Presseschau September 2003
Die Presseschau ist ein Service des durch  entimon geförderten Projektes respectabel.de

Hier finden Sie eine Auswahl unserer Redaktion von Artikeln des täglichen Pressespiegels

Montag, 1. September 2003

Was wir den Opfern schuldig sind Am Jahrestag des Kriegsbeginns ist Europa im Gedenken geteilt

Von Christoph von Marschall

Geschichtsbilder wandeln sich mit dem Wandel der Geschichte. Doch nicht immer parallel, sondern manchmal gegenläufig. Heute ist der Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann – der zu Europas Teilung führte. Es ist der letzte 1. September vor der Ost-Erweiterung der EU, die Europa wiedervereint. Das könnte Anlass für einen versöhnlichen Rückblick sein. Aber ausgerechnet in diesem Jahr liegt neues Misstrauen über dem Tag. In Polen ist der Vorwurf zu hören, das Volk der Täter versuche, die Historie umzudeuten und die Deutschen zu einem Volk der Opfer zu machen. Nicht nur Nationalkonservative hegen diesen Argwohn, auch Politiker und Intellektuelle, die den Dialog mit Deutschland vorangetrieben haben. Viele Tschechen denken ähnlich, nur kann man das kaum nachlesen; sie haben genug vom langen Streit um die Benes-Dekrete und ducken sich weg.

Auslöser ist das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen. Nach polnischer Lesart will dort der Bund der Vertriebenen das deutsche Leid ohne die historische Vorgeschichte darstellen. Das Zentrum ist jedoch nicht die einzige Ursache. Stirnrunzeln lösten zuvor die neuen Bücher über den Bombenkrieg, den Untergang des Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“, Flucht und Vertreibung aus. Warum, so rumort es bei den Nachbarn, thematisieren die Deutschen so auffällig ihr Leid – und das ihnen angetane Unrecht?

Wer genau hinschaut, merkt, wie verkürzt die Nachbarn die deutsche Debatte wahrnehmen; selbst Deutschland-Experten kennen die tatsächlichen Pläne für das Zentrum nicht. Dass der BdV dort keineswegs nur die Vertreibung der Deutschen darstellen will, sondern – der Plural ist schon im Namen enthalten – die Vertreibungen in Europa im 20. Jahrhundert, auch die der Tschechen und Polen zu Beginn des Kriegs, nicht zu vergessen das Schicksal der Armenier und, in den 90er Jahren, der Balkanvölker; dass polnische und tschechische Historiker mitwirken: Es wird nicht wahrgenommen.

Ähnlich war es zuvor, wenn die Sprache auf Bombenkrieg, Flucht oder die Probleme deutschstämmiger Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa kam: Den Nachbarn ist nicht bewusst, dass die Deutschen solche Themen lange aus der öffentlichen Debatte verbannt, sie auf unnatürliche Weise tabuisiert hatten und alle, die daran rüttelten, in die rechte, die revanchistische Ecke stellten.

Auch für die Nachbarn war es bequemer so: Die Deutschen waren die Täter. Und wenn einige Opfer waren, dann waren eben auch sie Opfer Hitlers. Muss man das denn genauer wissen, wer da die Täter waren – im Bombenkrieg, bei der Vertreibung –, es sei denn, dahinter steht das Ziel, Schuld und Moral neu zu verteilen? Dass man es den Opfern schuldig ist, ihr Leid anzuerkennen, dieser Gedanke wird noch nicht allgemein akzeptiert.

Europa findet sich neu zusammen. Und es ist offenbar eine Last, dass die Arbeit an wahrhaftigen Geschichtsbildern damit nicht endet, sondern in eine neue Phase tritt.

Mittwoch, 3. September 2003

V-Leute halfen bei Hass-CD mit

Aussage im Landser-Prozess

Andreas Förster

BERLIN, 2. September. Im Berliner Prozess gegen Mitglieder der rechtsextremen Rockgruppe Landser hat am Dienstag ein früherer V-Mann des Verfassungsschutzes seine Beteiligung an der Produktion einer CD der Band eingeräumt. Der Zeuge, der inzwischen wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilte sächsische Neonazi Mirko Hesse, sagte zudem aus, dass noch ein weiterer V-Mann wesentlich an der Herstellung der Landser-CD "Ran an den Feind" mitgewirkt habe. Dabei soll es sich um den inzwischen ebenfalls verurteilten Toni Stadler aus Brandenburg handeln, der vom dortigen Landesamt für Verfassungsschutz geführt wurde.

Hesse gab an, im Frühsommer 2000 von dem Produzenten der Landser, Jan Werner, mit der Herstellung der CD beauftragt worden zu sein. Bei dem Gespräch an der Autobahnabfahrt Radeberg sei auch Stadler dabei gewesen, der die Produktion des Booklets der CD übernahm. "Ohne Toni Stadler lief in der Szene damals gar nichts", würdigte Hesse die Qualitäten seines V-Mann-Kollegen. Stadler sei es auch gewesen, der von ihm immer weitere Nachpressungen der "Ran an den Feind"-CD verlangt habe. Die Platten seien in der rechtsextremen Szene sehr gefragt gewesen.

Seit Mitte August müssen sich drei Landser-Musiker vor dem Berliner Kammergericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Aufforderung zu Straftaten vor. So rufen die Landser-Musiker zum Beispiel auf der unter den Augen des Verfassungsschutzes produzierten Hass-CD "Ran an den Feind" zum Mord an Juden und Ausländern sowie zur Tötung von Verantwortlichen der Wehrmachtsausstellung auf.

Mittwoch, 3. September 2003

Plakat gegen rechte Gewalt

"Täglich werden vor allem Ausländer Opfer von Rassismus. Besonders in der S-Bahn", sagt Sabine Seyb von Reach Out, einer Beratungsstelle gegen rechte Gewalt. Sie kritisiert, dass andere Fahrgäste oftmals wegschauten, statt zu helfen.

Um dies zu ändern, entwarf Reach Out ein Plakat, das seit gestern in S- und U-Bahnzügen sowie auf Bahnhöfen zu sehen ist. Mit dem provokanten Titel "Handeln? . . . man gönnt sich ja sonst nichts", soll es zu Solidarität mit den Opfern aufrufen. "Viele Zeugen von Gewalttaten trauen sich nicht einzuschreiten, da sie Angst haben, selbst angegriffen zu werden", sagt Sabine Seyb. Doch jeder könne etwas tun, so fordert das Plakat: die Polizei rufen, die Notbremse ziehen und sich später bei der Polizei als Zeuge melden.

Mittwoch, 3. September 2003

Alle gucken zu, keiner greift ein

Zum Auftakt einer Plakataktion gegen rechtsradikale Gewalt berichtet ein Opfer von einem Angriff

Dovenon Narcisse kann nicht mehr gut schlafen. Rückenschmerzen und Herzprobleme machen ihm zu schaffen. Doch vor allem sind es die Bilder, die den Schwarzafrikaner aus Benin seit dem verhängnisvollen Tag verfolgen. Vor rund einem Jahr wurde Narcisse von russischen Schlägern angegriffen und krankenhausreif geprügelt. Das Schlimme: Viele Passanten schauten zu, keiner hat etwas unternommen.

„Das ist kein Einzelfall“, sagt Sanchita Basu, Mitarbeiterin bei Reach Out, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Oft hätten die Augenzeugen Angst zu helfen oder schauen aus Hilflosigkeit weg. Um die Menschen sensibel für dieses Thema zu machen und ihnen den Mut zu geben, bei rechtsradikalen Angriffen aktiv einzuschreiten, starteten gestern Reach Out und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) eine Plakataktion. Insgesamt 230 Plakate hängen für zwei Wochen in S- und U-Bahn-Stationen, mit dem Aufruf, bei Gewalt gegen Ausländer nicht wegzuschauen, sondern zu helfen.

Narcisse kennt das Gefühl der Hilflosigkeit nur zu gut, wenn alle gucken, aber keiner eingreift. Und die Wut darüber, wenn der, den du um Hilfe bittest, mit den Achseln zuckt, sich umdreht und geht. Etwa ein Dutzend Menschen wurden Zeugen des Angriffes, doch selbst nachdem Narcisse sie ansprach und um Hilfe bat, zeigten sie keine Reaktion. „Das tut weh, keine Unterstützung zu haben. Wie kann man nur so gehasst werden?“

Ein Jahr ist der rechtsradikale Angriff auf den Afrikaner jetzt her und er hat sein Leben hier in Deutschland verändert. Es war gegen sieben Uhr morgens, als Narcisse am Nöldnerplatz in die S-Bahn steigen wollte. Elf Russen störten sich offensichtlich an der Hautfarbe des Afrikaners und fingen an, ihn herumzuschubsen und zu beschimpfen. „Du Scheißnigger, raus hier!“, an diese Worte erinnert sich Narcisse sehr genau. „Ich habe gefragt, was ich denen getan habe, aber die antworteten: Du bist ein Scheißnigger.“ Zehn Minuten musste er die Schläge ertragen, bis die Polizei eintraf und die Russen festnehmen konnte. Der Prozess gegen die Täter läuft. Seit gut fünf Jahren lebt Narcisse jetzt schon in Berlin, studiert an der FH Informationswissenschaften. Ihm habe es in Deutschland immer gut gefallen, doch jener Tag hat seine Spuren hinterlassen. Zwei Wochen musste der Afrikaner im Krankenhaus behandelt werden, hatte starke Prellungen und innere Blutungen. Doch schlimmer als die körperlichen Schmerzen sind die seelischen. „Ich fühle mich in Deutschland nicht mehr sicher“, sagt er. Narcisse geht seit dem Angriff zur Therapie, versucht, das Erlebte zu verarbeiten. Durch das Schreiben eines Buches will er die quälende Erinnerung loswerden. Doch dass ihm damals keiner geholfen hat, nagt ganz besonders an ihm. Zu der Plakataktion sagt Dovenon Narcisse: „Die Plakate sind sinnvoll.“ Für ihn kommt diese Hilfe zu spät.Laura Platt

Donnerstag, 4. September 2003

Bildung für alle Nazis

NBZ ist nicht mehr nur die Abkürzung für »national befreite Zonen«. In Berlin entsteht ein »nationaldemokratisches Bildungszentrum« der NPD. von arne norden

Die Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick könnte zu einem Wallfahrtsort für Nazis werden. Die Bundeszentrale der Partei wurde Anfang des Jahres 2000 von Stuttgart dorthin verlegt und war seither immer wieder ein Grund für Proteste. Nun soll in ihrer Nähe auf einem Hinterhof ein »nationaldemokratisches Bildungszentrum« (NBZ) entstehen. Das Planungsverfahren ist bereits abgeschlossen, die Genehmigung wurde im März von der Bauverwaltung des Stadtteils Treptow-Köpenick erteilt.

Für die Errichtung des Schulungszentrums haben der NPD-Vorsitzende Udo Voigt, der Schatzmeister Erwin Kemna, und ihr derzeitiger »Schulungsverantwortlicher«, Stefan Lux, einen Spendenaufruf formuliert, denn billig ist das geplante Projekt nicht. 180 000 Euro soll das Zentrum kosten, 70 000 Euro müssen noch gesammelt werden, damit die Arbeiten beginnen können.

Umfangreiche Umbauten sind erforderlich. In dem zweistöckigen Gebäude sind neben einem Schulungsraum für 60 Personen mehrere Zimmer zur billigen Unterbringung von 20 bis 25 Seminarteilnehmern geplant. Auch eine »nationale Zentralbibliothek der NPD« soll hier entstehen. Bisher ist der nach Angaben der Partei etwa 5 000 Bücher umfassende Bestand auf verschiedene Landesgeschäftsstellen verteilt.

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Hinweise, dass die Partei Immobilienkäufe zur Errichtung von Bildungsstätten, mal in Süddeutschland, mal in den östlichen Bundesländern, beabsichtige. Jetzt ist es der NPD damit offenbar in Berlin ernst. Hinter den Plänen stehen vor allem strategische Interessen der Partei. So nannte Voigt in einem Interview mit der parteieigenen Zeitung Deutsche Stimme bereits im Februar 2002 die Bildungsarbeit der NPD einen »wunden Punkt«.

Voigt war zeitweilig Leiter des »nationaldemokratischen Bildungszentrums« im italienischen Iseo. Es war untergebracht in einem Ferienhaus, das die Partei 1985 von einer NPD-Funktionärin geschenkt bekommen hatte. Seine eigene Bildungsarbeit in Iseo dient Voigt als Vorbild, denn in dem Interview bekannte er, dass es sein Interesse sei, die von dort gewohnte »Qualität in der Ausbildung und die Quantität geeigneter künftiger Führungskräfte der Partei baldmöglichst wieder zu erreichen, wenn nicht gar zu verbessern«.

Zu diesem Zweck stellte er ein »geeignetes Schulungszentrum« in Aussicht, in dem »z.T. hauptamtliche Bildungsreferenten die künftige Aus- und Weiterbildung unseres Führungsnachwuchses, ähnlich des ›Iseo-Konzepts‹, übernehmen«. Voigt erklärte das Jahr 2003 zum Jahr der »Schulungen und einer Struktur- und Verbandsreform«.

Auch Stefan Lux ist ein Fachmann. Der Nachfolger von Steffen Hupka als Bildungsleiter der Partei fuhr in diesem Jahr zu Rechtsschulungen zum »Verhalten gegenüber Polizei und Justiz« nach Ulm und an den Bodensee und nahm an der »Sommeruniversität« der NPD-Saar teil.

Für das »Jahr der Schulungen« wird das geplante Bildungszentrum aber zu spät kommen, denn die Bauarbeiten haben noch nicht einmal begonnen. Der Pressesprecher der NPD, Klaus Beier, rechnet damit nicht vor dem Herbst. Bewacht wird das Gelände aber schon jetzt. Wie Beier sagt, solle der Umbau »unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen ablaufen«.

Dabei hilft die ständige Polizeipräsenz vor der NPD-Zentrale. »Wegen seiner ausgezeichneten Bewachung« biete das Gelände »eine große Sicherheit für die Teilnehmer von Veranstaltungen«, heißt es aus der Partei.

Der letzte erfolgreiche Anschlag auf die NPD-Zentrale liegt erst knapp ein Jahr zurück. Damals brannte das Auto eines Mitarbeiters der Partei. Zahlreiche Demonstrationen und Aktionen haben die NPD immer wieder daran erinnert, dass nicht alle Köpenicker sie dulden wollen. Die antifaschistischen Aktivitäten gegen die Partei müssen in dem östlichen Stadtteil allerdings fast ohne Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager auskommen. Die jüngste Verhinderung des in Köpenick geplanten Kontrollverluste-Festivals der Antifa durch örtliche SPD- und PDS-Politiker war bezeichnend.

Der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, Klaus Albrecht (SPD), der auch Schirmherr des örtlichen Bündnisses für Demokratie und Toleranz ist, sieht keine rechtlichen Möglichkeiten, das NPD-Projekt zu verhindern. Die Partei sei ja nicht verboten. Er erwarte aber keine großen Konflikte, alle Parteien müssten sich auf eine stärkere inhaltliche Diskussion mit den Rechtsextremisten einstellen.

Die PDS in Treptow-Köpenick befürchtet von dem geplanten Schulungszentrum einen stärkeren Einfluss der rechtsextremen Partei im Bezirk: »Schon jetzt wohnen etwa zehn Prozent des bekannten rechtsextremistischen Personenpotenzials Berlins im Stadtbezirk Treptow-Köpenick.« Tatsächlich dürfte insbesondere die Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationaldemokraten (JN), vom Ausbau der rechtsextremen Infrastruktur profitieren.

Mit ihrer Bildungsoffensive steht die NPD im rechtsextremen Spektrum keinesfalls allein da. Schon seit einiger Zeit erwerben auch Freie Kameradschaften Immobilien, um unabhängige Bildungszentren zu errichten. So gab es nach dem Ende des niedersächsischen Nazi-Zentrums in Hetendorf Versuche, in Amholz in Mecklenburg-Vorpommern ein neues zu etablieren.

Solche Häuser dienen meist als Treffpunkte zur Koordination von rechtsextremen Aktivitäten. Ein Beispiel dafür ist das so genannte Braune Haus in Eschweiler, das 1999 vom Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG) übernommen wurde. Für über ein Jahr hatte die Nazi-Zeitung Schwarze Fahne dort ihren Sitz, ebenso der gleichnamige Versandhandel. Das Haus sollte zu einem Schulungszentrum der BDVG ausgebaut werden. Nach andauernden Protesten von NachbarInnen zog sich die BDVG allerdings im Sommer 2000 wieder aus Eschweiler zurück.

Die NPD will es in Köpenick besser machen. In der Nähe ihrer Parteizentrale soll nicht nur ein NBZ entstehen, sondern auch die »national befreite Zone«, an die das Kürzel erinnert.

Freitag, 5. September 2003

SINTI UND ROMA

Für eigenes Denkmal

Der Zentralrat der Sinti und Roma fordert erneut den Bau eines Holocaust-Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma. Er kritisiert die Forderung von Kulturstaatsministerin Weiss, der Zentralrat solle zuerst "mit allen Zigeunervölkern zu einer Verständigung gelangen". (dpa)

Montag, 8. September 2003

Erneut Ausländer von Neonazi-Schlägern beschimpft und verprügelt

Iraner und Türke von Unbekannten attackiert - ein Opfer bewusstlos - Staatsschutz ermittelt

Von Michael Behrendt

Zwei neue Fälle von Fremdenfeindlichkeit beschäftigen derzeit den Polizeilichen Staatsschutz: Vier Unbekannte haben gestern gegen 5.20 Uhr einen iranischen Bäckereiangestellten am Baumschulenweg in Treptow zunächst übel beschimpf und anschließend zusammengeschlagen.

Das spätere Opfer war gerade dabei, Brote und andere Backwaren aus einem Kleintransporter zu tragen. Da wurde der Mann plötzlich angegriffen. Zwei der Täter waren besonders brutal und traten auch dann noch auf den 24-jährigen Ausländer ein, als dieser schon am Boden lag. Das Opfer erlitt durch die Wucht der Tritte schwere Verletzungen an der Hand und am Kopf, verlor zeitweise sogar das Bewusstsein. Die Schläger flüchteten in unbekannte Richtungen. Beamte des Bundesgrenzschutzes suchten noch die Umgebung des Tatortes ab, diese Fahndung blieb allerdings erfolglos. Bei den Tätern soll es sich um Skinheads gehandelt haben. Der Iraner wurde zur stationären Behandlung ins Krankenhaus transportiert.

Ein zweiter, offenbar politisch motivierter Zwischenfall hatte sich bereits am Sonnabend zugetragen: Zwei 25 und 26 Jahre alte Männer hatten einen türkischen Gemüsehändler vor dem S-Bahnhof Hellersdorf angegriffen. Das Opfer verletzte sich bei der Flucht und musste in ein Krankenhaus. Die Täter wurden festgenommen.

Gegen 14 Uhr hatten die Männer den 33-Jährigen beschimpft, sie sollen laut Zeugenaussagen mehrfach "Heil Hitler" gegrölt haben. Dann schleuderten sie Bierflaschen in die Richtung des Händlers. Der Türke verließ aus Angst seinen Stand und ergriff die Flucht. Beim Sprung über einen kleinen Zaun verletzte er sich am linken Fußgelenk.

Die Neonazis verfolgten ihn, schleuderten erneut Flaschen auf den am Boden Liegenden, verfehlten ihn aber. Zeitgleich trafen von Passanten alarmierte Polizeibeamte am Tatort ein und nahmen die Schläger fest. Sie wurden im Zuge der Ermittlungen erkennungsdienstlich behandelt und zur Blutentnahme transportiert. Der 25-Jährige konnte anschließend entlassen werden. Sein Komplize allerdings wurde ins Gefängnis gefahren - er ist Freigänger. Dieses Zugeständnis wird ihm jetzt aberkannt.

Donnerstag, 11. September 2003

Münchens Polizei vereitelt offenbar Attentat

Sprengstoff bei Rechtsextremisten gefunden / Ermittler nehmen sechs Tatverdächtige fest

Katrin Bischoff

MÜNCHEN/POTSDAM. 10. September. Die Münchener Polizei hat fünf Männer und eine 18-jährige Frau wegen des Verdachts festgenommen, einen Sprengstoffanschlag geplant zu haben. Unter den Tatverdächtigen befindet sich auch ein 37-jähriger Mann aus Brandenburg. Andreas J. war am Dienstagmorgen in einem kleinen Ort in der Uckermark von der Polizei gefasst worden. Er soll inzwischen wieder auf freiem Fuß sein. Bisher war er für die Polizei ein unbeschriebenes Blatt. Er soll weder durch Gewaltstraftaten noch durch Propagandadelikte aufgefallen sein.

Soko TNT

Wie die Polizei in München am Mittwoch mitteilte, seien zunächst bei der Hausdurchsuchung im Süden Münchens zwei Handgranaten, Munition sowie rund 14 Kilogramm sprengstoffverdächtiges Material gefunden worden. "Darunter befand sich mindestens 1,7 Kilogramm TNT-Sprengstoff", sagte Münchens Polizeisprecher Peter Reichl. Sprengstoff und Munition gehörten offenbar einem 27-jährigen Rechtsextremisten, der bereits wegen eines versuchten Tötungsdeliktes verhaftet worden war.

Da die Polizei nach diesem Fund von einem geplanten Sprengstoffattentat ausging, wurde eine 20-köpfige Sonderkommission mit dem Namen "TNT" gegründet. Die Ermittlungen der Soko führte die Beamten zu weiteren drei Tatverdächtigen aus München, die der rechtsextremen Gruppierung Kameradschaft Süd angehören sollen, einem Beschuldigten aus Mecklenburg-Vorpommern sowie zu Andreas J. aus der Uckermark.

Am Dienstagmorgen wurden sie von der Polizei festgenommen, darunter auch Martin Wiese. Der 27-Jährige ist laut Polizei eine bekannte Figur aus der Neonazi-Szene und informeller Führer der Kameradschaft Süd. Der rechtsextremistischen Gruppierung gehören rund 30 Neonazis und Skinheads an. "Wiese hat hier schon mehrfach Demonstrationen angemeldet. Er ist für uns kein Unbekannter", sagte Polizeisprecher Reichl. So habe er sich besonders gegen die Wehrmachts-Ausstellung in München engagiert.

Bei der Durchsuchung von Wieses Wohnung in München fanden die Beamten zwei scharfe Schusswaffen, mehrere Stichwaffen, eine Streitaxt, Sturmhauben sowie umfangreiches rechtsextremistisches Propaganda-Material. "Wann und wo der Sprengstoffanschlag geplant gewesen ist, konnten wir noch nicht ermitteln", so Peter Reichl. Fest stehe, dass es sich um die bisher größte Menge Sprengstoff handele, die je in Bayern entdeckt worden sei. Am 20. September beginnt in München das Oktoberfest.

Gegen alle Beteiligten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens sowie eines Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz eingeleitet. Gegen die 18-jährige Frau sowie die Männer aus München sei Haftbefehl beantragt worden. Der Polizeisprecher schwieg zu der Frage, ob die Beschuldigten Geständnisse abgelegt haben. "Wir sind noch mitten in einer großen Ermittlung und damit lange nicht am Ende", sagte er.

Im September 1980 hatte ein Rechtsradikaler einen Sprengstoffanschlag auf das Münchener Oktoberfest verübt. Dabei waren 13 Menschen, darunter auch der Attentäter, ums Leben gekommen.

Keine Spur nach Sachsen

Dass der Fund in München mit dem Sprengstoffkoffer zusammenhängt, der Anfang Juni dieses Jahres auf einem Bahnsteig des Dresdener Hauptbahnhofs gefunden wurde, konnte die sächsische Polizei am Mittwoch ausschließen. "Wir haben bei unseren bayerischen Kollegen nachgefragt, aber es gibt keinerlei Bezugspunkte", sagte Lothar Hofner, der Sprecher des sächsischen Landeskriminalamtes, der Berliner Zeitung.

Wiesn-Attentat 1980

Der Sprengstoff-Fund in München kurz vor Beginn des Oktoberfestes hat Erinnerungen an das Wiesn-Attentat geweckt. Am 26. September 1980 hatte die Bombe eines jungen Rechtsextremisten 13 Menschen zerfetzt, mehr als 200 waren verletzt worden. Unter den Toten war auch der Täter, der 21-jährige Geologie-Student Gundolf Köhler aus Donaueschingen.

Laut Bundesanwaltschaft war er Alleintäter. Köhler habe als Jugendlicher 1976 an Übungen der "Wehrsportgruppe Hoffmann" teilgenommen, 1980 aber die Kontakte abgebrochen.

Freitag, 12. September 2003

Weitere Festnahmen nach Sprengstofffund bei Neonazis Polizei: Bisher kein Zusammenhang mit der Kofferbombe von Dresden

Berlin (fan). Die Polizei hat nach dem Fund von 1,7 Kilo TNT bei Neonazis in Bayern weitere Personen festgenommen. Außerdem seien bei der Durchsuchung von Gebäuden und Wohnungen wieder Waffen gefunden worden, hieß es am Donnerstag bei der Münchner Polizei. Zudem prüft offenbar Generalbundesanwalt Kay Nehm, ob er die Ermittlungen an sich zieht. Die Bundesanwaltschaft entsandte einen Beamten nach Bayern, der sich über den Stand der Ermittlungen informieren soll. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sprach von einer „neuen Dimension des Rechtsextremismus“. Die Münchner Polizei hatte, wie berichtet, am Dienstag drei Mitglieder des „Aktionsbüros Süd“ festgenommen. Ein weiterer Neonazi befand sich bereits wegen einer schweren Schlägerei in Untersuchungshaft. Die Sicherheitsbehörden sehen jedoch bislang offenbar keine Verbindung zwischen dem jüngsten Fund von Sprengstoff bei Neonazis in Bayern und der Kofferbombe von Dresden. „Wir können nach der derzeitigen Spurenlage keinen Zusammenhang erkennen“, sagte am Donnerstag der Sprecher des Landeskriminalamts Sachsen, Lothar Hofner, dem Tagesspiegel. Allerdings müssten noch aufwändige Analysen des in Bayern gefundenen TNT abgewartet werden.

Freitag, 12. September 2003

ReachOut feiert Geburtstag

Das Hilfsprojekt für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt "ReachOut" begeht heute seinen zweiten Geburtstag. Mit einem Tag der offenen Tür werden zugleich neue Räumlichkeiten in der Kreuzberger Oranienstraße eingeweiht. Gegenwärtig baut das Projekt ein umfangreiches Netzwerk spezialisierter Einrichtungen auf, das den Opfern weiter gehende Unterstützung ermöglicht. Neben juristischer Beratung erhalten sie etwa Hilfe bei der therapeutischen Behandlung. Träger von "ReachOut", das vom Bund und vom Senat finanzielle Mittel erhält, ist der Verein Ariba. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) würdigte das Projekt als "Signal der Solidarität". Die Initiative sei auch für ein gesellschaftliches Klima wichtig, das Rassismus nicht toleriere und zur Zivilcourage ermutige." DDP

Samstag, 13. September 2003

Sie nannten ihn den "großen Watschenbaum"

Der in München festgenommene Neonazi Martin Wiese gilt als Führer der rechtsextremen Szene - und als gewaltbereit

BERLIN taz Er soll wie das Pferd "Boxer" in George Orwells "Animal Farm" gewesen sein: fleißig, aber schlicht. Unermüdlich hat Martin Wiese, dem die Münchner Polizei die Planung eines Anschlags auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Gemeindezentrums am 9. November vorwirft, für die rechtsradikale Sache geackert. Auf kaum einer Neonazi-Demonstration in der Weltstadt mit Herz hat der große, leicht füllige 27-Jährige in den letzten Jahren gefehlt. Für seine zahllosen Aufmärsche gegen die Wehrmachtsausstellung in München Ende 2002 lobte selbst der Neonazi-Guru Christian Worch Wiese für "vorbildliche Leistung" bei der Organisation.

Ohne Zweifel war der 1976 in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) geborene Wiese einer der Drahtzieher der rechtsradikalen Szene in der bayerischen Landeshauptstadt. "Der hat in München alles gerissen", sagen langjährige Beobachter der rechtsradikalen Szene. Gleichzeitig gilt der kräftige Mann, der einen privaten Hausmeisterservice betrieben hat, nicht gerade als intellektuelle Galionsfigur. "Der wollte gern überlegen wirken, kam aber oft eher hilflos rüber", beschreibt ihn einer, der ihn persönlich kennen gelernt hat. Der ideologische Unterbau des Rechtsextremisten wird als eher behelfsmäßig eingeschätzt.

Diese Defizite wollte Wiese offenbar durch eine hohe Gewaltbereitschaft kompensieren. Seine Gegner aus der Linken verspotten Wiese wegen seiner plumpen Bewegungen auf gut Bayrisch als "den großen Watschenbaum". Zuletzt war Wiese im Mai aufgefallen. Damals sprengte er eine Veranstaltung der Münchner SPD. Nach Angaben einer Zeugin schwenkte er mit zwei Kumpanen die Reichskriegsfahne. Erst als er den SPD-Spitzenkandidaten Franz Maget anzubrüllen begann und eine Schlägerei drohte, griff die Polizei ein.

Innerhalb der rechtsextremen Szene hatte Wiese Kontakt zu führenden Neonazis wie Steffen Hupka und Christian Worch. Auch zu dem Verein "Demokratie direkt" des Münchner "Republikaner"-Stadtrats Johann Weinfurtner unterhielt er gute Beziehungen. Vor allem aber reklamierte Wiese seit etwa einem Jahr die Führerrolle in der 30 Mann starken Neonazi-Gruppe "Kameradschaft Süd", nachdem sein Vorgänger, Norman Bordin, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Februar 2002 zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Nach einer Geburtstagsfeier von Wiese hatten Bordin und seine Kameraden den Griechen Artemios T. schwer zusammengeschlagen. Nach Ansicht des bayerischen Verfassungsschutzes nimmt die Kameradschaft Süd eine wichtige Rolle innerhalb der Nazi-Szene ein.

Die Polizei ermittelte bereits mehrfach gegen Wiese wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Versammlungsgesetz. Außerdem soll der Mann mit den kurz geschorenen rotblonden Haaren mehrfach verbotene Symbole aus der NS-Zeit gezeigt haben. In einem Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Mitte der Woche fand die Polizei dann in der Wohnung von Wiese in der Münchner Landsberger Straße 1,7 Kilogramm TNT. Außerdem stellten die Ermittler zwei scharfe Schusswaffen, mehrere Stichwaffen und eine Axt sicher. Auch seine Freundin Ramona S. wurde festgenommen.

ANDREAS SPANNBAUER

Samstag, 13. September 2003

Kein Fortschritt

Eine Bombe am 65. Jahrestag der Reichspogromnacht – so hatten es Neonazis in München geplant. Das Attentat wäre ein Anschlag auf die ganze Gesellschaft gewesen. Um die Rechtsextremisten ist es in Deutschland lange ruhig gewesen. Aber die Gefahr ist nicht kleiner geworden.


Allein der Gedanke ist ungeheuerlich. Nach dem bislang bekannten Stand der Ermittlungen ist nicht auszuschließen, dass Neonazis für einen der dunkelsten Jahrestage der deutschen Geschichte einen der schwersten Anschläge seit 1945 geplant haben. Möglicherweise sollte am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, in München bei der Grundsteinlegung für das jüdische Gemeindezentrum eine Bombe detonieren – und Bundespräsident Johannes Rau treffen, den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, und weitere Besucher. Die Polizei sagt zwar, einige der

Chronologie: Anschläge gegen jüdische Einrichtungen
festgenommenen Neonazis hätten „nur“ von einer Explosion in der Nacht vor dem Festakt gesprochen. Doch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch, will aus „verlässlichen Quellen“ erfahren haben, es sollten „keine Gebäude oder die Baustelle getroffen werden, sondern Menschen“. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sagt auch, es werde geprüft, ob die Neonazis eine Bombe bei der Grundsteinlegung zünden wollten.

Eine braune RAF?

Ist sie nun greifbar, die Gefahr einer braunen RAF? Steigern sich Rechtsextremisten so sehr in ihren Hass auf Juden und Demokraten hinein, dass Al Qaida nachgeeifert wird?

Eine realistische Antwort kann nur lauten: eher nicht. Es gibt in der Bundesrepublik keine rechtsterroristischen Strukturen, die an die Professionalität der Roten Armee Fraktion erinnern. Neonazis tauchen nur selten ab in den Untergrund, sie überfallen keine Banken, um an Geld für die Planung von Anschlägen heranzukommen, und von einem Terrortraining nach dem Modell der Al-Qaida-Camps in Afghanistan ist nichts bekannt. Doch beruhigen kann diese Antwort nicht. Denn es lauert eine latente Gefahr, auf dem Niveau des einst von den linksextremen „Revolutionären Zellen“ praktizierten Feierabendterrorismus: Tagsüber das gewohnte Auftreten, nachts Bombenbastelei. Die nicht zu unterschätzen ist. Denn auch ein im Hauskeller geplanter Anschlag kann verheerend sein. Und andere Extremisten animieren, ebenfalls loszuschlagen.

Das klassische Tatwerkzeug des braunen Terrorismus ist, neben der Brandflasche, die Rohrbombe. Es fällt selbst mäßig intelligenten Rechtsextremisten nicht allzu schwer, Sprengstoff aus Kunstdünger, TNT, Schwarzpulver oder anderen Substanzen zu mischen, in einen leeren Feuerlöscher zu stecken und mit einem Zeitzünder zu kombinieren. Ein Beispiel: Im März 2002 explodierte im Innenhof des Jüdischen Friedhofs im Berlin-Charlottenburg eine Rohrbombe. Der Sachschaden war beträchtlich, das Landeskriminalamt vermutet rechtsextreme Täter – die jedoch bislang nicht ermittelt wurden.

In München war die Anschlagsplanung offenbar ähnlich. Die Polizei fand einen Metallbehälter, 1,7 Kilogramm TNT und mehr als zwölf Kilo sprengstoffverdächtiges Material. Die Explosivstoffe wurden möglicherweise aus alten Waffen und Munition gekratzt, die auf ehemaligen Truppenübungsplätzen in Ostdeutschland oder auf den Schlachtfeldern der letzten Kriegsmonate im Jahr 1945 herumliegen. Ein Hinweis auf solche „Quellen“ könnte die am Dienstag erfolgte, kurzzeitige Festnahme zweier Männer aus Brandenburg und MecklenburgVorpommern sein. Angeblich handelt es sich bei den beiden 37-Jährigen nicht um bekannte Rechtsextremisten, sondern um Sammler von Waffenschrott.

Die jetzt festgenommenen, mutmaßlichen Beinahe-Attentäter passen auch nicht in die Kategorie der Hardcore-Terroristen. Als Anführer gilt Martin W. Der 27 Jahre alte Neonazi entspricht dem Klischee: Ein aggressiver Fanatiker, der Rudolf Heß verehrt, bei Aufmärschen mitläuft, Kontakte zur NPD und Szene-Anführern wie Christian Worch und Steffen Hupka unterhält – und der einen der vielen jungbraunen Trupps dirigiert, die sich „Kameradschaften“ nennen. Bundesweit gibt es etwa 160. Die „Kameradschaften“ waren eine Antwort der Szene auf die Verbote mehrerer Neonazi-Organisationen in den 90er Jahren. „Kameradschaften“ verzichten auf feste Strukturen, die ein Verbot nach dem Vereinsgesetz ermöglichen würden. Trotzdem sind diese Gruppen gefährlich: Experten sprechen von „Durchlauferhitzern“, in denen symphatisierende junge Männer und Frauen zu harten Hitlerfans mutieren.

Hau-drauf-Gewalt

Martin W. stammt aus Vorpommern und begann seine „politische Karriere“, wie der rechtsextreme Infodienst „StöertebekerNetz“ im Internet mitteilt, beim „Kameradschaftsbund Anklam“. Der Neonazi ging dann nach Bayern und übernahm die Gruppierung „Kameradschaft Süd – Aktionsbüro Süddeutschland“, die etwa 25 Mitglieder zählt. Am Rande einer Geburtstagsfeier von W. im Jahr 2001 in München prügelten Skinheads einen griechischen Passanten halb tot. Diese Hau-drauf-Gewalt schien bislang das Äußerste zu sein, was Martin W. und seinen „Kameraden“ zuzutrauen war. Nun zeigt sich: Auch wenn längere Zeit keine spektakulären Anschläge verübt wurden, nimmt die Gefahr nicht ab, dass rechter Straßenterror zu Feierabendterrorismus eskaliert. (Von Frank Jansen)

Montag, 15. September 2003

"Es gibt keine neue Qualität rechten Terrors"

Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Burkhard Schröder wirft den Politikern Alarmismus vor. Eine "Braune Armee Fraktion"
existiere nicht. Er würde sich nicht wundern, wenn unter den festgenommenen Münchnern auch V-Leute des Verfassungsschutzes sind

taz: Herr Schröder, Gibt es das: eine Braune Armee Fraktion, eine BAF?

Burkhard Schröder: Nein. So etwas gibt es nur bei Leuten, die weder über ein Zeitungsarchiv noch über ein Gedächtnis verfügen. Sonst wüssten sie, dass seit Anfang der 90er-Jahre immer dann, wenn ein rechter Rohrbombenattentäter erwischt wird, der bayerische Innenminister von einer Braunen Armee Fration spricht und im Anschluss die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit und anderer Bürgerrechte fordert.

Aber deshalb können die Funde in München doch trotzdem einen Qualitätssprung darstellen.

Ich kann aber keine neue Qualität erkennen. Es sind bei weit mehr Rechten schon weit mehr Waffen und Sprengstoff gefunden worden. Es hat in den 80er-Jahren Anschläge auf jüdische Kaufhäuser in Österreich gegeben. In Deutschland dagegen waren ausschließlich Synagogen und Friedhöfe Ziele von Anschlägen. Aus den letzten zehn Jahren lassen sich nennen: Berlin-Kreuzberg April 2002, Erfurt April 2000, Lübeck März 1994 und Mai 1995, die Trauerhalle des jüdischen Friedhofes in Potsdam Januar 2001.

Aber Rohrbomben gegen Juden?

Rohrbomben sind schlichtweg die Bomben, die am leichtesten zu bauen sind, und immer wieder will sich einer in der rechten Szene damit hervortun, dass er eine Rohrbombe baut. In den letzten 25 Jahren sind übrigens die rechten Rohrbombenattentäter, die man fasste, mehrheitlich V-Leute des Verfassungsschutzes gewesen. Es würde mich nicht im geringsten wundern, wenn bei der Truppe in München auch ein V-Mann dabei ist.

Wenn die Politiker und die Polizei nun sagen würden: wir haben übrigens wieder einmal ein paar stinknormale Rechte mit stinknormalen Waffen gefunden, dann würden wir sie der unzulässigen Abwiegelung beschuldigen.

Nun, man muss aber fragen, warum denn die unzähligen Maßnahmen "gegen rechts" nichts fruchten, wenn alle zwei Jahre eine neue, bedrohlichere Qualität rechten Terrors beschworen wird. Man kann nicht immer diese alarmistische Attitüde einnehmen und sich nicht dem Problem stellen, dass die vorhandenen, eher symbolischen Strategien "gegen rechts", die außerdem noch zumeist den Antisemitismus ausklammern, nicht erfolgreich sind.

Beweisen die Münchner Ereignisse, dass statt Flüchtlingen und Immigranten nun wieder vermehrt Juden Ziel rechtsextremistischer Aktivitäten sind?

Die Juden in Deutschland waren immer das primäre Ziel der Rechten. Gleichzeitig gehen sie bei der Auswahl der Anschlagsziele immer nach dem gesellschaftlichen Mainsteam, nach den Themen, die gerade öffentlich aktuell sind - daher die Anschläge auf Einwanderer Anfang der 90er. Der Antiamerikanismus und die Verschwörungstheorien rings um den 11. September dürfte auch die Rechten wieder an ihr Kernanliegen erinnert haben.

Es handelt sich bei der Münchner Gruppe um Männer, die aus den neuen Bundesländern eingewandert sind. Kann man hier von einem Ost-West-Transfer oder Export von Rechtsextremismus aus dem Osten reden?

Der Transfer dürfte den demografischen Gegebenheiten entsprechen - dass also junge mobile Menschen ihr Glück im Westen suchen. In der Tat existiert der militante rechte Sumpf als Milieu eher im Osten als im Westen. Aber für noch auffälliger halte ich, dass rechte Täter eher in Kleinstädten als in Großstädten beheimatet sind - auch Mitglieder der Münchner Gruppe kamen aus Kleinstädten um München.

Nazis kommen immer aus Kleinstädten?

Dies hat man auch schon bei den Skinheads Sächsische Schweiz gelernt. In Kleinstädten gibt es oft ein Milieu, das bestimmte Dinge duldet und gleichzeitig fördert: Dass normale Kinder normaler Bürger am Küchentisch normale rassistische Parolen schwingen und daraus auch Folgen für ihr Handeln ziehen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass - falls es einen rechten Mainstream gibt - die "Guten", die Nachdenklicheren, aus den Klein- in die Großstädte ziehen. "INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN

BURKHARD SCHRÖDER, 50, geboren in der Kleinstadt Holzwickede, befasst sich seit 1988 mit der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Seine jüngste Publikation ist "Aussteiger. Wege aus der rechten Szene" (Ravensburger Verlag 2002).

Montag, 15. September 2003

Tausende Berliner gegen Neonazis 100 Organisationen informierten beim Aktionstag gegen Rassismus

Tausende Berliner haben am Sonntag an dem Aktionstag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg in Mitte teilgenommen. Esther Bejarano, Überlebende des KZ Auschwitz, mahnte ein Erinnern an die Verbrechen des Naziregimes an, das Wachsamkeit gegenüber neonazistischen Bestrebungen heute mit einschließe, teilten die Veranstalter mit. Der Jahrestag der Machtübertragung an Hitler sei in diesem Jahr kaum beachtet worden, kritisierte Bejarano.

Teilnehmer der Podiumsdiskussion über die Bilanz des „Aufstandes der Anständigen“ - einer Protestbewegung gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus - verwiesen darauf, dass die neonazistische Szene weiterhin Zulauf finde und von ihr eine oft unterschätzte Gefahr für die Gesellschaft ausgehe. Viele Besucher informierten sich an über 100 Ständen verschiedener Gruppen von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über die Globalisierungs-Gegner attack und die Gewerkschaftsjugend bis zur VVN (Vereinigung der Verfolgten des Nazi- Regimes). Dpa

Dienstag, 16. September 2003

Spitzenkandidat der SPD im Visier der Neonazis

Maget wurde von Extremisten ausgespäht

Andreas Förster

MÜNCHEN/BERLIN, 15. September. Der SPD-Spitzenkandidat bei den bayerischen Landtagswahlen, Franz Maget, ist als Anschlagziel im Visier der in München verhafteten Neonazis gewesen. Das teilte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) am Montag in München mit. Die Neonazis hätten sich Magets Adresse beschafft und ausgespäht, wo sich der Politiker bewege, sagte Schily. Ein aufgefundenes Dokument liefere Gründe, eine Gefährdung anzunehmen. Schily schloss nicht aus, dass die Neonazis noch weitere politische Persönlichkeiten als Anschlagziele im Visier hatten.

Maget sagte, die Polizei habe ihn vergangene Woche informiert und ihm geraten, die Angelegenheit ernst zu nehmen. Der SPD-Politiker erhielt vorläufigen Personenschutz. Das bayerische Innenministerium zeigte sich von Schilys Veröffentlichung überrascht und erklärte, alles zum Schutz der Betroffenen Notwendige werde professionell getan.

Im Zuge ihrer Ermittlungen gegen die Neonazi-Gruppe, die auch einen Anschlag auf den Neubau des jüdischen Gemeindezentrums in München geplant haben soll, geht die Bundesanwaltschaft nach Informationen der Berliner Zeitung einem möglichen Zusammenhang mit früheren Attentatswarnungen nach. Das bestätigte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde. Im vergangenen Februar hatte eine bis dahin unbekannte Gruppierung mit dem Namen "Deutsches Antijüdisches Kampfbündnis" in mehreren Briefen mit Terroranschlägen größeren Ausmaßes in Berlin, Frankfurt am Main und München gedroht.

Am 14. Februar waren in München mehrere Briefe verschickt worden, die ein gelbliches kristallines Pulver und ein Schriftstück enthielten. Einer dieser Briefe war an das Büro des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD) adressiert. Darin forderte die Gruppe, die sich als Bestandteil einer "International Anti-Jews-Taskforce" bezeichnete, die Einstellung der Bauarbeiten an dem jüdischen Gemeindezentrum. Gleichzeitig kündigte die Gruppe "Anschläge auf das Judentum" an. Die Bundesanwaltschaft leitete damals ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung ein. Dieses Verfahren ist bislang nicht abgeschlossen.

Dienstag, 16. September 2003

Antifa-Gruppe rüffelt Körting

Die Treptower Antifa-Gruppe (T.A.G.) hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aufgefordert, einer Gesprächseinladung des ihrer Ansicht nach rechtsgerichteten "Kulturvereins Brücke 7 e. V." nicht zu folgen. Der Kulturverein mit seinem Vorsitzenden Claus Bubolz sei in Antifa-Kreisen bekannt dafür, ranghohen NPD-Funktionären ein Podium zu bieten, teilte die T.A.G. am Montag mit. Organisierte NPD-Kader nutzten die Räume des Vereins zur Agitation. Die Antifa-Gruppe habe deshalb mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass Körting dort am 17. September als "Innenminister" Berlins an einer Diskussion zum Thema "Rechts und links - wie viel verträgt unsere Demokratie?" teilnehmen wolle. "Wir fordern Sie auf, Ihre Teilnahme auf der Veranstaltung abzusagen", hieß es in einem offenen Brief an Körting. Dazu erklärte der Sprecher des Senators, Peter Fleischmann, es gebe eine Anfrage des Vereins, ob Körting bereit sei, mit nach rechts abdriftenden Jugendlichen zu sprechen. Bisher habe der Senator nicht über seine Teilnahme entschieden. "DPA

Dienstag, 16. September 2003

Eine Woche gegen Ignoranz

Die diesjährige Interkulturelle Woche findet in Berlin und Brandenburg vom 28. September bis 4. Oktober statt. Unter dem Motto "Integrieren statt Ignorieren" setzten sich rund 100 Veranstalter mit ihren Initiativen für eine bessere Integration von Ausländern ein, sagte am Montag eine Sprecherin der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Gefordert werde auch der Abbau rechtlicher und struktureller Hindernisse, die eine erfolgreiche Integration von Einwanderern behindern. Die Veranstaltungsreihe findet jährlich bundesweit als "Woche des ausländischen Mitbürgers" statt. Vielerorts gebe es den Zusatz "Interkulturelle Woche", sagte die Sprecherin. Damit soll unterstrichen werden, dass es sich um eine Initiative von Deutschen und Ausländern für eine gemeinsame Zukunft handelt. Infos zum Programm sind im Internet unter www.interkulturellewoche.de zu finden. "DDP

Dienstag, 16. September 2003

Spurensuche in Berlin

Sprengstoff in München bestand aus gleichem Material wie bei Anschlag in Charlottenburg

Von Hans H. Nibbrig

Zwischen den in München verhafteten Neonazis und Gesinnungsfreunden in Berlin bestanden offenbar zahlreiche Kontakte. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe untersucht derzeit die enge Vernetzung der rechtsradikalen Gruppierungen.

Berlin - Nach den Festnahmen zweier Münchener Neonazis und der Vereitelung geplanter Sprengstoffattentate in der bayerischen Landeshauptstadt führt eine Spur möglicherweise nach Berlin. Zurzeit prüfen die Behörden, ob Zusammenhänge mit dem immer noch nicht aufgeklärten Bombenanschlag auf den jüdischen Friedhof in Charlottenburg im vergangenen Jahr bestehen. Im März 2002 war dort eine Rohrbombe explodiert, die aus dem gleichen Material hergestellt wurde, das die Polizei jetzt in München beschlagnahmte.

Frauke-Katrin Scheuten, Sprecherin des Generalbundesanwalts in Karlsruhe bestätigte gestern, dass die Anklagebehörde bei ihren Ermittlungen bundesweite Vernetzungen der Rechtsextremisten und mögliche Verbindungen der Münchner Neonazi-Szene zu Gruppen in anderen Regionen untersucht. Einzelheiten zu den Ermittlungen wollte die Sprecherin von Generalbundesanwalt Kay Nehm nicht nennen.

Auch wenn ein Zusammenhang zwischen den geplanten Attentaten im Süden und dem Anschlag in Berlin von einem Ermittler lediglich "als eine unter vielen denkbaren Möglichkeiten" bezeichnet wird, liegen der Berliner Morgenpost detaillierte Informationen über Verbindungen der Münchner und Berliner Neonazi-Szene vor.

Seit Jahren beobachten die Verfassungsschutzbehörden enge Kontakte und häufige Absprachen zwischen der in München ansässigen Gruppierung "Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süddeutschland" und dem "Aktionsbüro Mitteldeutschland", einem losen Zusammenschluss von einem knappen Dutzend Kameradschaften in Berlin und Brandenburg.

Die beiden in München festgenommenen Rechtsradikalen hatten führende Funktionen beim "Aktionsbündnis Süddeutschland" inne. An der Spitze des "Aktionsbüros Mitteldeutschland" wiederum tummeln sich nach Auskunft eines Verfassungsschützers diverse Berliner Neonazis.

Eine besondere Rolle unter den Neonazi-Kameradschaften spielt nach Feststellung des Berliner Verfassungsschutzes seit etwa einem Jahr die Gruppierung "Autonome Nationalisten". Diese Gruppe veröffentlicht regelmäßig Steckbriefe und Fotos von missliebigen Personen, vor allem aus der Politik und den Medien. Häufig enthalten diese Veröffentlichungen die kaum verhohlene Aufforderung, gegen diese "Feinde" gewaltsam vorzugehen.

Stetige Kontakte bestehen, wie gestern von der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes zu erfahren war, auch zwischen den Neonazis in Süddeutschland und der in Berlin agierenden "Ariogermanischen Kampfgruppe Vandalen." Diese Truppe hat trotz eines seit Jahren anhaltenden massiven Fahndungsdrucks die "Wortführerschaft" in der rechtsradikalen Szene der Hauptstadt inne, wie der Berliner Verfassungsschutz in einem Bericht vermerkt. Der Chef der Vandalen ist zugleich Sänger der Skinhead-Band "Landser", der die Justiz Volksverhetzung und Aufruf zu Gewalttaten in ihren Texten vorwirft.

Während dem Berliner Verfassungsschutz nach Angaben eines Mitarbeiters der Behörde derzeit keine Erkenntnisse vorliegen, wonach von den bundesweit vernetzten hiesigen Kameradschaften keine Gefahr terroristischer Anschläge ausgeht ("Deren Mitgliederzahlen sind einfach zu gering"), bereitet eine andere Gruppe den Behörden größere Sorgen: Die nur lose verbundenen, weitgehend unorganisierten so genannten "Neonazi-Cliquen". Deren Mitgliedern attestieren Staats- und Verfassungsschützer eine "extrem hohe Gewaltbereitschaft". Der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau, sieht in dieser Szene eine "wachsende Terrorbereitschaft", und Karl-Heinz Fromm. Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellte schon vor längerer Zeit fest, in derartigen Gruppierungen liege "ein gewisses Potenzial für eine Braune-Armee-Fraktion".

Mittwoch, 17. September 2003

Landesbehörde ermittelt wegen Neonazi-Plänen

Verbleib von Verdächtigen weiter unklar

POTSDAM/PRENZLAU. Auch das brandenburgische Landeskriminalamt ermittelt nun wegen der geplanten Anschläge gegen jüdische Einrichtungen in München. Aus Sicherheitskreisen war zu erfahren, dass dies im Auftrag der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe geschieht, die weiter die Ermittlungen führt. Die Brandenburger Kriminalisten sollen genauso wie das Landeskriminalamt in Mecklenburg-Vorpommern feststellen, woher genau der Sprengstoff stammt, der bei den geplanten Anschlägen verwendet werden sollte.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt allein in Brandenburg gegen drei Männer aus dem Amtsbereich Brüssow in der Uckermark. Die drei Militaria-Sammler sollen den Sprengstoff aus alter Kriegsmunition entnommen und weitergegeben haben. Sie selbst seien aber keine ideologisierten Neonazis, hieß es. Die Brandenburger Ermittler haben lediglich eine sehr begrenzte Einsicht in die Ermittlungsakten, die Generalbundesanwalt Kay Nehm führt. Unklar ist, wo sich die drei Männer aus der Uckermark derzeit befinden. Mindestens zwei von ihnen sollen sich womöglich doch noch in U-Haft befinden. Angehörige berichteten von einer Justizvollzugsanstalt in Bayern.

Treffpunkte der rechten Szene

Beobachter der Neonazi-Szene in der Uckermark gehen indes davon aus, dass die drei Waffensammler, die den Sprengstoff beschafft haben sollen, keine harmlosen Militaria-Fans sind. Die Orte Menkin, Wollschow und Brüssow, aus denen sie stammen, galten in der Vergangenheit als Treffpunkte der rechtsextremen Szene. In einer Gaststätte in Menkin soll es Skinhead-Konzerte gegeben haben. Der rechtsextremistische Kameradschaftsbund Anklam aus Vorpommern, ein Gruppe von rund 20 straff organisierten Neonazis, soll mehrmals Reisen zu Dorffesten im Amtsbereich Brüssow organisiert haben. Rund 200 Skinheads hätten die Dorffeste der Region dann "quasi annektiert", sagen Beobachter. Auch der Neonazi Martin Wiese, der als Rädelsführer der Rechtsterroristen in München festgenommen worden ist, soll seinerzeit dabei gewesen sein. Wiese stammt aus Anklam.

Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern geht von engen Verbindungen zwischen Neonazis in Vorpommern und denen im Nordosten Brandenburgs aus. In Vorpommern seien der Kameradschaftsbund Anklam und die Kameradschaft Usedom besonders aktiv, während sich in Brandenburg der rechtsradikale Märkische Heimatschutz straff organisiert habe. Zwischen den Neonazi-Organisationen gebe es zahlreiche Verbindungen. (mak., bla.)

Mittwoch, 17. September 2003

Prozess wegen Attacke auf Ströbele

Rechtsextremist schlug Politiker mit Stahlrute

Mehr als ein Jahr nach dem Überfall auf den Grünen-Politiker Christian Ströbele im Bundestagswahlkampf ist nun der Prozess gegen den Schläger in Sicht. Das Amtsgericht Tiergarten werde die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung voraussichtlich im November verhandeln, sagte Justizsprecher Björn Retzlaff am Dienstag. Der mutmaßliche Täter Bendix W. hatte Ströbele zwei Tage vor der Bundestagswahl beim Verteilen von Handzetteln an der Warschauer Straße in Friedrichshain von hinten mit einer Stahlrute auf den Kopf geschlagen. Danach rannte er weg und flüchtete in einen Hauseingang. Ströbele, der ihn verfolgte, hielt daraufhin einen Funkwagen an, die Beamten nahmen den Täter fest. Der Politiker musste sich nach dem Schlag auf den Kopf im Krankenhaus behandeln lassen, er hatte eine Gehirnerschütterung erlitten. Bei der Wahl selbst hatte Ströbele als erster Grüner ein Direktmandat für den Bundestag erkämpft.

Der Täter war der Polizei als Angehöriger der rechten Szene bereits einschlägig bekannt. Bei ihm handelt es sich um einen 35-jährigen Mann aus Wandlitz (Landkreis Barnim), gegen den bereits mehrere Verfahren wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruchs liefen. Nach Justizangaben wurde er auch wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Bendix W. den Berliner Neonazi Kay Diesner gut kannte, der 1997 auf einen Marzahner PDS-Buchhändler schoss und anschließend einen Polizisten tötete. (sd.)

Mittwoch, 17. September 2003

Militant, diffus, gefährlich

Die rechtsextreme Szene ist vielschichtig organisiert, von einer "Braunen Armee Fraktion" fehlt aber jede Spur

Von Christoph Seils (Berlin)

Die Kameraden trafen sich fast täglich in einer Garage, die sie sich mit Sofas, Fahnen und Plakaten hergerichtet hatten. Sie huldigten ihrem Idol Rudolf Hess und hörten aggressive Skinhead-Musik. Nach einem Volksfest überfielen fünf von ihnen im Alkoholrausch zwei Vietnamesen und prügelten diese halb tot. Ihre Kameradschaft "Arischer Widerstand Eggesin" machte im Sommer 1999 bundesweit Schlagzeilen.

Auch die Gruppierung "Skinhead Sächsische Schweiz" (SSS) war lange Zeit in aller Munde. Die rund hundert Mitglieder zählende Gruppe war bis zu ihrem Verbot eine hierarchische Kaderorganisation. Die SSS hielt Schulungen und Wehrsportübungen ab, beteiligte sich aber auch an Demonstrationen, gleichzeitig sammelte man Daten über politische Gegner und überfiel mehrfach junge Antifaschisten.

Wenig bekannt hingegen ist das Hamburger "Nationale und Soziale Aktionsbündnis". Es will die so genannten freien Nationalisten vernetzen, verfügt über Kontakte in ganz Norddeutschland, organisiert Demonstrationen und Schulungen. Mehr als wenige hundert Aktivisten lassen sich jedoch nicht mobilisieren. Man versteht sich als politische Avantgarde einer neuen national-sozialistischen Bewegung und lehnt individuellen Terror ab.

Schließlich gibt es in Brandenburg die Gruppe "Nationale Bewegung", die sich in Potsdam zu mehreren Anschlägen bekannte, unter anderem auf den jüdischen Friedhof, von der aber jede Spur fehlt. Allerdings gehen die Behörden davon aus, dass es sich bei der angeblichen Gruppe um isolierte Einzelpersonen handelt.

Vier Beispiele, die zeigen, wie unterschiedlich die militante neonazistische Szene in Deutschland organisiert ist. Nur von Ansätzen einer "Braunen Armee Fraktion" ist nichts zu erkennen. Betrachtet man die Entwicklung der neonazistischen Szene ohne Wahlkampfgetöse, ergibt sich ein äußerst differenziertes Bild, es gibt lose Gruppen wie in Eggesin, es gibt Kaderstrukturen, die, wie die SSS, ganze Regionen dominieren, es gibt auch Kleinstgruppen, die Anschläge planen. Bislang jedoch verfügen solche Gruppen weder über das technische Wissen noch über ausreichend Geld, geschweige denn ein funktionierendes Netz von Unterstützern, um im Untergrund zu agieren und aufwendige Anschläge vorzubereiten. Von einer "Braunen Armee Fraktion" keine Spur.

Es sind zwei Entwicklungen, die die militante neonazistische Szene in den vergangenen Jahren prägen. Zum einen gibt es jene Neonazis, die auf Basis eines gefestigten Weltbildes agieren und die lange vom Wiederaufbau der NSDAP träumten. Mitte der 90er Jahre wurde in dieser Szene nach dem Vorbild der Linken das Konzept "autonome Kameradschaften" geboren. Zuvor waren Gruppierungen wie die Freiheitliche Deutsche Arbeiter Partei (FAP), die Deutsche Alternative (DA) oder die Nationale Liste (NL) verboten worden. Um sich dem staatlichen Verfolgungsdruck zu entziehen, sollten die örtlichen Gruppen nun keine festen Strukturen, keine Satzungen, keine Mitgliedslisten mehr besitzen.

Die örtlichen Kameradschaften, die in der Regel nicht mehr als 10 bis 15 Mitglieder haben, kommunizieren seither vor allem über das Internet oder Infotelefone, man trifft sich auf Demonstrationen und Schulungen. Doch alle Versuche, ein festes organisatorisches Netz von Kameradschaften zu knüpfen, das im Verborgenen hierarchisch angeleitet wird, sind gescheitert. Stattdessen blieb der überregionale Organisationsgrad dieses selbst ernannten "nationalen Widerstandes" schwach.

In der selben Zeit entstand vor allem in Ostdeutschland eine rechtsextreme Skinhead-Subkultur. Diese traf sich in Jugendklubs, Garagen oder an Tankstellen. Die Jugendlichen hassten Asylbewerber und hörten die gewaltverherrlichende Musik der Gruppe "Landser". Politik interessierte sie kaum. Immer wieder allerdings kam es zu Übergriffen auf Ausländer, meist spontan, nach Feiern oder im Rausch.

Mittlerweile gibt es zwischen beiden Szenen viele Kooperationen, die Übergänge sind fließend, Neonazis rekrutieren in der Skinheadszene ihren Nachwuchs, gleichzeitig nutzten die Skinheads die Strukturen der politischen Szene, um ihre Musik und ihre Fanzines zu vertreiben oder zu Konzerten zu mobilisieren. So können beide Seiten voneinander profitieren.

Politisch motivierte Gewalt war immer wieder ein Thema in diesen Strukturen. In den neunziger Jahren etwa sammelte die so genannte Anti-Antifa Daten von Politikern, Gewerkschaftern, Journalisten. Das Konzept, darüber die Szene zu vernetzen, scheiterte - auch wenn bis heute immer mal wieder, Namen veröffentlicht werden. Vor allem bleiben gezielte Übergriffe auf politische Gegner die Ausnahme.

Auch die Diskussion über Anschläge ist nicht neu. Schon vor Jahren machte beispielsweise ein Pamphlet mit dem Namen "Bewegung in Waffen" die Runde, in dem über einen Guerillakrieg von rechts fabuliert wurde. Über das Internet werden Anleitungen zum Bombenbau verbreitet. Dennoch blieben gezielte Terroranschläge bislang Einzelfälle.

Mittwoch, 17. September 2003

DER GASTBEITRAG

Mit anderer Wahrnehmung

Die Münchner Gefahr und der tägliche Terror im Osten

Von Anetta Kahane

Der vereitelte Anschlagsversuch von Neonazis in München wirft einige Fragen auf: Was ist anders an dem geplanten Terrorakt? Und was müsste getan werden, um solches für die Zukunft zu verhindern?

Nun, es gibt den braunen Terror schon seit langem. Nach der Wiedervereinigung sind über 100 Menschen von Rechtsextremen getötet worden. Es entstand ein Klima der Angst für Asylbewerber, Migranten, Obdachlose und alternative Jugendliche besonders im Osten Deutschlands. Doch diese Art von Terror erschien in der Öffentlichkeit nie als Bedrohung des Staates und seines demokratischen Selbstverständnisses, sondern als bedauerliche Sammlung einzelner Gewalttaten, deren Ziele mehr oder weniger zufällig gewählt erschienen. Die Opfer gehörten den ohnehin diskriminierten, gescholtenen oder vernachlässigten Teilen der Gesellschaft an. Ein Angriff auf sie korrespondierte mit populistischen Signalen aus der Politik, die mit der Stimmung in der Bevölkerung einhergingen.

Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die sadistischen Folter- und Mordaktionen von Skinheads und Neonazis waren unterschiedlich - sie reichten von echter Betroffenheit bis zu vollkommener Gleichgültigkeit. Im Osten gehört der Terror von rechts zu einer Art selbstverständlicher Folklore, der bis zum heutigen Tag diesen Landstrich weitgehend ausländerfrei hält und diejenigen unter Rechtfertigungsdruck stellt, die solche Zustände beklagen.

Die Qualität des geplanten Anschlags, deren ostdeutsche Protagonisten gewiss nicht ohne Grund die Hauptstadt des Freistaats Bayern für ihr Vorhaben wählten, unterscheidet sich vom bisher gekannten. Es sind in den letzten Jahren verschiedene Attentate begangen worden: auf das Grab von Heinz Galinski, auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg. Beide Male waren es Anschläge mit Rohrbomben. Es wurden auch früher schon Waffen und Sprengstoffe bei Neonazis gefunden und Listen mit Personen und möglichen Anschlagszielen. Der Begriff von der "braunen RAF" geisterte damals schon durch die Medien. Was ist jetzt anders?

Nun ist es München, und das liegt im Westen. Und die Öffentlichkeit schreit auf. Anders ist auch, dass von allen in Betracht gezogenen Zielen der üblichen Art wie Einrichtungen von Migranten, Moscheen und einzelnen Politikern dasjenige in die engere Wahl gezogen wurde, das am deutlichsten den Kern des Feindbildes der Neonazis verrät: die Juden. In der Hoffnung auf hohe Sympathiewerte wollte man sie treffen, und das bei einem Staatsakt mit viel politischer Prominenz.

Die Anschläge von Neonazis hatten immer etwas zu tun mit gesellschaftlichen Bewegungen. So wie es eine Bewegung gegen Ausländer gab, gestützt von Entscheidungen und Signalen der Ausländerpolitik von Law and Order auch und gerade in Bayern, so gibt es zur Zeit eine gesellschaftliche Welle des Antisemitismus, für die man sich bei der Kameradschaft Süd offenkundig entschieden hat. Sie beruht auf einer Debattenlage in rechten, aber auch in linken Kreisen, die der Durchschnitt der Bevölkerung ebenso teilt. In ihr dreht das Gespenst von den alles dominierenden Juden, besonders in der Weltmacht USA, heftig seine modernen Runden.

Noch etwas ist anders: Das Ziel ist nicht die Dresdner Synagoge in einer beliebigen Nacht, sondern die in München am 9. November in voller Montur. Das trifft den Staat nicht nur an einer moralischen Stelle. Hier werden seine Vertreter und Symbole unmittelbar bedroht und nicht nur einige Asylbewerber oder Punks oder ein vergessener jüdischer Friedhof in Zittau.

Dass die Kameradschaft Süd sich dies zutraut, deutet auch auf eine bessere Vernetzung und Bewaffnung hin. Ohne Zweifel, die vom Osten inspirierte Szene - ihre Anführer kommen aus Mecklenburg und Brandenburg - ist gefährlicher und die Bedrohung der Demokratie deutlicher geworden. Doch was kann man dagegen tun? Der Verfolgungsdruck auf solche Täter muss hoch bleiben, das ist klar. Doch der Ruf nach dem Staat reicht auch hier nicht aus.

Die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen müssen sich auf Initiativen und Projekte der zivilen Gesellschaft beziehen, die sehr gut in der Lage sind, diese Aufgabe auch mit dem Staat zusammen zu erfüllen. Viele Projekte im Osten beweisen das. Und der Antisemitismus muss ernst genommen werden, er ist längst kein Spielball mehr für intellektuelles Geplänkel.

Doch dazu braucht es den politischen und gesellschaftlichen Willen und ausreichend Geld - und das auf lange Zeit. Das ist ein alter Hut. Doch er passt auch auf die neue Gefahr.

Donnerstag, 18. September 2003

Münchner Neonazisse verhaftet

Mit einer 17-Jährigen sitzen jetzt 9 mutmaßliche Rechtsterroristen in U-Haft

MÜNCHEN/KARLSRUHE dpa/ap Im Zuge der Ermittlungen gegen die Münchner Neonazi-Gruppe wegen der Vorbereitung von Bombenanschlägen haben die Fahnder eine weitere Beteiligte enttarnt. Gegen eine 17-Jährige aus dem Landkreis München erging Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, teilte die Bundesanwaltschaft gestern mit.

Die 17-Jährige war vorigen Montag festgenommen worden. Einen Tag später erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof den Haftbefehl. Damit befinden sich neun mutmaßliche Angehörige der Neonazi-Gruppe in U-Haft. Gegen zwei weitere Verdächtige wurden die Haftbefehle ausgesetzt.

Nach bisherigen Ermittlungen hatte die Gruppe um den Neonazi Martin Wiese eine Reihe möglicher Anschlagziele auf ihrer Liste, darunter die geplante Münchner Synagoge, Moscheen und eine griechische Schule. In ihrem Visier war auch Bayerns SPD-Spitzenpolitiker Franz Maget. Die Polizei hatte bei der Neonazi-Gruppe 14 Kilo Sprengstoff sichergestellt, darunter 1,7 Kilo hochexplosives TNT.

Indes hat ein Opfer rechtsextremer Schläger aus dem Umfeld Wieses 75.000 Euro Schmerzensgeld gefordert. Eine Sprecherin des Landgerichts München sagte, über die Klage des 33-jährigen Griechen gegen vier der Täter werde am 15. Oktober verhandelt. Der Mann war im Januar 2001 in München von mehreren Neonazis überfallen und fast zu Tode geprügelt worden. Die beiden Haupttäter sind zu sechs und fünf Jahren Haft verurteilt worden. Der Anwalt des Opfers begründete die hohe Schmerzensgeldforderung mit der Gemeingefährlichkeit der Täter.

Donnerstag, 18. September 2003

Gelesen
Kriminelle pro Staat
Rechtsradikale V-Männer als »Geheime Informanten« 
 
Von Matthias Koch 
 
Das Sachbuch des Monats Oktober heißt »Geheime Informanten« und untersucht die Verquickung des Verfassungsschutzes mit der rechtsradikalen Szene in der Bundesrepublik. Autor Rolf Gössner – Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rechtsanwalt, Publizist, Geheimdienstexperte sowie parlamentarischer Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Länderebene – »will vor dem Hintergrund der Besorgnis erregenden Entwicklung von Neonazismus und rechter Gewalt in diesem Land der V-Mann-Problematik im rechten Sumpf auf die Spur kommen«.
Gössner spricht ohne Vorbehalte von Kriminellen im Dienst des Staates. Als Beispiele für seine These bringt er viele Fallstudien, sechs ausführlich und zwölf im Stenogramm. Demnach verliefen rechtsextreme V-Mann-Karrieren häufig nach demselben Strickmuster. Vor, während oder nach kriminellen Taten – Mordversuch, Vertrieb rechtsradikalen Gedankengutes, Brandstiftung, Körperverletzung, Waffenhandel, Teilnahme an Bombenanschlägen oder Anstiftung zum Mord sind nur eine kleine Auswahl – dienten sich vorwiegend Männer bei der Verfassungsschutzbehörde an.
Für die Kriminellen lohne sich der Deal auf alle Fälle. Neben Verkürzung der Haft oder Vergünstigung der Haftbedingungen locke vor allem der schnöde Mammon zur Spitzeltätigkeit in den eigenen Reihen. »Die Honorarsätze lagen lange bei 300 bis 1500 DM, heute liegen sie bei etwa 400 bis 1250 Euro im Monat und mehr«, schreibt Gössner. Der Thüringer V-Mann Tino Brandt soll beispielsweise bis zu 20000 Euro jährlich an Spesen, Prämien und Honorar bezogen haben. Hohe Zuwendungen hätten allerdings mehrere Haken. Zum einen reiche die Summe häufig für die Unterhaltung der Lebenskosten aus. V-Männer gerieten so in finanzielle Abhängigkeit. Zum anderen wäre die staatliche Förderung unweigerlich in den Aufbau neonazistischer Strukturen geflossen.
Ein Schwerpunkt der Abhandlung ist die NPD. Diese Partei sei besonders stark von V-Leuten durchsetzt. Innenministerium und Verfassungsschutzbehörden hätten inzwischen einräumen müssen, dass »etwa 30 der 200 NPD-Vorstandsmitglieder seit Jahren als V-Leute im Sold des Staates« standen.
Neben der Klärung von vielen Begrifflichkeiten, wie »V-Mann-Führung« oder »Verbrennen von V-Leuten« fragt Gössner nach der Zukunft des Verfassungsschutzes. Er fordert die bedingungslose Aufarbeitung der Verstrickungen durch den Einsatz von V-Männern in der NPD. Zudem stellt er Reformation oder gar Abwicklung des aus 17 Verfassungsschutzbehörden bestehenden Geheimdienstes in den Raum. Die Inanspruchnahme von V-Leuten, die Ralf Gössner als eine der unzuverlässigsten und rechtlich bedenklichsten Formen der Nachrichtenbeschaffung bezeichnet, dürfte deshalb ein brisantes Thema bleiben.

Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates. Knaur Taschenbuch, 320 Seiten, Oktober 2003, 12,90 EUR

Freitag, 19. September 2003

Braune Spur nach Berlin

Razzia der Bundesanwaltschaft in Marzahn führt zur Festnahme eines Mannes, der Kontakt zu den rechtsradikalen Attentatsplanern in München hatte. In seiner Wohnung wurden Waffen gefunden

von PHILIPP GESSLER

Die Polizei hat gestern morgen in Marzahn-Hellersdorf einen Brandenburger festgenommen, der engen Kontakt zu den rechtsradikalen Attentatsplanern in München gehabt haben soll. Die Razzia galt mehreren Objekten in Berlin. In der Wohnung des Festgenommenen, der nach taz-Informationen offenbar in einer Art Nazi-WG wohnte, wurden Waffen beschlagnahmt. Die Razzia stand unter Federführung der Bundesanwaltschaft, erklärte die Innenverwaltung. Den Zugriff nahmen Brandenburger Einsatzkräfte vor.

In München wird derzeit gegen eine Gruppe von Neonazis wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Bei ihnen waren 14 Kilogramm Sprengstoff, darunter 1,7 Kilo des hochexplosiven TNT, sichergestellt worden. Der Sprengstoff sollte offenbar für ein Attentat auf die Baustelle des Jüdischen Gemeindezentrums gebraucht werden. Derzeit befinden sich zehn mutmaßliche Angehörige der Nazi-Clique in Haft.

Unbestätigten Informationen zufolge war der nun Verhaftete ein Militaria-Händler, dessen Pitbull bei der Verhaftung von der Polizei erschossen wurde. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden Wohnungen von Verdächtigen durchsucht. Einer von ihnen wurde wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz in Güstrow verhaftet, wie eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte. Zudem bestehe ein Anfangsverdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Trotz der offensichtlichen Verbindungen zwischen den Neonazis in Berlin und München betont der hiesige Verfassungsschutz auch nach der Razzia, dass es zwischen der rechtsextremen Szene Berlins und der in München keine organisierten Kontakte gebe. "Eine vertiefte Zusammenarbeit war bisher nicht festzustellen", sagte Verfassungsschutz-Sprecher Claus Guggenberger. "Für einzelne Personen kann ich dies jedoch nicht völlig ausschließen", fügte er an. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kündigte an, am Montag kommender Woche im Innenausschuss mehr über die gestrige Aktion zu berichten.

Recherchen antifaschistischer Gruppen auf der linken Internetseite indymedia zufolge gibt es enge Verbindungen der Münchener Gruppe in die nördliche Uckermark, deren Naziszene im bundesweiten Vergleich sehr stark ist und schon zu DDR-Zeiten aktiv war. Bekannt ist zudem, dass Brandenburger Neonazis Berlin häufiger als Rückzugsraum nutzen, wenn sie unter Verfolgungsdruck stehen. Drei der Münchener Verhafteten sind Neonazis aus Brandenburg. Der Hauptverdächtige ist der frühere Anklamer Martin Wiese, der für den gesammelten Sprengstoff offenbar einen Zünder von Brandenburger Kameraden nutzen wollte. Nach indymedia-Informationen prahlten schon vor zwei Jahren rechtsextremistische Gewalttäter aus der Uckermark damit, Waffen und Sprengstoff zu sammeln.

Der Rechtsextremismus-Experte Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv verweist darauf, dass es in den vergangenen Jahren immer wieder offensichtlich rechtsextremistisch motivierte Sprengstoffattentate gab, die nie aufgeklärt wurden: etwa 1999 auf das Grab des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, oder die Anschlagserie 1998 in Thüringen, deren Täter seit Jahren untergetaucht seien. Es gebe ein braunes terroristisches Milieu, in dem es Waffenkenner gebe, entschlossene Täter und internationale Verbindungen zu anderen gewalttätigen Neonazis. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass manche von ihnen sich schließlich entschlössen, das zu machen, wovon sie immer redeten, sagt Jentsch.

Freitag, 19. September 2003

"Man braucht einen langen Atem"

Diskussionen mit rechtsextremen Akteuren funktionieren nicht, meint Lorenz Korgel. Rechtsextremen gehe es nicht um Dialog, sondern um die Demonstration von Stärke. Sinnvoller sei, sich mit Opfern rechter Gewalt zu solidarisieren

taz: Herr Korgel, Dialog mit Rechtsradikalen - macht das Sinn?

Lorenz Korgel: Man muss unterscheiden: Es gibt sozialpädagogische Maßnahmen, wo sich Pädgogen mit einzelnen rechtsextremen Jugendlichen auseinander setzen. Das macht Sinn. Diskussionen in der Öffentlichkeit hingegen gehen meist nach hinten los, weil unterschätzt wird, dass es sich dabei um ausgebildete, rhetorisch geschulte rechtsextreme Akteure handelt.

Die Auftritte der Rechtsextremen sind demnach Ihrer Meinung nach geplant?

Wir beobachten häufig, dass Rechtsextreme mit ganz gezielten Strategien in solche Diskussionen hineingehen. Sie sprechen untereinander ab, wer welche Diskussionsstränge vorgibt - der eine argumentiert emotional, der andere argumentiert vernünftig - während eine Gruppe meist jüngerer Leute den Raum besetzt und strategisch im Griff behält. In den Diskussionen verfolgen sie alle zusammen das Ziel, die Inhalte zu dominieren.

Sie meinen, das Dialogangebot an die Rechtsextremen wird als Arena für einen Schaukampf benutzt?

Ja. Für die Angehörigen der potenziellen gegnerischen Gruppen verlaufen diese Diskussionen nie demokratisch, weil sie sich immer bedroht fühlen müssen. Meinungsfreiheit ist in diesen Diskussionen nicht gegeben.

Warum dann solche Diskussionen, wie sie im "Brücke 7 e. V." stattfanden?

Manchmal ist es pädagogische Blauäugigkeit, zu glauben, dass sich rechtsextreme Ideologien in Dialogen auflösen lassen. Es wird dabei verkannt, dass Rechtsextremismus kein vernunftgeleitetes Ideologieensemble ist, sondern eine auf Vorurteilen und totalitären Wahrheiten aufgebaute Überzeugung.

Ist mit solchen Dialogangeboten die Hoffnung verbunden, die Rechtsradikalen könnten von ihren extremen Positionen abrücken?

Das wird damit bezweckt, aber ich habe das noch nicht erlebt. Insbesondere wird es gefährlich, wenn rechtsextreme Akteure aus dem Umfeld von Organisationen teilnehmen dürfen. Nach unserer Erfahrung ist der Dialog mit rechtsextremen Cliquen außerdem so, dass sich die wortstarken Cliquenführer mit den Pädagogen messen.

Und der Cliquenführer punktet?

Er kann nur gewinnen. In der Regel ist er Cliquenführer, weil er die anderen überzeugt hat, und das wird er in einem derartigen Szenario auch demonstrieren.

Heißt das: Finger weg von solchen Veranstaltungen?

Grundsätzlich ja. Leuten, die dennoch so etwas durchführen - Pädagogen, Lehrer, Politiker - ist auf jeden Fall ein Argumentationstraining zu empfehlen, weil die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Diskussion geschult werden müssen.

Was schlagen Sie als Alternative vor?

Generell mangelt es an einer Solidarisierung mit Opfern rechtsextremer Gewalt. Und an dem wirklichen politischen Willen, langfristig und konzeptionell zu diesem Problem zu arbeiten. Den Besen, der das Problem Rechtsextremismus hinwegfegt, den gibt es nicht. Man braucht dafür einen langen Atem.

"INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB

LORENZ KORGEL, Politikwissenschaftler, Koordinator der mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Ostdeutschland

Samstag, 20. September 2003

RECHTSEXTREMISMUS

Thierse lenkt den Blick auf die "alltägliche Bedrohung"

pit BERLIN, 19. September. Nach der Festnahme von Terrorismus-Verdächtigen aus dem rechtsextremen Spektrum hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) dazu aufgerufen, auch die alltägliche Bedrohung durch Rechtsextremisten stärker in den Blick zu nehmen. Er warne davor, sich angesichts der Münchner Terrorpläne "auf eine negative Weise faszinieren zu lassen", sagte Thierse der Frankfurter Rundschau am Freitag in Berlin. "Am gleichen Tag, an dem dieser geplante Anschlag aufflog, ist in München ein Ausländer von elf Skinheads angegriffen worden", sagte Thierse. "Der Vorfall ist vollkommen verschwunden hinter dem anderen." Man dürfe sich nicht davon ablenken lassen, dass die alltägliche ausländerfeindliche und extremistisch motivierte Gewalt nicht ab-, sondern zunehme.

Thierse hob zugleich hervor, dass die Terrorgefahr "argwöhnisch beobachtet" werden müsse. Er sei vorsichtig bei der Frage, ob es sich um eine "Braune Armee Fraktion" handele, wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) formuliert hatte. Es handele sich aber sehr wohl um eine "neue Stufe" der Bedrohung, wenn die Polizei herausfände, "dass das eine neue Qualität systematischer Vorbereitung von Gewaltakten ist", meinte er.

Zurückhaltend äußerte sich Thierse zu Vorwürfen an Beckstein und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), denen unlauterer Wahlkampf vorgeworfen worden war, nachdem sie Fahndungsergebnisse öffentlich gemacht hatten. Der öffentliche Umgang sei "in Wahlkampfzeiten immer in Verdacht", meinte Thierse. "Die Parteien wollen natürlich dem Bürger öffentlich demonstrieren, dass sie tatkräftig sind, dass sie Gewalt bekämpfen, dass sie Extremismus bekämpfen."

Montag, 22. September 2003

Neonazi-Konzert verhindert

Großaufgebot der Polizei stürmt Lokal in Köpenick - Festnahmen

Von Michael Behrendt

Mehr als 370 Beamte, darunter verschiedene Spezialeinheiten, haben in der Nacht zu gestern ein illegales Konzert rechtsextremer Gruppen in Köpenick verhindert. Dabei wurden 160 Personen kontrolliert. Es kam zu vereinzeltem Widerstand gegen die Beamten und zu Festnahmen.

Ein Tipp aus der Szene machte die Berliner Polizei auf das geplante Konzert in einem Lokal an der Wendenschlossstraße in Köpenick aufmerksam. Daraufhin observierten Zivilbeamte bereits Stunden vor dem eigentlichen Beginn die Umgebung. Nach und nach kamen die Mitglieder der per Mundpropaganda informierten Szene nach Köpenick. Um 22 Uhr hatten die dann unerwarteten Besuch: Das Großaufgebot, angeführt von Elitepolizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK), stürmte das Gebäude, Einsatzhundertschaften besetzten Ein- und Ausgänge, sie wurden von Diensthundeführern unterstützt. Aus Sicht der ermittelnden Staatsschützer ein dicker Fang - unter den Gästen und Veranstaltern befanden sich auch Gruppierungen der "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft". Dazu kamen Mitglieder des "Spreegeschwader" und der verbotenen Rockband "Landser". Ferner wurde der über die Stadtgrenzen bekannte Neonazi-Führer Oliver Schweigert angetroffen.

Laut Angaben einer Polizeisprecherin leisteten trotz der staatlichen Übermacht einige der Gäste Widerstand gegen die Beamten. Vier Männer wurden festgenommen, die Polizisten leiteten sieben Strafverfahren unter anderem wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wegen Widerstandes und versuchter gefährlicher Körperverletzung ein. Ferner beschlagnahmten die Beamten zwei Siegelringe mit SS-Emblemen, einen mit Bleistaub gefüllten Lederhandschuh sowie eine Jacke mit dem Aufdruck "Polizei". Gegen einen Mann wird wegen "gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr" ermittelt, sein Wagen wurde sichergestellt.

Gegen 0.30 Uhr war die Aktion beendet. Der Pächter, der laut Polizeiangaben nicht gewusst hatte, dass es sich bei den Mietern der Räume um Neonazis handelte, verschloss sein Lokal und verhinderte so die Fortführung der Veranstaltung. Gegen die Mitglieder der "Vandalen", die sich noch vor dem Lokal befanden, sprachen die Einsatzkräfte Platzverweise aus.

Die "Kampfgemeinschaft Vandalen" war zu DDR-Zeiten in Weißensee gegründet worden und hatte schon vor der Wende Verbindungen zu westdeutschen Neonazi-Organisationen geknüpft. Laut Verfassungsschutz handelt es sich um eine "abgeschottete, fest gefügte Neonazi-Funktionärsgruppe", in der es kaum Fluktuation gibt. Die Mitglieder gelten als "stark waffeninteressiert" und unterhalten Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Organisationen und Parteien.

Montag, 22. September 2003

"Ab in den Untergrund"

Die gewaltbereite rechte Szene wächst seit Jahren. Der Münchner Fall zeigt: Das braune Terror-Potenzial sammelt sich rund um die neonazistischen Kameradschaften.

Das Hobby seines Sprösslings machte Jürgen K. nie ernsthaft Sorgen: Gern und oft streifte der 24-jährige Marcel durchs märkische Gelände, um auf den einstigen Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs nach Militärschrott zu buddeln.

Als Marcel einmal ein rostzerfressenes Blechschild mit der Aufschrift "Panzerabwehr" anschleppte, sah der Vater "nichts Verbotenes" darin; der Junge habe "halt ein Faible" fürs Historische. Auch die scharfen Aufschlagzünder, die K. eines Tages in seiner Garage fand, beunruhigten ihn nicht groß. Schließlich seien das nur "kleine Zünder" gewesen, die "maximal 'ne Treibladung" zur Explosion bringen könnten - "absolut nicht gefährlich" also. "Da krieg ich zehn Euro für", habe Marcel erklärt - und, Geschäft ist Geschäft, die Sache war erledigt.

Bis vorvergangenen Mittwoch.

Gegen 6.30 Uhr stürmte ein schwer bewaffnetes Polizeikommando das adrette Einfamilienhaus der K.s im brandenburgischen Menkin; der Hobby-Historiker sitzt seitdem streng abgeschottet in München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Bei anderen Verdächtigen stellten die Fahnder Zünder, eine Panzergranate, Treibladungspulver sowie drei Selbstladepistolen sicher - eine vierte hatte Marcel K. im Dackel-Zwinger seiner Eltern versteckt.

Die Bundesanwaltschaft vermutet, dass der frühere Skinhead und heutige NPDler einer der Lieferanten war, die jene inzwischen berüchtigte Terrorzelle um den Münchner Neonazi Martin Wiese mit Waffen für ein Bombenattentat versorgten. Die Gruppe hatte damit, so die Ermittler, einen Anschlag bei der Grundsteinlegung des neuen jüdischen Gemeindezentrums am 9. November geplant, zu der auch Bundespräsident Johannes Rau erwartet wird.

Stück für Stück rollen die Fahnder jetzt ein bundesweites Netz von Kontakten zwischen der Neonazi-Szene und Waffenhändlern auf.

Im mecklenburgischen Güstrow verhafteten sie aus einer Reha-Klinik heraus einen 54-Jährigen, der ein riesiges Arsenal an Waffen bunkerte und den die Neonazis verraten hatten. In Berlin-Marzahn nahm ein Spezialeinsatzkommando einen Militariahändler hoch, den die Rechten ebenfalls angeschwärzt hatten. Bei der Durchsuchung fand das SEK mehrere Handfeuerwaffen und erschoss den Pitbull des Mannes. In Bayern inhaftierten Beamte mehrere mutmaßliche Unterstützer, darunter ein weiteres NPD-Mitglied.

Im Schatten des 11. September ist lange unbemerkt eine Gefahr gewachsen, die erst jetzt durch den vereitelten Anschlag und die republikweiten Razzien schlagartig ins Bewusstsein zurückkehrt: die Gewalt von Neonazis. Die Zahl militanter Rechtsextremisten ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen - um fast ein Drittel seit 1998 (siehe Grafik). Die Republik hat sich an rund 20 Brandanschläge jährlich gewöhnt und, wie 2002, an zwei rechte Gewalttaten pro Tag. Die "marodierende ausländer- und minderheitenfeindliche Gewalt" dürfe nicht aus dem Blick geraten, warnt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). Angesichts der "neuen Qualität" von München räumt Innenminister Otto Schily (SPD) ein: "Mitunter hat man das etwas beiseite geschoben."

Daran hat auch der vor drei Jahren vom Bundeskanzler persönlich ausgerufene "Aufstand der Anständigen" nichts ändern können. "Gar keine oder kaum eine Wirkung" habe Gerhard Schröders Aufruf nach einem bis heute unaufgeklärten Anschlag auf russlandstämmige Juden in Düsseldorf gehabt, klagt der Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz. "Das war ein Strohfeuer, das gleich wieder verglüht ist."

Im Umfeld der etwa 160 neonazistischen Kameradschaften ist in den vergangenen Jahren eine neue Generation von Radikalen herangereift, die das Know-how und die Bereitschaft für mehr als nur Agitprop hat - neuerdings sogar mit engen Verbindungen ins Rotlicht- und Rockermilieu, die die Ermittler besonders beunruhigen. Ein harter Kern von mehr als hundert Rechtsextremisten, glauben Verfassungsschützer, sei bundesweit potenziell bereit, Bomben zu bauen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis militante Fanatiker anfangen würden, klandestine Anschläge zu planen - so wie jetzt in München.

Die bisherigen Ermittlungen zeichnen von den aufgeflogenen Jungrechten das Bild höchst typischer Szene-Werdegänge. Wiese wuchs im vorpommerschen Pasewalk auf, prügelte sich durch die Nacht, hing an der örtlichen Tankstelle rum. Der Brandenburger Marcel K. scherte sich wie so viele Ostdeutsche eine Glatze, ging zum Bund und fiel der Polizei erstmals auf, als er 1993 auf einem Campingplatz randalierte. 1998 trat der inzwischen arbeitslose Tischler in die NPD ein. Sein Zimmer im Souterrain des Elternhauses schmücken eine schwarze Hitler-Statuette auf dem Fensterbord sowie ein selbst gezimmertes CD-Regal in Form einer germanischen Todes-Rune. Darin finden sich gut drei Dutzend Alben einschlägiger Nazi-Bands wie "Kraftschlag", "Sturmwehr" oder "Endstufe" neben blutrünstigen Samplern wie "SS Division Hitler-Jugend".

Auch K.s mutmaßliche Komplizen Andreas J., 37, genannt "Juri", und Steven Z., 24, sind einschlägig bekannt: "Juri" wurde erst vor drei Monaten auf Grund "schwerer Sicherheitsbedenken" die Waffenbesitzkarte entzogen, Steven Z., der von einer Karriere als Minenräumer träumte, verlor im Sommer 1998 bei einem Sprengstoffexperiment Hand und Unterarm.

Aus dieser eher dumpfen Szene ist Wiese langsam herausgewachsen, gilt inzwischen als Musterbeispiel für den modernen Neonazi: eine Mischung aus kühlem Demagogen und Mann fürs Grobe. "Das war ein richtiger Anheizer", erinnert sich der Ex-Neonazi Bernd Meisner*, der zusammen mit Wiese gegen die Wehrmachtsausstellung aufmarschierte. "Der konnte Massen bewegen."

So wie bei einer NPD-Demo Ende Juni in Schwäbisch-Hall. Es ging wieder einmal gegen die Wehrmachtsausstellung, und Wiese, der stämmige Mann mit rotblondem Bart und Ohrring, der aussieht wie ein irischer Barkeeper, trat an das Mikrofon. "Kameraden", brüllte Wiese los, "wir können mit unserem bedingungslosen Kampf unsere Landsleute wecken, ihnen zeigen, welche Werte von Bedeutung sind!" Und dann orakelte der Neonazi düster: Man werde es "allen Ignoranten und pervertierten Deutschen zeigen, welche Macht mit unseren altdeutschen Tugenden ist". War das bereits ein Hinweis, es nicht nur bei Demos zu belassen?

Neonazis wie Wiese sind randvoll mit Hass und der Bereitschaft zu Gewalt - zwei Komponenten, deren Mischung brisanter ist als jeder Molotow-Cocktail. "Das kann jederzeit hochgehen", sagt Aussteiger Meisner. "Das ist nur eine Frage des Aufputschens."

Hass-Bands, wie sie bei Marcel K. und den meisten Jungrechten im Regal stehen, liefern den Soundtrack zum Gewaltexzess. "Zusammen mit Alk", sagt Meisner, "gibt das den Kick, wo du jedes Risiko in Kauf nimmst. Dann prügelst du, bis der Arzt kommt."

Wie Wiese durchlief auch Meisner eine Schulung als Ordner bei Neonazi-Demos, eine Art nationale Putztruppe. Der paramilitärische Unterricht fand in Mecklenburg-Vorpommern statt, auf einem stillgelegten Truppenübungsplatz der NVA unweit von Wieses Geburtsort Anklam. Anfangs wurde die Gruppe in einen stockdunklen Bunker gesperrt und mit Reizgas bedroht - wer Panik zeigte, war unten durch. Mit Blaumännern als Arbeiter getarnt, mussten die Neonazis anschließend stundenlang im Schnee liegen, kodierte Meldeberichte verfassen und Boten schicken. Ausbilder war ein bekannter norddeutscher Neonazi.

Wie schmal der Grat zwischen solchen Schlägerbanden und einer Terrortruppe ist, zeigt der Münchner Fall: Während einer Geburtstagsfeier im Januar 2001 war Wiese unter den Gästen, als ein rechter Mob vor dem Gasthof "Burg Trausnitz" einen Griechen halb tottrat.

Damals schien die Gruppe lediglich ein weiteres Beispiel für dumpfe Gewalttäter zu sein, die Schlägerei ein Strich in der Polizeistatistik. Der Übergriff wurde nur deshalb publik, weil das Opfer ohne die Hilfe herbeieilender Türken wohl nicht überlebt hätte. "Wenn das Umfeld stimmt", sagt ein hochrangiger Verfassungsschützer, "gehen Leute wie Wiese eben noch einen Schritt weiter."

An Nachwuchs mangelt es nicht: Während die mutmaßlichen Terroristen noch in Untersuchungshaft saßen, griff in München ein braunes Dutzend zum Teil volltrunkener Skinheads einen 48-jährigen Amerikaner mit den Worten "He, Nigger" an; nur eine zufällig vorbeikommende Zivilstreife konnte den Mann retten.

Die Gefahr, die von solchen Gruppen ausgeht, haben mittlerweile auch das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz erkannt. Ermittler fordern jetzt den Aufbau einer bundesweiten "Verbunddatei", in die Bund und Länder die Namen erkannter gewaltbereiter Rechtsextremisten einspeisen. So sollen zu allem entschlossene Jungfaschisten "permanent gescreent werden", selbst wenn sie keiner bekannten Organisation angehören. Dazu wollen Verfassungsschützer alte Verfahren gegen Waffennarren und Militariahändler durchgehen und auf Verbindungen nach Rechtsaußen abgleichen - erste chemische Untersuchungen in München ergaben, dass die 1,7 Kilo des aufgefundenen TNT keine professionelle Lieferung, sondern leicht verunreinigt waren. Der Sprengstoff soll aus Polen stammen. "Wir müssen auch gegen rechts das ganze Register der Terrorismusbekämpfung ziehen", drängt ein hochrangiger Beamter. "Sonst kommen wir da nicht hinterher."

Die Behörden prüfen deshalb auch, ob Teile der Kameradschaften als kriminelle Vereinigungen verfolgt werden können - denn die Neonazis haben offensichtlich aus den Gerichtsverfahren der neunziger Jahre gelernt. Ein Verbot von Gruppen wie der Kameradschaft Süd sei "kaum noch möglich", klagt auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU). "Das setzt eine formale Struktur mit Vorstand voraus, die es so nicht gibt." Die neuen rechtsradikalen Truppen, weiß der baden-württembergische Verfassungsschützer Hans-Jürgen Doll, sind "mittlerweile eine Organisierung ohne Organisation".

So formiert sich weniger eine "Braune Armee Fraktion", wie sie Beckstein medienwirksam im bayerischen Wahlkampf ausrief, sondern schwer zu kontrollierende regionale Geflechte militanter Kleingruppen. Sie bedienen sich des theoretischen Unterbaus für den bewaffneten Kampf gegen die verhasste Demokratie, der in der Szene seit längerem kursiert. "Überzieht die BRD mit einem Netz aus vielen unabhängigen Zellen, Widerstandsgruppen", hieß es in einem Pamphlet, das im August 2000 im Umfeld der Kameradschaft Neustadt Weinstraße auftauchte, mit "nackter und kalter Gegengewalt" solle das "Demokraten-System" beseitigt werden.

Der Parole "Ab in den Untergrund!" waren bereits drei thüringische Neonazis gefolgt: Im Januar 1998 tauchten Uwe B., 25, Beate Z., 28, und Uwe M., 30, ab, nachdem sie zwei Attrappen und einen TNT-Sprengsatz in einem Koffer an öffentlichen Plätzen wie in einem Jenaer Stadion deponiert hatten.

Die Rechtsextremisten, nach Polizeierkenntnissen allesamt Kader der Kameradschaft Jena, hatten dafür eine Garage angemietet, in der 1392 Gramm TNT gefunden wurden.

Trotz internationaler Fahndung fehlt von ihnen bis heute jede Spur - seit dem 23. Juni sind die Vorwürfe verjährt.

CONNY NEUMANN, SVEN RÖBEL, HOLGER STARK

Donnerstag, 25. September 2003

Aktiv gegen Rassismus

Bezirke planen Schulungen

Die Bezirke Pankow und Lichtenberg wollen entschlossener gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vorgehen. Gestern legten Pankows Bürgermeister Burkhard Kleinert und seine Lichtenberger Amtskollegin Christina Emmrich (beide PDS) entsprechende Aktionspläne vor. Demnach sollen vor allem Trainer in Sportvereinen, Mitarbeiter von Jugendfreizeiteinrichtungen und Angestellte in den Bezirksverwaltungen für das Thema Rechtsextremismus und Rassismus sensibilisiert werden.

Die Bezirke hatten die Aktionspläne vergangenes Jahr beim Zentrum Demokratische Kultur in Auftrag gegeben. Die Wissenschaftler recherchierten ein halbes Jahr, die Studien kosteten 30 000 Euro. "In bestimmten Gegenden unseres Bezirks gibt es eine rechtslastige Alltagskultur", sagte Kleinert. Unterschwelligen Rassismus hat auch Christina Emmrich in ihrem Bezirk ausgemacht. (gäd.,tug.)

Donnerstag, 25. September 2003

Angstzonen an Verkehrsknotenpunkten

Die Bezirke Pankow und Lichtenberg haben gestern "lokale Aktionspläne für Demokratie und Toleranz" vorgestellt.
Die listen zunächst detailliert zahlreiche Missstände auf. Konsequenzen daraus werden ab Mitte November beraten

Für Migranten und Flüchtlinge liest sich das Werbefaltblatt der Lichtenberger Wohnungsbaugenossenschaft "Humboldt-Universität e. G." wenig einladend. Denn potenziellen Mietern verspricht die Baugenossenschaft neben einem "sicheren Wohnen durch Security" und "Gästewohnungen zu attraktiven Mietpreisen" auch "keine Störungen durch kulturelle Verschiedenheit". Fragt man bei der Genossenschaft nach, was das bedeutet, erhält man zunächst ausweichende Antworten. "Wir schauen, ob jemand in unsere Gemeinschaft passt", erklärt dazu auf Anfrage eine Mitarbeiterin der Genossenschaft. Und Kultur habe eben auch etwas mit "Lebensstil" zu tun. Keinesfalls sei die Aussage ausgrenzend gemeint, ergänzt die Dame freundlich. Vielmehr werde bei potenziellen Neumietern danach geguckt, "wie jemand sein Leben gestaltet - ob einer viel feiert zum Beispiel".

Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (PDS) dagegen hält die Aussage des Werbeflyers für "völlig kontraproduktiv" für Lichtenberg. "Eine derartige Werbung bestätigt jedes Klischee über den Bezirk", so Emmrich zur taz. Nach einem Gespräch mit dem Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft, sei ihr versichert worden, dass der Webeflyer nun aus dem Verkehr gezogen werde.

Emmrich geht es schon seit längerem darum, nicht nur offen rechtsextreme Aktivitäten in Lichtenberg zu verhindern, "sondern Haltungen und Stimmungen in der Bevölkerung zu verändern". Gestern stellte sie daher gemeinsam mit ihrem Pankower Amtskollegen Burkhard Kleinert (PDS) und Jugendstaatssekretär Thomas Härtel die "lokalen Aktionspläne für Demokratie und Toleranz" der beiden Bezirke vor.

Anders, als ihr Name verspricht, erschöpfen sich die Pläne jedoch in erster Linie in einer Bestandsaufnahme. Auf jeweils knapp 100 Seiten haben Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechts (MBR) und des "Zentrums Demokratische Kultur" (ZDK) Treffpunkte und Läden der rechten Szene ebenso aufgelistet wie Diskriminierungserfahrungen von Migranten an Schulen oder in den Amtsstuben der Bezirksverwaltungen. "Deren interkulturelle Öffnung" müsse ein vorrangiges Ziel bei der Umsetzung der Aktionspläne sein, lautete dann auch ein Fazit der Rechercheure.

Finanziert wurde die Erstellung der Aktionspläne vom Land und vom Bezirk Pankow. Hier hatte die Bezirksverordnetenversammlung im vergangenen Jahr beschlossen, dass sich Pankow neben Lichtenberg bei der Landeskommission "Berlin gegen Gewalt" für die Erstellung des "lokalen Aktionsplans" bewerben sollte.

Nun wollen die Bezirke ab Mitte November überlegen, wie sie die bisher eher schlagwortartigen Handlungsempfehlungen konkret umsetzen können. Zum Beispiel, was getan werden muss, damit der Ortsteil Karow demnächst nicht mehr als "Angstzone" für Jugendliche gilt, die sich äußerlich erkennbar gegen Rechtsextremismus positionieren. Das Autorenteam des "Aktionsplans" hat zudem festgestellt, dass auch alle Verkehrsknotenpunkte im Großbezirk Pankow als "Orte erhöhter Gefahr" zu bezeichnen seien, unter anderem weil rechtsextrem orientierte Cliquen gezielt S-Bahnhöfe wie Heinersdorf, Buch oder Pankow als offene Treffpunkte wählen. Auch in Lichtenberg wurden die S-Bahnhöfe Lichtenberg und Wartenberg als "Angsträume" genannt.

Welche Auswirkungen die Angst vor rechten Angriffen auf ihren Alltag haben, haben alternative Jugendliche aus Hohenschönhausen in einer eigenen Videoproduktion festgehalten. Die Premiere von "leben im Beton" fand gestern Abend dem Thema entsprechend open air am dortigen Lindencenter statt - einem stadtbekannten Treffpunkt der Rechten. Schließlich gehe es darum, "sich vor Ort einzumischen gegen Rechtsextremismus und Rassismus", sagt Uwe Neirich von "Lichtblicke - Netzwerk für Demokratie und Toleranz". Für die Bezirksbürgermeisterin sind derartige Initiative ein Hoffnungszeichen.

HEIKE KLEFFNER

Freitag, 26. September 2003

Länder wollen Projekte gegen rechts nicht mitfinanzieren

Initiativen droht das Aus, da der Bund die alleinige Finanzlast ablehnt / Experten von Rot-Grün erwägen, Stiftung zu gründen

Projekten gegen Rechtsextremismus droht das Aus. Ihre Träger fordern die Bundesländer zur Unterstützung auf. Zugleich machen sich rot-grüne Fachpolitiker im Bundestag dafür stark, die Bundesmittel für diesen Bereich nicht wie geplant zu kürzen.

Von Pitt von Bebenburg

FRANKFURT A. M., 25. September. Drei Jahre nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den "Aufstand der Anständigen" ausgerufen hat, fehlt den Initiativen gegen Rechtsextremismus finanzielle Hilfe. "Die mühsam aufgebaute Projektelandschaft gegen Rechtsextremismus, die angesichts der alltäglichen rechtsextremen Gewalt eine nachhaltige Unterstützung benötigt, scheint bereits nach kurzer Zeit auszutrocknen", warnten die "Mobilen Beratungsteams" in Ostdeutschland am Donnerstag. Sie wiesen darauf hin, dass dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt geschehe, an dem die Funde in München die Gefahr des Terrors von Rechtsextremisten deutlich sichtbar machten.

Hintergrund ihrer Sorge ist die Tatsache, dass der Bund Geld aus den Programmen "Civitas" und "Entimon" künftig nur noch an Projekte auszahlt, die eine Kofinanzierung der Länder nachweisen können. "Ohne Kofinanzierung droht den Projekten das Aus", stellen die Beratungsteams fest. Bisher habe sich "allerdings noch kein Bundesland zu einer Kofinanzierung der Initiativen gegen Rechtsextremismus bereit erklärt". Die Teams aus Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Berlin und Sachsen dringen daher auf Zusagen der Länder für die Jahre 2004 bis 2006.

Der Bund hatte die Programme im Jahr 2001 aufgelegt. Dabei ging es um die Anschubfinanzierung für "Modellprojekte". Im Etat von Jugendministerin Renate Schmidt (SPD) stehen in diesem Jahr jeweils zehn Millionen Euro für "Civitas" und "Entimon" bereit. "Civitas", ein Programm für Ostdeutschland, finanziert Opferberatungsstellen und Mobile Beratungsteams an Schwerpunkten der rechtsextremen Bedrohung. Mehr als 900 Projekte erhalten davon Geld. "Entimon" ist noch breiter angelegt und fördert Initiativen in der ganzen Republik.

Fachpolitiker von SPD und Grünen setzen sich dafür ein, dass die jährlich 20 Millionen Euro für beide Programme auch in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Bei einem Treffen am Donnerstag in Berlin betonten sie ihr "ganz erhebliches Interesse an Verstetigung". Die Planung der Bundesregierung sieht aber vor, dass der Betrag für "Civitas" drastisch auf acht Millionen Euro im nächsten Jahr sinkt und auf jeweils fünf Millionen in den Jahren 2005 und 2006. Bei "Entimon" stehen weiterhin zehn Millionen für 2004 und anschließend neun Millionen Euro pro Jahr im Plan.

Als eine Möglichkeit wird bei den Rechtsextremismus-Experten im Bundestag auch erwogen, eine Stiftung zu gründen, die die Arbeit der Initiativen dauerhaft fördern könnte. Auf diese Weise könne man das langfristige Ziel erreichen, dass man die Förderung der Projekte "nicht zum Gegenstand einer jährlichen Haushaltsberatung machen muss", sagte der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy.

Dienstag, 30. September 2003

Konzept zu vage: Jugendzentrum riskiert Förderung

Treptow

Von Sabine Flatau

So zerknirscht wie jetzt erlebt man Claus Bubolz selten. Der hyperaktive Chef des Kulturvereins "Brücke 7" muss zugeben, dass er wichtige Unterlagen für sein geplantes Jugend- und Kulturzentrum nicht beim Bezirksamt Treptow-Köpenick eingereicht hat. Bisher schob er der Verwaltung die Schuld dafür in die Schuhe, dass sein Projekt "Für Toleranz gegen Gewalt" in Schöneweide nicht vorankommt.

Mitte September sollte der Startschuss fallen, rund 114 000 Euro an Bundes- und Landesmitteln liegen bereit. In wenigen Tagen verstreicht für einen Teil des Geldes die Abruf-Frist. Doch die Mittel fließen erst, wenn "Brücke 7" vom Bezirksamt auf Dauer als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt wird.

Dafür setzt Jugendstadtrat Joachim Stahr (CDU) strenge Kriterien an. "Die Anerkennung setzt voraus, dass uns ein inhaltliches Konzept und ein Konzept für das Personal vorgelegt wird", sagt der Dezernent. Letzteres habe er bis jetzt nicht bekommen, lediglich eine Liste mit ehrenamtlichen Mitgliedern des Vereins. Bubolz wolle Jugendliche aus politischen Randgruppen einbeziehen. "Das ist ein anspruchsvolles Vorhaben und kein Töpferkurs", sagt Stahr. "Dafür braucht man gestandene Leute. Wir wollen die Namen der Verantwortlichen wissen. Wir wollen wissen, welche Stufen das Projekt haben soll. Wie die Mitarbeiter für diese Aufgabe qualifiziert werden."

Bisher hat "Brücke 7" nur eine befristete Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe, die im Frühjahr 2004 ausläuft. Stadtrat Stahr: "Der Verwaltung liegt noch kein formaler Antrag vor, dass der Verein vor Ablauf der Zeit unbefristet anerkannt werden will."

Vereinschef Claus Bubolz macht seit Jahren durch ungewöhnliche Initiativen von sich reden. Kürzlich konnte er im letzten Moment Innensenator Ehrhart Körting (SPD) für eine Diskussion mit rechten Jugendlichen gewinnen, obwohl der Senator bereits abgesagt hatte. Im Kuratorium von "Brücke 7" sind Persönlichkeiten wie Walter Jens, Björn Engholm und Günter Grass. Bubolz, selbst SPD-Mitglied, wird von den Jusos unterstützt. Die Treptower Antifa wirft ihm vor, Neonazis ein Forum zu bieten.