Presseschau Februar 2004
Die Presseschau
ist ein Service des durch entimon geförderten Projektes respectabel.de
Hier finden Sie eine Auswahl unserer Redaktion
von Artikeln des täglichen Pressespiegels
Samstag, 31. Januar 2004
Grünes Licht für Doppelhaushalt
Schmerzhafte Einsparungen / Abstimmung im Februar
im Landtag
Schwerin (dpa) Der Finanzausschuss des Landtags hat die Beratungen zum
Doppelhaushalt 2004/2005 abgeschlossen und damit den Weg zur Verabschiedung
freigemacht. Die finanzpolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen, Rudolf
Borchert (SPD) und Angelika Gramkow (PDS), zeigten sich zufrieden mit dem Ergebnis.
Wie aus dem ebenfalls vorgelegten Haushaltsabschluss für 2003 hervorgeht,
sanken im Vorjahr die Einnahmen auf 4,64 Milliarden Euro und damit den niedrigsten
Stand seit neun Jahren. Die Neuverschuldung erreichte mit 1,034 Milliarden Euro
den höchsten Wert seit 1996. Die Nettokreditaufnahme für den Doppelhaushalt
2004/2005 soll nach Angaben der Regierungsfraktionen trotz spärlicher Einnahmen
bei 1,5 Milliarden Euro gehalten werden. Der Etat hat nach Angaben des Finanzministeriums
für beide Jahre zusammen einen Umfang von 14,4 Milliarden Euro.
Laut Gramkow bekommen die Kommunen nun 35 Millionen Euro mehr als vorgesehen. Für die Entwicklung der Universitäten und Fachhochschulen seien die finanziellen Grundlagen mit dem Hochschul- Kompromiss gesichert worden. Die Opposition lehnt den Haushalt weiter als verfassungswidrig ab, wie der Finanzexperte der CDU-Fraktion, Henning von Storch, sagte.
Gramkow räumte "schmerzhafte Einsparungen" vor allem bei Personalkosten, Verwaltungsausgaben, Landesprogrammen und Investitionen ein. Es sollten weiter alle EU- und Bundesprogramme kofinanziert werden, sagte sie. Auch kleinere Projekte im sozialen Bereich könnten fortgeführt werden, etwa die Civitas-Projekte gegen Rechtsextremismus.
Dienstag,
3. Februar 2004
Als Beleg wurde in beiden Artikeln unter anderem auf besagte Studie verwiesen. Wenn man den Bericht jedoch liest, lassen sich solche generalisierenden Behauptungen kaum halten. Sicher wird da klar gesagt, dass auch Personen arabischer Herkunft in der ersten Hälfte 2002 für Tätlichkeiten gegen Juden in Deutschland verantwortlich waren. Allerdings steht da auch Folgendes: "Antisemitismus manifestiert sich im Beobachtungszeitraum weniger in einer gestiegenen Anzahl von tätlichen Angriffen, sondern vielmehr in einer Flut von antisemitischen Briefen an die jüdischen Gemeinden und an prominente Juden - verschickt von deutschen Staatsbürgern, die keineswegs politisch zur extremen Rechten gehören." Aus diesem Befund lässt sich keineswegs auf "No-Go-Areas" schließen. Und was sind eigentlich "die Muslime" in Westeuropa? Kann man, weil Personen arabischer Herkunft solche Angriffe begangen haben, nun auch Muslime etwa türkischer Herkunft unter Generalverdacht stellen?
In dem Bericht wird deutlich, dass die Äußerungsformen von Antisemitismus abhängig sind vom nationalen Kontext. "Die Muslime" existieren eben einfach nicht. Und was die "erhebliche" Zunahme von Antisemitismus betrifft, so stimmt das gemäß dem Bericht nicht einmal für Frankreich, wo die gewaltsamen Ausschreitungen weitaus gravierender waren - Ulrich Beck sprach in der Süddeutschen Zeitung sogar ernsthaft von einer "französischen Intifada". In der Studie zitierte Untersuchungen aus Frankreich zeigen, dass die Anschläge von isolierten Personen begangen wurden, die offenbar Fernsehbilder von ohnmächtigen Palästinensern mit ihrer eigenen Situation in Frankreich in Verbindung brachten. Dass Antisemitismus in der Vorstadt verbreiteter sei als anderswo, konnten Umfragen nicht bestätigen. Die Attacken auf Juden wurden von den Migranten viel schärfer verurteilt als von Einheimischen. Freilich nahmen weit mehr Migranten an, die Juden hätten zu viel Einfluss - in Politik, Wirtschaft und Medien.
Die Ergebnisse sind also widersprüchlich. Nun soll überhaupt nicht bestritten werden, dass Antisemitismus unter Migranten verbreitet ist - zumal unter ehemaligen Linken, die mittlerweile jede Gesellschaftsanalyse gegen die Idee einer jüdisch-amerikanischen Verschwörung eingetauscht haben. Das ist gewiss keine Bagatelle. Und auch am Islamismus gibt es nichts schönzureden. Aber gibt es wirklich auch so etwas wie einen speziellen muslimischen Antisemitismus?
In ihrem Artikel, in dem Seidel und Kiefer beweisen wollten, dass eine These von Werner Schiffauer - der Antisemitismus werde von einem Antiislamismus abgelöst - falsch sei, schrieben sie, dass man hierzulande "keinen ideologisierten Wettbewerb von Minderheitengruppen" brauche. Genau das geschieht aber, wenn man den Rassismus auseinander dividiert. Von einer Ablösung des Antisemitismus kann keine Rede sein. Mittlerweile werden antisemitische Stereotype aber auch auf "die Muslime" übertragen. Das hatte der Soziologe Bernd Marin bereits in den Siebzigerjahren festgestellt - die Ölscheichs wurden damals als internationale, übermächtige, dekadente, fremdartige und parasitäre Kapitalistenclique porträtiert.
Seit dem 11. September 2001 ist viel von Toleranz die Rede. Doch wenn es um den Islam geht, sprechen die Bilder in den Illustrierten und im Fernsehen eine andere Sprache: Menschenmassen, Verschleierung, wütende Männer; brennende Fahnen, Karten der so genannten islamischen Welt, historische Schlachtenbilder. Das ist von atemberaubender Eindeutigkeit: Eine weltweit verbreitete, verschlossene, fanatische Religiosität, die schon seit Jahrhunderten expansive Bestrebungen hat, bedroht "uns" mit Flamme und Schwert.
In diesem Sinne bezeichnete Étienne Balibar die neuen Formen des Rassismus als "verallgemeinerten Antisemitismus". Besonders deutlich wird das auch an dem Buch "Die Wut und der Stolz" der italienischen Journalistin Oriana Fallaci. Darin werden alle "islamischen Länder" als eine Mischung zwischen "vergifteten Petrodollars", mittelalterlicher Religiosität und eines neuen islamistischen Faschismus beschrieben. Die muslimischen Einwanderer seien die Vorhut eines Feldzugs. Deren Anwesenheit könne kein Zufall sein: "Sie sind viel zu heimtückisch, zu gut organisiert." Zudem, so die Autorin, "vermehren sie sich wie Ratten" - "Sie sind überall, die neuen SS-Leute." Das Klischee von der Weltverschwörung ist völlig offensichtlich, und absurderweise ist diese Verschwörung nun angeblich faschistisch. Aber an den (linken) Stammtischen gilt ja auch Ariel Scharon als Faschist. Man stelle sich also ein Buch vor, in dem behauptet würde, die deutschen Juden wären die Lobby eines neuen Faschismus in Israel, der mit Hilfe der USA eine "neue Weltordnung" errichten wolle. Wahrscheinlich würde es sofort eingestampft. Zu Recht. Fallaci dagegen schaffte es auf Platz eins der deutschen Bestsellerliste, ohne dass jemand die antisemitischen Klischees auch nur bemerkte.
Antisemitisch, so die Autoren der eingangs erwähnten Studie, seien alle Auffassungen, die Juden kollektiv verantwortlich machen für die Politik des Staats Israel. Das allerdings ist ein Denken, das in Deutschland äußerst verbreitet ist, denn Israel gilt ja immer noch als "Heimat" der Juden. Gerade dieses Denken gilt es anzugreifen, denn solange Minderheiten in Deutschland als Gruppen gesehen werden, die eigentlich woanders hingehören, liegt die Idee von Kungeleien mit dem angeblichen Heimatland oder von "Lobbys" immer nahe. Diesen Kampf kann man aber nicht führen, wenn man "die Muslime" in Deutschland und in der Welt zu einer Einheit verrührt. Juden, Muslime, Migranten - sie alle sind Teil der deutschen Gesellschaft. Was auch bedeutet: Auf die eine oder andere Weise sind sie alle in den Rassismus in Deutschland verstrickt. Und den gilt es zu bekämpfen.
MARK TERKESSIDIS
Mittwoch,
4. Februar 2004
Stiftungen fördern neue Projekte für Jugendliche in Selmsdorf und Herrnburg mit 4600 Euro. Die Mädchen und Jungen widmen sich den Themen Leben auf dem Todesstreifen und Grenzlos.
Selmsdorf/Herrnburg Junge Reporter werden in einigen Monaten ausschwärmen, um Menschen in Selmsdorf, Herrnburg und Umgebung zu interviewen. Sie werden Einheimische befragen, um herauszufinden, was in ihrer Heimat geschah, als Ost- und Westdeutschland geteilt waren. Die Jugendlichen, die heute in Selmsdorf und Herrnburg leben, haben keine Erinnerung an die Grenze, die über viele Jahre die Geschichte der Gegend östlich von Lübeck prägte. Diesen Jugendlichen sollen zwei neue Projekte auf die Sprünge helfen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Kirchgemeinden Selmsdorf und Herrnburg haben zwei Aktionen im Rahmen des Jugendprogramms Zeitensprünge initiiert.
Die Stiftung Demokratische Jugend, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützen das Programm. 263 Jugendgruppen und Schulklassen aus den Neuen Bundesländern hatten sich um Zuschüsse beworben. Die Anträge aus Selmsdorf und Herrnburg waren erfolgreich. Jeweils 2300 Euro fließen für die beiden Projekte.
In Selmsdorf wird es vor allem ums Thema Leben auf dem Grenzstreifen gehen. Die Wendezeit kommt im Geschichtsunterricht kaum vor, meint Gemeindepädagoge Stephan Wagner. Allgemein sei regionale Geschichte in Schulbüchern nicht nachzulesen. Dabei sei sie für junge Menschen sehr wichtig. Heimat entwickle ich nur, wenn ich etwas über die Geschichte erfahre und nicht nur in einem Ort schlafe, sagt Wagner. Selmsdorf solle kein Schlafort werden. Jeder, der Interesse an der Geschichte hat, kann bei dem Projekt mitmachen, sagt der Gemeindepädagoge. Die Teilnehmer sollten zwischen zwölf und 16 Jahre alt sein. Sie seien zum ersten Treffen am Dienstag, dem 17. Februar, um 17 Uhr im Gemeindehaus in der Hinterstraße eingeladen. Wer alte Fotos habe oder Wissenswertes erzählen möchte, könne sich ab Mitte Februar melden unter 03 88 23/2 20 24.
Wir würden gerne mit der Schule zusammenarbeiten, sagt Stephan Wagner. Zeitzeugen sollen befragt werden. Ziel ist es auch, dass die Teilnehmer lernen, wie man an Geschichten kommt, sagt Wagner. Entstehen solle am Ende eine Broschüre, die neben geschichtlichen Aspekten auch alle wichtigen Einrichtungen in der Gemeinde aufführen solle. Sie könne dann all denjenigen angeboten werden, die nach Selmsdorf ziehen.
Das Herrnburger Projekt trägt den Titel Grenzlos. Es soll sich nach Auskunft des Pastors Albrecht Martins vor allem mit Kirche und Leben im Sperrgebiet befassen. Ein Hauptinhalt wird sein, Menschen zu interviewen, sagt Martins. Lokale Geschichte solle zu Tage treten. Ergebnis könne ein Broschüre sein. Martins ist sich sicher: Es ist eine spannende Sache.
JÜRGEN LENZ
Freitag, 6.
Februar 2004
Vorläufige Zahlen lassen befürchten, dass die rechtsextremistische Gewalt in Deutschland weiter zugenommen hat. Dabei hatte es bereits 2002 eine außerordentlich hohe Zahl einschlägiger Delikte gegeben.
VON PITT VON BEBENBURG
Frankfurt a. M. · 5. Februar · Das Bundesinnenministerium
listet Monat für Monat auf, wie viele rechtsextrem motivierte Straf- und
Gewalttaten gemeldet wurden. 2002 hatten sich die Monatszahlen auf 4958 Straftaten,
davon 365 Gewalttaten, summiert. Für das gesamte Jahr 2003 errechnen sich
aus den Ministeriumsangaben 6965 einschlägige Delikte, davon 546 Gewalttaten.
Das entspricht einer Zunahme um gut 40 Prozent bei allen rechtsextremen Straftaten,
worunter vor allem Hakenkreuz-Schmierereien und andere Propagandadelikte gehören.
Die Zahl der Gewalttaten liegt danach um fast 50 Prozent über dem Wert
des Vorjahres. Das Innenministerium will die Bilanz in einigen Wochen vorlegen.
In der Jahresstatistik kommt noch eine erhebliche Anzahl von Fällen hinzu, die von den Bundesländern nicht im jeweiligen Monat, sondern später gemeldet wurden. Im Jahr 2002 gab es so viele Nachmeldungen, dass sich die Gesamtzahl gegenüber den Monatsmeldungen mehr als verdoppelte. Der Bundesverfassungsschutz nannte in seinem Jahresbericht 10 902 rechtsextrem motivierte Straftaten, wovon 772 Gewaltdelikte waren. Damit lagen die Zahlen höher als 2001, als 10 054 Straf- und 709 Gewalttaten gemeldet worden waren.
Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy käme ein steiler Anstieg der Zahlen, wie ihn die Monatsstatistiken erwarten lassen, überraschend. Im Spätsommer habe ihm das Innenministerium eine eher abnehmende Tendenz signalisiert. Die PDS-Abgeordnete Petra Pau sagte angesichts der Zahlen, es gebe keinen Anlass zur Entwarnung. Rechtsextremismus bedrohe die Gesellschaft. Sie könne nicht verstehen, warum die Bundesmittel für Projekte gegen Rechtsextremismus gekürzt worden seien.
Samstag, 7.
Februar 2004
POTSDAM. Eigentlich wollte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Freitag nur die neuesten Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität im Lande bekannt geben. Doch zunächst einmal musste er über den jüngsten Brandanschlag der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg berichten. In der Nacht zum Freitag hatten junge Neonazis einen Brandbeschleuniger in einen türkischen Imbiss in Brück (Potsdam-Mittelmark) geworfen. Der Imbissbesitzer befand sich noch im Gastraum und konnte den Brand schnell löschen. "Vor einer halben Stunde habe ich erfahren, dass die Polizei bereits am Freitagmorgen drei Tatverdächtige festgenommen hat", sagte Schönbohm. Die jungen Männer seien bereits als Rechtsextremisten polizeibekannt und gehörten einer gewaltbereiten Gruppierung an.
Zwei Tötungsversuche
Dann kam der Minister auf die Statistik für das Jahr 2003 zu sprechen. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten stieg im Vergleich zum Vorjahr leicht um sechs Delikte an. 87 rechtsextremistische Gewaltdelikte waren es laut Innenministerium im vergangenen Jahr, darunter vier Brandstiftungen, 77 Körperverletzungen sowie zwei versuchte Tötungsdelikte durch Brandstiftungen gegen vietnamesische und türkische Imbissbetreiber in Pritzwalk und Hennigsdorf. "Damit liegen wir im Vergleich der Bundesländer leider mit an der Spitze", sagte Rainer Grieger vom Landeskriminalamt.
Insgesamt ermittelte die Polizei 993 Straftaten mit rechtem Hintergrund, darunter viele so genannte Propagandadelikte wie das Zeigen verbotener Symbole. Von diesen Straftaten hatten 211 Fälle einen fremdenfeindlichen Bezug, 96 waren antisemitisch motiviert.
Schönbohm verwies zugleich auf die gestiegene Aufklärungsquote der Polizei. Bei 82 Prozent aller rechten Gewalttaten konnten laut Innenministerium im vergangenen Jahr die Täter ermittelt werden - eine Steigerung von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. "So langsam kennen wir unsere Klientel", sagte Schönbohm. Gegen spontane Gewaltausbrüche aus einer alkoholisierten Gruppe heraus könne die Polizei aber nur bedingt präventiv tätig werden. Schönbohm machte klar, dass viele rechte Schläger bereits vorher als Kriminelle bekannt geworden seien. Nach ersten statistischen Erhebungen seien 46 Prozent jener Gewalttäter Schüler und Auszubildende, 15 Prozent Facharbeiter und 34 Prozent sind arbeitslos. "Viele Täter sind also gesellschaftlich eingebunden", sagte Schönbohm. Familie und Schule seien hier gefordert.
Den einzigen Terrorakt in Brandenburg verübten indes Linksextreme. Im Februar 2003 verübte die "Militante Gruppe" einen Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge in Strausberg. Die Ermittlungen übernahm die Bundesanwaltschaft.
Samstag, 7.
Februar 2004
Spielshow auf Kabel 1
Von Marianne Wellershoff
Wenige Stunden vor der Premiere der neuen Kabel-1-Spielshow "Judas Game" musste der Titel der Sendung geändert werden - er provoziere antisemitische Ressentiments. Beim mäßig aufregenden Spiel um Lügen und Verrat blieb somit am Spannendsten, ob der Sender es schaffen würde, den Namen der Show doch noch zu verraten.
Bis zum frühen Donnerstagabend hatte die neue Spielshow von Kabel 1 einen Namen. Um 20.15 Uhr, als sie ausgestrahlt wurde, vernuschelte sich der Sprecher jedoch plötzlich beim Titel. Was hatte er da gerade gesagt? "Uah Game"? Was für ein seltsamer Showname. Und dann diese merkwürdigen Löcher mitten im Satz: "In diesem Spiel kann es mehr als nur einen ... geben." Als nur einen? Ja, was denn für einen?? Oder: "Auf dem Tisch liegen zwei Koffer. Jeder enthält 20.000 Euro. Das ist der Einsatz ..." Aber wobei nur?
Ein Laufband erklärte die mysteriösen Fehlstellen: Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hatte kurzfristig den Titel der Sendung untersagt, weil er geeignet sei, "religiöse Gefühle zu verletzen und antisemitische Ressentiments zu provozieren". Denn: "Im historischen Kontext, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, wurde der Name 'Judas' über den Inbegriff des Lügners und Verräters hinaus mit dem Bild 'des Juden' gleich gesetzt." Zuvor hatte schon Charlotte Knobloch, Vizepräsidentin des Zentralrats der deutschen Juden, den Titel als "instinktlos" bezeichnet.
Doch ganz so leicht gab sich der Sender nicht geschlagen (oder sollte es Schlamperei gewesen sein?), und so entwischte doch zwischendurch immer wieder, als eingeblendetes Logo, als kleiner Ausrutscher des Sprechers, der verbotene Titel: "Judas Game". Nachzulesen war der Name außerdem auch weiterhin auf der Internet-Seite von Kabel 1. So ernst scheint man die Verbote der Bayern in Bayern, wo der Sender seinen Sitz hat, also nicht zu nehmen.
Das Spannendste an der neuen, auf sechs Folgen angelegten Show war also, wann und wie der Sender den Titel doch verraten würde und nicht etwa die Frage, welcher Kandidat da wen verraten würde.
Lügen und Verrat sind indes das Konzept der Sendung: Sechs Kandidaten am runden Tisch erzählten, warum sie dringend 40.000 Euro brauchten. Gaby wollte sich ihren Schlabberbauch korrigieren lassen, Nina in Los Angeles Schauspielunterricht nehmen, Thomas einem afghanischen Minenopfer helfen, Karsten wollte die Sterne bei Tag sehen, Olaf nach seinem Hodenkrebs um die Welt segeln, Rajesch seiner nach einem Unfall entstellten Mutter die Operationen bezahlen.
Mindestens einer der sechs Kandidaten aber hatte seine Geschichte frei erfunden. Die Kandidaten sollten sich gegenseitig überzeugen oder aber austricksen, im schalldichten Verschwörungszimmer Verbündete suchen und diese dann vielleicht wieder verraten. In jeder Runde musste jeder Kandidat den Namen eines anderen nennen, der das Spiel verlassen sollte. Der Meistgenannte musste gehen.
Am geschicktesten agierten Gaby und Olaf. Im Finale stand es dann Bauch gegen Hoden, wobei zu Gabys Entsetzen Olaf seinen Krebs erfunden hatte. Mit so einem wollte Gaby natürlich nicht teilen, und Olaf, plötzlich der fiese Grinser, wollte das natürlich schon gar nicht. Also gingen beide leer aus. Verbrechen zahlt sich eben nicht aus, Ehrlichkeit leider ebenfalls nicht.
Interessant am Spiel selbst war eigentlich nur eines: Die beiden Kandidaten, die mit dem Geld ganz selbstlos ihrer Mutter oder dem verletzten afghanischen Kind helfen wollten, stießen bei den anderen auf das größte Misstrauen. Doch ausgerechnet sie hatten die Wahrheit gesagt. Dass niemand ihnen glaubte, sagt sehr viel über den tief sitzenden Egoismus der Menschen. Andererseits: Hatte man das nicht schon immer geahnt?
Und so bleibt als spannendste Frage: Welchen Titel wird die Sendung bei den nächsten fünf Folgen tragen? "Uah Game" trifft die Sache im Grunde sehr gut. Als lautmalerisches Gähnen nämlich.
Montag, 9.
Februar 2004
Johannisthal ist in Sachen Rechtsextremismus in unrühmliche Schlagzeilen geraten. Übergriffe auf linke Jugendliche häuften sich 2003. Die Polizei entdeckte im November den illegalen Jugendclub "Wolfsschanze". Im September gründete sich die rechtsextreme "Berliner Alternative Südost" und initiierte im Dezember eine Neonazi-Demo in Schöneweide.
Die Politik weiß, dass sie sich dem Problem stellen muss. Für den 10. Februar hat Treptow-Köpenicks Bürgermeister Klaus Ulbricht (SPD) den "Runden Tisch Johannisthal" einberufen. Vertreter aus dem Bezirksamt, vom Verfassungsschutz, der Polizei, aus Jugendeinrichtungen und Schulen wollen die Situation mit dem MBR-Team analysieren und beraten, wie gegen Rechtsextremismus vorzugehen ist.
"Es ist das erste Mal, dass in Berlin ein solches Treffen in einem Sozialraum stattfindet", sagt Bianca Klose, Leiterin des Teams "Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus" (MBR) in Mitte, das von Bund und Land finanziert wird. "Die Situation ist bedrohlich", urteilt sie. 2001 und 2002 habe der Verfassungsschutz den Ortsteil im Südosten Berlins noch nicht als Brennpunkt rechter Aktivitäten eingeschätzt, doch seit 2003 sei dies der Fall. Im ersten Halbjahr wurden 41 Gewaltstraftaten gezählt, ein Drittel werde dem Gebiet Treptow-Neukölln zugeordnet. Zur Statistik trägt bei, dass eine Reihe von Übergriffen am Bahnhof Schöneweide angezeigt wurde. Das hat mit dem Beratungsteam MBR zu tun. Die Mitarbeiter haben sich mit 14-16-jährigen Jugendlichen beschäftigt, die angepöbelt und angegriffen wurden. "Nach vielen Gesprächen waren sie zum ersten Mal bereit, Anzeige bei der Polizei zu erstatten." Bianca Klose weiß, wie viel Mut es den Einzelnen gekostet hat. "Denn Johannisthal ist ein Kiez. Man kennt sich. Täter und Opfer gehen in manchen Fällen sogar in eine Schulklasse." "Wir wollen die Akteure gegen Rechtsextremismus professionalisieren", sagt sie. "Das A und O dabei ist die Analyse der Situation." Damit will der "Runde Tisch Johannisthal" am 10. Februar beginnen.
Dienstag,
10. Februar 2004
Engagierte stecken ihr Aufgabenfeld ab
Einsatz für Toleranz
BELZIGAus dem Forum gegen Rechtsextremismus und Gewalt ist nach dem Besuch von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) im vergangenen Oktober eine Arbeitsgruppe hervorgegangen. Sie will im Sinne eines offenen und toleranten Klimas in der Kur- und Kreisstadt aktiv werden. "Verantwortung übernehmen", fordert eine Initiatorin auch mit Blick auf den jüngsten Aufmarsch der Preußischen Aktionsfront.
Da die bisherigen Beratungen auch mangels öffentlicher Bekanntmachung in wechselndem Teilnehmerkreis stattfanden, soll es diesmal um ein mögliches Selbstverständnis der Gruppe und eine Themensammlung für künftiges bürgerschaftliches Engagement gehen. Bislang haben sich die Teilnehmer zu ersten Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten in der Jugendarbeit verständigt.
Die Arbeit wird von zwei Moderatoren der Stiftung Demokratische Jugend und ihrem Modellprojekt Civitas unterstützt, die in Kommunen zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort fördern. MAZ
- Das nächste Treffen der offenen Gruppe findet morgen, 16 Uhr, im Jugendfreizeitzentrum Pogo, Belzig, Berliner Straße 4, statt.
Freitag, 13.
Februar 2004
Die braune Szene verändert sich: Sicherheitsexperten stellen fest, dass sich die Neonazis stärker politisch organisieren. Aber der Terror auf den Straßen bleibt auch wenn die Zahl der gewaltbereiten Rechten rückläufig ist.
RECHTE GEWALT IN DEUTSCHLAND
Von Frank Jansen
Sie nennen sich Pommersche Aktionsfront, Nationaler Widerstand Dresden, Märkischer Heimatschutz oder Siegener Bärensturm. Bundesweit haben sich Neonazis in 160 Kameradschaften zusammengeschlossen, die wie Durchlauferhitzer funktionieren: Diffus rechts orientierte Jugendliche und junge Erwachsene werden von älteren Neonazis ideologisch gehärtet. Das Ziel lautet: Eine Elite politischer Soldaten führt einen Volksaufstand, der die Demokratie zertrümmert. So irre solche Parolen auch klingen mögen, die Sicherheitsbehörden beobachten mit Sorge, dass der Wahn populärer wird. Ein Teil der Szene ist dabei, sich politisch zu professionalisieren, sagt ein Experte. Und beschreibt den neuen Trend: Die Zahl der Neonazis ist im letzten Jahr beträchtlich gestiegen um etwa 600 auf 3200.
Gleichzeitig nahm das Potenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten, vor allem Skinheads, erstmals seit Jahren deutlich ab (2003: 9800, 2002: 10700). Obwohl sich die Milieus überlappen, unterscheiden die Behörden zwischen gewaltbereiten Rechtsextremisten und Neonazis: Erstere gelten als unpolitisch-brutaler Mob, die Hitler-Fans hingegen als ideologisch gefestigt und aus taktischen Gründen weniger gewalttätig.
Die Zahl der Straftaten, insbesondere die der Gewaltdelikte, bleibt allerdings hoch. Das bedeutet: Die rechtsextreme Gefahr wird vielschichtiger. Der Straßenterror dumpfer Kahlköpfe geht weiter, parallel dazu versuchen brav gescheitelte Neonazis, eine neue außerparlamentarische Opposition zu präsentieren. Mit einem Mix aus Provokation und Pseudo-Bürgernähe. Betroffen von dem Zuwachs im Neonazi-Lager ist vor allem Ostdeutschland. Die neuen Länder und Berlin gelten in der braunen Politszene als erfolgsträchtiges Experimentierfeld. Im Osten ist der Alltagsrassismus in der normalen Bevölkerung aggressiver als in Westdeutschland.
Davon wollen Neonazis profitieren. Und sie versuchen, effektive Aktionsformen zu entwickeln. Mal mit, mal ohne die NPD, die trotz des überstandenen Verbotsverfahrens Mitglieder verloren hat. Schon seit längerem pirschen sich braune Liedermacher an Seniorenheime heran, bisweilen gelingt auch ein Auftritt mit altdeutschem Liedgut. Einige Neonazi-Gruppen orientieren sich am linken Gegner. So haben Rechtsextremisten im vergangenen Jahr in Brandenburg kurz einen leer stehenden Bauernhof besetzt. Sie wollten angeblich darauf hinweisen, dass die Berliner Jugend egal ob rot oder braun auf der Straße sitzt, wie es auf einer Homepage heißt. Bei einem Aufmarsch in Berlin trugen Neonazis rote Fahnen und skandierten die altlinke Parole hoch die internationale Solidarität. Außerdem versuchen Szene-Anführer, auf eigenen Anwesen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Schulungsstätten oder zumindest Treffpunkte zu etablieren.
Die rechte Szene befindet sich in einer Such-Phase, sagt ein Sicherheitsexperte. Ein Teil der Szene, vor allem die Veranstalter von Konzerten rechtsextremer Bands, agiere auch zunehmend konspirativ. Da die deutschen Behörden einen hohen Verfolgungsdruck ausübten, weiche die Szene öfter in Nachbarstaaten aus, zum Beispiel ins Elsaß.
Der braune Brachialsound garantiert auch auf zynische Weise, dass die Gewaltbereitschaft hoch bleibt selbst wenn das Potenzial der in einschlägig aufgefallenen Rechtsextremisten abgenommen hat. Geradezu exemplarisch erscheint der Überfall einer braunen Meute in Sachsen-Anhalt. Im August randalierten in Halberstadt etwa 15 Rechtsextremisten und attackierten den linken Szenetreff Zora. Zwei junge Linke wurden schwer verletzt. Als einer der Hauptverdächtigen gilt ein Mitglied der Band Skinheads Sachsen-Anhalt, abgekürzt SSA. Auf ihrer ersten CD grölt der Sänger, ihr roten Schweine sollt um Gnade flehen. So animiert die Kakophonie zum Krawall.
Und auch zu Terrorismus? Trotz des gerade noch verhinderten Bombenanschlags auf die Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums in München sehen die Sicherheitsbehörden weiterhin keine Braune Armee Fraktion. Aber gerade in München habe sich gezeigt, wie hoch die Gefahr sei, dass auch Neonazis und eine Kameradschaft in den bewaffneten Kampf abdriften.
Freitag, 13.
Februar 2004
Die Zahlen erscheinen hoch, die Realität ist wahrscheinlich noch härter. Knapp 7000 rechte Straftaten, darunter 526 Gewaltdelikte, hat das Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr aufgelistet. Die Zahlen finden sich in den Antworten auf die monatlichen Anfragen der PDS-Bundestagsabgeordneten Petra Pau zu rechten und insbesondere fremdenfeindlichen Delikten. Das Ministerium gibt für jedes Bundesland die statistischen Werte wieder, die das jeweilige Landeskriminalamt gleich in den ersten Wochen nach dem angefragten Monat ermittelt hat. In der Regel handelt es sich aber nur um vorläufige Zahlen, da die Polizei viele rechte Straftaten nachmelden muss.
Manche Delikte sind erst nach längeren Ermittlungen, nach Recherchen der Medien oder in einem Prozess gegen die Täter eindeutig als politisch motiviert zu erkennen. Ein Beispiel: Brandenburg hat kürzlich schon endgültige Zahlen für das Jahr 2003 genannt. Das Landeskriminalamt registrierte unter anderem 87 rechte Gewaltdelikte. In der Summe der Antworten des Bundesinnenministeriums auf die Anfragen Paus ergibt sich nur eine Zahl von 73 rechten Gewalttaten also deutlich weniger. Vermutlich könnte dies auch ungefähr der Abstand zwischen allen weiteren Zahlen in den Antworten auf die PDS-Anfragen und den endgültigen Werten sein, die das Bundesinnenministerium irgendwann im Frühjahr präsentieren wird.
Möglicherweise wird das Bundesinnenministerium einige Taten aus 2003 noch später oder nie als rechts motiviert nennen. In der Dezember-Antwort an Pau gibt es zum Beispiel kein vollendetes rechtes Tötungsdelikt obwohl am 19. Dezember ein Neonazi in Heidenheim (Ostwürttemberg) drei Aussiedler erstach. Nun muss der Prozess gegen den Täter abgewartet werden. Wann er beginnt, ist offen wie die Frage, ob die Staatsanwaltschaft ein politisches Motiv erkennt. Obwohl ein Augenzeuge den Messerstecher als rechten Gewalttäter beschrieb und Aussiedler zu den Feindbildern der Szene zählen. Fan
Mittwoch,
18. Februar 2004
Dieser Block bei Demos ist eigentlich eine Erfindung von Linksradikalen. Unter dem Titel "Aufruhr und Widerstand - Wir steuern bald das Kanzleramt" mobilisiert nun im Internet ein "Black Block" zu dem Aufmarsch, zu dem die NPD bei der Polizei mehr als 1 000 Teilnehmer angemeldet hat.
Während Sicherheitsbehörden versuchen, mehr über diesen Wandel des Aussehens herauszufinden, liefern die rechtsextremen Verfasser des Internet-Aufrufs ihre Begründung gleich mit: "Die schwarze Kleidung ermöglicht uns, dass wir von Antifas, Bullen und anderen nicht mehr auseinander gehalten und erkannt werden können." Der "nationalrevolutionäre, schwarze Block" unterscheide sich von den anderen Demonstranten durch seine Aktionen wie Blockaden oder Besetzungen. Dabei verwenden die Rechten bewusst linke Rhetorik: Am 1. Mai wolle man gegen Kapitalismus, Globalisierung und "für eine sozialistische Alternative" demonstrieren.
Bereits beim Neonazi-Aufmarsch am 6. Dezember von Rudow nach Schöneweide hatten sich Rechte genau wie linke Antifa-Aktivisten gekleidet. Sie trugen Kapuzenshirts, Basecaps und Sonnenbrillen. Auf den Transparenten, die sie trugen, fanden sich Sprüche wie "Kapitalismus zerschlagen - Autonomen Widerstand organisieren". Selbst Polizisten dachten, es mit der falschen Demonstration zu tun zu haben.
Dass Rechte in andere Jugendkulturen einsickern, beobachten Szenekenner schon seit einiger Zeit. "Es gibt eine Ausdifferenzierug rechtsextremen Outfits hin zu einer Überschneidung mit anderen Jugendkulturen, die von der Herkunft nicht rechts sind", sagt Bianca Klose vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus. Rechte würden zum Beispiel auch in der Hiphop-Szene teilweise akzeptiert. So habe an einer Schule im Ostteil ein Hiphopper den Hitlergruß gezeigt.
Dieser Image-Wechsel bereitet nicht nur linken Gruppen wie der Antifa - die um ihre Symbole fürchten - Sorgen. Auch die Sicherheitsbehörden befürchten eine Verschärfung der Lage. So bedienen sich die rechtsradikalen "neuen Autonomen" auch der Aktionsformen, die bislang nur den Linksextremisten zugeschrieben worden waren. Eine Gruppierung, die sich "Autonome Nationalisten Berlins" nennt, veröffentlicht nicht nur Steckbriefe und Fotos ihr missliebiger Personen. Sie sprüht auch - vor allem in Pankow - mit Farbe Hassparolen an Wände. "Manche verwenden spiegelbildlich die Aktionsformen ihrer linken Gegenspieler", sagt Verfassungsschutzsprecher Claus Guggenberger. "Es besteht die Gefahr des gegenseitigen Hochschaukelns von Aggressionen, was zu Gewaltausbrüchen führen kann. Das bereitet uns Sorge."
Plakatkampagne gegen Rechte
Dass es vermehrt Konflikte gibt, merken Polizei und Verfassungsschutz an einer Plakatkampagne, die linke Gruppen vor einigen Wochen begonnen haben. Auf tausenden Plakaten, die in Berlin geklebt wurden, werden Namen und Fotos von zwölf rechten Kadern gezeigt. Die Plakate wurden meist in den Kiezen geklebt, wo diese Leute wohnen. Jetzt ermittelt die Polizei gegen die Verfasser wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz. Doch die sind anonym. Verantwortlich für die Plakate zeichnet eine Initiative "Bürgerinnen beobachten Neonazis". In der Vergangenheit, so Guggenberger sei es immer wieder zu Gewalttätigkeiten gegen Personen gekommen, die wegen ihres Aussehens fälschlicherweise für Mitglieder der links- oder rechtsextremistischen Szene gehalten worden seien.
Freitag, 20.
Februar 2004
2003 über 550 rechtsextreme Straf- und Gewalttaten allein in Ostdeutschland und Berlin
Die Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in Berlin und den neuen Bundesländern veröffentlichen am heutigen Freitag ihre Jahresbilanz 2003. Demnach erlangten die insgesamt acht Projekte in den fünf neuen Bundesländern und Berlin im Jahr 2003 von insgesamt 551 rechtsextremen Angriffen Kenntnis, von denen mindestens 808 Personen direkt betroffen waren. Mehrheitlich handelte es sich dabei um Körperverletzungsdelikte. An zweiter Stelle rangieren Nötigungen und Beleidigungen.
Die meisten Gewalttaten ereigneten sich nach Beobachtung der Beratungsstellen in Sachsen (141), gefolgt von Brandenburg (116) und Thüringen (91). In Berlin wurden 73 rechtsextreme Angriffe registriert, in Sachsen-Anhalt 66 und in Mecklenburg-Vorpommern 64. Wie die Opferberatungsstellen betonen, handelt es sich lediglich um die Fälle rechter Gewalt, die von den Mitarbeitern der einzelnen Projekte recherchiert werden konnten. Das reale Ausmaß rechter Gewalt dürfte deshalb weit höher liegen.
Die Zahl von registrierten 551 rechten Angriffen in Ostdeutschland und Berlin steht in deutlichem Widerspruch zu den Anfang Februar bekannt gewordenen vorläufigen Zahlen rechts motivierter Straf- und Gewalttaten aus dem Bundesinnenministerium für die gesamte Bundesrepublik. Auf Grundlage der monatlichen Meldungen aus allen Bundesländern sprach das Haus von Innenminister Otto Schily lediglich von 546 Gewalttaten im gesamten Bundesgebiet. Allerdings kann davon ausgegangen werden, daß in der endgültigen Jahresstatistik, die in einigen Wochen vorgelegt werden soll, noch erheblich mehr Fälle hinzukommen werden. Im Jahr 2002 hatte es aus den Bundesländern so viele Nachmeldungen gegebem, daß sich die Gesamtzahl mehr als verdoppelte.
Die Beratungsstellen, die schon in der Vergangenheit weit höhere Angriffszahlen ermittelt hatten, recherchierten 2002 522 Angriffe mit mindestens 692 direkt Betroffenen. Dominique John, der Koordinator dieser von CIVITAS geförderten Beratungsstellen, zieht vor diesem Hintergrund eine ernüchternde Bilanz: »Das Ausmaß rechter Gewalt hat sich auf einem erschreckenden Niveau eingepegelt.«
Insgesamt betreuten die Beratungsstellen im vergangene Jahr 1 211 Betroffene, darunter auch Angehörige und Freunde von Opfern. Die meisten beratenen Personen waren Flüchtlinge, Migranten und Aussiedler. »Diese Zahlen zeigen«, so Dominique John gegenüber der jW, »wie notwendig die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt ist.«
Die Beratungsstellen werden derzeit mit Mitteln der Bundesprogramms »CIVITAS Initiative gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern« gefördert. Ab 2005 soll die Förderung um 50 Prozent gekürzt werden. Nach Ansicht von Dominique John mit weitreichenden Folgen, müßten dann doch einige Projekte, die sich inzwischen zu überregionalen Kompetenzzentren entwickelt hätten, eingestellt werden.
Freitag, 20.
Februar 2004
Horst Mahler steht als einer von drei Angeklagten vor Gericht wegen Volksverhetzung. Dort nennt man seine Ausführungen "Einlassung zur Sache". Wenn er damit fertig ist, soll über die Strafbarkeit von antisemitischen Passagen eines Pamphlets entschieden werden, das der ehemalige NPD-Anwalt Mahler während des (gescheiterten) Verbotsverfahrens gegen die rechtsextreme Partei an Journalisten verteilte. Am Ende soll es statt einer Note also ein Urteil geben. Noch merkt man davon kaum etwas. Der Vorsitzende Richter hört sich Mahlers Ausführungen zur Etymologie des Wortes "Holocaust" geduldig an. Ansonsten macht der Richter an diesem Mittwoch, dem dritten Verhandlungstag, wenig. Er thront regungslos über dem großen Saal des Berliner Landgerichts mit der Nummer 500 und reagiert nicht, als Mahler sagt, Milliarden Menschen würden Hitler verzeihen, wenn er den Judenmord begangen "hätte". Er wirkt schläfrig, als Mahler mit langen Zitaten und Zahlenreihen zu belegen versucht, dass in Auschwitz niemand vergast sein könne und dass viele Juden in Wahrheit ausgewandert seien. Keine Regung auch, als er sagt: "Vielleicht sind sie ja nach Asien gegangen?", und darauf das Publikum geschlossen nickt und lacht. Der Richter steht langsam auf, als das Publikum vor einer Pause laut applaudiert. Eine Ermahnung, mit der er das Klatschen unterbinden könnte, gibt es zunächst nicht. Erst vor der nächsten Pause droht er mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn noch einmal applaudiert und gelacht werde.
Nichts einzuwenden hat der Richter, als Mahler sich das Recht herausnimmt, die Pausenzeiten festzulegen: "In zehn Minuten können wir weitermachen." Der Richter ist einverstanden - jedes Mal. Er macht sich auch keine Notizen. Horst Mahler ist so nett und wird die mehrtägige "Einlassung" in Schriftform nachreichen mit zwei Kopien. Eine Kopie wird dann an die Staatsanwaltschaft gehen. Auch die wird Mahler nicht benoten. Sie wird damit den nächsten Prozess vorbereiten, der sich aus den verfassungsfeindlichen Äußerungen in diesem Prozess ergibt.
Seit Beginn des Verfahrens am 6. Februar wurden schon wieder zwei neue eingeleitet. Mahler wird also wieder Gelegenheit bekommen, sich "einzulassen", und seine geneigten Zuhörer brauchen bald keine Mehrzweckräume in Berlin mehr anzumieten. Der Saal 500 ist groß genug. Am 25. Februar wird der Prozess fortgesetzt. "MAREKE ADEN