hinter den Republikanern zurück, auch wenn sie im Ost-Berlin, ähnlich wie in den fünf neuen Bundesländern, mehr Stimmen auf sich vereinigen kann, als die Republikaner. Lediglich auf lokaler Ebene gelang den Republikanern der Einzug in einige Parlamente. Durch die Öffnung der NPD für militante Neonazistrukturen, insbesondere der Zusammenarbeit mit Kameradschaftsstrukturen, konnte die NPD 1999 im Berliner Bezirk Marzahn mit knapp 3% einen Achtungserfolg erzielen, auch wenn ein Mandat knapp verfehlt wurde.

Überblick über in Berlin aktive Gruppen und Einzelpersonen:
Die zahlenmäßig stärkste Kraft im Bereich Rechtsextremismus in Berlin ist die Partei "die Republikaner" mit ca. 750 Mitgliedern, gefolgt von der DVU mit 630 eingetragenen Mitgliedern, welche jedoch ausserhalb des Wahlkampfes kaum eine politische Rolle in Berlin spielen. Einen NPD-Mitgliedsausweis hab lediglich 220 Berliner. Dennoch ist die NPD und ihr Jugendverband ("Junge Nationaldemokraten" - JN) die derzeit aktivste rechtsextreme Organisation. Nach dem Umzug der Bundesgeschäftsstelle der NPD nach Berlin Köpenick und des Parteivorsitzenden Udo Voigt nach Henningsdorf versucht die NPD die Region Berlin/Brandenburg zu ihrer zweiten Bastion (neben Sachsen) auszubauen. Hierzu ist einen stetige Zusammenarbeit mit der Berliner Kameradschaftsszene notwendig. Dieser Schritt wurde Mitte 1999 mit der Wahl des Berliner Neonazis Frank Schwerdt in den NPD-Vorstand auch offiziell vollzogen. Im Gegenzug rief er die Kameradschaftsszene auf, sich ebenfalls der NPD anzuschließen, was zu erheblichen Auflösungserscheinungen und einem beachtlichen Mitgderschwund (-22% innerhalb eines Jahres) führte. Ein weiteres personelles Bindeglied zwischen Kameradschaftsszene und NPD ist der Vorsitzende des NPD-Bezirksverbandes, stellvertretender Bundesvorsitzender der JN und Listenführer der NPD bei den Berliner Abgeordnetenhaus-Wahlen, Andreas Storr der gleichzeitig Führungskader der Kameradschaft Marzahn ist.

Derzeit existieren in Berlin 8 sogenannte Kameradschaften. Diese auf den ersten Blick losen Personenzusammenschlüsse sind zum Teil sehr straff durchorganisiert und kooperieren sehr stark untereinander. Dieses Organisationsmodell ist nach dem Verbot der FAP 1995 ursprünglich als Weiterführung der FAP-Ortsgruppen entstanden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der ehemalige Berliner FAP-Chef, Lars Burmeister zeitweilig 5 dieser 8 Kameradschaften unter seiner Kontrolle hatte.

Die im Jahre 2000 verbotene Skinhead-Organisation "Blood&Honour" hatte einen ihrer regionalen Schwerpunkte in Berlin. Nach dem Verbot bestehen die Strukturen weiter, das Vereinshaus wird unter anderem Namen weitergeführt und es wurden sogar ein CD-Sampler unter dem Titel "Blood&Honour Brandenburg" mit vornehmlich Berliner Skinhead-Bands produziert und vertrieben.

Die "Ariogermanische Kampfgemeinschaft Vandalen" tritt zwar kaum politisch in Erscheinung, jedoch erreichte sie durch die Organisierung von Szeneveranstaltungen und die Tatsache, dass die meisten Mitglieder schon zu DDR-Zeiten in der Szene aktiv waren, hohes Ansehen innerhalb der Szenen. Die etwa 15 Personen starke Neonazi-Funktionärs-Gruppe ist zwar subkulturell eher in der Metall-Szene verwurzelt, dennoch spielen einzelne Mitglieder in der Band "Landser". Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Clubhaus der Vandalen Landser in der Vergangenheit sowohl als Probe- als auch als Konzertraum diente.

Insgesamt verfügen die Berliner Rechtsextremisten über eine sehr gut funktionierende Infrastruktur. Neben dem NIT Preußen und dem NIT der Berliner Republikaner besonders interessant ist die Verbreitung des Medienprojektes "Radio Germania" im offenen Kanal Berlin. Auch wenn die Ausstrahlung im OKB im Jahre 2000 vorerst juristisch unterbunden wurde, sind die Sendungen dennoch via Internet oder CD-Versand konsumierbar. Desweiteren verfügt die Szene über diverse "Szene-Läden" in denen vorwiegend Bekleidungsstücke, aber auch CD´s und Fanzines vertrieben werden. Besonders hervorzuheben ist hier die Läden "Helloween" und "Harakiri". Neben diesen explizit auf einen rechten Käuferstamm ausgerichteten Läden gibt es etliche Geschäfte die neben die zwar keine Propagandaartikel wie CD´s und T-Shirts mit eindeutigen Inhalten im Angebot haben, aber sich dennoch als wichtige Treffpunkte der Szene etabliert haben. Einige dieser Läden werden von Angehörigen der Berliner Hooliganszene betrieben.

In Berlin und dem Berliner Umland gibt es einige rechtsextreme Bands mit überregionaler Bedeutung und zum Teil erheblichen CD-Veröffentlichungen, so zum Beispiel die deutschlandweit wichtigste und bekanteste Band "Landser" aus dem Umfeld der "ariogermanischen Kampfgemeinschaft Vandalen", die eher metall-lastige Band "Legion of Thor" oder die 2000 mit einer vielbeachteten Debüt-CD gestartete Band "D.S.T." (steht wahlweise für "Deutsch Stolz Treu" oder für "Doktor Sommer Team") Zur Zeit nicht mehr aktiv ist die Band "Spreegeschwader". Einzelne Mitglieder der Band haben aber Soloprojekte gestartet.

Inhaltliche Ausrichtung im rechtsextremen Lager in Berlin
Mit dem "Hauptstadt-Beschluß" des Bundestages und dem damit verbundenen Umzug der meisten Bundesministerien und anderer Bundesbehörden, ergab sich auch für die rechtsextreme Szene der Stadt ein neues Argumentationsfeld. Die angebliche Verschwendung von Steuergeldern insbesondere für die Flüge und die Umzugszuschüsse der Bonner Beamten stieß nicht nur unter Rechtsextremisten auf Kritik, sondern in großen Teilen der Bevölkerung. Diese Kritik wurde gezielt aufgegriffen um sie mit der allgemeinen Demokratie-Ablehnung zu verbinden.

Ein weiteres Berlin-spezifisches Argumentationsfeld ist die relativ starke Gegenwehr, die der Neo-Nazi-Szene durch die Berliner Linke entgegengebracht wird. Aus diesem Grunde versuchen Rechtsextremisten immer wieder, zum Teil mit massiver Beteiligung von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet erfolgreiche Aktionen in Berlin durchzuführen. Dies ist etliche Male militant verhindert worden, dennoch gelang es auch einige Male sehr medienwirksam verschiedene Aktionen durchzuführen. So wurde medienwirksam ein Marsch von 500 Neo-Nazis durch das Brandenburger Tor veranstaltet, um gegen das geplante "Holocaust-Denkmal" zu demonstrieren (29.1.2000). Am 12.März 2000 demonstrierten 350 Personen unter dem Motto : "Wir sind ein Volk - nationale Solidarität mit Wien" Beide Demonstrationen wurden von der NPD angemeldet. Dabei wird ganz bewusst versucht bestimmte Tabus zu brechen oder linke Argumentationsmuster umzudeuten. So fanden die Demonstrationen einen Tag vor dem Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, am Jahrestag des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich oder am 1.Mai statt. Gerade die Demonstration am 1.Mai unterstreicht die Strategie der NPD mit Hilfe eines diffusen "Antikapitalismus" (der in diesem Zusammenhang auch immer Antiamerikanismus und Antisemitismus beinhaltet) die werktätige Bevölkerung zu mobilisieren und dafür die durch die politische Bildung in der DDR verwurzelte Kapitalismus-Kritik auszunutzen und gleichzeitig der Argumentation des politischen Gegners, insbesondere der PDS, ein Adäquat entgegenzusetzen.

Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld ist die sogenannte Anti-Antifa-Kampagne. Diese Kampagne geht zurück in das Jahr 1992, als die Initiatoren mit einer Pressemitteilung ihr Konzept vorstellten. Im daraufhin 1993 erschienen "Einblick" waren bereits etliche Adressen von Berliner Bürgern veröffentlicht, die sich auf den unterschiedlichsten Ebenen gegen Rechtsextremismus engagierten. 1996 gelang es Personen aus dem Umfeld von Frank Schwerdt 40 Namen und Adressen von Richtern, Staatsanwälten und Beamten des Landeskriminalamtes zu ermitteln und zu veröffentlichen. Im Sommer 1999 tauchten im Berliner Stadtbezirk Treptow sogenannte Schwarze Listen von Antifaschisten auf und im Dezember 1999 erschien eine weiter Anti-Antifa-Broschüre mit dem Titel "der Wehrwolf". Im Gegensatz zur ersten Veröffentlichung ist hier weitaus mehr Wert auf die Infrastruktur der linken Szene gelegt worden und zeugt überdies von einem "fanatischen Antisemitismus". Dies zeigt, dass die rechtsextreme Szene besonders in Berlin den Kampf gegen den politischen Gegner forcieren will, um sich Freiräume für weitere politische Betätigungen zu erkämpfen.

Die auffällig starke antisemitische Ausrichtung vieler in der Berlin-Brandenburger Szene erschienener Publikationen (so auch "Zentralorgan" Nr.9 - Titelbild: "Juden raus" oder der Titelsong der neusten CD der Berliner Skinhead-Band "Landser": "Ran an den Feind, Bomben auf Israel") greift in der Bevölkerung verwurzelte Ressentiments auf, und versucht bestimmte allgemeinpolitische Diskussionen, z.B. zur Zwangsarbeiter-Entschädigung oder die "Finkelstein-Debatte" für sich auszunutzen.