Presseschau Juli/August 2003
Die Presseschau ist ein Service des durch  entimon geförderten Projektes respectabel.de

Hier finden Sie eine Auswahl unserer Redaktion von Artikeln des täglichen Pressespiegels

Dienstag, 15. Juli 2003

Streiten statt Schlagen

Projekt zur Vorbeugung von Jugendkriminalität vereint Lehrer, Polizisten und Sozialarbeiter

Jens Blankennagel

POTSDAM. Zwei Kollegen schnauzen sich an. Er ist berufserfahren, ordentlich, will Ruhe im Büro. Sie dagegen ist jung, chaotisch, telefoniert ständig mit ihren Freundinnen. Beide streiten darüber, ob sie sich weiterhin ein Büro teilen können. Neben ihnen sitzt eine Frau, schreibt mit, stellt Fragen: "Was ist dein Problem? Auf was könnt ihr euch einigen?"

Die drei Leute spielen den Streit nur. Sie sitzen in einem Seminarraum der Fachhochschule Potsdam - es sind keine Kollegen, es sind Lehrer, Polizisten und Sozialarbeiter bei einem Rollenspiel. "Sie sollen lernen, wie sie als Unbeteiligte in eine Konfliktsituation geraten, wie sie den Stress und den Ärger der anderen aushalten können, um dann den Streit zu schlichten", sagt die Kursleiterin Kerstin Lück. Sie betreut im zweiten Jahr ein bundesweit einmaliges Projekt unter dem Titel "Konfliktmanagement in der Uckermark".

Dabei soll es aber - anders als in dem Rollenspiel - nicht um den Streit im Büro gehen. Die zwanzig Kursteilnehmer sollen helfen, die überdurchschnittlich hohe Jugendkriminalität in der Uckermark langfristig und wirksam zu bekämpfen. Im Jahr 2000 waren dort 40,9 Prozent aller Tatverdächtigen jünger als 21 Jahre - zehn Prozent mehr als im Landesdurchschnitt. Im Jahr 2002 sank der Wert auf 38,5 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass die Partnerschaften zwischen Schulen und Polizei zu den rückläufigen Zahlen beigetragen haben", sagt Hans-Jürgen Willuda vom Innenministerium. Das Pilotprojekt werde von der Regierung sehr positiv gesehen.

Potzlow wäre nicht passiert

Dabei geht es nicht um Bestrafung nach der Tat, sondern um das frühe Erkennen von Konflikten unter Jugendlichen, die möglicherweise in einer Straftat enden könnten. "Wir wollen, dass die drei Berufsgruppen, die in dem Landkreis viel mit Jugendlichen zu tun haben, untereinander Netzwerke bilden", sagt Lück. Sie sollen effektiv kooperieren und sich rechtzeitig anrufen. "Wenn Konflikte erkannt werden, bevor sie eskalieren, kann meist Schlimmeres verhindert werden." Lück wagt einen mutigen Vergleich: "Hätten diese drei Berufsgruppen in Potzlow besser zusammengearbeitet, dann wäre es nicht so weit gekommen."

Sie meint damit den grausamen Mord an dem 16-jährigen Marinus Schöberl, der von drei Jugendlichen umgebracht wurde. Der Haupttäter war mit dem Opfer gut bekannt, sie gingen in den gleichen Jugendclub - irgendjemand hätte etwas von Problemen mitbekommen müssen.

Dafür dürfen die Erwachsenen die Probleme unter den Jugendlichen nicht ignorieren. Die Kursteilnehmer sagen übereinstimmend, dass das Projekt ihnen bei der Arbeit hilft. "Konflikte begleiten uns jeden Tag", sagt die Prenzlauer Sozialarbeiterin Brigitte Pinnow, die in einem Asylbewerberheim arbeitet "Sie sind nicht mit einem Schlag da. Wir dürfen sie nicht wegdrücken und hoffen, dass sie von allein verschwinden." Sie habe sich schon bei vielen Streitigkeiten völlig hilflos gefühlt. Deshalb lernen die Teilnehmer des einjährigen Kurses in 39 Tagesseminaren das Handwerk des Mediators, des Streitschlichters. Sie sollen auf die streitenden Jugendlichen zugehen, den schwelenden Konflikt offen ansprechen und dazu beitragen, ihn durch sachliche Diskussionen zu entschärfen. Dabei dürfen sie nicht parteiisch sein, müssen die kontroversen Meinungen beider Seiten akzeptieren und eine Eskalation verhindern. Dazu dienen auch die Rollenspiele. "Wir müssen so lange üben, bis wir die Techniken der Deeskalation so verinnerlicht haben, dass wir gar nicht mehr überlegen müssen, wenn wir sie anwenden", sagt Kursteilnehmerin Annette Flade.

Das 150 000 Euro teure Projekt geht Anfang 2004 zu Ende. Es wird zu 64 Prozent vom europäischen Sozialfonds der EU bezahlt. Den Rest steuern der Landespräventionsrat und das Bündnis für Demokratie und Toleranz bei. "Das Projekt sollte in Brandenburg weitergeführt und von anderen Ländern übernommen werden", sagt Kerstin Lück. Doch dann nicht mit Vertretern der drei Berufsgruppen, die weit voneinander entfernt in einem Kreis arbeiten. "Sondern je ein Lehrer, Polizist und Sozialarbeiter aus einer Stadt", sagt sie. "Dann kann dieses Modell der schnellen gegenseitigen Hilfe besser funktionieren."

 

 

Mittwoch, 16. Juli 2003

Die Gangsterfrösche von Neukölln

In Neukölln entsteht die bisher einzige Jugendstraße Deutschlands - mit Jugendclub, Straßencafé und Bühne. Die Initiatoren wollen Berührungsängste zwischen ethnischen Gruppen abbauen. Die Kids sind stolz auf das, was sie selbst geschaffen haben

von SARAH HARTMANN

Ein wenig unheimlich wirken sie schon, wie sie da mit finsterem Blick an der Straßenecke stehen. Ihre wuchtigen Leiber flößen Respekt ein, und es scheint, als bewachten sie die Straße. Doch die Menschen im Neuköllner Reuterkiez haben sich längst an den Anblick der beiden vier Meter hohen Ochsenfrösche gewöhnt, die seit einigen Wochen an der Weser- Ecke Rütlistraße etwa 20 Meter vor dem Eingang des Jugendclubs "Manege" thronen. Nur wer zum ersten Mal hier vorbeikommt, bleibt noch mit offenem Mund stehen.

Wolfgang Janzer und Martha Janzer de Galvis sind gerade dabei, einem der beiden zwei Tonnen schweren Ungetüme eine letzte Schicht Glasfasern und Leim zu verpassen. Die beiden Künstler und zugleich Leiter des Jugendclubs sind hier mindestens so bekannt wie ihre Ochsenfrösche. Ein Jugendlicher winkt ihnen im Vorbeigehen zu, Deutsche und Türken sowie ein paar Punks mit Schottenrock und Nietengürteln bleiben einen Augenblick stehen, um die Fortschritte zu begutachten und ein Schwätzchen zu halten: "Na, Martha, wieder am Arbeiten?", lautet ihr Kommentar.

Die riesigen Skulpturen sind ein sichtbarer Schritt in der Umsetzung des Projektes, dass Ende letzten Jahres angelaufen ist. Hier im Neuköllner Nordosten entsteht die bisher einzige Jugendstraße Deutschlands. In das Grau aus Gewerbehöfen, Schulen, tristen Wohnbauten und einer leer stehenden Villa ist Farbe eingezogen. 170.000 Euro hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" in die Aufwertung des Quartiers gesteckt. In den nächsten Wochen soll die Rütlistraße endgültig für den Autoverkehr gesperrt werden, dann wird ein Straßencafé eröffnet.

Dabei geht es den Initiatoren vom Verein "Fusion e. V." mit Vorstand Janzer vor allem darum, Berührungsängste zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die hier leben, abzubauen und damit die nachbarschaftliche Kommunikation im "sozialen Brennpunkt" um den Reuterplatz - wo Kinder schon als Sozialhilfeempfänger aufwachsen - zu verbessern.

Die Schüler der beiden nahen Schulen wurden in die Verwirklichung der Jugendstraße ebenso einbezogen wie der Jugendclub, die Kita und die Kleingärtner der benachbarten Schrebergartenkolonie. In mehreren Bürgerversammlungen wurden Anwohner mit der Initiative bekannt gemacht. "Überwiegend wurde die Idee positiv aufgenommen", sagt Wolfgang Janzer, aber es habe auch Skepsis und Ängste von Seiten der Anwohner gegeben. Einige befürchten noch immer, die Straße könnte zum Treffpunkt für Krawallmacher werden und auch die Drogenszene vom Hermannplatz anziehen.

Allerdings zeigt die amtliche Statistik, dass die Anzahl der Polizeieinsätze in der Straße abgenommen hat, seit "Fusion e. V." das Jugendzentrum betreibt. "Früher war es ganz schlimm hier", erzählt ein Nachbar, "da musste man nachts einen großen Bogen um die Straße machen. Jetzt ist es viel ruhiger."

Auch bei den Integrationsbemühungen kann das Projekt erste Erfolge verzeichnen. Walter Witzel, Hauswart in der benachbarten Tellstraße, ist früher schon mal mit Jugendlichen aus der Nachbarschaft aneinander geraten. Doch als er von dem Projekt erfuhr, war er angetan von der Idee und begann, sich an der Planung zu beteiligen. Mittlerweile spricht er nur noch von "wir", wenn es um die Jugendstraße geht.

Als Wolfgang und Martha Janzer 1999 den Verein gründeten und begannen, zusammen mit den Jugendlichen die Fassade des Klubhauses zu renovieren und mit bunten Masken und Figuren zu schmücken, war Witzel noch skeptisch. "Kinders, hab ich gesagt, det wird doch nie was. Keine acht Tage, dann ist das Ding beschmiert und alles kaputt." Doch er hatte sich geirrt. Bis heute ist die Fassade nicht angetastet worden. Witzel und Janzer sind sich einig: "Was sie selbst geschaffen haben, das machen die Kids nicht kaputt. Da sind sie schließlich stolz drauf."

Nach demselben Prinzip soll auch die Jugendstraße funktionieren. Ein Straßencafé soll es geben, das Jugendliche ganz selbstständig betreiben, und eine Bühne für Veranstaltungen. Schließlich will man die leer stehende Villa am Ende der Straße in ein Jugendhotel umbauen.

Als es darum ging, wie das Eingangsportal für die Jugendstraße gestaltet werden soll, erzählte Wolfgang Janzer den Kids von einer Fernsehreportage über Ochsenfrösche. "Das ist eine knallharte Tierart. Sie vermehren sich schnell, sind aggressiv und machen alles platt." Die Kids waren begeistert von den fiesen "Gangsta-Fröschen" und so wurden sie als Bewacher der Jugendstraße auserkoren. Und bisher hat es keiner gewagt, ihnen auch nur ein Haar zu krümmen.

 

 

 

Freitag, 18. Juli 2003

Anklage gegen Horst Mahler

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat gegen den Rechtsanwalt und ehemaligen NPD-Funktionär Horst Mahler Anklage wegen Volksverhetzung erhoben. Dies teilte Justizsprecher Björn Retzlaff gestern mit. Die Anklagebehörde wirft dem 67-Jährigen vor, auf einer NPD-Veranstaltung am 2. September vergangenen Jahres an Journalisten einen 400 Seiten umfassenden Schriftsatz verteilt zu haben. Das von Mahler verfasste Schriftstück war im Zusammenhang mit dem gegen die NPD angestrengten Parteiverbotsverfahren an das Bundesverfassungsgericht gerichtet und soll zahlreiche volksverhetzende, insbesondere antisemitische Passagen enthalten.

In dem Schriftsatz, der der Berliner Morgenpost in Auszügen vorliegt, stellt Mahler unter anderem die Behauptung auf, das Verbotsverfahren gegen die NPD sei im Wesentlichen auf Druck "jüdischer Kreise" zustande gekommen.

Der Anwalt, der früher zum Umfeld der terroristischen RAF gehörte, wandte sich in den 90er-Jahren der NPD zu und erregt seither durch ständige heftige Attacken gegen Vertreter der in Deutschland lebenden Juden Aufsehen. Gegen ihn laufen bereits mehrere Verfahren wegen Volksverhetzung.

 

 

 

Montag, 21. Juli 2003

Ins Netz gegangen

Studie: Rechtsextremismus im Internet ist zunehmend gefährlich und besser organisiert

Franziska Frohn

Der Jahresbericht 2002 "Rechtsextremismus im Internet", der von jugendschutz.net durchgeführt wurde, ergab, dass der Anteil rechtsextremer Internetseiten im Web ansteigt und dass sie eine immer größere Bedrohung darstellen. Fanden sich im Jahr 1999 noch 330 Homepages mit rechtsextremen Inhalten, stieg im Jahr 2002 die Zahl der Seiten auf fast 1 000 an, so die Untersuchung, die vor kurzem vorgestellt wurde. "Die Ergebnisse sind Besorgnis erregend: Websites mit rechtsextremen Inhalten werden attraktiver und professioneller", sagt die für Jugend zuständige Ministerin Renate Schmidt.

Besonders für Jugendliche sind solche Pages gefährlich, da die Betreiber bewusst die Zukunftsängste junger Menschen aufgreifen. Häufig beziehen die Internetseiten aktuelle Themen wie den Irak-Krieg oder das Jahrhunderthochwasser 2002 mit ein und versehen diese mit einfach gestrickten Lösungsmodellen, deren Basis rechtsextreme Grundgedanken sind. Schließlich wird dazu aufgerufen, sich diversen Organisationen anzuschließen.

Doch damit ist das Spektrum rechtsextremer Internetseiten noch nicht erfasst. Häufig werden die Homepages von der Szene als Forum genutzt, um lokale Aktivitäten zu planen und "Nachwuchs zu rekrutieren". Wenn Schüler zum Thema "Nationalsozialismus" Hausaufgabenrecherchen durchführen, ist es nicht selten der Fall, dass sie auf rechtsextreme Seiten gelangen, die "geschichtsverfälschende Informationen mit pseudowissenschaftlichem Anstrich" vermitteln, so die Studie. Rassistische und antisemitische Tendenzen sind oftmals für Jugendliche kaum als solche zu erkennen und von Tatsachen schwer zu unterscheiden.

Nachdem die Studie diese Erkenntnisse zu Tage brachte, wäre es fahrlässig gewesen, den Neonazis die Plattform im Web nicht zu entziehen. Durch das Projekt von jugendschutz.net wurden im vergangenen Jahr 784 Internetadressen neu entdeckt, davon waren 354 mit strafbaren Inhalten gespickt. 173 Sites wurden sofort gesperrt. Zudem wurde im September 2002 ein internationaler Verbund gegen Rassismus im Netz gegründet. Nun soll versucht werden, auch bisher unangreifbare "Nazi-Portale" im Ausland unschädlich zu machen.

Extremismus

Der Verfassungsschutz stuft als extremistisch Bestrebungen ein, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Deren Kennzeichen sind: Einhaltung der Menschenrechte, Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit der Parteien.

Die Studie "Rechtsextremismus im Internet" erhält man auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung.

Im Internet unter:

www.bpb.de/publikationen/JM5GRN.html

 

 

Mittwoch, 23. Juli 2003

Kahl rasiert auf der Anklagebank

Laut Bundesanwaltschaft ist die Neonazi-Band Landser eine kriminelle Vereinigung. Die Prozesstage im Kammergericht sind für die rechte Szene Ereignisse: Wenn der Richter CDs vorspielen lässt, steigt unter den Skins im Saalpublikum die Stimmung

von HEIKE KLEFFNER

Das Publikum im Saal 145 des Kammergerichts hat sich herausgeputzt. "Odins Krieger" hat sich eine Jungglatze in den Nacken tätowieren lassen. "Hate keeps me warm", lautet die Botschaft, die ein Kahlgeschorener auf seinem T-Shirt an der Sicherheitsschleuse vorbeiträgt. Im Flur macht er Platz für eine knappes Dutzend Männer Mitte dreißig. Sie tragen ihre massigen Bierbäuche wie Trophäen vor sich her und schieben breitbeinig germanische Mythengestalten auf Schienbeintattoos durch die Halle des Kammergerichts. Jeden Dienstag und Mittwoch halten sie hier Hof, Berlins älteste Neonazigruppierung, die "Vandalen".

In ihrer Mitte: Michael R., ein schmächtiger Enddreißiger im blau-weiß karierten Holzfällerhemd. Ein knappes Jahrzehnt lang soll der Mann mit dem Spitznamen "Luni" - eine Abkürzung für die russische Wodkamarke "Lunikoff" - den Takt vorgegeben haben in Deutschlands bekanntester Neonaziband namens Landser. Nun steht R. nicht mehr vermummt auf improvisierten Bühnen in Jugendclubs, sondern sitzt stumm mit seinen beiden mutmaßlichen Mitspielern auf der Anklagebank im Kammergericht.

Die Bundesanwaltschaft wirft Michael R. vor, als mutmaßlicher Sänger von Landser "Rädelsführer" in einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Sein ehemaliger Freund André M., der mit Vorliebe in schwarzem Anzug und schwarzem Hemd erscheint, soll dabei die Bassgitarre gespielt haben. Auch der jüngste des Trios, der 27-jährige mutmaßliche Schlagzeuger von Landser, gibt sich mit Hemd und Markenjeans trotz kahl rasiertem Kopf bürgerlich: Als Polizeibeamte der Sondereinheit "Politisch motivierte Straßengewalt" (PMS) von der biederen Ordnung in seiner Wohnung und den Kinderfotos mit Landser-T-Shirts berichten, knetet Christian W. nervös einen Stoffteddy mit roten Herzen. Weil W. nach seiner Festnahme im Herbst 2001 umfangreiche Aussagen zu seinen Aktivitäten bei Landser machte, wird er von den Zuschauerbänken mit "Verräter"-Rufen empfangen.

Im Publikum steigt die Stimmung immer dann, wenn der Vorsitzende Richter Wolfgang Weißbrodt die CDs abspielen lässt. Fünf CDs hat Landser seit 1993 auf den Markt gebracht, keine einzige davon kann legal im Plattenladen gekauft werden. Trotzdem schätzen Szenekenner, dass derzeit in Deutschland rund 100.000 Landser-CDs mit Titeln wie "Republik der Strolche", "Rock gegen oben" und "Ran an den Feind" im Umlauf sind. Die meisten werden schwarz gebrannt und unter der Hand auf Schulhöfen oder in Jugendclubs weitergegeben. Für Originale verlangten die Zwischenhändler der Band bis zu 30 DM; heute zahlen "Liebhaber" Stückpreise ab 50 Euro. Mehrere 10.000 Mark sollen die Bandmitglieder selbst kassiert haben.

Landser, so die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage, mit der erstmals in Deutschland einer rechtsextremen Band der Vorwurf "kriminelle Vereinigung" gemacht wird, habe mit ihrer Musik vor allem ein Ziel verfolgt: massenhaft rechtsextreme Ideologie an jugendliche Konsumenten zu bringen. Dafür habe die Band bewusst gegen Strafgesetze verstoßen.

Um diesen Vorwurf zu untermauern, lässt die Bundesanwaltschaft die zehnjährige Geschichte der Band Revue passieren. Puzzlestück um Puzzelstück fügen sich die Aussagen von Gründungsmitgliedern und Zeugen zu einem Bild zusammen, das vor allem den Sicherheitsbehörden und "akzeptierenden Sozialarbeitern" ein schlechtes Zeugnis ausstellen.

Glaubt man Landser-Gründungsmitglied Sören B., begann die Karriere der Band im ehemaligen "Judith-Auer-Club" in Lichtenberg, wo ein Sozialarbeiter sein Schlagzeug zur Verfügung stellte. Es sind die Jahre 1992 und 1993: In Rostock-Lichtenhagen wird ein Heim vietnamesischer Vertragsarbeiter unter dem Beifall von tausenden Zuschauern von militanten Neonazis und Jungskins in Brand gesetzt. Türkische Migranten sterben in Mölln und Solingen bei Brandanschlägen. Und Landser verbreitet auf einem Demotape Lieder wie "Berlin bleibt deutsch" und "Schlagt sie tot".

Im November 1992 zeigt diese Aufforderung Wirkung: Der Hausbesetzer Silvio Meier wird im U-Bahnhof Samariterstraße von Naziskins erstochen. Im Zeugenstand sagt der ehemalige Landser-Produzent Jens O., Anfang der 90er-Jahre selbst Mitglied der verbotenen Nationalistischen Front (NF): "Nationalismus gab es damals überall. Überall wurden Deutschlandfahnen gezeigt." Dass Landser, die sich selbst gerne als "Terroristen mit E-Gitarre" bezeichneten, in ihren Liedern über hilflose Polizisten und Politiker spotteten und zum "Totschlagen" von Afrikanern, Türken und Juden aufriefen und damit Karriere machten, habe vor allem an ihrem "konspirativen Image" und an ihrer eingängigen Tanzmusik gelegen, findet ein anderer Zeuge. Und offenbar auch an den Strafverfolgern, die jahrelang nur mit Nadelstichen gegen die Band vorgingen, obwohl deren Besetzung in der rechten Szene ein offenes Geheimnis war. Mal wurde ein Bandmitglied bei der Einfuhr von Landser-CDs aus dem Ausland festgenommen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, mal wurde - erfolglos - nach CD-Covern gesucht.

Dabei traf sich die Band unter dem Codewort "Frühschoppen" immer sonntags zum Proben im Berliner Umland und bediente sich eines Netzwerks aus polizeibekannten Neonazis, um die CDs an die Kundschaft zu bringen.

Erst nachdem die Bundesanwaltschaft 1999 auf die Band aufmerksam wurde, weil Rechtsextremisten beim Überfall auf zwei Vietnamesen in Eggesin das Landser-Lied "Fidschi, Fidschi, gute Reise" sangen, verschärfte sich die Gangart. Ein Jahr lang überwachten die Fahnder nun Telefone und observierten die Bandmitglieder.

Die Botschaft der Musik, die schon Jahre zuvor von antifaschistischen Publikationen als "Begleitmusik zu Mord und Totschlag" bezeichnet worden war, hatte sich da längst verselbstständigt. Der Landser-Song "Afrika-Lied" lief in den Autos der Rechten, die in Guben den algerischen Flüchtling Farid Gouendul in den Tod trieben, und im Walkman des Angreifers, der in Dessau den Mosambikaner Alberto Adriano erschlug.

Zu der Frage, ob der Prozess Einfluss auf die weitere Entwicklung der neonazistischen Musikszene haben wird, will man sich beim LKA in Berlin derzeit nicht äußern. In der Szene wird Michael R. als Märtyrer gefeiert. Bundesweit stieg die Zahl neonazistischer Konzerte im vergangenen Jahr wieder auf über einhundert an, mit teilweise über 1.000 Zuschauern. Keinen Rückgang gibt es auch bei der Zahl der Bands, die versuchen, die Nachfolge von Landser anzutreten, oder bei den einschlägigen "Rechts-Rock"-Versandquellen.

Ob die Angeklagten am Ende tatsächlich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung oder lediglich wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass und Verherrlichung des Nationalsozialismus verurteilt werden, ist derzeit nicht absehbar. Ein Urteil wird frühestens Ende August erwartet.

 

 

 

Donnerstag, 24. Juli 2003

"Ans Messer geliefert"

Deutsche Behörden liefern Oppositionellen den Behörden Togos aus. Der Asylsuchende wurde
in Brandenburg zwei Mal Opfer rechter Gewalt. Initiative fordert Bleiberecht als Wiedergutmachung

von HEIKE KLEFFNER

Schwere Vorwürfe gegen die deutschen Behörden erhebt der Rechtsanwalt des togolesischen Oppositionellen Orabi Mamavi, der im Dezember 2002 im brandenburgischen Rathenow Opfer eines rassistischen Angriffs wurde und von der Ausländerbehörde des Landeskreises Havelland abgeschoben werden soll.

Die deutschen Behörden haben den Parteiausweis des 41-jährigen Togolesen, der ihn als Mitglied der oppositionellen "Convention Démocratique des Peuples Africains" (CDPA) identifiziert, an die togolesische Botschaft in Bonn weitergegeben. Damit beschafften sich die Beamten die zur Abschiebung notwendigen Reisedokumente. Rechtsanwalt Rolf Stahmann sagt, sein Mandant habe den CDPA-Ausweis vor neun Jahren bei seiner Asylanhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vorgelegt, um seine politische Verfolgung in Togo zu beweisen. Mamavi war dort vor seiner Flucht nach Deutschland wegen seines politischen Engagements gefoltert worden. Ob das Nürnberger Bundesamt oder die Behörde des Landkreises Havelland für die Weitergabe des Dokuments verantwortlich ist, lässt der Anwalt derzeit prüfen.

"Es kann nicht sein, dass Asylsuchende von deutschen Behörden ihren Verfolgerstaaten de facto ans Messer geliefert werden", kritisiert Stahmann. Er geht davon aus, dass Mamavi im Falle einer Abschiebung hochgradig gefährdet ist, da die togolesischen Behörden von den deutschen Kollegen vor der Abschiebung über die Ankunft des Flugs informiert werden. Der Rechtsanwalt will nun einen Asylfolgeantrag für Mamavi einreichen.

Dessen erster Asylantrag wurde Ende 2002 letztinstanzlich abgelehnt. Damit begann für den schwer traumatisierten Asylsuchenden eine Phase anhaltender Ungewissheit. Zunächst wollte die Ausländerbehörde ihn im Juni abschieben, obwohl das Strafverfahren gegen den Angreifer, der Mamavi im Dezember letzten Jahres in Rathenow auf offener Straße schwere Augenverletzungen zufügte und mit rassistischen Sprüchen wie "Scheiß Neger" beleidigte, noch nicht abgeschlossen war. Es könne nicht sein, dass das Opfer abgeschoben werde und der Täter davonkomme, empörte sich daraufhin die Staatsanwaltschaft in Potsdam und intervenierte bei der Ausländerbehörde. Die hat nun einen neuen Abschiebetermin Anfang September festgelegt, nachdem das Amtsgericht Rathenow am Dienstag nach einer Zeugenaussage Mamavis den rassistischen Schläger zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe sowie einer Geldbuße verurteilte.

Für Mamavi war es nicht der erste rassistische Angriff. Im September 1997 war er gemeinsam mit drei anderen Flüchtlingen vor einer Diskothek in Rathenow von einer rechtsextremen Gruppe schwer misshandelt worden. Am 8. August sollen nun die Ermittlungen gegen die Täter aufgenommen werden.

Im August muss auch der Petitionsausschuss des Potsdamer Landtags über die Anträge der "Opferperspektive" und des Flüchtlingsrats Brandenburg entscheiden, Mamavi als Opfer rechter Gewalt eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. "Mamavi sollte ein Bleiberecht verliehen werden, als Wiedergutmachung für das, was er von rassistischen Tätern in neun Jahren Rathenow erlitten hat", fordert Kay Wendell von der "Opferperspektive".

Dienstag, 29. Juli 2003

Rechtsextreme folterten stundenlang einen 16-Jährigen Täter schleppten ihr Opfer auf einen Spielplatz, traten und prügelten es und drückten seinen Kopf unter Wasser

Von Claus-Dieter Steyer

Schwedt. Sie traten ihn gegen Gesicht und Körper, schlugen seinen Kopf mehrfach auf eine Holzbank, drückten ihn unter Wasser – ein 16-jähriger Schüler wurde in Schwedt durch zwei Gleichaltrige und einen 19-Jährigen gequält. Tatort: ein Spielplatz, auf den die Täter den Jungen verschleppt hatten. Dreieinhalb Stunden dauerten die Misshandlungen. Wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) am Montag mitteilte, wurden die Tatverdächtigen festgenommen. Sie sollen zur rechtsextremistischen Szene gehören. Der 19-Jährige und ein 16-Jähriger befinden sich seit Ende vergangener Woche in Untersuchungshaft, der dritte Verdächtige wurde gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt.

Der Überfall ereignete sich schon am Abend des 20. Juli. An jenem Tag suchten die drei Rechtsextremisten offenbar zielgerichtet nach einem Opfer. Sie fanden es in der Nähe der Schwedter Uferpromenade in dem 16-jährigen Schüler, den sie zunächst als „Zecke“ beschimpften. In der rechten Szene steht dieser Begriff für „Linke“. Dann schleppten die drei Angreifer den Jungen auf den Spielplatz und prügelten los. Das Datum 20. Juli ist aus Ermittlersicht aber eher zufällig, ein Zusammenhang mit dem Jahrestag des Hitler-Attentats bestehe nicht.

Bei den Misshandlungen bedrohten die Tatverdächtigen ihr Opfer sogar mit dem Tod. „Sie wollten den Schüler auf brutalste Weise einschüchtern“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Michael Neff. „Sie packten den Schüler an den Füßen und hielten ihn mehrmals mit dem Kopf unter Wasser. Er sollte ihnen zusagen, keine Anzeige zu erstatten.“ Anschließend machten sich die Täter aus dem Staub. Der Schüler trug nach Neffs Angaben Prellungen, Blutergüsse und Schürfwunden davon.

Trotz der Drohungen ging der Misshandelte zur Polizei. Die Tatverdächtigen konnten nach drei Tagen festgenommen werden, sagte Neff. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. In den Vernehmungen hätten die Jugendlichen die Tat zugegeben, sagte Neff. Darauf erließ das Amtsgericht Schwedt Haftbefehle wegen Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Freiheitsberaubung. Die Staatsanwaltschaft will nun schnell Anklage erheben. Der 19-jährige mutmaßliche Haupttäter war erst im Frühjahr wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt worden.

Schwedt, die umliegende Uckermark und der nördliche Teil des Landkreises Ostprignitz-Ruppin gelten in Brandenburg seit mehreren Jahren als Hochburg der rechten Szene. Die Zahl ihrer Anhänger in der Gegend wird auf 200 geschätzt, die der gewaltbereiten Personen auf bis zu 40. Während der Misshandlung auf dem Spielplatz hatten sich die Angreifer zwar mit ihren Vornamen angesprochen. Doch diese waren offensichtlich falsch. Jedenfalls konnte die Polizei mit den Angaben desOpfers zunächst nicht viel anfangen.

Der Fall erinnert an die Ermordung des 16-jährigen Schülers Marinus Schöberl im uckermärkischen Potzlow vor einem Jahr. Drei Männer im Alter von 18 und 24 Jahren hatten den Jungen als „Jude“ beschimpft, ihn stundenlang gefoltert, getötet und die Leiche in einer Jauchegrube verscharrt. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter am Landgericht Neuruppin wird am 11. August fortgesetzt.

Freitag, 1. August 2003

Institut rügt Diskriminierung in Deutschland

Studie: Rassismus zeigt sich nicht nur in Gewalt

Sigrid Averesch

BERLIN, 31. Juli. Ausländer und ethnische Minderheiten werden in Deutschland nach Angaben des Deutschen Menschenrechtsinstituts noch immer diskriminiert. Sie würden nicht allein Opfer von Gewalttaten. Oft finde die Diskriminierung auch subtil statt, etwa bei der Suche nach Arbeit oder einer Wohnung oder bei der Behandlung durch Behörden, sagte die stellvertretende Leiterin des Instituts, Frauke Seidensticker, am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie "Diskriminierung und Rassismus" in Berlin. Sie forderte die Bundesregierung auf, eine umfassende Antidiskriminierungspolitik zu entwickeln und die EU-Richtlinien gegen Diskriminierung schnellstens umzusetzen. "Im internationalen Vergleich ist die Sensibilität in Deutschland nur gering ausgeprägt", stellte Seidensticker fest.

Der Politologe und Autor der Studie, David Nii Addy, empfahl die Einrichtung einer unabhängigen Antidiskriminierungsstelle, die die Gleichbehandlung fördert, Opfer berät und auch rassistische Diskriminierung erfasst. Deutschland habe sich zwar einen hohen Standard gesetzt, erfülle diesen aber nicht, betonte Addy. "Die Wahrnehmung von Diskriminierung ist meist auf Gewalttaten beschränkt", kritisierte der Politikwissenschaftler. Ebenso schwerwiegend seien aber die Benachteiligungen im alltäglichen Leben, die Einwanderer, Flüchtlinge, Sinti und Roma sowie religiöse Minderheiten erführen. Es fehle eine positive Einstellung zur gesellschaftlichen Vielfalt. "Das Signal muss sein: Ihr gehört zu uns. Vielfalt ist etwas Positives", sagte Addy. Die Studie regt zudem an, Verhaltenscodices durch Politiker, Parteien und Medien zu entwickeln.

 

 

Dienstag, 5. August 2003

Neonazi zu sechs Jahren Haft verurteilt

23-Jähriger gestand vor Gericht Rassismus und eine Serie brutaler Gewalttaten

Sie kannten keine Gnade. Rücksichtslos droschen Josef I. und seine rechten Gesinnungsgenossen auf Passanten ein. „Wie wilde Tiere“, sagte ein Zeuge. Sie traten einen Engländer mit Springerstiefeln zusammen, hetzten einen gebürtigen Russen durch die nächtlichen Straßen Marzahns, griffen einen Behinderten an und eine Rentnerin, beschimpften in Hellersdorf zwei Libanesinnen, grölten immer wieder Nazi-Parolen, attackierten einen jungen Mann, den sie als „Zecke“ einstuften. Für diese Serie brutaler Gewalt wurde der 23-jährige I. gestern wegen Körperverletzung, Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt.

Der einschlägig vorbestrafte I. habe aus Ausländerhass und Menschenverachtung ein Jahr lang bewusst Angst und Schrecken verbreitet, hieß es im Urteil des Berliner Landgerichts. Er habe Macht demonstrieren wollen, habe zeigen wollen: „Die Straße gehört mir.“ Die Ermittler seien „leider viel zu spät eingeschritten“. Trotz eines brutalen Übergriffs auf dem U-Bahnhof Eberswalder Straße im Mai 2001 wurde gegen I. kein Haftbefehl beantragt. Dieser Fall war nun der erste von über zehn Anklagepunkten. „Man hätte dem Treiben bereits damals ein Ende setzen können“, kritisierte der Richter.

Josef I. saß im Prozess meist mit verschränkten Armen auf der Anklagebank. Über seinen Verteidiger legte der Klempner mit kurz geschorenen Haaren und der Tätowierung „Skin“ auf einer Hand ein umfassendes Geständnis ab. Er habe nachgedacht, sagte er, der wegen eines anderen Übergriffs bereits seit über 14 Monaten in Haft sitzt. „Mal von meiner Einstellung abgesehen – dit liegt allet an meiner familiären Situation und am Alkohol.“ Sein Vater hatte ihn aus dem Haus geworfen, weil die Polizei CDs mit rechter Musik bei dem Sohn gefunden hatte. Das war in Bayern. Im Herbst 2000 war I. dem Ruf seiner Gesinnungsgenossen gefolgt und nach Brandenburg und schließlich Berlin gezogen. Hier stieg er nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft zu einem Anführer der rechten Szene auf. Er wolle jetzt an einem Anti-Gewalttraining teilnehmen und vom Alkohol wegkommen, beteuerte I. im Prozess. Doch bereits bei einer Verurteilung in Bayern hatte der Angeklagte, der gestern ein T-Shirt mit der Aufschrift „Pit Bull Germany“ trug, Besserung gelobt. Die Richter blieben skeptisch: „Da ist Misstrauen angebracht.“ Kerstin Gehrke

 

 

 

Mittwoch, 6. August 2003

Aufstand gegen den Anstand

RECHTE GEWALT

Von Frank Jansen

War da mal was? Vor drei Jahren, wenn die Erinnerung nicht täuscht, gab es in der Bundesrepublik reichlich Aufregung. Medien und Politiker und dann auch 200 000 Demonstranten vor dem Brandenburger Tor protestierten gegen Rechtsextremismus, Rassismus, gegen Hass auf Juden und gegen den schlimmsten Auswuchs der Ressentiments, die zahllosen Gewalttaten kurzhaariger Schläger. Für die plötzlich im Sommer 2000 ausgebrochene, landesweite Empörung prägte der Bundeskanzler sogar ein Motto: Mit einem „Aufstand der Anständigen“ sollte der braune Ungeist bekämpft und deutlich zurückgedrängt werden. Und wie sieht es heute aus, drei Jahre später? Die Antwort ist, schon beim Blick auf Brandenburg und Berlin, deprimierend.

Einige Meldungen, nur aus dem Juli: In Potsdam wird eine Afrikanerin von einem jungen Rassisten geschlagen. Ebenfalls in Potsdam traktieren Rechtsextremisten drei ausländische Offiziere mit Schlägen und Tritten. In Berlin dreschen junge Männer mit Billardstöcken auf Vietnamesen ein. In Schwedt foltern Rechtsextremisten stundenlang einen 16-jährigen Schüler. Und so weiter.

Der Aufstand gegen den Anstand geht weiter, mit unverminderter Brutalität. Vom Aufstand der Anständigen hingegen ist fast nichts mehr zu spüren. In Medien und Politik werden rechte Gewalt und rassistische Schikanen meist nur noch als Randphänomene behandelt. Seit dem 11. September erscheinen sie noch kleiner, angesichts der monströsen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus. Die Bundesrepublik ist offenkundig wieder da, wo sie vor dem Sommer 2000 war: In einem Zustand des Wegsehens, der Gleichgültigkeit und der Gewöhnung an den täglichen Angriff auf Menschenrechte. Im eigenen Land.

Das Scheitern des Aufstands der Anständigen ist wenig überraschend. Der plötzliche Ausbruch der Empörung im Sommer 2000 war weitgehend eine überhitzte Reaktion auf den vagen Verdacht, Neonazis hätten den Anschlag auf zum Teil jüdische Aussiedler in Düsseldorf verübt. Das Verbrechen ist bis heute nicht aufgeklärt. Doch Politik und Medien pumpten mit jeder neuen Meldung über rechte Gewalt eine Hysterieblase auf, die Ende November 2000 platzte. Die Horrorberichte vom angeblichen Rassistenmord an einem kleinen Jungen in Sebnitz stimmten nicht, viele Zeitungen und Sender hatten sich blamiert. Auf einmal war die Empörung über rechte Gewalt out.

Bis auf wenige Ausnahmen mündete der Aufstand der Anständigen in den Medien nicht in den Versuch, eine kontinuierliche Berichterstattung über die anhaltenden Gewaltexzesse und grassierenden Ressentiments aufzubauen. In der Politik sah es kaum besser aus. Hektisch wurden Programme „gegen Rechts“ aufgelegt, oft ohne nachhaltige Konzepte und finanziell nur unzureichend gesichert. Das Kampagnenfieber führte dann auch zum größten Desaster, das die Bundesrepublik im Kampf gegen den Rechtsextremismus jemals erlebt hat: Vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte im vergangenen März der Antrag von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, die NPD zu verbieten. Ein populistisches Abenteuer, zudem schlecht vorbereitet, fand ein blamables Ende.

Die positiven Folgen des Aufstands der Anständigen sind rasch aufgezählt. Es gibt seit dem Jahr 2000 ein paar Initiativen mehr gegen Rechtsextremismus und Rassismus, trotz aller Schwierigkeiten. Der Bundestag beschloss einen Härtefallfonds für Opfer rechter Gewalt. Die Innenminister verordneten der Polizei eine überfällige Reform: Mehr Delikte als früher, also auch Skinhead-Überfälle auf Obdachlose, gelten nun als politisch motiviert. Und die offizielle Zahl der Todesopfer rechter Gewalt seit der Einheit wurde – bescheiden – nach oben korrigiert.

Ein neuer „Aufstand der Anständigen“ ist nicht in Sicht. Das ist vielleicht auch besser so. Hysterie ist keine Basis für den Aufbau von dauerhaftem Engagement für demokratische Werte und gegen rechte Menschenverachtung. Doch wo ist der Widerwille gegen Rechtsextremismus und Rassismus geblieben, der damals das ganze Land zu erfassen schien? War der Protest wirklich nur eine x-beliebige Modeerscheinung der Mediengesellschaft und nicht der Anfang einer dauerhaften, stärkeren Gegenwehr? Es scheint fast so. Der braunen Szene ist es recht.

 

 

Donnerstag, 7. August 2003

NPD will büffeln

Partei plant "nationaldemokratisches Bildungszentrum"

Die NPD plant, in der Nähe ihrer Parteizentrale in der Seelenbinderstraße, Köpenick, ein "nationaldemokratisches Bildungszentrum in der Reichshauptstadt" einzurichten. Laut der Zeitschrift blick nach rechts ist der Umbau eines Gebäudes im Hinterhof vorgesehen.

NPD-Parteichef Udo Voigt rühre per Spendenaufruf die Werbetrommel, heißt es weiter. Das Schulungszentrum solle 180.000 Euro kosten. Das Planungs- und Genehmigungsverfahren sei bereits abgeschlossen. Köpenicks Baustadtrat Dieter Schmitz bestätigte der Zeitschrift, dass die Verwaltung bereits im März die Genehmigung erteilt hat: "Wir können nicht Baugenehmigungen nach politischen Sympathien erteilen."

Das Bildungszentrum soll einen Schulungsraum für bis zu 60 Personen, Zimmer sowie eine "nationale Zentralbibliothek" enthalten.

 

 

 

Montag, 11. August 2003

Das Wunder in der Rosenstraße: Frauen-Aufstand gegen die Nazis

Berlin (dpa) - Die Lastwagen mit den SS-Männern kamen im Morgengrauen. «Die Werkssirenen schrillten, die Vorarbeiter schrien "schnell, schnell, Maschinen abstellen und auf den Hof!"», erinnert sich Hans-Oskar Baron Löwenstein de Witt. Es war das Frühjahr 1943. Der damals 16-jährige Berliner, Kind eines jüdischen Vaters und einer evangelischen Mutter, musste als «Geltungsjude» Zwangsarbeit in der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik in Borsigwalde leisten.

«Wir stanzten in Zwölf-Stunden-Schichten Munition», erzählt Löwenstein de Witt in seiner kleinen Sozialwohnung nahe der Gedächtniskirche. Dort erinnern zahllose Fotos, alte Ausweise und kostbares Silber an das außergewöhnliche Schicksal seiner adligen Familie.

An jenem Morgen des 27. Februar vor 60 Jahren holten die Nazis bei der so genannten Fabrik-Aktion zu einem letzten großen Schlag gegen die noch im Deutschen Reich lebenden Juden aus. An ihren Arbeitsstellen wurden in Berlin tausende Menschen verhaftet, um sie kurze Zeit später in die Vernichtungslager zu transportieren.

Nach einem Tag im überfüllten Sammellager in der Levetzowstraße musste Hans-Oskar wieder auf ein Lastauto steigen. Schon auf dem Richtung Innenstadt rumpelnden Wagen merkten er und seine Mitgefangenen, dass sie von Hitlers Schergen offenbar ganz speziell ausgewählt worden waren. «Wir hatten alle entweder eine "arische" Mutter, eine "arische" Ehefrau oder einen "arischen" Vater», sagt Löwenstein de Witt. Zwischen 1500 und 2000 Menschen, die nach den «Nürnberger Gesetzen» als «arisch versippt» galten, wurden in das ehemalige jüdische Wohlfahrtsamt in der Rosenstraße in Berlin-Mitte gebracht.

Wie durch ein Wunder kamen die dort Gefangenen nach zwei Wochen frei. Im einzigen öffentlichen Protest im Nazi-Deutschland widersetzten sich mit jüdischen Männern verheiratete, verlobte und befreundete Frauen den Deportationsplänen. 26 bereits nach Auschwitz deportierte Menschen wurden von den Nazis sogar wieder zurück geholt. Regisseurin Margarethe von Trotta hat die Geschichte verfilmt. Mit dem am 18. September in den Kinos startenden Film «Rosenstraße» nimmt sie auch am offiziellen Wettbewerb der diesjährigen Film-Biennale in Venedig teil.

Unter den Inhaftierten seien die schlimmsten Gerüchte umgegangen, erzählt der heute 77-jährige Löwenstein de Witt. Würden sie alle sterilisiert werden, um weiteren «jüdisch-versippten» Nachwuchs zu verhindern? Werden sie nach Theresienstadt deportiert? Oder hält vielleicht irgendeiner der ganz oberen NS-Bonzen seine schützende Hand über sie? «Erst nach drei Tagen habe ich beim Warten vor den wenigen Toiletten meinen Vater getroffen», sagt Löwenstein de Witt. «Da sind wir uns erst einmal in die Arme gefallen.»

Eine «Mischung aus Angst und Hoffnung» habe ihn beherrscht, sagt er. In der weitläufigen Verwandtschaft der Familie waren auch einflussreiche, dem Regime nahe stehende Männer. «Der Riss ging durch unsere Familie», erklärt Löwenstein de Witt, wenn er vom Großonkel Wolf Heinrich Graf von Helldorf, dem damaligen Polizeipräsidenten von Berlin, erzählt. Oder von Tante Elisabeth, genannt Li, die mit dem ehemaligen Oberbürgermeister von Potsdam, einem Freund des letzten Kaisers Wilhelm II., verheiratet war. Der eingeschlossene Hans-Oskar schöpfte Hoffnung: «Was kann denn schon passieren, Tante Li hat das Goldene Parteiabzeichen», beruhigte sich der Jugendliche.

Immer mehr Frauen versammelten sich in der Rosenstraße. «Gebt uns unsere Männer wieder!», schrien die Verzweifelten den mit Maschinengewehren auf sie zielenden SS-Männern entgegen. Unter ihnen auch Tante Li und Hans-Oskars Mutter Johanna. Warum die Gefangenen schließlich frei kamen, das ist bis heute nicht ganz geklärt. Unter Historikern ist umstritten, ob die Männer ausschließlich auf Druck der Straße freikamen oder tatsächlich zu diesem Zeitpunkt gar nicht deportiert werden sollten. Löwenstein de Witt aber ist sich sicher: «Nur der Protest der Frauen hat unsere Freilassung bewirkt.»

Nach weiterer Zwangsarbeit und einem Leben in wechselnden Verstecken erlebte er das Kriegsende zusammen mit seinem Vater in einem schließlich von den Russen befreiten Lager in Berlin-Wedding. Das Haus in der Rosenstraße 2-4 steht heute nicht mehr. In der Sackgasse zwischen dem Hackeschen Markt und der Marienkirche an der Karl-Liebknecht-Straße erinnert ein Denkmal an den Aufstand der Frauen in der Rosenstraße.

 

 

 

Mittwoch, 13. August 2003

Faxe für Schönbohm

Protest gegen Abschiebung: Ein Verein fordert dazu auf, Faxe an Brandenburgs Innenministerium zu schicken

Zu einem "Fax-in" beim Brandenburger Innenministerium ruft der Potsdamer Verein "Opferperspektive" auf. Anlass für die Aufforderung, massenhaft Faxe an die Behörde zu schicken, ist die geplante Abschiebung des togolesischen Asylsuchenden Orabi Mamawi am 4. September. Der 41-Jährige war in Rathenow zweimal von Rechten angegriffen und verletzt worden.

Zunächst sollte Mamawi noch während des laufenden Strafverfahrens gegen seinen Angreifer abgeschoben werden. Erst nach Interventionen der Staatsanwaltschaft Potsdam wurde ein Aufschub erreicht. Nun wurde der Asylfolgeantrag des durch die Angriffe in Rathenow und Foltererfahrungen in Togo traumatisierten Flüchtlings abgelehnt. Damit ist der Weg für die Abschiebepläne des Landratsamts Havelland frei geräumt - obwohl deutsche Behörden Orabis Mitgliedsausweis einer Oppositionspartei an die togolesische Botschaft weitergaben.

"Wir fordern Innenminister Jörg Schönbohm auf, Orabi Mamawi ein sicheres Bleiberecht aus humanitären und politischen Gründen zu erteilen", sagt Kay Wendell von der Opferperspektive. "Als ein klares Signal an die Täter, dass sie ihre menschenverachtenden Ziele nicht erreichen." Schönbohm, in Bleiberechtsfragen ein Hardliner, hat sich bisher nicht geäußert. Auch der Petitionsausschuss des brandenburgischen Landtags hat sich noch nicht mit Anträgen befasst, in denen der Kirchenkreis Kyritz, Brandenburgs Ausländerbeauftragte und die Opferperspektive ein Bleiberecht fordern. "HEIKE KLEFFNER

 

 

Mittwoch, 13. August 2003

Zeugenklamauk im Prozess gegen „Landser“

Richter-Fragen nach der rechtsextremistischen Musikgruppe laufen ins Leere – Bandchef Michael R. würdigt die Mitangeklagten keines Blickes

Der Neonazi mit dem Topfhaarschnitt und dem leeren Messerhalfter am Gürtel möchte im Kammergericht spaßig wirken. Als ihn der Vorsitzende Richter fragt, wen er von der Berliner Rockband „Landser“ vor dem Prozess kannte, pumpt sich Thorsten H. ironisch auf: „Zu mir ist niemand gekommen und hat gesagt, ich bin Herr Landser.“ Dann belehrt der Zeuge den Richter, es sei nicht üblich, einen aus der Szene zu fragen, ob er zu der Band gehöre. Es sei ja auch „unfein, jemanden nach Fußpilz zu fragen“. Die drei angeklagten Mitglieder von Landser grinsen, die bizarr tätowierten Neonazis im Publikum auch. Richter Wolfgang Weißbrodt nimmt es hin. Der 56-Jährige mit dem weiß-grauen Vollbart scheint bei Thorsten H., einem notorischen Szeneanführer, den Mangel an Respekt vor Recht und Richter zu ignorieren.

Es ist der der zwölfte Tag im Prozess gegen Michael R. (38), André M. (35) und Christian W. (27), die trotz der schweren Vorwürfe in der Anklage von Generalbundesanwalt Kay Nehm gelassen erscheinen. Nehm beschuldigt die Rechtsrocker, sie hätten eine kriminelle Vereinigung gebildet, die mit ihren CDs und vor allem mit den brutalen Liedtexten zum Hass gegen Ausländer, Juden und andere „Teile der Bevölkerung“ aufstachelt. Und den Völkermord der Nazis verharmlost.

Das Verfahren wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, dabei handelt es sich um ein juristisches Pilotprojekt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich ein Generalbundesanwalt eine rechtsextreme Band vorgenommen – um zu demonstrieren, dass dem in Teilen der Jugend so populären Rassistensound mit aller Macht entgegengetreten werden muss. Außerdem gilt Landser in der Szene als Kultband. Die Texte sind an Brutalität kaum zu übertreffen („Kanake verrecke“, „100000 Liter Strychnin für Kreuzberg“), und die Musiker organisierten Produktion und Vertrieb ihrer CDs im In- und Ausland so konspirativ wie gelernte Mafiosi.

Eigentlich kein Grund für Heiterkeit im Gerichtssaal. Doch Richter Weißbrodt hat seit Prozessbeginn nur einmal Härte gezeigt. Mitte Juli verweigerte der als Zeuge geladene Ex-Schlagzeuger der Band, Horst S., jede Aussage. Weißbrodt schickte ihn in Beugehaft. Sie kann bis zu sechs Monate dauern, sollte S. bockig bleiben. Der Schlagzeuger hatte die Band Mitte der neunziger Jahre verlassen, dennoch scheint er aus Furcht oder alter Loyalität zu schweigen. Die Angst wäre begründet: Michael R., Sänger und Chef von Landser, kommt zum Prozess stets in Begleitung eines bulligen Skinheads. Die glatzköpfigen Mitangeklagten Andreas M. und Christian W. haben womöglich auch einiges zu befürchten. Bei der Polizei legten sie Teilgeständnisse ab, Michael R. hingegen sagte zu den Vorwürfen nichts. Seitdem ist Landser gespalten. Andreas M. und Christian W. gelten jetzt offensichtlich als Verräter.

Im Gerichtssaal würdigt Pferdeschwanzträger R. die beiden keines Blickes. Auch die Neonazis im Publikum haben sich offenbar auf der Seite des Landser-Sängers geschlagen. Ein Grund mehr für Andreas M. und Christian W., sich um ihre Gesundheit Gedanken zu machen. Denn unter den Zuschauern befindet sich zum Beispiel ein so gefährlicher Mann wie Marcus B. Der mehrfach vorbestrafte Neonazi mit den großen, buschigen Koteletten hat im Sommer 1999, aus der Haft heraus, in einem Schreiben an den Tagesspiegel indirekt mit Mord gedroht. Im Gericht lächelt B., inzwischen auch Pferdeschwanzträger, kurz über die dreisten Töne des Zeugen Thorsten H. Danach verengen sich die Augen wieder zum starren Blick. Frank Jansen

 

        

 

 

Donnerstag, 14. August 2003

Nazirocker wippen im Takt

Seit Anfang Juli wird in Berlin gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Neonaziband Landser verhandelt. Im Gerichtssaal
feiern Anhänger der Rechtsradikalen ihre Helden - während die mit den Richtern über das Musikgeschäft fachsimpeln

von HEIKE KLEFFNER

Im Saal 145 des Berliner Kammergerichts steigt die Stimmung. Richter Wolfgang Weißbrodt kündigt das Abspielen der indizierten CD "Deutsche Wut - Rock gegen Oben" der Neonaziband Landser an. Während die drei mutmaßlichen Landser-Mitglieder, Michael R. (38), André M. (37) und Christian W. (27) auf der Anklagebank starr nach vorne gucken, wippen auf den Zuschauerbänken tatöwierte Neonazirocker im Takt. Der Refrain "Zigeunerpack, jagt sie alle weg, ich hasse den Dreck" dröhnt durch den Saal; ohne Pause geht es weiter mit Texten wie "100.000 Liter Strychnin für Kreuzberg".

"Begleitmusik zu Mord und Totschlag" nennen Experten die Tonträger von Landser. Gespielt wurden sie bei der tödlichen Hetzjagd auf den algerischen Flüchtling Farid Guendoul in Guben und beim Mord an Alberto Adriano in Dessau. Doch nach einem Dutzend Verhandlungstagen gegen Deutschlands bekannteste Neonaziband, der die Bundesanwaltschaft die "Bildung einer kriminellen Vereinigung" nach §129 StGB vorwirft, ist von der politischen Brisanz des Verfahrens nichts zu spüren. Dabei gehört die Verbreitung nationalsozialistischer Ideen durch Musik zum erfolgreichsten Rekrutierungsansatz der extremen Rechten.

Seit Prozessbeginn gibt sich die militante rechte Szene im Kammergericht ein Stelldichein: kahl geschorene Skinheads, die Neonazirocker Vandalen und biedere Scheitelträger im gestreiften Polohemd.

Während der Hauptangeklagte und mutmaßliche Sänger der Band, Michael R. alias "Luni", in einschlägigen Internetforen als "Held" gefeiert wird, stehlen im Prozess zuweilen die Zeugen den schweigenden Angeklagten die Show. Zum Beispiel der bundesweit aktive Neonazi Thorsten Heise aus Frettenroda. Die Ermittler vermuteten, Heise sei bei den Aufnahmen zur indizierten Landser-CD "Republik der Strolche" in Schweden dabei gewesen.

Vor Gericht mag sich der vorbestrafte 34-Jährige daran nicht erinnern. Stattdessen beschreibt Heise, wegen CDs mit rassistischen Texten im September selbst wieder auf der Anklagebank, die Gründe für den "Kultstatus" von Landser. Deren Texte seien eben "radikal, ein bisschen durchdachter, ironisch und humorvoll".

Eine väterliche Ermahnung von Richter Wolfgang Weißbrodt, einige Texte seien "wirklich nicht zum Lachen", verpufft. Es ist die Distanzlosigkeit, mit der zwischen Richtertisch, Anklagebank und Zeugenstand im Plauderton über das Musikgeschäft gefachsimpelt wird, die aus dem als Musterprozess angelegten ersten Verfahren gegen eine Neonaziband wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eine Provinzposse macht. Und den auffälligen Gedächtnisschwund vieler Zeugen, oftmals langjährige Neonaziaktivisten, unhinterfragt stehen lässt. Lediglich Horst H., erster Schlagzeuger von Landser, wollte gar nicht aussagen und sitzt seit zwei Wochen in Beugehaft.

Ursprünglich wollte der 2. Strafsenat des Kammergerichts den Anklagepunkt "kriminelle Vereinigung" gar nicht zulassen. Nachdem der Bundesgerichtshof die Entscheidung der Berliner Richter verwarf, mühen sich die nun lustlos durch die Beweisaufnahme. Im Zeitraffer werden zehn Jahre rechtsextreme Organisierung, klandestine Bandproben, geheime Studios im Ausland und Presswerke in Osteuropa verhandelt.

Beobachter rechnen frühestens im Oktober mit einem Urteil. Ob die drei Angeklagten dann lediglich wegen "Progandadelikten" oder doch als kriminelle Vereinigung verurteilt werden, mag derzeit niemand prognostizieren.

 

 

Samstag, 16. August 2003

HESS-GEDENKMARSCH: DER AUFSTAND DER ANSTÄNDIGEN IST LÄNGST VORBEI

Gesucht: Zivilcourage

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Verbot für den "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel aufgehoben. Schon im vergangenen Jahr konnten 2.500 Neonazis den Hitler-Stellvertreter in der bayerischen Kleinstadt unbehelligt zum "Märtyrer" stilisieren. Heute wird Wunsiedel nun erneut zum Austragungsort des größten rechten Schaulaufens des Jahres. Problematisch an dem Freifahrtschein für Neonazis vom BVerfG ist dabei vor allem die richterliche Begründung: Mit Störungen sei "nicht zu rechnen".

Diese durchaus zutreffende Feststellung verweist auf eine dramatische Leerstelle, die nicht durch härtere Gesetze und Verbote zu füllen ist. Drei Jahre nach dem "Aufstand der Anständigen" gegen Rechtsextremismus, rassistische Angriffe und antisemitische Bedrohung ist von einer zivilgesellschaftlichen Mobilisierung auf den Straßen ost- und westdeutscher Städte kaum noch etwas zu sehen. Polizeipressestellen vermelden es als Erfolg, wenn, wie unlängst beim Heß-Gedenkmarsch im brandenburgischen Wittstock, "die Bevölkerung kaum Notiz nimmt" von 200 marschierenden Neonazis. Das Scheitern des NPD-Verbots, Medien, die rechten Alltagsterror längst wieder in die Randspalten verbannt haben, die feste Verankerung einer rechten Alltagskultur nicht nur in den neuen Bundesländern, der Paradigmenwechsel vom "Aufstand gegen rechts" zu "runden Tischen gegen Gewalt und Extremismus" - all das zeigt: Die Mitte der Gesellschaft hat den Kampf gegen rechts längst wieder in die Schmuddelecke verbannt.

Derweil wird laut Statistik jeden Tag irgendwo in Deutschland eine rechtsextrem motivierte Straftat begangen. Und in Wunsiedel wird heute ungestört eines verurteilten NS-Kriegsverbrechers gedacht, der vor 16 Jahren Selbstmord beging. Wer gedenkt eigentlich im bayerischen Kolbermoor des 35-jährigen Mosambikaners Carlos Fernando, der am 15. August 1999 von einem stadtbekannten Neonazi mit der Begründung "Die Neger gehören alle totgeprügelt" getötet wurde? " HEIKE KLEFFNER

 

 

Montag, 18. August 2003

 

"Schnappt euch den Blonden"

In Potsdam häufen sich Meldungen über rechtsextreme Gewalt, aber die Polizei sieht nur normale Schlägereien

Von Christoph Seils (Berlin)

Es sollte ein schöner Abend werden. "Sommerferienmäßig" hatte sich Robert mit einem Freund und einer Freundin in einem Potsdamer Park an der Havel unweit des Hauptbahnhofes niedergelassen, Bier getrunken, gequatscht, gescherzt. Doch wenn sich der 18-jährige Gymnasiast an jenen Mittwoch im Juli erinnert, dann wird er wortkarg, spricht über seine Angst, über Drohungen und Prellungen sowie darüber, dass er nimmer damit gerechnet habe, Opfer rechter Gewalt zu werden.

Es beginnt mit einem harmlosen Wortwechsel, eher flapsig streiten sich die drei am Fluss mit einigen Rechten, die in der Nähe standen. Doch plötzlich wächst die Gruppe auf über 20 Personen an. Ein Faustschlag trifft Robert unvermittelt im Gesicht. Später wird die Polizei erklären, die Gruppe und der stark alkoholisierte Haupttäter Christian J. hätten gezielt die Auseinandersetzung gesucht. In Panik springt Robert ins Wasser der Nuhte, die hier in die Havel mündet. "Schnappt euch den Blonden" heißt sodann die Parole, die dieser so schnell nicht vergessen wird.

Der Angriff ist gut organisiert, drei Rechte verhindern, dass Robert auf der anderen Seite wieder aus dem Wasser klettern kann. Christian J. springt hinter her und drückt Robert unter. Unendlich lange kam es Robert vor, er spricht von einer Minute. Nachdem er sich in Todesangst aus der Umklammerung befreit hat und aufgetaucht ist, fragt ihn der grinsende Christian J.: "Haste wieder Luft" und schlägt erneut auf ihn ein. Auch sein Freund René kann ihm nicht helfen, er wird zur selben Zeit von zwei anderen Rechten zusammengeschlagen. Nur die hilflose zuschauende Freundin lassen die Angreifer in Ruhe. Erst als die Polizei anrückt, versuchen die Täter zu fliehen; vergeblich, den Beamten gelingt es, ihre Personalien festzustellen.

Alltag in Ostdeutschland. "Potsdam ist ein Schwerpunkt rechter Gewalt", sagt Claudia Luzar vom Verein "Opferperspektive". Seit zwei Jahren häuften sich in der brandenburgischen Landeshauptstadt die Gewalttaten, 14 waren es nach Angaben von "Opferperspektive" im vergangenen Jahr, acht in den ersten sieben Monaten diesen Jahres. So wurden Mitte Juli drei Verbindungsoffiziere aus Kroatien, Rumänien und den Niederlanden von stark angetrunkenen Angreifern geschlagen und getreten, weil sie in einer Straßenbahn miteinander Englisch sprachen. Ende Juli wurde eine 38-jährige Afrikanerin an einer Haltestelle von einem 21-jährigen rassistisch beschimpft und ins Gesicht geschlagen. "In Potsdam gibt es mehr Angriffe als in anderen Städten Brandenburgs", sagt Claudia Luzar. Doch die Potsdamer Polizei widerspricht. "Deutlich rückläufig" seien die einschlägigen Straftaten, erklärt Polizeisprecher Rudi Sonntag, die Stadt sei "kein ausgesprochener Brennpunkt im rechtsextremistischen Geschehen". Dabei bestreitet auch der Verein "Opferperspektive" nicht, dass es in Potsdam mehr zivilgesellschaftliches Engagement und mehr anti-rassistische Initiativen als in anderen Städten Ostdeutschlands gibt, überdies viele linke und alternative Jugendliche.

Robert und René verstehen sich selbst als "eher unpolitische", sie hören gerne Heavymetall, fühlen sich der Grufti-Szene verbunden, tragen mit Vorliebe schwarze Klamotten, seine Haare trägt René punkermäßig abstehend. Allein das ist für viele Skinheads eine Provokation. Im Dorf Michendorf unweit von Potsdam, wo René zu Hause, stand schon mal die rechte Clique vor seinem Elternhaus und skandierte "Punkerschwein, wir kriegen dich".

Die "kulturelle Hegemonie" in Potsdam ist umkämpft, sagt Claudia Luzar, anders als in den meisten ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Rechte Cliquen versuchten sich hier mit Gewalt Freiräume zu erkämpfen. Gerade deshalb würden nicht nur Immigranten und Flüchtlinge zu Opfern, sondern eben auch nicht-rechte, vor allem Punks. Doch hier fehlt den Zuständigen die nötige Sensibilität. Auch der Angriff auf Robert und René wird von der Polizei als normale Schlägerei bagatellisiert. Einen rechtsextremistischen Hintergrund schließt sie aus. Dabei ist der Haupttäter Christian J. unter anderem wegen Körperverletzung vorbestraft. Als Symbol seiner Gesinnung schmückt ihn ein Reichsadler-Tattoo. Der Potsdamer Hauptbahnhof ist sein Revier, hier trifft er sich regelmäßig mit Gesinnungsfreunden.

Als René dem Schläger dort ein paar Tage nach dem Angriff begegnet, stellt sich ihm dieser frech in den Weg und tönt selbstbewusst "ja, man sieht mich immer noch". Eine telefonische Beschwerde des Vereins Opferperspektive bei der Polizei führt zu nichts. Denn anstatt dafür zu Sorgen, dass der Bahnhof nicht länger ein Tummelplatz für rechte Schläger bleibt, fiel der zuständigen Kommissarin nichts Besseres ein, als dem Betroffenen zu raten, diesen zukünftig zu meiden.

 

 

 

Montag, 18. August 2003

 

DIE ANALYSE
Fatale Gewöhnung

Rechtsextreme Gewalt wird zu häufig übersehen

Von Pitt von Bebenburg

So ein rechtsradikaler Übergriff muss schon richtig spektakulär sein, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Selbst wenn nach der rassistischen Beschimpfung der Hund auf einen Asylbewerber gehetzt wird - über die Region hinaus erfährt davon in der Republik niemand etwas. Wenn ein deutscher Jugendlicher aus der Hip-Hopper-Szene stundenlang gefoltert und mit dem Tode bedroht wird, dann schafft diese Meldung es immerhin bis in die überregionalen Blätter; in den Fernsehnachrichten taucht aber auch sie nicht auf. Das alltägliche Leiden von Menschen anderer Hautfarbe, von alternativen Jugendlichen, von Obdachlosen findet keine öffentliche Beachtung mehr. Und das, obwohl die alltägliche Bedrohung keineswegs geringer geworden ist. Die Zahlen der Verfassungsschützer belegen das ebenso wie die Recherchen nicht staatlicher Quellen.

Deutschland hat sich gewöhnt an den Rechtsradikalismus. Natürlich gibt es mutige Initiativen, kluge Analysen, wache Medien und ernstlich interessierte Politiker, die den Finger in diese Wunde legen. Die Engagierten in der Zivilgesellschaft sind mehr geworden seit dem Sommer 2000, als die Öffentlichkeit aufgeschreckt wurde und sich die Bundesregierung an die Spitze der demokratischen Bewegung stellte. Aber es gibt auch immer noch Bürgermeister, die vor allem den Imageschaden für die eigene Gemeinde fürchten, wenn ein rechtsradikaler Übergriff bekannt wird, und Landesinnenminister, die die Zahlen für ihr Bundesland aus dem gleichen Grund weit nach unten korrigieren. Sie ändern freilich nichts daran, dass selbst die offiziellen Zahlen der Gewalttaten Jahr für Jahr auf einem alarmierend hohen Niveau liegen.

Das Problem ist nicht überall gleich groß. Es gibt Städte und Landstriche, in denen rechtsradikale Gewalt selten vorkommt. Deswegen wirken die dramatischen Meldungen vor allem aus Ostdeutschland, aber auch aus einzelnen Regionen Westdeutschlandes mancherorts wie Berichte aus einem fernen Land. Doch sie sind es nicht.

Nach wie vor gibt es besonders in ostdeutschen Städten und Dörfern Angstzonen, in denen rechtsradikale Cliquen sich demonstrativ breit machen, jedem anders Aussehenden oder sichtbar anders Denkenden mit Gewalt drohen. Vor Ort ist es häufig schwierig, eine Gegenbewegung oder auch nur eine Öffentlichkeit für das Problem zu schaffen - vor allem auf dem Land, wo bürgerschaftliches Engagement viel weniger verbreitet ist als in Städten.

In jedem Sommer haben die rechten Schläger Hochkonjunktur. Doch nur selten nahm die offizielle Politik dies zum Anlass, sich des Themas entschieden anzunehmen. Zuletzt war das der Sommer vor drei Jahren, als Bundeskanzler Gerhard Schröder den "Aufstand der Anständigen" ausrief. Die Aktion zeigte eine gewisse Wirkung, es gab eine intensive öffentliche Debatte, es gab Anerkennung und Geld für Initiativen gegen den Rechtsextremismus und für seine Opfer. Nun, nach drei Jahren, läuft die Anschubfinanzierung für einige dieser Modellprojekte aus, und aus der öffentlichen Wahrnehmung ist das Problem fast völlig verschwunden.

Der Kanzler und sein Volk, sie sind mit anderem vollauf beschäftigt. Der Sommer ist heiß, das Geld ist knapp - das sind die Themen dieser Monate. Die Politik stellt sich dem Umbau der Sozial- und Gesundheitspolitik, und nebenbei denkt man an Afghanistan, Irak und die Rolle Deutschlands in der Welt. Hier kann die Politik Handlungsfähigkeit zeigen - und auf sichtbare, in Zahlen messbare Erfolge hofft. Der Kampf gegen Rechtsradikalismus und Gewalt ist in dieser Hinsicht viel undankbarer. Er setzt in den Köpfen an, er muss die gesamten gesellschaftlichen Bedingungen ins Auge fassen, er baut nicht nur auf kurzfristige Repression, sondern vor allem auf Prävention. Die aber wird in Zeiträumen gemessen, die wesentlich länger sind als Legislaturperioden.

Nicht zuletzt erinnert das Thema Rechtsextremismus die Politik an eine herbe Niederlage. Viel zu sehr hatten sich Bund und Länder auf ein Verbot der NPD konzentriert, das dann in Karlsruhe so kläglich scheiterte und zudem das System der geheimdienstlichen Überwachung rechtsextremer Organisationen in Misskredit brachte. Daran wollen Schröder, Schily & Co. lieber nicht erinnert werden.

Doch das kann kein Grund sein, die Erosion des Gemeinwesens durch rechtsextreme Gewalttäter aus dem Blick zu nehmen. Die Debatte muss weitergehen, da, wo sie irgendwann Anfang 2001 aufgehört hat. Der Kampf gegen Rechtsradikalismus braucht langen Atem - das haben schon damals alle Fachleute betont. Jetzt ist es an der Zeit, es zu beweisen.

 

 

Montag, 18. August 2003

Rechtes Partyvolk in Pankow

Neonazis feiern auf einem rechten Konzert in Pankow. Anwohner berichten von rechtsextremen Liedtexten. 200 Polizisten umstellen das Gelände, belassen es jedoch bei "Gefährdeansprachen"

von HEIKE KLEFFNER

Zu einem "Rudolf-Heß-Gedenkkonzert" versammelten sich am Samstagabend rund 100 Neonazis auf dem Gelände einer Gaststätte in Buchholz. Anwohner in der Bahnhofstraße berichteten schockiert von rechtsextremen Liedtexten und einer größeren Anzahl von Naziskins, die sich sowohl in der Gaststätte "Kantine" als auch in einem Zelt davor aufhielten. Nach Angaben der Polizei sollte hier ein Livekonzert des mutmaßlichen Sängers der Neonaziband "Landser", Michael R., und der Band "Spreegeschwader" stattfinden.

Mehrere Stunden nach Beginn der Feier umstellten dann rund 200 Beamte u. a. des Landeskriminalamts und der Sondereinheit "Politisch Motivierte Straftaten" (PMS) das Gelände. Dabei sei es jedoch lediglich zu so genannten Gefährdeansprachen gekommen, so die Polizeipressestelle. Es habe weder Festnahmen noch Beschlagnahmungen gegeben. Nach Angaben der Polizei gab es auch keine Liveauftritte, sondern nur "szenetypische Musik" vom Band.

Beobachter zeigten sich weder über den Termin der Feier noch über die geplanten Auftritte überrascht. Schließlich hatten Berliner Neonazis, darunter die Kameradschaft Tor aus Friedrichshain sowie der bekannte Neonaziaktivist Oliver Schweigert, am selben Tag noch im bayrischen Wunsiedel gemeinsam mit rund 3.000 Gesinnungsgenossen an einem Aufmarsch für den Hitler-Stellvertreter und verurteilten NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß teilgenommen. "Immer häufiger finden im Anschluss an Aufmärsche auch Konzerte statt," so die Beobachter.

Bei den angekündigten Live-Acts handelt es sich um Berlins bekanntes RechtsRock-Vertreter: Michael R. sitzt als mutmaßlicher Sänger der Band Landser unter dem Vorwurf der "Rädelsführerschaft" in einer "kriminellen Vereinigung" derzeit zweimal wöchentlich auf der Anklagebank im Kammergericht Berlin. Die 1994 gegründete Band Spreegeschwader kündigt seit Wochen im Internet die Veröffentlichung ihrer sechsten CD für Anfang August an. Sie trägt den Titel "Gefangen im System", Lieder heißen etwa "Das Lied vom Hasse". In einer Unterzeile heißt es: "Zurück aus dem Dunkel mit neuer Musik. Hart und aggressiv, denn es ist Krieg …"

Ein Sprecher der Pankower Antifa-Offensive kritisierte, dass die Polizei lediglich Gefährdeansprachen durchführte. "Das Problem ist, dass Neonazis vor und nach so genannten Feiern und Konzerten noch mehr als im Alltag eine Bedrohung für alle darstellen, die nicht ins rechte Weltbild passen." Zudem komme es verstärkt zu rechtsextremen Aktivitäten im Bezirk. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Regionalstudie des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK). Laut Verfassungsschutzbericht wurden in Pankow im vergangenen Jahr 129 "politisch rechts motivierte Straftaten", darunter 5 Gewaltdelikte, registriert. Damit liegt Pankow bei der Summe der Delikte berlinweit an zweiter und bei Gewalttaten an vierter Stelle. Das letzte größere Neonazikonzert im Bezirk fand im Februar 1999 im Vereinshaus einer Pankower Schrebergartenkolonie mit rund 300 Rechten und Spreegeschwader statt.

rechte straftaten

Regionale Verteilung

Rechte sind in Pankow immer wieder aktiv: Der Verfassungsschutz registrierte im vergangenen Jahr 129 "politisch rechts motivierte Straftaten", darunter fünf Gewaltdelikte. Damit liegt Pankow bei der Summe der Delikte berlinweit an zweiter Stelle. Im Verfassungsschutzbericht heißt es: Da die regionale Verteilung der Straftaten mit der Verteilung der Wohnorte korrespondiere, "liegt die Vermutung nahe, dass die Mehrzahl dieser Taten im Wohnumfeld der Täter begangenen wurde".