Presseschau Juni 2004
Die Presseschau ist ein Service des durch  entimon geförderten Projektes respectabel.de

Hier finden Sie eine Auswahl unserer Redaktion von Artikeln des täglichen Pressespiegels

Mittwoch, 26. Mai 2004

Plakatwettbewerb für Schüler gegen Fremdenhass

Die Landeskommission Berlin gegen Gewalt startet einen Plakat-Wettbewerb für Schüler zum Thema "Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus". Die Plakatentwürfe können Bilder, Zeichnungen, Fotografien, Collagen, Texte, Schlagwörter oder Argumente zum Thema enthalten und sollen sich vor allem mit den Gewaltopfern auseinander setzen. Die Ausschreibungsunterlagen können vom 3. Juni an bei der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt im Haus der Senatsbildungsverwaltung, Beuthstraße 6-8 (Mitte), angefordert oder unter www.berlin-gegen-gewalt.de heruntergeladen werden. Einsendeschluss ist der 1. Oktober 2004.

Demokratie und Toleranz will auch das Programm "respectabel" fördern. Der Senat stellt für 2004 und 2005 wieder jeweils 150 000 Euro zur Verfügung, um damit Projekte zu diesem Thema zu fördern. Die Förderhöhe für jedes Projekt ist auf 5000 Euro begrenzt. Näheres unter Telefon 29 35 21 82 oder unter www.respectabel.de.

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Rechte Szene spaltet sich

Mehrere Aussteiger - Gefahr der Radikalisierung

Potsdam - Die rechtsextreme Szene in Brandenburg ist in Bewegung geraten. Auf der einen Seite zeigen sich Verfassungsschützer mit den bisherigen Ergebnissen des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten zufrieden. Mehrere junge "Nachwuchskräfte" hätten seit Beginn des Programms im Jahr 2001 aus der Szene herausgelöst werden können, sagte gestern der Leiter des Landesverfassungsschutzes, Heiner Wegesin. Zahlen wollte er nicht nennen, aber er betonte, die Resultate könnten sich "sehen lassen". Ideologisch gefestigte Führungspersonen seien jedoch nicht erreicht worden, räumte er ein.

Andererseits rechnen Extremismus-Experten nach der Spaltung von Brandenburgs NPD mit einer Radikalisierung der Szene. Die nach der Auflösung des NPD-Kreisverbands Prignitz-Ruppin im Februar in Vetschau gegründete "Bewegung neue Ordnung" (BNO) ist nach Meinung von Fachleuten des Mobilen Beratungsteams (MBT) eine "gefährliche und sehr aktive Bande". Das MBT setzt sich seit Jahren mit rechtsextremen Entwicklungen in der Mark auseinander. In der neuen Gruppe versammelt sich auch eine gewaltbereite Klientel, betonen Sicherheitskreise.

Die BNO wird vom ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Mario Schulz angeführt. An ihrer Gründung waren nach Angaben aus Sicherheitskreisen etwa 100 Neonazis beteiligt. Als Anlass für die Abspaltung gilt die geplante Öffnung der NPD für Ausländer. Nach Einschätzung des Mobilen Beratungsteams hat die Splittergruppe ein "revolutionäres Selbstverständnis". Sie sei "völkisch und fremdenfeindlich".

Kenner der rechtsextremen Szene in Brandenburg weisen darauf hin, dass die Anhänger der Vereinigung um ein angepasstes Auftreten bemüht seien. Sicherheitskreise halten sie zwar für gefährlich, sie rechnen jedoch nicht damit, dass die BNO über das Verteilen von Flugblättern und das Anmelden von Demonstrationen hinaus in der Mark als feste Organisation Fuß fassen wird. ddp

 

 

Donnerstag, 27. Mai 2004

Protestmarsch noch am Weihetag X
Antifa-Gruppen plant Aktionen gegen neues NPD-Schulungszentrum 
 
Von Rainer Funke 
 
Antifa-Gruppen bereiten derzeit weitere Protestaktionen gegen das so genannte Nationale Bildungszentrum der NPD vor, das demnächst in der Köpenicker Seelenbinderstraße 42 eröffnet werden soll. Dort befindet sich bekanntlich auch die Zentrale der Neonazi-Partei.
Am morgigen Freitag will man am S-Bahnhof Köpenick ab 15 Uhr über Lautsprecherwagen und mittels Flugblättern die Anwohner näher über ihre braunen Nachbarn informieren. An mehreren Ständen werden die rechtsextremen Strukturen im Stadtbezirk dargestellt und die Ideologie der Neonazis analysiert. Auch auf die teils katastrophalen Bedingungen im nahe gelegenen Abschiebeknast soll hingewiesen werden. Die Aktion endet mit einer Kundgebung.
Die NPD-Spitze müht sich derweil, den Weihetermin für das Bildungszentrum geheim zu halten. Da ihr zwischendurch mehrfach das Geld ausging, gilt eine Verschiebung für durchaus möglich. Bisher sollte das Hinterhof-Gebäude mit Seminarräumen für 60 Personen sowie entsprechenden Unterkünften Ende Mai eröffnet werden. Die NPD möchte einen bundesweiten Anlaufpunkt für Gleichgesinnte schaffen, weshalb in den Räumen auch die »Nationale Zentralbibliothek« entstehen soll.
Hier plant man zugleich, vor allem junge Kader aus der Neonazipartei, aber auch aus rechtsextremistischen Kameradschaften und Cliquen politisch aufzumunitionieren, bei denen es bislang nur reicht, simple Sprüche nachzuplappern. Jetzt gehe es aber laut NPD darum, im Lande »eine geistige Revolution zu entfachen«. Für besagten Eröffnungstag X gibt es ab 17 Uhr eine Antifa-Demo vom S-Bahnhof Köpenick zur NPD-Zentrale.
Unabhängig davon ist für den 6. Juni ein weiterer Aufzug im Stadtbezirk angesagt. Dazu haben 46 Antifa- bzw. Jugendgruppen aus allen Bundesländern aufgerufen. Gestern wurde auch die Marschroute bekannt: Sie führt ab etwa 13 Uhr wiederum vom S-Bahnhof Köpenick über die Bahnhofstraße zur NPD-Zentrale in der Seelenbinderstraße, von dort über den Platz des 23. April und die Linden- in die Grünauer Straße zum Abschiebeknast.
Der Aufzug endet nahe der Ottomar-Geschke-Straße am S-Bahnhof Spindlersfeld. Man wolle dabei »das System ankreiden, das ruhige Hinterland aufmischen und den rassistischen Normalzustand durchbrechen«, heißt es im Demo-Aufruf.
Weitere Details sind im Internet unter www.antifa.de zu finden.

Freitag, 28. Mai 2004

Jugendgewalt: Weniger Taten, aber brutaler

Die Zahl der von Jugendlichen begangenen Straftaten sinkt zwar, aber die Täter werden immer brutaler. So lässt sich die Entwicklung zusammenfassen, die gestern sowohl Thema bei Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) als auch Gegenstand einer Anhörung im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses war. Schubert wertete die Arbeit der seit einem Jahr arbeitenden Spezialabteilung Intensivtäter als Erfolg. Die Zahl der Straftaten sei merklich gesunken. Ein Grund dafür sei, dass zunehmend Anführer krimineller Jugendbanden inhaftiert würden. 158 Intensivtäter seien als solche registriert, rund 60 von ihnen in Haft.

Zum Thema Jugendgewalt hörte der Rechtsausschuss gestern Experten. Sie waren einig, dass eine zunehmende Brutalisierung festzustellen sei, nicht aber darüber, wie damit umzugehen ist. Lars-Oliver Lück, Leiter des Anti-Gewalt-Zentrums Berlin, plädierte dafür, Gewalttätern klare Grenzen zu setzen. In seinen Anti-Gewalt- und Coolness-Trainings werde auf Konfrontation gesetzt. „Die haben schon so viele Opfer produziert, nun sollen sie auch einmal selbst Leid erfahren, damit sie wissen, wie das ist“, sagte Lück. Oft seien die Teilnehmer hinterher sogar dankbar, weil sie sich ernst genommen fühlten. Diese harte Gangart blieb im Ausschuss umstritten. Lück berichtete außerdem von Brutalität in den Schulen. „Lehrer brechen vor mir weinend zusammen, weil sie mit der Aggressivität der Schüler nicht zurechtkommen“, sagte er. Auch Mädchengewalt steige drastisch.

Einigkeit bestand darin, dass problematischen Jugendlichen mehr Hilfen angeboten werden müssten. Thomas Meißner von der Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen sagte: „Wer Gewalt anwendet, erlebt Macht.“ Das gefalle vielen, die nur Ohnmachtserlebnisse kennen. Elvira Berndt vom Verein Gangway berichtete, viele wüssten nichts mit ihrem Leben anzufangen. Auf Beratung müssten sie zu lange warten. Fk

Samstag, 29. Mai 2004

Mehr rechtsextreme Ersttäter

Verfassungsschutzbericht 2003 - Innenminister Schönbohm: Größte Gefahr geht vom internationalen Terrorismus aus

Von Gudrun Mallwitz

Potsdam - Das Innenministerium des Landes verzeichnet einen Besorgnis erregenden Anstieg von rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten und rechtsextremen Ersttätern. Die Zahl aller erfassten Rechtsextremisten ist 2003 indes von 1280 auf 1265 leicht gesunken. Im vergangenen Jahr wurden mit 993 Fällen zehn einschlägige Taten mehr als im Vorjahr registriert. 21,4 Prozent hatten einen fremdenfeindlichen und 9,67 Prozent einen antisemitischen Hintergrund.

"Vor allem die vielen jungen rechtsextremen Erst-Gewalttäter geben Anlass zur Sorge", sagte Innenminister Jörg Schönbohm gestern bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2003. Bei den einschlägigen Straftaten wurden nur 16 Prozent Wiederholungstäter gezählt. "Es kommen laufend neue junge Täter nach." 45 Prozent der Tatverdächtigen waren Schüler und Auszubildende, 15 Prozent Facharbeiter und 34 Prozent arbeitslos. Drei Viertel dieser Gewalttäter hatten eine "unpolitische" kriminelle Biografie, bevor sie im rechtsextremen Umfeld auffielen. Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten hat sich von 580 auf 560 Personen verringert.

Dass in Brandenburg im vorigen Jahr insgesamt weniger Rechtsextremisten registriert wurden, liege an der sinkenden Anziehungskraft von Parteien wie NPD und Republikaner. Allerdings sei die Zahl der Neonazis von 200 auf 220 gestiegen. Nach den Worten von Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin gibt es Anzeichen, dass die rechtsextremistische Szene sich in Richtung Neonazismus verlagert habe. Viele frühere NPD-Anhänger hätten sich der neu gegründeten "Bewegung Neue Ordnung" (BNO) angeschlossen. Durch den Übertritt des Kreistagsabgeordneten der NPD in der Prignitz und dem eines Stadtverordneten der NPD in Wittstock verfüge die BNO über zwei kommunale Mandate.

Die Aufklärungsquote bei der politisch motivierten Kriminalität ist weiter von 46 auf 52 Prozent gestiegen. Die Mobile Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit (Mega) erhöhte ihren Druck, indem sie 24 543 Personen und damit 3700 mehr als im Vorjahr kontrollierte. 521 Personen wurden dabei festgenommen oder kamen in Gewahrsam, es gab 1999 Platzverweise.

Entgegen dem Bundestrend ist die Zahl der dem linksextremistischen Milieu zuzuordnenden Personen von 715 auf 670 zurückgegangen. Gesunken ist auch die Zahl der Anhänger ausländerextremistischer Organisationen und zwar von 205 auf 190.

Nach Einschätzung von Schönbohm geht die größte Bedrohung der Sicherheit derzeit vom internationalen islamischen Terrorismus aus. "Zwar liegen derzeit keine Erkenntnisse über Anschlagsplanungen in Brandenburg vor, doch zeigt die Aufdeckung von Ansätzen einer möglichen islamistischer Zellenbildung in Cottbus 2002, wie schnell Brandenburg Rückzugs- wie auch Vorbereitungsraum werden kann", schätzte der Innenminister die Situation für das Land ein.

Der Rechtsstaat müsse "die multikulturellen Schattenwelten der islamistischen Hass-Prediger voll ausleuchten". Nach den Terroranschlägen vom 22. September 2001 sei Brandenburg in der Terrorabwehr aber "gut aufgestellt".

 

 

Samstag, 29. Mai 2004

Weniger Rechtsextremisten begehen mehr Taten Verfassungsschutzbericht 2003: Die Mehrheit der Gewalttäter hat eine kriminelle Vergangenheit

Von Michael Mara

Potsdam - Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus ist Brandenburgs Bilanz gespalten. Das geht aus dem am Freitag von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2003 hervor. Zwar ist einerseits die Zahl der Rechtsextremisten, darunter der gewaltbereiten, gesunken. Andererseits nahm die Zahl der rechtsextremistischen Straf- und insbesondere Gewalttaten zu.

Laut Verfassungsschutzbericht stieg die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten 2003 gegenüber 2002 um rund zwölf Prozent auf 87. Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten stieg um 238 auf 982. Dies hänge jedoch auch mit strengeren Bewertungsmaßstäben bei so genannten Propagandadelikten zusammen, heißt es dazu im Bericht.

Wirklich Besorgnis erregend, so Schönbohm, sei die hohe Zahl junger rechtsextremer Erst-Gewalttäter, die bei dieser Deliktgruppe einen Anteil von 84 Prozent hatte. 75 Prozent der Gewalttäter des vergangenen Jahres haben bereits eine kriminelle Vergangenheit. Man sehe sich im Wesentlichen „mit gemeinen Kriminellen“ konfrontiert, so Schönbohm, die nun auch politisch motivierte Gewalttaten begingen. Positiv sei die hohe Aufklärungsquote von 82 Prozent.

Ebenfalls widersprüchlich ist laut Verfassungsschutz auch die Lage der rechtsextremistischen Parteien und Organisationen in Brandenburg. Dass die Zahl der aktiven Rechtsextremisten von 1280 auf 1265 zurückgegangen sei, hänge mit dem Niedergang insbesondere von NPD und Republikanern zusammen. Sie hätten an Anziehungskraft verloren. Andererseits sei die Zahl der Neonazis von 200 auf 220 Personen gestiegen. Mit der am 1. Februar 2004 in Vetschau von enttäuschten NPD-Funktionären, darunter Ex-Landeschef Mario Schulz, gegründeten „Bewegung neue Ordnung“ (BNO) sei ein neues Sammelbecken für junge Neonazis entstanden. Auch der BNO-Vorsitzende Jens Pakleppa ist ein Ex-NPD-Mann. Zwar sei die NPD durch die Spaltung geschwächt worden, hob Verfassungsschutz-Chef Heiner Wegesin hervor. Andererseits sei die Gründung dieser neuen Bewegung als „Anzeichen für eine Verlagerung der rechtsextremistischen Szene in Richtung Neonazismus“ zu bewerten . Diese neue Tendenz müsse ernst genommen werden, zumal die BNO-Führer versuchten, ihre Organisation mit anderen neonazistischen Gruppen bundesweit zu vernetzen.

Laut Schönbohm lehnt sich das Programm der BNO „inhaltlich und sprachlich an das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920“ an. Durch den Übertritt eines NPD-Kreistagsabgeordneten in der Prignitz und eines NPD-Stadtverordneten in Wittstock verfügt die BNO bei derzeit knapp 100 Mitgliedern über zwei kommunale Mandate.

Wie NPD und Republikaner befindet sich nach dem Verfassungsschutzbericht auch die im Landtag mit fünf Abgeordneten vertretene DVU im Niedergang: Sie verliere Mitglieder und habe Mobilisierungsschwierigkeiten. Allerdings konnte sie bei den Kommunalwahlen 2003 acht Mandate in Kreistagen und eins im Potsdamer Stadtparlament erringen.

Der islamistische Terrorismus stellt für Brandenburg nach Ansicht Schönbohms keine aktuelle Bedrohung dar. Doch der Versuch einer islamischen Zellenbildung 2002 in Cottbus zeige, „wie schnell auch Brandenburg zumindest Rückzugs- wie auch Vorbereitungsraum werden kann“.

Dienstag, 1. Juni 2004

CDU: Schulen versagen im Kampf gegen Rechtsextreme

Potsdam - Die brandenburgischen Schulen haben nach Ansicht des CDU-Innenexperten Sven Petke bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft "komplett versagt". Anlass des direkt an Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) gerichteten Vorwurfs ist der aktuelle Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Freitag vorgestellt hatte.

Trotz erheblichen personellen und materiellen Aufwands würden die Aktivitäten des Bildungs- und Jugendministeriums bei der eigentlichen Zielgruppe "offenbar total ins Leere laufen", kritisierte Petke gestern. Er forderte Reiche auf, "schnell neue Wege für die Auseinandersetzung mit den gefährdeten Jugendlichen zu suchen. Auch mit rituellen Lippenbekenntnissen über ein tolerantes Brandenburg kommt man jetzt nicht mehr weiter."

Petke nannte es eine ernüchternde Tatsache, dass im vergangenen Jahr 84,2 Prozent der Tatverdächtigen bei Gewaltstraftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Ersttäter waren. Da die Aufklärungsquote sehr hoch sei, müsse jetzt die gesellschaftliche Kontrolle jenseits von Polizei und Justiz völlig neu angegangen werden.

Bildungsstaatssekretär Martin Gorholt sagte dazu: "An den Schulen ist das Klima gegen Gewalt und Rechtsextremismus deutlich verbessert worden." Die Zahl rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Vorfälle sei dort seit 2000 von 257 auf jetzt 117 pro Schuljahr gesunken. dpa

 

 

Dienstag, 1. Juni 2004

Politik bagatellisiert rechte Gewalt
Beratungsteams registrieren Zunahme von Neonazi-Angriffen in Sachsen-Anhalt 
 
Die »Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt« unterhält Anlaufstellen in Halberstadt, Halle, Salzwedel und Magdeburg. Seit Jahresbeginn hat sie in Sachsen-Anhalt einen Anstieg neonazistischer Angriffe beobachtet. Mit Heike Kleffner, Projektleiterin der Initiative in Magdeburg, sprach Stefan Mentschel.

ND: Die Mobile Opferberatung hat dieser Tage eine Zunahme rechtsextrem motivierter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt beklagt.

Das ist richtig. Seit Jahresbeginn haben wir 39 Angriffe mit rechtsextremem oder fremdenfeindlichem Hintergrund registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl der bekannt gewordenen Gewalttaten um ein Viertel gestiegen.

Das Landeskriminalamt nennt für 2003 andere Zahlen.

Ein Vergleich der bei LKA und Opferberatung registrierten Angriffe ergab erhebliche Abweichungen. Von den 46 vom LKA vorgelegten Fällen waren uns 28 nicht bekannt. Umgekehrt fehlten auf der Liste des LKA 32 Gewalttaten, die wir als rechtsextrem motiviert eingestuft hatten, darunter auch zwei Angriffe, welche die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe als rechtsextrem gewertet hat. Beide Statistiken stellen also nur einen Ausschnitt des tatsächlichen Ausmaßes rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt dar. Zusammengezählt kommen wir im vergangenen Jahr auf über 70 Angriffe.

Wie lassen sich die Abweichungen erklären?

Das müssen Sie das LKA fragen. Uns gegenüber wurde angekündigt, die Ursachen prüfen zu wollen.

Die Landesregierung zeigt sich unbeeindruckt von den Zahlen.

Wenn man sich den Jahresbericht des Landesverfassungsschutzes anschaut, wird deutlich, das rechte Gewalttaten den Schwerpunkt politisch motivierter Gewalt in Sachsen-Anhalt ausmachen. Trotzdem wird ein Rückgang rechter Straftaten herbeigeredet.

Wird das Problem verharmlost?

Es wird bagatellisiert oder schlicht verschwiegen. Der Mord an Alberto Adriano im Dessauer Stadtpark jährt sich im Juni zum vierten Mal. Mitte der 90er Jahre wurden zwei junge Punks in Magdeburg von Neonazis getötet. Auch diese Vorfälle prägen natürlich das Image von Sachsen-Anhalt. Und so werden noch immer aus gezielten rechtsextremen Angriffen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendbanden gemacht. Man will nicht erkennen, dass es hier ein strukturelles Problem gibt, sondern schiebt es immer auf Einzeltäter.

Wo tritt rechte Gewalt besonders häufig auf?

Dessau nimmt mit 15 Angriffen in diesem Jahr bislang die Spitzenposition in Sachsen-Anhalt ein. In Magdeburg gibt es immer wieder Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten. Aber auch die Harzregion mit Städten wie Halberstadt, Quedlinburg und Wernigerode ist ein Schwerpunkt, in der es organisierte neonazistische Strukturen gibt. Erst im April wurde in der Kleinstadt Wegeleben ein junger Mann von Rechten überfahren und anschließend mit Eisenstangen verprügelt. Das Opfer musste mit multiplen Schädelbrüchen, einem Nasen- und Jochbeinbruch auf die Intensivstation eingewiesen werden.

Wurde Anzeige erstattet?

Bei den Angreifern handelt es sich um polizeibekannte Neonazis. Aber bislang befindet sich erst ein Täter in Untersuchungshaft. Doch schlimmer ist, dass die Polizeidirektion Halberstadt bei diesem Fall völlig entgrenzter rechtsextremer Gewalt lediglich davon spricht, dass ein Fußgänger »mit Absicht« angefahren worden sei.

Stoßen sie bei ihrer täglichen Arbeit auf Widerstände?

Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Einerseits werden Menschen, die rechte Gewalt beim Namen nennen, als Störenfriede angesehen. Ihnen wird unterstellt, das Image einer Kommune oder des ganzes Bundeslandes beschädigen zu wollen. Andererseits hört man uns zu. Wir stellen zudem immer fest, dass wir Menschen ermutigen können, sich öffentlich an die Seite der Opfer zu stellen. Es bleibt aber festzuhalten, dass die politisch Verantwortlichen das Thema am liebsten unter den Teppich kehren wollen.

Infos: www.miteinander-ev.de

Mittwoch, 2. Juni 2004

"Aus der Grotte der Dummheit"

Ministerschelte für CDU-Vize

Andrea Beyerlein

POTSDAM. Ungewöhnlich scharf hat Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) am Dienstag auf Vorwürfe des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Sven Petke reagiert. Dieser hatte am Wochenende erklärt, Brandenburgs Schulen hätten bei der Bekämpfung rechter Gewalt "komplett versagt". Petke betreibe "Wahlkampf aus der Grotte der Dummheit", sagte Reiche in Potsdam. Er sei im Begriff "das Porzellan zu zerschlagen, von dem wir nach den Landtagswahlen im September doch wieder gemeinsam essen wollten".

Brandenburg habe mit dem Programm Tolerantes Brandenburg und dem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bundesweit einmalige Strukturen aufgebaut, sagte der Bildungsminister. Offenkundig gehe es Petke allein darum, nach dem bedauerlichen Anstieg rechtsextremer Gewalttaten einseitig von der Verantwortung von Innenminister und CDU-Chef Jörg Schönbohm abzulenken. Wenn die Union ihre Vorwürfe ernst meine, sei es kaum nachvollziehbar, warum sie nicht längst aus dem Regierungsbündnis mit der SPD ausgestiegen sei.

Er erwarte, dass Schönbohm seinen Stellvertreter Petke zur Ordnung rufe, so Reiche. Der Innenminister selbst hatte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes am vergangenen Freitag gesagt, die hohe Zahl junger Ersttäter offenbare Defizite, der sich alle gesellschaftlichen Institutionen stärker als bisher stellen müssten. (ab.)

 

 

Dienstag, 8. Juni 2004

Zonen der Angst

Forschergruppe untersuchte rechtsextreme Jugendkultur in Oranienburg

Im Sommer 2002 setzen Rechtsextreme einen türkischen Imbiss in Lehnitz in Brand. Ein Jahr später hetzen Jugendliche einen Tunesier durch Oranienburg. Was prägt die Jugendkultur in der Stadt? Zwei Jahre lang untersuchte eine Studiengruppe die rechtsextreme Szene. Das Ergebnis - die Studie "Futur exakt - Jugendkultur in Oranienburg zwischen rechtsextremer Gewalt und demokratischem Engagement - liegt jetzt vor. Mit den Autoren Ralph Gabriel und Ingo Grastorf sprach MAZ-Redakteurin Frauke Herweg.

 

"Früher war alles schlimmer" - das ist eine weit verbreitete Meinung zum Rechtsextremismus in Oranienburg. Trifft sie zu?

Grastorf: Betrachtet man die Tatsachen - ja. Nach den Überfällen auf die Asylbewerberheime zu Beginn der 90er sind spektakuläre Übergriffe weniger geworden.

Gabriel: Bis 1995/96 gab es eine massiv organisierte rechtsextreme Szene in Oranienburg. Das ist heute nicht mehr so. Feste Strukturen konnten wir nicht beobachten. Gleichwohl haben die Strukturen zu Anfang der 90er die Jugendkultur geprägt. Das darf man nicht vergessen. Wer sagt, dass vor einigen Jahren noch alles schlimmer gewesen war, läuft Gefahr, die Sensibilität dafür zu verlieren, was heute tatsächlich noch da ist.

Wie ist die Szene heute organisiert?

Grastorf: Sie ist sehr viel privater geworden und damit auch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Die Bereitschaft zu handeln ist nach wie vor da. Allerdings ist unser Eindruck, dass die Szene spektakuläre Aktionen auch gar nicht mehr nötig hat. Sie hat ohnehin Einzug in das Alltagsleben gefunden.

 

Mit Mario Popiella ist 2003 erstmals ein NPD-Kandidat in den Kreistag gezogen. Wie wichtig sind rechte Parteien oder rechtsextreme Organisationen für Oberhavel?

Gabriel: Die NPD hat mit 3 bis 5 Prozent der Stimmen ihren festen Wählerstamm. Zwar kommen einige NPD-Persönlichkeiten aus Oberhavel - der Pressesprecher des NPD-Landesverbandes Thomas Salomon etwa oder der Rechtsanwalt Richard Miosga. Auf die Jugendkultur hat die NPD nur wenig Einfluss.

Grastorf: Der Märkische Heimatschutz ist da für Jugendliche viel interessanter. Er versucht, die Jugendlichen vor Ort anzusprechen. Allerdings lässt sich noch nicht klar sagen, wie groß sein Einfluss in Oranienburg wirklich ist. In Eberswalde hat er schon sehr gut Fuß gefasst. In Oranienburg ist er gerade dabei.

Wie groß ist die Szene?

Gabriel: Der Verfassungsschutz spricht von sechs Leuten, die in Oranienburg zum harten Kern der Rechtsextremen gehören. Im ganzen Landkreis sollen es 21 sein. Etwa 40 Rechtsextreme halten der Verfassungsschutz und die Polizei für gewaltbereit. Bei allen Zahlen allerdings sind die Unter-18-Jährigen nicht mitgezählt.

Grastorf: Im Einzelfall ist es immer sehr schwierig zwischen Täter und Zuschauer zu unterscheiden. Die Hetzjagd auf den Tunesier im August 2003 zeigt, dass die Jugendlichen ihre Rollen durchaus gewechselt haben.

 

In Ihrem Buch sprechen Sie von "Zonen der Angst". Wo gibt es die in Oranienburg und was ist damit gemeint?

Gabriel: Was eine Zone der Angst ist, kann nur ermessen, wer Angst hat. Ich hätte keine Angst, am Oranienburger Bahnhof, am Weißen Strand in Lehnitz oder an der Aral-Tankstelle an der Berliner Straße vorbeizugehen. Ein Migrant oder ein Andersaussehender womöglich schon. Von den Zonen der Angst sind in der Vergangenheit häufig Überfälle ausgegangen. Wer sich als potenzielles Opfer fühlt, weiß das und meidet diese Orte womöglich.

Grastorf: Zonen der Angst sind immer temporär. Es ist ungewiss, ob dort etwas passiert. Es kann etwas passieren. Das ist der Moment der Willkür. Wenn ich als Mensch dunkler Hautfarbe mittags am Oranieburger Bahnhof langgehe, muss ich mich dort wahrscheinlich nicht bedroht fühlen. Am Abend kann das allerdings schon wieder ganz anders aussehen.

Eine der zentralen Thesen in Ihrem Buch ist, rechtsextreme Repräsentanten könnten sich in Oranienburg sicher sein, von einer schweigenden Mehrheit toleriert zu werden. Ist Oranienburg eine rechte Stadt?

Gabriel: Das kan man nicht so ohne weiteres beantworten. Was man aber sagen kann, ist: Viele haben in Oranienburg für die potenziellen Opfer nichts übrig. Bei uns entsteht der Eindruck, sie möchten in einer Gemeinschaft von Gleichen unter sich bleiben. Das Problem Rechtsextremismus als solches wird nicht erkannt, man möchte sich auch keine Probleme schaffen. Ein konkretes Beispiel: Auf Stadtfesten haben wir beobachtet, wie Jugendliche, die durch ihre Kleidung und ihr Auftreten eindeutig als rechtsextrem zu erkennen waren, toleriert wurden. Ihnen wurde auf die Schulter geklopft, man lud sie zum Bier ein. Niemand regte sich auf. Es gibt so etwas wie einen fremdenfeindlichen Konsens in Richtung "Die sagen, was wir denken."

Wie bewerten Sie das demokratische Engagement der vergangenen Jahre?

Wie beurteilen Sie das Engagement des Landkreises?

Gabriel: Es ist gut, dass es diese interkulturellen Begegnungen zwischen Jugendlichen verschiedener Herkunft gibt. Für die politische Bildung bringt gemeinsames Grillen jedoch nur wenig. Solche Begegnungen sind zu wenig nachhaltig. Die Jugendlichen verbleiben zumeist in den alten Strukturen.

Mittwoch, 9. Juni 2004

Nicht nur über, auch mit Islamisten reden

Verfassungsschutz legt Schwerpunkt auf Islamismus. Weiteres Fazit des aktuellen Berichts: Neonazis schlagen öfter zu

Das unterscheidet Innensenator Ehrhart Körting (SPD) von seinen Vorgängern: Er zeigt sich gesprächsbereit. "Ich werde gezielt auf einige Moscheen zugehen", sagte er gestern bei der Vorstellung des Berliner Verfassungsschutzberichtes 2003. Zwar führte er nicht weiter aus, welche Moscheen er genau damit meint. Aber, so Körting, man müsse nicht nur über Islamisten reden, sondern auch mit ihnen.

Islamismus war der Schwerpunkt der Beobachtungen des Verfassungsschutzes: 5.820 Personen rechnen die Beamten dem Bereich "Ausländerextremismus" zu, zwei Drittel von ihnen gehören islamistischen Gruppen an. Das seien zwar rund 200 Personen weniger als im Vorjahr, so Körting. Aber spätestens seit den Durchsuchungen mehrerer Wohnungen und der Al-Nur-Moschee in Neukölln im März 2003 gebe es auch in Berlin Anzeichen für islamistisch motivierte Anschläge. Zugleich betonte er, dass 95 Prozent der in Berlin lebenden Menschen muslimischen Glaubens islamistische Bestrebungen ablehnen. Umso wichtiger sei es, gemeinsam mit ihnen gegen Fanatiker vorzugehen, sagte der Innensenator - und zwar auch gegen solche, die versuchten, eine islamistische Staatsordnung aufzubauen.

Vor dem Hintergrund des Ausländerextremismus scheinen die Verfassungsschützer dem Extremismus von rechts weniger Bedeutung beizumessen. Dabei ist die Zahl der Rechtsextremisten im Vergleich zum Vorjahr mit rund 2.400 Personen fast unverändert geblieben, die Zahl der Gewaltstraftaten habe sich sogar um über ein Drittel erhöht. Insbesondere fremdenfeindliche Übergriffe sind laut Verfassungsschutz von 28 auf 70 gestiegen.

Zwar hat die Einstellung des Verbotsverfahren gegen die NPD nicht zu dem befürchteten Zulauf geführt, den sich die Parteiführung erhofft hatte. Dennoch erfreuen sich aktionsorientierte Kameradschaften großen Zuspruchs. Namentlich die Kameradschaft "Tor" sowie die neu gegründete "Berliner Alternative Süd-Ost" (Ba-SO) in Treptow-Köpenick sind deutlich militanter und gewaltbereiter als die in Parteien organisierten Kameraden.

Kaum Änderungen gibt es dagegen bei der Bewertung der als "gewaltbereite Linksextremisten" geführten Personen. Sie liegt mit 1.280 Personen zwar etwas höher als im Vorjahr, der Anteil von Gewaltdelikten ist aber von 171 (2002) auf 157 (2003) gesunken. Bei ihnen dominieren Delikte wie Sachbeschädigung und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. "FELIX LEE

 

Freitag, 11. Juni 2004

Nazis überfluten Internet

Eine Flut unverlangter Nachrichten mit ausländerfeindlichem, rassistischem Inhalt und gefälschten Absenderadressen wird derzeit von Unbekannten im Internet versendet. Die Mails berichten über angebliche Verbrechen von Ausländern. Außerdem wird auf Webseiten der rechten Zeitschrift "Junge Freiheit" verwiesen. BM

Freitag, 11. Juni 2004

Rechtsextreme E-Mails von Rechner der Uni Rostock

Rostock (ddp) Eine bundesweite Attacke mit rechtsradikalen sogenannten Spam-Mails ist gestern offenbar maßgeblich über einen Computer der Universität Rostock gelaufen. Die Aussendung verstopfte bundesweit elektronische Postwege. 80 Prozent der Hetz-Mails liefen offenbar über einen Server der Rostocker Uni. Das E-Mail-Konto des Absenders gehöre einem Studenten und sei vom Netz genommen worden, sagte eine Mitarbeiterin des Rechenzentrums. Der Rechner sei vermutlich ohne Wissen des Studenten durch einen Virus „gekapert“ worden.

 

Donnerstag, 10.06.2004

Rechte Propaganda per Spam-Netzwerk
Von Frank Patalong

Zigtausende Spam-Mails aus der rechten Ecke werden seit gestern früh über das Web verteilt. Ihr Inhalt: Türkenhetze, ausländerfeindliche Kommentare, Links zu NPD- und anderen Webseiten. Alles deutet darauf hin, dass es Rechten erstmals gelungen ist, ein "Bot-Net" aus gekaperten Rechnern aufzubauen.

Es begann irgendwann kurz nach 2 Uhr, in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag: Eine Flut von E-Mails begann, die elektronischen Postwege zu verstopfen. Das ist nicht neu, denn die Spam-Lawine rollt bekanntlich heftig: Weltweit bewegt sich die Quote des unerwünschten Werbemülls am Gesamt-Mailaufkommen zwischen 60 und 80 Prozent.

Doch diese Welle ist anders. Die Nachrichten haben nichts zu verkaufen, als eine Weltanschauung: "Auslaendergewalt: Herr Rau, wo waren Sie?" heißen sie, "Was Deutschland braucht, sind deutsche Kinder!", "Die Deform der sozialen Ordnung" oder "Paradies Bundesrepublik - Rente fuer die Welt".

Die Inhalte ahnt man: Neben zahlreichen Geschichten, die die angebliche Bösartigkeit von Ausländern untermauern sollen ("Asylant quälte Tiere brutal zu Tode", "Deutsches Mädchen fast vergewaltigt") wird kräftig auf alles eingedroschen, was irgendwie "links" zu sein scheint: Von der Gesundheits- bis zur Rentenreform. Als angebliche Absender der Nachrichten fungieren zahlreiche Privatpersonen, aber auch große Firmen und Medienunternehmen, darunter der Heise-Verlag, die Deutsche Welle, DER SPIEGEL und manager magazin.

Das ist natürlich Unsinn. Die politische Spam-Welle mit dem deutlichen Rechtsdrall ist eine offenkundig professionell organisierte Spam-Versendeaktion mit "geliehenen" Absenderadressen, die die wahren Urheber verbergen sollen. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit beruht die politische Spam-Welle auf einem so genannten Bot-Net - und das ist wirklich neu.

Erstmals "spammen" Rechte damit systematisch, um ihre Propaganda unters "Volk" zu bringen. Neben zahlreichen ausländerfeindlichen Kommentaren und als "Berichte" kaschierter Ausländerhetze enthalten die Botschaften zahlreiche Links. Diese führen zu NPD-Seiten, zu Artikeln der stramm rechts verorteten "Jungen Freiheit", zu den Webseiten diverser "Initiativen" gegen Moscheenbau und ähnlichem.

Die meisten der Hetzartikel in den E-Mails sind diesen Seiten entnommen: Das Copyright halten also Urheber wie regionale Strukturen der NPD bis hin zur "Freien Jugend Organisation" in Bremerhaven. Das heißt noch nicht, dass sie auch an der Planung, Finanzierung oder Durchführung der Spam-Aktion beteiligt waren. Wer auch immer dahinter steht, outet sich nicht als Urheber: Ihm reicht es, die "rechten" Inhalte möglichst massiv zu verbreiten.

Rechts "trommelt" professionell

Massenmails aus dem rechten bis rechtsextremen Umfeld gab es immer. Zahlreiche Newsletter "informieren" ihre oft unfreiwillige Leserschaft regelmäßig über Neuigkeiten aus Germanien. So etwas ist leicht auszufiltern: Zwar ändern die Newsletter-Versender ab und zu ihre Adresse, aber letztlich braucht es nur ein paar Klicks, um sie wieder für Wochen direkt in den Spam-Filter laufen zu lassen.

Die derzeitige Aussendungswelle ist anders. Eine Analyse der Mails zeigt, dass diese von verschiedenen Accounts ausgehen. Weit über 80 Prozent der beim SPIEGEL eingelaufenen rechten Spams liefen über einen Server an der Uni Rostock. Eine Nachfrage in der dortigen Netzwerkverwaltung ergab, dass die identifizierte IP-Nummer des Versenders zum Mail-Account eines dortigen Studenten gehört. Andere Mails kamen aus dem Netz von T-Online, von Einwahlverbindungen in verschiedensten Städten. Mindestens eine Spam-Mail nahm ihren Ursprung in Paris, eine in Tschechien, eine in Australien.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit wurden all diese Rechner "gekapert". In den letzten Monaten hatte es Indizien dafür gegeben, dass Virenschreiber mit Spammern kooperierten und immer mehr Spammer Virenmethoden anwenden, um einerseits Adressverteiler zu gewinnen und andererseits Verteilernetze "aufzubauen". Dabei nutzen Spammer die Möglichkeit, per Viren, Würmern oder Trojanern eigene Mailserver auf befallenen Rechnern aufzubauen, über die sich dann auf Befehl Massenmails verbreiten lassen.

Die Suche nach dem Verteilmechanismus

Die wahren Urheber zu finden dürfte schwierig werden. "Nur sehr geringe Chancen" sieht man dafür beim IT-Sicherheitsunternehmen Sophos. Der Rechner des Studenten in Rostock allerdings könnte wertvolle Hinweise enthalten, wie das Spam-Verteilernetz aufgebaut wurde.

"Wir bekommen immer mehr Hinweise darauf", sagt ein Sprecher von Sophos, "dass Spammer und Virenschreiber kooperieren, beziehungsweise Spamverteiler von Virenschreibern aufgebaut werden." Die Urheber zu finden, sei dann weit schwerer als bei "herkömmlichen Spams".

"Gerade die Spams, die über Rechner verteilt werden, die über Einwahlverbindungen mit dem Internet verbunden sind, sind kaum auf ihren Ursprung zurückzuführen", heißt es bei Sophos. Kein Wunder: Einwahlverbindungen weisen dem mit dem Internet verbundenen Rechner jedes Mal eine andere IP-Adresse zu.

Anders der Rechner in Rostock. "Den haben wir nach Ihrer Anfrage vom Netz genommen", erklärt Ria Bütow, Netzwerkadministratorin an der Uni Rostock. Nun wird sie versuchen, in Verbindung mit dem IT-Sicherheitsdienstleister der Uni dem Verteilmechanismus auf die Spur zu kommen.

Bis dahin rollt die rechte Propagandawelle - und wohl kaum zufällig. Das Herumreiten auf Überfremdungsängsten deutet darauf hin, dass hier gezielt Stimmung mit Blick auf die Europawahl am Sonntag gemacht werden soll.

Freitag, 11. Juni 2004

Rechte Spam-Mails
 
Landeskriminalamt sucht Verantwortliche

Bei der Suche nach dem Auslöser der E-Mail-Flut mit ausländerfeindlichem Inhalt ist das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern eingeschaltet worden. Der überwiegende Teil der Spams kam von einem Rechner der Universität Rostock - mittlerweile wurde er abgeschaltet.

Hamburg - Laut einem Bericht der heutigen Ausgabe der "Schweriner Volkszeitung" wurde der Spam-Angriff jedoch außerhalb der Universität Rostock mit Viren-Programmen vorbereitet und gestartet. Der Sprecher des Schweriner Landeskriminalamtes, Olaf Paetow, sagte dem Blatt: "Es gibt bisher keine Hinweise, dass Mitarbeiter oder Studenten der Rostocker Uni in diesen Fall verwickelt sind."

Eine SPIEGEL-ONLINE-Analyse der Mails hatte gestern ergeben, dass die Tausenden Spams von verschiedenen Accounts ausgehen. Weit mehr als 80 Prozent der beim SPIEGEL eingelaufenen rechten Spams liefen jedoch über einen Server an der Uni Rostock. Eine Nachfrage in der dortigen Netzwerkverwaltung ergab, dass die identifizierte IP-Nummer des Versenders zum Mail-Account eines dort eingeschriebenen Studenten gehört.

Die Uni Rostock zeigte sich entsetzt über den Missbrauch eines ihrer Rechner. "Es war ein echter Hammer", sagte Sprecher Karl-Heinz Kutz der "Volkszeitung" über die rechte Propaganda. Schließlich habe es gerade am Vortag noch eine große Mitarbeiterveranstaltung gegen einen in Rostock geplanten Aufmarsch von Rechtsextremisten gegeben.

Samstag, 12. Juni 2004

Odin und der braune Wurm

Pünktlich zur Europawahl sorgt ein Computervirus dafür, dass das deutschsprachige Internet mit Nazi-Mails überflutet wird. Erstmals nutzen Rechtsextreme einen "Wurm" für ihre Propaganda

VON OLIVER TRENKAMP

Die Stürmer-Kästen erfreuten sich im "Dritten Reich" großer Beliebtheit. In öffentlichen Glaskästen ließ die NSDAP ihr Hetzblatt Der Stürmer aushängen und veröffentlichte besonders abstruse Horrorgeschichten über angebliche "Verbrechen von Juden", die stets auch die voyeuristischen Gelüste der braunen Leserschaft befriedigten. Die Nachfahren im Ungeist brauchen keine Glaskästen mehr - die rechte Szene von heute nutzt schon lange das Internet, um ihre Propaganda zu verbreiten. Diese Woche erreichte die braune Datenflut allerdings eine neue Qualität.

Eine Lawine von E-Mails mit rechtsextremem Inhalt ergießt sich seit Mittwochnacht über den deutschsprachigen Teil des Internet. Die Mails haben Betreffzeilen wie "Asylanten begrapschen deutsches Mädchen" und ebenso krude Inhalte: In Stürmer-Manier wird über angebliche Erfahrungen mit kriminellen Ausländern schwadroniert, es gibt Links auf Internetseiten der NPD oder das rechte Fachblatt Junge Freiheit.

Solch unerwünschte Massenmails, Spam genannt, wurden bisher fast nur für Produktwerbung genutzt. Spams machen rund 60 bis 80 Prozent des globalen Datenverkehrs aus, obwohl das "Spammen" in Deutschland und vielen anderen Staaten gesetzlich verboten ist.

Besonders perfide: Viele Empfänger der Nazi-Mails glauben zunächst, sie würden tatsächlich Post von einem Freund oder einer respektablen Institution bekommen. Denn die Absender von Spam-Mails sind meist gefälscht.

Im aktuellen Fall bestehen die Absenderdaten aus einer bunten Mischung aus Privatpersonen, großen Firmen und Medien. Es häufen sich Berichte von Menschen, die wutentbrannt von Bekannten angerufen wurden, weil diese dachten, die vermeintlichen Absender seien zu Neofaschisten mutiert.

In Fachkreisen wurde vermutet, dass die Rechten ihre Parolen über ein Netzwerk aus "gekaperten" Computern verschickten - ein so genanntes Botnet. "Ein Botnet funktioniert wie eine große Ameisenarmee", erklärt der IT-Sicherheitsexperte Florian Lehwald, "sie hört nur auf Anweisungen ihrer Königin." Ein Virus sorgt dafür, dass sich befallene Computer in einem nicht öffentlichen Chatroom anmelden. Von hier aus können sie ferngesteuert werden und verschiedene Aufträge erhalten.

Im aktuellen Fall deutet allerdings alles auf einen etwas weniger gefährlichen so genannten Wurm hin, der zu einem bestimmten Zeitpunkt auf befallenen Rechnern eine festgelegte Aufgabe ausführt, aber nicht ferngesteuert wird. Bisher wurden Würmer nicht systematisch von Rechten eingesetzt.

So ein Wurm ist der Virus "Sober.G", der sich seit Mai im Internet verbreitet. Doch in der Nacht zum Donnerstag hörte "Sober.G" plötzlich auf, sich selbst weiter zu versenden - und die braune Datenflut begann.

Der Programmierer von "Sober.G" nennt sich "Odin" und schreibt in dem Virus, dass er "kein Spammer" und nicht zwischen 14 und 20 Jahren alt sei - als wolle er klarstellen, dass es sich nicht nur um Spielerei eines Pubertierenden handle.

Burkhard Schröder, Journalist und Kenner der rechten Szene, vermutet dahinter dennoch junge virtuelle Hooligans: "Das Ziel ist, Medienaufmerksamkeit zu erreichen und technische Fähigkeiten zu demonstrieren." In die Fahndung nach den Urhebern hat sich nun das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern eingeschaltet, weil ein Großteil der Mails über den Server der Uni Rostock verschickt worden sein muss.

"Odin" hat seinen Virus offenbar so programmiert, dass er kurz vor der Europawahl wahllos rechte Propaganda an zigtausend Internetnutzer verteilt. Die Meinungen über solche Aktionen gehen unter Rechten auseinander: In ihren Internetforen diskutieren sie, ob dahinter wirklich einer der ihren steckt. Denn Spam diskreditiert den Absender, zumal sich in einigen Mails Rechtschreibfehler häufen. Ein Hinweis auf einen Ursprung außerhalb Deutschlands sind die fehlenden Umlaute in den Mails.

Samstag, 12. Juni 2004

Internetplagen

 Eine Flutwelle von Nazi-Spam

 "Bankrott des Gesundheitswesens durch Ausländer", "Neue Völkerwanderung droht!" - E-Mails mit diesen oder ähnlichen Betreffzeilen überschwemmen das Internet. Rechtsradikale haben sich Spamtechnik angeeignet.

Die jüngste Flut rechtsradikaler E-Mails hat sich über Computer verbreitet, die mit Würmern infiziert waren. Die Spam-Welle sei von Rechnern ausgegangen, die selbst von dem seit vergangenen Oktober kursierenden Wurm "Sober G" befallen sind, sagte der Karlsruher Virenexperte Christoph Fischer. Unerwünschte E-Mails mit rechtsradikalem und ausländerfeindlichem Inhalt verstopfen seit der Nacht zu Donnerstag die elektronischen Postfächer vieler Internetnutzer in Deutschland.

Der Wurm "Sober G" hatte vergangenen Oktober seinen Feldzug durch das weltweite Datennetz angetreten. Das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik hatte ihn damals als zwar äußerst lästig, aber "halbwegs harmlos" eingestuft. "Wir hatten aber bereits damals angenommen, dass Sober aus dem Umfeld von Spam-Verteilern kommt", sagte Fischer. "Der Mechanismus, Spam zu verbreiten, liegt nahe, da sich Sober selbst in der gleichen Weise im Internet verbreitet." Zugleich könnten sich die Urheber durch das automatisierte Verfahren besser vor Entdeckung schützen.

Eine Welle bereits im Januar
Aus Sicherheitskreisen verlautete, dass es bereits im Januar vergangenen Jahres eine Welle rechtsradikaler Spam-Mails gegeben habe. Auch für die Zukunft gehen die Experten davon aus, dass Rechtsextremisten diese Technik anwenden, da die Suche nach den Urhebern schwierig ist. Zudem könnten die Extremisten mit den Mails aktiv auf die Menschen zugehen.

Die Mails werden tückischerweise mit gefälschten Absendern verschickt. "Spiegel Online" zufolge kommen auch große Unternehmen, "Der Spiegel" oder das "manager magazin" als Absender vor. "Bei mir haben sich heute schon unschuldige Kunden beklagt, weil sie E-Mails mit der Aufforderung bekommen, das Versenden der radikalen Mails zu unterlassen", sagte Virenexperte Fischer.

Rechner in Rostock identifiziert
Nach Medienberichten unter Berufung auf das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern war ein Teil der Spam-Flut von einem Rechner der Universität Rostock ausgegangen. Daneben seien aber auch schlecht gewartete Rechner aus Dritte-Welt-Ländern beteiligt gewesen, sagte Fischer. Infizierte Computer suchen automatisch nach hinterlegten Zusatzprogrammen im Internet. Der Rechner aus Rostock wurde inzwischen vom Netz genommen.

Dienstag, 15. Juni 2004

Ganz schön viele denken dumpf

Das Zentrum Demokratische Kultur fragte Leute in drei Bezirken nach Diskriminierungstendenzen.
Wichtigstes Fazit: Der Alltagsrassismus nimmt zu. In Mitte untersuchte die Studie auch Islamismus

VON FELIX LEE

Wirklich neu sind die Erkenntnisse nicht, aber fundiert: Gestern hat Günter Piening, Integrations- und Migrationsbeauftragter des Landes, eine Studie des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK) vorgestellt. Wichtigstes Ergebnis: Rechtsextremismus, die Diskriminierung von Minderheiten und mangelndes Demokratievertrauen haben in Berlin keineswegs abgenommen. Im Gegenteil: Der Alltagsrassismus ist weiter auf dem Vormarsch.

Drei Bezirke hat das ZDK untersucht: Mitte, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf. Mehr als 250 Leute mit Expertenwissen haben die Autoren befragt, also Lehrer, Sozialpädagogen, Bezirkspolitiker, Behörden und Vertreter von Initiativen, die mit Rechtsextremismus zu tun haben. Auch mit Opfern und Tätern sprachen die Autoren und fragten sie nach demokratiegefährdenden Tendenzen.

Gerade im Jugendbereich gebe es eine "gefährliche Mischung" aus informellen und häufig gewaltbereiten Cliquen und organisierten Rechtsextremisten, so ein Fazit. Beängstigend finden die Autoren, dass Rechtsextreme immer öfter jugendliche Protestformen übernähmen, die links besetzt waren, etwa Forderungen nach "Freiräumen" und Freizeitzentren oder Globalisierungskritik. Ziel sei, so die Studie, "vorhandene Cliquen in ihre Denk- und Organisationsdisziplin einzubinden".

Piening betonte, dass Rechtsextremismus aber "nicht auf physische Gewalt und jugendliche Täter" reduziert werden dürfe. Die Ethnisierung sozialer Konflikte und die Annahme, dass Deutschen Vorrechte vor Zugewanderten zustünden, seien in sehr unterschiedlichen Millieus zu finden.

Bei der Vorstellung der Studie waren auch die Bezirksbürgermeister anwesend. So zeigte sich der Bürgermeister von Treptow-Köpenick, Klaus Ulbricht (SPD), besorgt über die wachsenden rechtsextremistischen Strukturen in seinem Bezirk. "Bei einem Ausländeranteil von gerade 3 Prozent fehlt uns zwangsläufig das multikulturelle Klima", sagte Ulbricht. Ähnlich äußerte sich auch Uwe Klett (PDS) aus Marzahn-Hellersdorf. Er rief zu mehr Engagement der Parteien und Organisationen auf. Sein Bezirk hatte 2003 die meisten rechtsextrem motivierten Übergriffe zu verzeichnen.

Sowohl Piening als auch die Bürgermeister kündigten an, dass sie einen neuen Aktionsplan erstellen wollen - trotz der Erklärung des Senats, im nächsten Jahr eine Viertelmillion Euro weniger für die Bekämpfung von demokratiegefährdenden Tendenzen ausgeben zu wollen. Neben rassistischen beschäftigte sich die Studie zudem mit islamistischen Tendenzen in Mitte (siehe Bericht rechts).

"Zigeuner" ist ein beliebtes Schimpfwort

Auch Migrantengruppen diskriminieren sich gegenseitig, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Wie, erfuhr Goran Z.

Goran Z. (16) kommt aus Serbien. Seit vier Monaten wohnt er im Wedding. Nur einige Tage nachdem er in die Koloniestraße gezogen war, hatten ihn Jugendliche aus der Nachbarschaft in gebrochenem Deutsch gefragt, ob er "Zigeuner" sei. Wenn ja, dann habe er im Kiez nichts zu suchen.

Egal ob Serbe, Sinti oder einfach die Mitschüler, die "irgendwie anders" sind - der Begriff "Zigeuner" ist gerade bei Schülern mit türkischem oder arabischem Hintergrund ein beliebtes Schimpfwort und ein Beispiel für die Diskriminierungspraxis unter Migrantengruppen. Bereits vor einem Jahr hatte das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) Ähnliches festgestellt (die taz berichtete). Damals untersuchten die Wissenschaftler Migrantengruppen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und fanden heraus, dass multikulturelle Bezirke keineswegs so offen und tolerant sind, wie immer vermutet wird. Dieses Mal nahmen sie den Bezirk Mitte ins Visier. Und wieder kommen sie zu dem Ergebnis, dass das "Erleben eigener Diskriminierung" nicht davor schützt, "genau das gleiche noch mal zu tun".

In verschiedenen migrationsgeprägten Gruppen werde ein Mangel an demokratischer Diskussion festgestellt, heißt es in der aktuellen Studie. Und Roma und Sinti stünden auf der Skala akzeptierter Minderheiten eben ganz unten.

Mit anderen Problemen als sein Amtskollege von Treptow-Köpenick, der im fehlenden Multikultiklima den Grund für die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in seinem Bezirk sieht, hat der Bezirksbürgermeister von Mitte, Joachim Zeller (CDU), zu kämpfen. Bei einem Migrantenanteil von 30 Prozent sei in Mitte eher die fehlende Integration der vorwiegend islamischen Bevölkerung ein Problem. Auf viele dieser Menschen habe die Politik oftmals keinen Einfluss. "Was in diesen Kreisen gedacht wird, entzieht sich unserer Kenntnis", so Zeller. Vom Aufbau einer Parallelgesellschaft hatte auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vergangene Woche bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes gesprochen. Sowohl Körting als auch Zeller sprachen sich dafür aus, in Moscheen das Gespräch zu suchen. Grundsätzlich gebe er "keine Seele verloren", hatte Körting gesagt.

Auch die Autoren der ZDK-Studie schreiben von mangelnder Kommunikation. Auf der einen Seite berichteten Befragte von der Propagierung der "Überlegenheit des Islam" und von antisemitischen Sprüchen gerade bei Jugendlichen. Auf der anderen Seite herrsche oft große Unsicherheit, wenn es zwischen Muslimen und Islamisten zu differenzieren gelte, heißt es in der Studie. Man wisse einfach zu wenig. "FELIX LEE

extremismusstudien

Studien ersetzen nicht Politik

Joachim Zeller, Bürgermeister von Mitte, ist ein Mann schlichter Worte: "Die Teilnahme an der Gesellschaft beschränkt sich bei vielen Migranten auf den Gang zum Sozialamt", meint er. Fehlende Integration der islamischen Bevölkerung und die Sprachbarrieren seien das Problem. Deshalb gelte: "Immer mehr Jugendliche sind anderen extremen Ideologien ausgesetzt, die auch kaum mehr mit dem Grundgesetz vereinbar sind."

KOMMENTAR
VON WALTRAUD SCHWAB

Seine Statements ließ Zeller anlässlich einer Studie zu "Rechtsextremismus - Jugendgewalt - Neue Medien" fallen. Seine Worte überraschen aber weder durch scharfe Analyse noch durch Visionen. Der Ausländeranteil liegt in Mitte bei 30 Prozent. Wenn die nichtdeutschen Jugendlichen dort tatsächlich zunehmend für extreme Ideen offen sind, müssten die Politiker endlich verstehen, dass sie gefordert sind. Und zwar als Handelnde, nicht als Kommentatoren immer neuer Studien zum alten Problem.

Im Kiez spielt sich ab, was auch für die Politiker gilt: Es geht um Macht, Einfluss und ums gesalbte Ego: "Ich bin wer." Wie aber sollen Jugendliche nichtdeutscher Herkunft wer sein, wenn ihnen die Gesellschaft jeden Tag signalisiert, dass sie sie nicht braucht? Integration ist nicht nur eine Frage der Sprache, sondern vor allem eine der Partizipation. Gesellschaftliche Teilhabe ist derzeit für Jugendliche im Wedding oder Moabit - dort leben die Ausländer von Mitte - nicht im Angebot. Wo sind die Lehrstellen, wo die Arbeitsplätze? Wo die Anreize, die die zahllosen Schulabbrecher zum Umdenken bewegen?

Wenn extremistische Organisationen sich der No-Future-Generation annehmen und ihr vormachen, wie sie Identität bekommt - selbst wenn sie sich als Preis dafür dem Teufel verschreiben muss -, dann ist Ultimo für demokratisches Handeln und nicht für Geschwätz.

Mittwoch, 16. Juni 2004

Wir können uns keine Tabus leisten
Studie untersuchte Rechtsextremismus in drei Bezirken und will Hilfe geben 
 
Von Anke Engelmann 
 
Hilfe zur Selbsthilfe gegen latenten Rassismus und alte und neue Nazis will eine Kommunalanalyse drei Berliner Stadtbezirken geben. Die Untersuchung, der 250 Interviews mit Beteiligten aus Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Mitte zugrunde liegen, wurde jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie erhelle den Hintergrund, vor dem sich der Besorgnis erregende Anstieg rechter Straftaten abspiele, erklärte dazu gestern Özcan Mutlu, migrationspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. »Wir waren beeindruckt über die positiven Potenziale in allen Bezirken«, lobte Autor Dierk Borstel vom Zentrum Demokratische Kultur und hob besonders die Unterstützung lokaler Initiativen durch die Bezirksämter hervor.
In einigen »engen Sozialräumen« der Hauptstadt fühlten sich Menschen bedroht, so Günter Piening (Bündnis 90/Die Grünen), Senatsbeauftragter für Integration und Migration. »Eine weltoffene Stadt wie Berlin kann sich das nicht leisten.« Um so wichtiger sei es, demokratische Strukturen zu stärken und bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Seinem Ressort stünden in diesem Jahr dafür 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, für das kommende 1,25 Millionen Euro.
Es zeige sich eine »gefährliche Mischung freiflottierender Jugendcliquen, informeller Gruppen und rechter Strukturen«, erläuterte Piening. Rechtsextreme Gruppen bedienten sich zunehmend jugendlicher Protestformen und machten sich scheinbar linke Forderungen zu eigen.
Ein gefährliches Wertevakuum entstehe, wenn sich Menschen aus der Teilhabe an der Gesellschaft zurückziehen, erläuterte Dierk Borstel. Dieses Vakuum werde dann mit demokratiegefährdenden Einstellungen gefüllt. Oft hänge das Vertrauen in die Demokratie von der Erfüllung ökonomischer Erwartungen ab, ergänzte Piening.
Die drei Bezirksbürgermeister begrüßten die Handhabe, die die Studie ihnen gebe. »Zum ersten Mal haben wir ein umfassendes Milieubild in den Händen«, freute sich Uwe Klett (PDS), Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, Die Probleme junger Menschen werden noch zunehmen, befürchtet der PDS-Politiker angesichts des drastischen Rückgangs soziokultureller Angebote. Es sei ein stärkeres Engagement aller Parteien notwendig, forderte er. »Wir können uns keine Tabus leisten.«
Ganz anders als in Marzahn zeige sich die Situation in Köpenick, wo die rechtsextreme NPD derzeit ein Schulungszentrum errichtet. Noch im Juni werde der Bezirk mit einem »Zentrum für Demokratie« dagegen halten, kündigte Klaus Ulbricht (SPD), Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick an. Für Mitte beschrieb Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU) ein »Nebeneinander statt ein Miteinander« unterschiedlicher Kulturen und fasste zusammen: »Die eigentliche Arbeit liegt noch vor uns.«

• Allein 66 Übergriffe mit rechtsextremem Hintergrund zählten antifaschistische Initiativen im vergangenen Jahr, 42 davon sind Gewalttaten.
• Nach polizeistatistischen Angaben lag der Schwerpunkt der Gewalttaten im Bereich der Propagandadelikte. Insbesondere seitens der Kameradschaften werde mit teilweise exzessiven propagandistischen Mitteln gearbeitet.
• 2002 fanden 41 Prozent aller berlinweit verübten Gewalttaten mit rechtsmotiviertem Hintergrund in Marzahn-Hellersdorf statt.
• Für 2003 sei mit einer Verschiebung des Schwerpunktes rechter Gewalt nach Treptow-Köpenick, Pankow und Neukölln zu rechnen, so die Studie.

Freitag, 18. Juni 2004

Zahl der Hass-Seiten im Internet steigt rasant

OSZE-Konferenz beschäftigt sich mit rechtsextremen Homepages / USA verhindern Strafverfolgung

Delegierte aus 55 OSZE-Staaten haben die "Hass-Seiten" im Internet verurteilt. Bereits in den Schulen müsse Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass bekämpft werden.

VON HANS-HELMUT KOHL

Paris · 17. Juni · Mit einem Appell an die Toleranz der Internetnutzer und an die Mitgliedsstaaten der OSZE, den Rechtsextremismus in ihren Bildungssystemen zu bekämpfen, endete am Donnerstag in Paris ein zweitägiger Kongress, der sich mit den "Hass-Seiten" im Internet beschäftigte. Auf Einladung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa diskutierten Delegierte aus den 55 Mitgliedsstaaten mit Providern, Rassismus-Experten und Nichtregierungsorganisationen.

Der französische Außenminister Michel Barnier hatte die Konferenz mit dem Hinweis eröffnet, dass in den vergangenen vier Jahren die Zahl der "Hass-Seiten" im Internet um 300 Prozent gestiegen sei. Sein Land, so Barnier, erlebe seit Jahresanfang eine deutliche Zunahme antisemitischer Übergriffe. Wenn nationale Lösungen gesucht würden, um solche Übergriffe zu verhindern oder zu bestrafen, bleibe das Netz wegen seines transnationalen Charakters und seiner technischen Konstruktion davon unberührt. Er erhoffe sich von dem Treffen zumindest einen "Benimm-Code" für das Verhalten im Internet.

 

 

OSZE

 

 

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit vereint 55 Staaten Europas, Nordamerikas und Zentralasiens. Sie soll als "Frühwarnsystem"auf heraufziehende Konflikte hinweisen und bei der Bewältigung von Krisen helfen. Waffenkontrolle, Menschen- rechte, Demokratisierung, Wahlüberwachung sind weitere Stichworte der Arbeit der OSZE, die ihren Sitz in Wien hat. hhk

 

 

Die französische Regierung wünschte die Konferenz in Paris, weil seit kurzem zwei Berichte von nationalen Kommissionen vorliegen, die einen Zusammenhang zwischen fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Inhalten des Internet und Straftaten herstellen. Die französische Menschenrechtskommission (CNCDH) hatte ihren Bericht in Auftrag gegeben, nachdem der rechtsradikale Attentäter festgenommen worden war, der am 14. Juli 2002 während der Parade auf den Champs-Élysées auf Staatspräsident Jacques Chirac schießen wollte. Bei den Verhören sagte er aus, dass er über das Internet den Kontakt zu Gleichgesinnten aufgenommen habe. Im Netz verbreitete er auch den Aufruf, seine Kameraden sollten am 14. Juli den Fernseher einschalten, weil er "berühmt" werde.

Während der Tagung wurde deutlich, dass die Bemühungen vieler europäischer Staaten, Aufrufe zu Straftaten im Internet juristisch zu verfolgen, auf den Widerstand vor allem der USA stoßen, die unter Berufung auf die Freiheit des Wortes keinerlei Restriktionen zulassen wollen. In Frankreich ansässige Internetanbieter können in solchen Fällen bereits zu 45 000 Euro Strafe oder einem Jahr Haft verurteilt werden.

Die Menschenrechtskommission hatte in ihrem Bericht zahlreiche französischsprachige Internetforen auf "Hass-Inhalte" untersucht. Die häufigsten Ziele sind Muslime und Islamisten, gefolgt von Juden und dem Staat Israel sowie seit 2003 auch die USA.

Ein zweiter Bericht unterscheidet sieben Kategorien rassistischer und antisemitischer Internetseiten. Neben nationalistischen und revolutionären Homepages stehen Skinhead- und Nazi-Seiten; es folgen Rassismus-Auftritte. Weitere Kategorien sind islamistische oder extremistische jüdische Seiten sowie fundamentalistische christliche Gruppierungen, die sich ebenfalls durch ihre Intoleranz "auszeichnen".