Presseschau Juli 2004
Die Presseschau ist ein Service des durch entimon geförderten Projektes respectabel.de
Hier finden Sie eine Auswahl unserer Redaktion von Artikeln des täglichen Pressespiegels
Freitag, 25. Juni 2004
Rechtsextreme wollen Jugendliche mit CD ködern
von Thomas Ihm, SWR, ARD-Hauptstadtstudio
"Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund" lautet der Titel einer CD, die demnächst vor Schulen in ganz Deutschland verteilt werden soll. Mit der "Aktion Schulhof" wollen rechtsextreme Gruppen Jugendliche ködern. Wie das ARD-Hauptstadtstudio aus Sicherheitskreisen erfuhr, sollen möglicherweise 100.000 Exemplare der CD kostenlos vor den Schultoren verteilt werden. Die Kultusminister der Länder sind bereits durch den Verfassungsschutz informiert worden.
Behörden sind machtlos
Doch der Staat kann nichts tun. Anders als die Liedtexte aus der Skinhead- und Neonazi-Szene verstoßen die Texte dieses Samplers nicht gegen Recht und Gesetz. Die Verteilung der CD ist mit rechtlichen Mitteln nicht zu verhindern. Offenkundig, so Sicherheitskreise, haben Rechtsanwälte aus der rechtsextremen Szene das Werk genau auf Straftatbestände geprüft. "Uns sind die Hände gebunden", heißt es aus Sicherheitskreisen gegenüber dem SWR. Auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kann erst einschreiten, wenn das Werk auf dem Markt ist. Dann aber ist es zu spät: wenn der Sampler auf dem Index ist, werden zehntausende der kostenlosen CD schon vor den Schultoren verteilt worden sein.
Musik als "Einstiegsdroge"
"Die Musik wirkt als Einstiegsdroge", erklärte das Bundesamt für den Verfassungsschutz. Bei den Sicherheitsbehörden herrscht Konsens über die Ansicht, dass unpolitische Jugendliche über die Musik in die rechtsextremistische Szene geraten. Deshalb gehen die Behörden, wenn sie darüber informiert werden, mit allen Mitteln gegen Konzerte der Szene vor.
Auf der CD sind alle Musik-Stile vertreten, von Ballade bis Heavy Metal. Aber die Texte sind, im Sinne der erwähnten Einstiegsdroge, anders als sonst bei Skinhead-und Neonazi-Musik, allesamt unterhalb des Levels der Strafbarkeit.
Vertrieb und Finanzierung unklar
Ein CD-Produzent in Sachsen-Anhalt hatte den Auftrag bekommen, 45.000 Stück zu pressen. Der Hersteller wandte sich jedoch an die Behörden. Es wird vermutet, dass die "Aktion Schulhof" von jenen in- und ausländischen Produzenten finanziert wird, die bereits rechtsextreme Musik vertreiben. Damit stünde hinter der Aktion nicht nur ein politisches, sondern auch das finanzielle Interesse, sich neue Käuferschichten zu erschließen.
Noch rätseln die Sicherheitsbehörden, wie die rechtsextremistische Szene den Vertrieb der kostenlosen Scheibe organisieren wird. Klar scheint zu sein, dass der Auftrag zur Produktion der CD an mehrere Hersteller geht, damit der Ausfall einer Firma, wie jetzt in Sachsen-Anhalt, nicht zum Scheitern der ganzen "Aktion Schulhof" führt.
Dienstag, 6. Juli 2004
hamburg taz "Wir grüßen euch. Es ist schön, dass ihr euch Zeit nehmt, um diese CD anzuhören", tönt eine autoritäre Stimme, unterlegt mit leiser klassischer Musik, zur Eröffnung. Dann wettert der Sprecher der CD "Anpassung ist Freiheit - Lieder aus dem Untergrund" gegen Schulen als "Sammelbecken für jugendliche Schwerkriminelle", lobt das "Fremde in der Fremde" und schimpft darüber hinaus über die angebliche "antideutsche Geschichtsschreibung, die an allen Schulen gelehrt wird und nur Deutsche als Täter sieht". An die 250.000 CDs dieses Samplers plant ein Netzwerk von militanten Neonazis und aggressiven Rechtsrockern vor Schulen und auf öffentlichen Plätzen kostenlos an Kinder und Jugendliche zu verteilen.
Im Norden der Republik scheint die konspirative Kooperation von 56 Freien Kameradschaften, Naziskinheadgruppen, Musiklabels und Versänden die konzertierte Aktion vor allem in den Kleinstädten Verden und Rotenburg im Bremer Umland durchführen zu wollen. Das kündigte das konspirative Netzwerk an, das auch vom "V7 Versand" aus Halstenbek in Schleswig-Holstein unterstützt wird. Die CD, auf der 20 Rechtsrockbands wie die niedersächsischen Rechtsrocker "Stahlgewitter" und "Nordfront" mitwirken, enthält denn auch weiteres Propagandamaterial und eine Link-Liste, um Jugendlichen "ein bisschen" von ihrem "Wollen" zu vermitteln.
Mittlerweile bestätigt der niedersächsische Verfassungsschutz (VS): "Das ist eine Aktion von gewaltbereiten Freien Nationalisten, offensichtlich von der NPD unterstützt." Strafrechtlich seien die Lieder auf der CD jedoch nicht indiziert. Die Zahl von Skinhead-Bands in Nieder
sachsen habe sich innerhalb eines Jahres "auf etwa zwölf verdoppelt", so VS-Sprecherin Marion Brandenburger. Im Bundesland gebe es etwa 450 organisierte Neonazis und weitere "etwa 1.000 gewaltbereite Rechtsextremisten". Über das Kultusministerium sprach der VS nun eine Warnung vor dem multimedialen Sampler an alle Schulen aus.
In Bremen handeln derweil die Schüler. Die GesamtschülerInnenvertretung (GSV) der Hansestadt erinnert an Schulverteilungen der Nazipostille "Der Rebell", in der für getrennte Klassen von "Deutschen" und "Ausländern" geworben wird. Die GSV fordert jetzt, die Rechten "konsequent von der Schule" zu verweisen. In den Schulen selbst, betont Lea Voigt vom GSV, "muss eine Diskussion über Rassismus und Faschismus möglich sein".
"Andreas Speit
Freitag, 9. Juli 2004
Potsdam - Rechtsextremisten wollen in Brandenburg offenbar in großem Stil kostenlose Propaganda-CDs in und vor Schulen, an Bushaltestellen und anderen Treffpunkten von Jugendlichen verteilen. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden 50 000 Multimedia-CDs mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" für ein "Projekt Schulhof" hergestellt. Sie kombinieren Musikstücke, die in rechten Kreisen populär sind, Propagandamaterial und Kontaktinformationen. AP
Samstag, 10. Juli 2004
Rechtextremisten drängen auf die Schulhöfe
Die Innenminister von Brandenburg und Sachsen-Anhalt warnen vor einer Aktion von Rechtsextremisten, die Jugendliche mit der "Einstiegsdroge Musik" anfixen wollen. Mindestens 50.000 kostenlose CDs mit stramm rechtem Rock, so der Plan der Neonazis, sollen vor allem an Schüler verteilt werden.
Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden bisher 50.000 Exemplare eines Rechtsrock-Samplers hergestellt. Sie sollen von Angehörigen der Skinhead- und Neonazi-Szene an Jugendtreffpunkten und Bushaltestellen, vor allem aber in und vor Schulen verteilt werden. "Projekt Schulhof" heißt die Aktion, "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" die Propaganda-CD.
Klaus Jeziorsky (CDU), Innenminister von Sachsen-Anhalt, hatte bereits Ende Juni vor der Verteilung gewarnt und sprach von einer "neuen Qualität" im Auftreten der Rechtsextremisten. Ziel dieser konzertierten Aktion sei es, "ideologisch noch nicht gefestigte Jugendliche über multimediale Medien und insbesondere über die Musik an rechtsextremistisches Gedankengut heranzuführen und sie schließlich dauerhaft für die Szene zu gewinnen". Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) schloss sich jetzt an und betonte ebenfalls, dass es darum gehe, Jugendliche mit der "Einstiegsdroge Musik" für die rechtsextremistische Szene zu ködern.
Die Multimedia-CD enthält überwiegend Rock und Heavy Metal von 20 Bands, deren Namen ihre politischen Ziele schon erahnen lassen - darunter "Stahlgewitter", "Nordfront", "Noie Werte", "Hauptkampflinie" oder "Frontalkraft". Hinzu kommen Propagandamaterial und Kontaktinformationen, zum Beispiel Dateien mit einschlägigen Adressen und Internetseiten in mehreren Bundesländern, in Österreich und der Schweiz. Wie der Informationsdienst "Blick nach rechts" (www.bnr.de) berichtet, lobt ein zackiger Sprecher unter anderem das "Fremde in der Fremde" und schimpft über die angebliche "antideutsche Geschichtsschreibung, die an allen Schulen gelehrt wird und nur Deutsche als Täter sieht".
Als Auftraggeber vermutet der Infodienst einen bekannten Neonazi aus Sachsen-Anhalt und sieht auch Verbindungen zur NPD, vor allem zur NPD Niedersachsen. In der Zeitung "Volksstimme Magdeburg" bestätigte der sachsen-anhaltinische Verfassungsschutz, hinter der Aktion stehe ein "Mann aus dem Norden Sachsen-Anhalts, der seine Hände im rechtsextremistischen Musikgeschäft hat".
Behörden können Aktion kaum stoppen
Die Innenminister sehen offenbar keine Möglichkeit, die Aktion schon im Vorfeld zu stoppen, etwa durch ein Verbot des Samplers. "Im vorliegenden Fall müssen wir davon ausgehen, dass gezielt nur Titel für die CD ausgewählt wurden, die hart an der Grenze zur Strafbarkeit liegen, um die dahinter stehenden verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verdecken", sagte Jörg Schönbohm. Strafrechtlich werde die CD nur schwer zu ahnden sein, ergänzte Ministeriumssprecher Heiko Homburg; allerdings stelle das Betreten von Schulhöfen durch Unbefugte aus der Sicht der Schule ja durchaus Hausfriedensbruch dar.
Erstellt wurde die CD laut "Blick nach rechts" am 25. Juni, habe dem Verfassungsschutz aber bereits einige Tage zuvor vorgelegen. Die Behörden hatten sich offenbar zunächst gescheut, mit einer Warnung vor der Aktion an die Öffentlichkeit zu gehen. Nun will das Brandenburger Innenministerium aber rechtzeitig vor Schuljahresbeginn alle Schulen des Landes informieren, auch bei einer Schulleiter-Konferenz mit Bildungsminister Steffen Reiche (SPD).
Wie die ARD berichtet, flog die geplante Aktion auf, als ein CD-Produzent in Sachsen-Anhalt den Auftrag erhielt, 45.000 Stück zu pressen, sich aber an die Behörden wandte. Wie viele Propaganda-CDs die Neonazis insgesamt verteilen wollen, ist unklar; die Angaben schwanken zwischen 50.000 und 250.000.
"So bekloppt wie Hitler will niemand mehr sein"
Als Finanziers für Herstellung und den Vertrieb vermuten die Behörden in- und ausländische Musikvertriebe mit rechtsextremen Programmen. Denn die einschlägigen Labels sind auch auf der CD vertreten - und könnten mit der Aktion nicht nur rechte Propaganda streuen, sondern zugleich auch ihren Geschäften neue Käufer zuführen. Die auf dem CD-Cover genannte Internetadresse ist inzwischen nicht mehr erreichbar und leitet zu einem schwedischen Domainverwalter um; als Inhaber der Domain wird ein Schwede mit einer Postfachadresse in Stockholm geführt.
Im Web bieten Rechtsextremisten bereits Ratschläge für Schüler feil, inklusive Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache: "Solltet Ihr mit euren Lehrern Probleme wegen dem Besitz einer solchen Cd bekommen, oder sie Euch gar entwendet werden, besteht unbedingt darauf das sie Euch zurück gegeben wird. (...). Also lasst Euch nichts gefallen, und hört einfach mal rein!"
Die länderübergreifende Stelle für Jugendschutz im Internet (www.jugendschutz.net) will der rechten Werbekampagne entgegenwirken. "Das ist eine neue Qualität der rechtsextremen Ansprache Jugendlicher", sagte der Leiter Friedemann Schindler, "offensichtlich neonazistische Angebote sind relativ leicht durchschaubar - so bekloppt wie Hitler will niemand mehr sein. Subtile ausländer- oder judenfeindliche Parolen sind da ein grüßeres Problem."
Für die Bundeszentrale für politische Bildung hat jugendschutz.net eine "medienpädagogische Handreichung" entwickelt, die gerade in einer neuen Auflage erschienen ist. Die CD enthält Hintergrundinformationen, Musikbeispiele und in der Praxis erprobte Projekte für die Arbeit mit Jugendlichen. Schindler rät Lehrern, sich auf das Thema Rechtsextremismus vorzubereiten, bevor die Propaganda-CDs verteilt werden: "Es gibt Material. Es gibt eigentlich keinen Bereich, der besser dokumentiert ist als der Rechtsextremismus."
Jochen Leffers
Dienstag, 13. Juli 2004
Neonazis wollen Schulen für Propaganda missbrauchen |
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Schwerin (ddp) Das Innenministerium warnt vor einer möglichen neuen rechtsextremen Propaganda-Welle an Schulen im Nordosten. Jugendliche sollen mit dem „Projekt Schulhof“ über Rockmusik für ausländerfeindliches Gedankengut gewonnen und für die rechte Szene interessiert werden. Mit der geplanten Verteilung von bundesweit offenbar zehntausenden CDs erreiche die rechtsextreme Propaganda eine „neue Dimension“, warnte Innenminister Gottfried Timm (SPD) in Schwerin.
Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes wurden bislang 50 000 Exemplare hergestellt. Hinter der Produktion sollen sich in- und ausländische Produzenten sowie Vertreiber rechtsextremistischer Musik verbergen. Die CDs sollen den Angaben zufolge bundesweit von Angehörigen der Skinhead- und Neonazi-Szene verteilt werden. Die Verteilung zum Beginn des nächsten Schuljahres werde „systematisch und konspirativ“ vorbereitet, hieß es.
„Verfassungsfeindliche Inhalte“ und „menschenverachtende Ideologie“ würden auf der CD verpackt, sagte Timm. In M-V seien bislang noch keine Exemplare aufgetaucht.
Mittwoch, 14. Juli 2004
Berlin - Mit einer groß angelegten Verteilaktion wollen Rechtsextremisten Jugendliche an deutschen Schulen für ihre Gesinnungen gewinnen. Unter dem Namen „Aktion Schulhof“ sollen mindestens 50000 CDs bundesweit gratis verteilt werden. Davor warnte jetzt der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens (SPD). An dem Sampler seien szenebekannte Rechts-Rockbands aus dem In- und Ausland beteiligt.
Auf der Compact Disc mit dem Titel „Anpassung ist Feigheit. Lieder aus dem Untergrund“ sollen sich 20 Lieder aus den verschiedensten Musikstilen befinden, von vermeintlich sanften Gitarrenballaden bis hin zu Rock-Songs. Verfassungsfeindliche Propaganda werde dabei in unverfänglichen Formulierungen verpackt, sagte Behrens. So heißt es unter anderem: „Wir lieben das Fremde – in der Fremde.“ Darüber hinaus befänden sich auf der CD Links zu den Homepages rechter Gruppierungen und Musikbands.
Bereits im Januar wurde der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz auf eine Internet-Seite aufmerksam, auf der der amerikanische Musikverlag „Panzerfaust Records“ für eine solche Großaktion geworben hat, wie Dagmar Pelzer vom Innenministerium in Düsseldorf sagte. Diese Idee sei in ganz unterschiedlichen Bereichen der rechten Szene auf Interesse gestoßen, da viele Gruppen Nachwuchsprobleme hätten. Es gab bereits Pressaktionen in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, die aber abgebrochen wurden, nachdem die Hersteller über den Inhalt informiert worden waren. 7000 bereits angefertigte CDs wurden von den Presswerken, die das Ministerium als seriös bewertet, sofort zerstört. Dennoch sei es möglich, dass die Produzenten andere Wege finden.
Die Inhalte der Lieder bewegen sich am Rande der Legalität. Ein Verbot sei gerade deshalb schwierig, sagte der Düsseldorfer Staatsanwalt Johannes Mocken. Der Tonträger wurde der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vorgelegt. Thomas Lähns
Kinder und Jugendliche im Visier |
Neonazis planen kostenlose Verteilung von bis zu 250 000 Propaganda-CDs im gesamten Bundesgebiet |
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Wie das Magazin Blick nach Rechts berichtet, wollen 56 internationale rechte »Kameradschaften« und Skinheadgruppen in Kooperation mit Musiklabels und Versandgeschäften bis zu 250 000 CDs in der Nähe von Schulhöfen und auf öffentlichen Plätzen an Kinder und Jugendliche im gesamten Bundesgebiet verteilen. Der Herstellungsprozeß von 50 000 CDs laufe bereits, konstatierte das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt. Es sei zu befürchten, daß die Verteilung in kürzester Zeit anlaufen könnte. Die Texte der CD »Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund« seien ohne Erfolg auf ihre strafrechtliche Relevanz geprüft worden. Auftraggeber für die Vervielfältigung des Samplers mit 20 Bands wie Stahlgewitter, Nordfront, Spirit of 88 und Hauptkampflinie soll laut Blick nach Rechts der bekannte Neonazi Lutz Willert aus Sachsen-Anhalt sein. Unterstützt werde er unter anderem von PC Records, V7 Versand sowie den Kameradschaften Sangershausen, Bergstraße, Rhein-Main. Werbeplakate des Landesverbandes Niedersachsen der NPD auf dem multimedialen Sampler wiesen auf weitere Verbindungen hin. Weiter teilt die Redaktion mit, das sogenannte Projekt Schulhof stoße in Neonazikreisen offenbar auf großes Interesse. Freie Nationalisten würben seit Monaten um Sponsoren. Zielgruppe für die Aktion seien »noch nicht gefestigte Schüler«. Einen Schwerpunktbereich könnte zunächst Niedersachsen bilden, da Neonazis hier bereits seit Monaten rechte Flugblätter vor Schulen verteilten. Der Blick nach Rechts kritisiert vor dem Hintergrund der hohen Wahlergebnisse für die NPD bei den zurückliegenden Wahlen die zögerliche Informationspolitik der Behörden. So sei Kultusministerien und Schulen von Öffentlichkeitsarbeit in der Angelegenheit »zunächst abgeraten« worden. Auch Beratungsstellen und Initiativen gegen rechts seien bisher kaum informiert worden. Inzwischen gab es jedoch einen NDR-Fernsehbericht zum Thema. Kürzlich meldete sich in der Sache die Bremer GesamtschülerInnenvertretung zu Wort und wies darauf hin, daß etwa die NPD bereits vor einigen Monaten sogenannte Schülerzeitungen an Schulen in Rotenburg (Wümme) und Verden verteilt hat. Diese Kampagne sei unter dem Motto »Den Nationalismus an die Schulen tragen!« gelaufen. |
Donnerstag, 15. Juli 2004
Geplante Propaganda-Aktion
Bekannter Neonazi steckt hinter CD-Verteilaktion
Der bekannte Neonazi Thorsten Heise steht laut Recherchen von Radio Bremen in Zusammenhang mit der von Neonazis geplanten Verteilung von Propaganda-CDs an Jugendliche. Heise prahlt demnach auf seiner Internetseite mit der angekündigten Verteilaktion: "Wir kriegen das Zeug schon verteilt. Demnächst auch vor eurer Schule!" Seine Musik-Verlag sei an der Verteilaktion beteiligt.
Der Thüringer Verfassungsschutz bestätigte, dass Heise dem Umfeld der Aktion zuzurechnen sei. Bundesweit wollen Rechtsextremisten in den nächsten Wochen Jugendliche mit einer kostenlos verteilten CD ködern, die Lieder mit Neonazi-Texten und Propagandamaterial enthält.
Heise trat in der Vergangenheit wiederholt als Vertreiber und Produzent von rechtsextremistischer Musik auf. Anfang des Jahres beschlagnahmte die Polizei eine seiner CD-Lieferungen auf dem Frankfurter Flughafen. Bei der Landtagswahl in Thüringen kandidierte er für die NPD. Ansonsten arbeitet er vor allem mit den "Freien Nationalisten" um Christian Worch und Thomas Steiner zusammen. Sie sollen auch zu den Unterstützern der CD-Aktion gehören. Als weiterer Drahtzieher gilt der Musikproduzent Lutz Willert.
Freitag, 16. Juli 2004
Die Hamburger Innenbehörde hat vor Compact Discs (CD) mit rechtsextremistischer Musik gewarnt, die im neuen Schuljahr unweit von Schulen und an Treffpunkten von Jugendlichen verteilt werden sollen. Unter dem "Projekt Schulhof" planten Rechtsextremisten seit Anfang dieses Jahres in ganz Deutschland die kostenlose Verteilung der CDs, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Allerdings habe sich bislang der Beginn der Aktion verzögert, da CD-Produzenten sich geweigert hätten, die bestellten Exemplare auf Grund des Inhalts zu pressen. Daher sei der genaue Starttermin der Aktion bislang nicht bekannt.
Man habe Erkenntnisse, dass sich die Verteiler der CDs an "unbedarfte oder noch nicht ideologisch gefestigte Jugendliche wenden, um diese zum Einstieg in die rechtsextremistische Szene zu bewegen", erklärte Innenstaatsrat Stefan Schulz. Die Musik sei dabei das verbindende Element: "Sie wirkt identitätsstiftend und trägt dazu bei, dass sich die Gruppen verfestigen." Rechtsextremisten hätten erkannt, dass Skinhead-Musik mit ihren provokanten Texten ein erfolgreiches Medium für die Nachwuchswerbung sei, so Schulz. Die Polizei werde diese CD in jedem Fall beschlagnahmen.
Der Staatsrat rief Jugendliche und Eltern auf, Kontakt zur Polizei oder zum Verfassungsschutz aufzunehmen, sollten diese eine CD in die Hände bekommen. Auf dem speziell hergestellten Sampler mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" seien 19 Musiktitel bekannter rechtsextremistischer Musikbands zu hören. Die Staatsanwaltschaft sehe bei einem Liedtext den Verdacht auf eine Straftat - Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole - bestätigt. Mit anderen Titeln werde "aggressiv und polemisch gegen die politischen Verhältnisse in den westlichen Demokratien agitiert", erklärte die Behörde weiter. Zudem werde Werbung für rechtsextremistisches Selbstverständnis und rechtsextreme politische Ansichten betrieben.
Die Schulbehörde wollte sich offiziell nicht zu den Vorgängen äußern. Allerdings werde eine Verteilung der CDs auf dem Schulgelände verhindert, hieß es. Zudem seien die Schulleitungen informiert worden. Vor allem im Gemeinschaftskundeunterricht oder Geschichte werde die Problematik "sensibel" aufgegriffen. Der SPD-Innenexperte Andreas Dressel begrüßte das Vorgehen der Innenbehörde. Es sei ein gutes Signal, dass man jetzt auch ein waches Auge auf den Bereich des Rechtsextremismus habe.
Nach Erkenntnissen der Polizei ist die rechtsextreme Szene in Hamburg zwar personell nicht besonders groß. Allerdings säßen mit Christian Worch und Thomas Wulff die führenden Köpfe der bundesdeutschen Neonazi-Szene in der Hansestadt. Zudem seien Mitglieder der Szene bereits seit Jahren in den Bereichen Musik und Internet sehr aktiv. So gebe es den Verdacht, dass die nun bekannt gewordenen Pläne Teil einer neuen Offensive seien. Erst kürzlich wurden unter falschem Namen massenhaft E-Mails verschickt, deren rechtsradikaler Inhalt für den Adressaten nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen war.
Freitag, 16. Juli 2004
Warnung vor rechter Gratis-CD |
Thüringer Neonazi zählt zu Unterstützern der »Aktion Schulhof« |
jW-Bericht |
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Landesämter für Verfassungsschutz und Innenministerien warnen jetzt vor der »Aktion Schulhof«, die rechte »Kameradschaften« in Kooperation mit der NPD vorbereiten. Zehntausende kostenlose Exemplare einer CD mit dem Titel »Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund« sollen demnächst nicht nur vor Schulen verteilt werden (siehe jW vom 14.7., Seite 15). Am Wochenende forderte der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) die Lehrer des Landes auf, die Schüler über den Hintergrund der Kampagne zu informieren und davor zu warnen. Die Versuche der rechten Szene, »Jugendliche zu manipulieren«, hätten mit der Aktion »eine neue Dimension erreicht«, sagte Behrens. Zwei Versuche, die CD in NRW pressen zu lassen, sind nach Angaben des Ministers verhindert worden. Über die Drahtzieher der Kampagne war zunächst wenig bekannt. Von Behörden wurde lediglich bestätigt, daß der Neonazi und CD-Produzent Lutz Willert aus Sachsen-Anhalt für die Herstellung mitverantwortlich sei. Jetzt taucht eine zweite Neonazigröße auf, wie der Blick nach rechts am Donnerstag meldete: Thorsten Heise, Anführer der »Kameradschaft Northeim«. Auf der Internetseite seines Magazins »Max und Moritz« outet er sich als Unterstützer der Aktion: »Unser Record Label und Versand ist stolz, bei dem Projekt teilgenommen zu haben«. Heise zählt laut bnr (www.bnr.de) zu den bekanntesten deutschen Neonazis. Nach Einschätzung des thüringischen Verfassungsschutzes war der vorbestrafte Rechtsradikale an der Produktion strafrechtlich relevanter CDs beteiligt. Anfang 2003 beschlagnahmten Beamte des Bundeskriminalamtes und des Thüringer Landeskriminalamtes eine CD-Sendung auf dem Frankfurter Flughafen. Seit kurzem betreibt Heise den rechtsextremistischen Skinhead-Musikversand »W & B Records«. Die Internet-Adresse »W & B« taucht auch auf dem Gratis-Sampler auf. Das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz erklärte inzwischen, daß »W & B Records« und Heise »auf jeden Fall dem Umfeld der CD-Aktion zuzuordnen sind«. Die Thüringer PDS-Landtagsabgeordnete Sabine Berninger forderte am Donnerstag vom Erfurter Innenministerium Auskunft darüber, warum Heise trotz der zahlreichen Erkenntnisse über seine Aktivitäten seinen Versandhandel von Fretterode aus ungehindert weiter betreiben kann. In Thüringen gebe es bis heute kein Konzept, wie der aktuellen Kampagne entgegenzutreten sei, kritisierte Berninger. Zudem dokumentiere ein Verfassungsschutz, »der den 1999 getätigten Immobilienkauf des Kameradschaftsführers Heise in Fretterode erstmals im Bericht für 2003 ausführlich« thematisiere, »nur seine eigene Überflüssigkeit«. |
Samstag, 24. Juli 2004
"Wir kriegen das Zeug schon verteilt"
Verfassungsschutz und Landeskriminalämter sind alarmiert: Rechtsextremisten wollen deutsche Schulen mit kostenlosen Rechtsrock-CDs überschwemmen und haben sich offenbar auf breiter Front zusammengeschlossen - eine neue Dimension der Neonazi-Propaganda.
Rechtsextremisten bereiten derzeit eine bislang beispiellose Propaganda-Offensive in Deutschland vor. Das Operationsgebiet: Schulen. Unter dem bezeichnenden Titel "Projekt Schulhof" ist die Verteilung von 50.000 CDs an Jugendliche geplant (SPIEGEL ONLINE berichtete).
Für den braunen Schüler-Fang haben sich Neonazis offenbar auf breiter Front zusammengeschlossen. Derart aggressiv seien Rechtsextremisten noch nie an Schulen aufgetreten, so Nordrhein-Westfalens Innenminister Fritz Behrens. Auf dem Tonträger mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit" ist ein Sammelsurium fremden- und möglicherweise verfassungsfeindlicher Lieder und Texte zu finden, beispielsweise Songs der rechten Bands "Stahlgewitter" und "Noie Werte". Dazu kommen weiteres Propagandamaterial und Kontaktinformationen.
Obwohl die Fahnder das Pressen der CDs bereits zweimal stoppen konnten, geht der Verfassungsschutz davon aus, dass die braunen Scheiben nun auf anderem Wege hergestellt und verbreitet werden. SPIEGEL TV schilderte in einem Beitrag, wie die Rechtsextremisten versuchten, Presswerke in mehreren Bundesländern auszutricksen: In einer branchenunüblichen Geheimaktion bekamen die Presswerke die CD-Inhalte zunächst ohne Cover und Inhaltsangabe geliefert; die wurden nachgereicht. Manche Presswerke lehnten die Produktion ab, andere nahmen den Auftrag an.
Die rechtsextremistische Agitation erreiche damit "eine neue Dimension", so Cornelia de la Chevallerie vom Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Die Aktion bereits im Vorfeld zu stoppen, scheint schwierig. Die Innenminister mehrerer Länder, darunter Brandenburg und Sachsen-Anhalt, haben die Schulen vor der Schulhof-Aktion gewarnt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien könne erst einschreiten, sobald die ersten CDs verteilt seien, sagte Chevallerie.
SPIEGEL TV und der Fachdienst "Blick nach rechts" berichten, dass der Kuhlhausener Neonazi Lutz Willert aus einem 200-Seelen-Dorf in Sachsen-Anhalt zu den Drahtziehern der Aktion gehört. Zu den Hintermännern zählt auch ein zweiter bekannter Rechtsextremist: Thorsten Heise, Anführer der "Kameradschaft Northeim". Heise war niedersächsischer Landesvorsitzender der 1995 verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) und wurde mehrfach wegen einschlägiger Straftaten wie schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruch oder Nötigung verurteilt.
Heise zog einen Versandhandel auf und kaufte sich nach einem Gefängnisaufenthalt ein Haus im thüringischen Fretterode, an der Grenze zu Hessen und Niedersachsen. Dort bekam SPIEGEL TV ihn auch vor die Kamera - zum Projekt Schulhof und zu den Ermittlungen der Justiz gab sich der Neonazi allerdings schweigsam.
Im Internet ist er auskunftsfreudiger und plaudert auf der Webseite seines Versands, der neben Musik und Büchern auch "nordisch-germanischen Schmuck" vertreibt. "Natürlich ist unsere nationale Musik auch (Für mich hauptsächlich !) für Propagandazwecke gedacht", schreibt er dort als "Max" in einer "Fanzine"-Rubrik, "der Staat wird mit Indizierung und Verboten reagieren, soll er doch, denn merke 'Verbotene Früchte schmecken am besten'." Dass auf "jede auf dem nationalen Musikmarkt verkaufte CD ca. 55 Schwarzkopien" kämen, störe ihn überhaupt nicht - "je mehr umso besser". Und auch das Schulhof-Projekt kommentiert Heise und räumt offen seine Mitwirkung ein: "Unser Record Label und Versand ist stolz bei dem oben genannten Projekt teilgenommen zu haben, und den Mitlesern von staatlichen Gnaden sei gesagt: 'Wir kriegen das Zeug schon verteilt' He, He, He !!"
Sonntag, 25. Juli 2004
Neonazis wollen CDs an Schulen verteilen
Berlin - Die Senatsbildungsverwaltung warnt vor einer Aktion von Rechtsextremisten an Berlins Schulen. Sie wollen nach Ende der Ferien kostenlos CDs mit rechtsextremistischen Musiktiteln an Jugendliche verteilen. Die Senatsverwaltung wird deshalb gleich nach den Ferien eine entsprechende Information verschicken. "Wir werden die Schulen bitten, uns sofort zu melden, wenn sie Derartiges mitbekommen", sagte Sprecherin Anne Rühle. Schulpsychologen und so genannte Standpunkt-Pädagogen habe man bereits in Kenntnis gesetzt.
Sonntag, 25. Juli 2004
Von Tanja Laninger und Christa Beckmann
Das Vorhaben heißt "Projekt Schulhof". Aber hinter dem harmlosen Namen verbirgt sich ein perfider Plan. Bundesweit - auch in Berlin - wollen Rechtsextreme mit Beginn des neuen Schuljahres in der Nähe von Schulen und Jugendzentren kostenlos CDs mit rechtsextremistischen Musiktiteln an Schüler verteilen.
Die Senatsbildungsverwaltung will deshalb gleich nach den Ferien eine Information an alle Schulen verschicken, in der sie vor den Aktionen der Neonazis warnt. "Wir werden die Schulen bitten, uns sofort zu melden, wenn sie Derartiges mitbekommen", sagte die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Anne Rühle. Die Schulpsychologen und die so genannten Standpunkt-Pädagogen habe man bereits in Kenntnis gesetzt. Ab Herbst soll es zudem eine Lehrer-Fortbildung zu den Gefahren rechtsradikaler Musik geben. "Das war allerdings lange vorgesehen und ist insofern keine Reaktion auf die Neonazi-Aktion", sagt Anne Rühle.
Den Staats- und Verfassungsschützern ist die geplante Initiative der rechten Szene bekannt. "Bislang haben wir das in Berlin aber noch nicht beobachtet", sagte ein Beamter. Auch in anderen Bundesländern konnten noch keine derartigen CDs sichergestellt werden. Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes ist eine Startauflage von 50 000 Stück geplant. Es soll sich dabei um einen spezielle Zusammenstellung von Titeln bekannter rechtsextremistischer Musikbands handeln mit dem Titel: "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund".
Unterdessen beobachten Lehrer und Extremismus-Experten eine "erschreckende Zunahme" von Antisemitismus an den Berliner Schulen. Mittlerweile werde "du Jude" als gängiges Schimpfwort gebraucht, ebenso wie "du Opfer", berichtet Britta Kollberg, die Leiterin der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA). "Das ist ein schockierendes Signal." Neu sei, dass der Antisemitismus auch unter Leuten außerhalb der einschlägigen rechtsextremen Szene wachse. "Darunter sind gut ausgebildete Leute bis hin zu Bankdirektoren, aber auch viele Islamisten." Judenfeindliche Äußerungen und Beschimpfungen würden immer selbstverständlicher geäußert, so die RAA-Leiterin.
Erst Anfang dieser Woche hatten sich die Heinrich-Böll-Stiftung und das American Jewish Committee besorgt über die wachsende Zahl von antisemitischen Vorfällen in vielen Gesellschaftsbereichen geäußert. In der Statistik der Senatsschulverwaltung wurden nach dem dritten Quartal des Schuljahres 2003/04 genau so viele judenfeindliche Äußerungen von Schülern gemeldet wie im gesamten Schuljahr zuvor. Registriert wurden bis April berlinweit zwar lediglich 28 solcher Vorfälle, doch sind das nur jene, die an die Behörden tatsächlich weitergeleitet wurden.
Anfragen bei Lehrern sprächen dafür, dass die tatsächliche Zahl um ein Vielfaches höher ist. "Viele Schulleiter zeigen solche Vorkommnisse nicht an, um den Ruf ihres Hauses nicht zu beschädigen", so ein Mitarbeiter des polizeilichen Staatsschutzes. Probleme würden, wenn überhaupt, intern geklärt - zum Teil mittels Schulverweisen.
Am häufigsten trete rechte Propaganda in Form von Hakenkreuzschmierereien auf. "Wir können aber selten aufklären, ob die von Schülern oder Hausfremden stammen." Schulleiter, die sich rechtem Gedankengut entgegenstellen, stoßen bei der Polizei auf offene Ohren. So startet die Polizei im neuen Schuljahr - auf Anfrage der Schulleiterin - ein Kooperationsprojekt mit einer Hauptschule in Weißensee.
Polizisten vom Abschnitt 19 stellen sich Eltern auf Schulversammlungen als feste Ansprechpartner vor und richten eine Schülersprechstunde ein. "Außerdem werden Siebtklässler in Anti-Gewalt-Kursen trainiert, Acht- und Neuntklässler im Unterricht von Polizisten besucht und in die Dienststellen eingeladen", sagt der Präventionsbeauftragte der Direktion 1, Michael Kilter. Der rechtslastigen Klientel, die starkes Interesse am Polizistenberuf bekundet, solle vermittelt werden, "dass Polizeibeamte zum Schutz des Grundgesetzes und der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet sind".
Im vergangenen Jahr erfasste die Berliner Polizei 672 so genannte Propagandadelikte, die eine rechte Gesinnung erkennen ließen, das waren 46 mehr als noch im Jahr 2002. Dazu gehören Hakenkreuz-Schmierereien und verfassungsfeindliche Äußerungen. Zudem ermittelte der Staatsschutz in 70 Fällen von politisch motivierten Gewaltdelikten. 2002 hatte die Polizei noch 52 registriert. In Berlin leben aktuell etwa 2600 Rechtsextremisten.
Montag, 26. Juli 2004
Jakob Schlandt
BERLIN, 25. Juli. Bundesweit warnen Verfassungsschützer vor einer Werbekampagne der Neonazi-Szene bisher ungekannten Ausmaßes. Bis zu 250 000 CDs mit Songs von Rechtsrock-Bands aus dem In- und Ausland sollen an Jugendliche in Deutschland in der Nähe von Schulen und in Jugendclubs verteilt werden. Ziel der Organisatoren: Nachwuchsrekrutierung für ultra-rechte Gruppierungen und Werbung für die beteiligten Bands. Noch ist die CD nicht im Umlauf, doch es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die "Aktion Schulhof" (Szene-Jargon) anläuft. Die Behörden versuchen, die Verteilung zu verhindern. Rechtlich lässt sich die Aktion allerdings kaum noch unterbinden. "Verpackt in moderne Musik schürt die CD Fremdenfeindlichkeit und agitiert gegen den demokratischen Verfassungsstaat", warnte der nordrhein-westfälische Innnenminister Fritz Behrens (SPD). Der Silberling mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit" enthält Songs von 20 Bands der rechten Szene. Im Beiheft sind einschlägige Kontaktadressen zu finden. Der Musik ist auf der CD eine Einleitung vorangestellt. Dem Sprecher geht es darum, sozial schwache Jugendliche anzuwerben und die Ressentiments gegen Ausländer zu schüren. "Wer schwach wird, der wird rücksichtslos gestoßen. Gerade ihr könnt dies Tag für Tag am eigenen Leib erfahren", so der Text laut NRW-Verfassungsschutz. "Wir stehen gegen den unerträglich hohen Zuzug von Fremden in unser Land. Wir stehen gegen Multikulti. Wir stehen gegen die antideutsche Geschichtsschreibung." Zerstrittene Gruppen kooperieren Zwei Versuche, die CD im großen Maßstab pressen zu lassen, sind bis jetzt gescheitert - die Presswerke schalteten die Polizei ein und brachen die Herstellung auf eigene Kosten ab. Doch beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz glaubt man, dass die Gruppierungen andere Wege finden werden, die CD herzustellen. "Hinter der Aktion steht ein ganzer Verbund", warnte eine Sprecherin. Nach ihrer Einschätzung dürfte es umso schwieriger werden, die nächsten Versuche der CD-Vertreiber zu verhindern, da ihre Verbreitung vermutlich nicht gegen das Strafrecht verstößt. "Die Inhalte sind ganz geschickt genau an der Strafbarkeitsschwelle platziert." Immerhin prüfen einige Staatsanwaltschaften, ob etwa Volksverhetzung betrieben wird. Die beste Möglichkeit, die Verbreitung der CD zu verhindern, ist nach Einschätzung der Verfassungsschützer eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Sie würde dazu führen, dass die CD weder in der Öffentlichkeit noch an Jugendliche verteilt werden darf - die "Aktion Schulhof" wäre gescheitert. Allerdings darf die Prüfstelle erst ein Verfahren einleiten, wenn die CD in der Öffentlichkeit auftaucht. Dabei werde zu viel Zeit verloren gehen, warnte Andrea Röpke, Mitarbeiterin des Informationsdienstes "Blick nach Rechts". Sie glaubt, dass der Druckvorgang schon längst im Gange ist: "Vielleicht im Ausland, vielleicht in kleineren Presswerken. Besonders erschreckend ist, dass sich vollkommen zerstrittene rechte Gruppierungen für dieses Projekt zusammengetan haben. Das war noch nie da." Sie wirft den Behörden Versagen vor: "Obwohl der Verfassungsschutz schon monatelang vom ,Projekt Schulhof' weiß, gibt es bis jetzt so gut wie keine Präventionsmaßnahmen." In Berlin versichert die Senatsverwaltung für Bildung, alles Nötige sei bereits in die Wege geleitet. Eine Sprecherin: "Wir haben alle Schulpsychologen informiert, die wiederum die einzelnen Schulen auf die Situation aufmerksam machen. Dort werden dann die Schüler gewarnt. Aber im Moment kann sowieso nichts passieren - es sind ja Ferien." Auch die Polizei in Berlin ist schon vorbereitet. Den Verteilern der CD will man notfalls Platzverbot erteilen. Begründung: Die Herausgabe des Tonträgers würde eine Konfrontation mit Andersdenkenden provozieren. Die Initiatoren scheinen davon unbeeindruckt. Auf einer Internet-Seite der rechten Szene droht ein an der Aktion Beteiligter: "Wir kriegen das Zeug schon verteilt. He, He, He!! Demnächst auch vor eurer Schule!" |
Mittwoch, 28. Juli 2004
Ian Stuart Donaldson, der Sänger der Nazi-Band »Skrewdriver«, sagte einmal, Musik sei »das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen«. Aus diesem Grund hätte sich der Termin für das »Projekt Schulhof« geradezu angeboten. Vor den Sommerferien wollten Rechtsextreme 250 000 kostenlose Multimedia-CDs mit dem Titel »Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund« an Schulen in ganz Deutschland verteilen. Bands wie »Noie Werte«, »Hauptkampflinie« oder »Spirit of 88« wären dann an dem einen oder anderen Badesee in Deutschland erklungen. Denn die CD enthält 20 Lieder einschlägig bekannter Nazi-Bands sowie Kontaktadressen regionaler rechtsextremer Gruppen und Werbematerial. Eingeleitet wird sie von einem schwülstigen gesprochenen Text gegen Kriminalität, »Multikulti« und »antideutsche Geschichtsschreibung, die an allen Schulen gelehrt« werde.
Die Aktion konnte jedoch bisher nicht beginnen, da sich die Produktion der CD schwieriger erwies als gedacht. Ein Presswerk in Sachsen-Anhalt weigerte sich, den Tonträger herzustellen, und wandte sich an die Behörden. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes konnte auch die Produktion in zwei Presswerken in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verhindert werden. Vermutlich wird die CD jetzt in Osteuropa hergestellt.
Trotz dieser Probleme kann die Aktion bereits jetzt als relativ erfolgreich eingeschätzt werden. Bevor der Sampler überhaupt produziert und verteilt ist, zeigen sich an diesem Projekt deutlich die logistischen, finanziellen und personellen Kapazitäten der Neonazi-Szene. Nach Informationen der Zeitschrift Blick nach Rechts stehen hinter dem Projekt 56 internationale Kameradschaften, Skinheadgruppen, Musiklabels und Versandgeschäfte. Kameradschaften aus Sangershausen, dem Rhein-Main-Gebiet und von der Bergstraße in Südhessen zählen zu den Unterstützern. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens, warnt vor einer »rechtsextremistischen Mobilmachung« an Schulen. »Die Versuche der Szene, Jugendliche zu manipulieren, haben damit eine neue Dimension erreicht.« Ein Schwerpunkt der Aktion wird in Niedersachsen erwartet, da hier Neonazis bereits seit Monaten offensiv Flugblätter vor Schulen verteilen.
Hinter der Aktion könnten nach Informationen von Blick nach rechts und nach Angaben des thüringischen Verfassungsschutzes zwei Drahtzieher des Geschäfts mit Rechtsrock in Deutschland stecken: Lutz Willert aus dem kleinen sachsen-anhaltinischen Dorf Kuhlhausen und Thorsten Heise aus dem thüringischen Frettenrode. Willert ist Versandbetreiber von »Lu-Wi-Tonträger«; mit seinen Umsätzen unterstütze er die Hilfsorganisation für nationale Gefangene (HNG), vertreibe T-Shirts mit der Aufschrift »frei-sozial-national« sowie nationale und internationale Nazi-Musik, heißt es bei turnitdown, einem Internetforum gegen Rechtsrock.
Heise ist nach Angaben des thüringischen Verfassungsschutzes »auf jeden Fall dem Umfeld der CD-Aktion zuzuordnen«. Dem Blick nach rechts zufolge ist er Anführer der »Kameradschaft Northeim« und betreibt den Musikvertrieb »W&B Records« in Frettenrode. Auf der Homepage des dazugehörigen Fanzines Max und Moritz heißt es: »Unser Record Label ist stolz, bei dem oben genannten Projekt teilgenommen zu haben. (…) Wir kriegen das Zeug schon verteilt! Demnächst auch vor eurer Schule!« Dementsprechend findet sich auf der CD ein Verweis auf »W&B Records«.
Indes sind sich die Landesministerien über den strafrechtlichen Gehalt des Samplers uneins. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte, »dass gezielt nur Titel für die CD ausgewählt wurden, die hart an der Grenze zur Strafbarkeit liegen«. Sein sachsen-anhaltinischer Kollege Klaus Jeziorsky (CDU) ergänzte, nach Einschätzung der Initiatoren seien nur Lieder enthalten, die »keinen Anlass für das Einschreiten der Sicherheits- und Strafvollzugsbehörden bieten sollten«. Dagegen hält die Hamburger Staatsanwaltschaft mindestens einen Liedtext wegen der »Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole« für strafrechtlich relevant. Deshalb will die Polizei die CDs beschlagnahmen. Eine abschließende Prüfung steht allerdings noch aus.
Wie bei fast jeder größeren oder kleineren Nazi-Aktivität wirft das Verhalten der Behörden zahlreiche Fragen auf. Denn lange Zeit wurde versucht, die Öffentlichkeit nicht über das »Projekt Schulhof« zu informieren, obwohl die CD dem Verfassungsschutz bereits seit dem 21. Juni vorlag. Die Kultusministerien informierten zunächst nur SchulleiterInnen. »Um die Aktion der rechtsextremen Gruppen nicht zusätzlich aufzuwerten, raten wir von Öffentlichkeitsarbeit zunächst ab«, hieß es nach Angaben von Blick nach rechts. Zwar werde einerseits auf das pädagogische Problem hingewiesen, dass sich die CD vor allem an unentschlossene, »ideologisch noch nicht gefestigte Jugendliche« richte. Im Falle einer Verteilungsaktion wird jedoch lediglich auf die Polizei verwiesen. Beratungsstellen und Initiativen gegen Rechtsextremismus erfuhren nur zufällig und nach eigenen Recherchen von dem Vorhaben der Neonazis.
Die Initiative »Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt« fordert dagegen einen offenen Umgang mit den Musik-CDs. Die SchülerInnen sollten direkt auf den Inhalt des Samplers angesprochen werden. Es sei zwar davon auszugehen, dass die CD hauptsächlich »im sozialen Nahraum von Jugendeinrichtungen und Schulen« verteilt und über Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt werde. Dennoch wird darauf hingewiesen, dass »Jugendeinrichtungen und Schulen gegenüber den Verteilern der CDs von ihrem Hausrecht Gebrauch machen« können.
Für den Fall, dass LehrerInnen die Tonträger konfiszieren, gibt es von Neonazis bereits Tipps im Internet. »Solltet ihr mit euren Lehrern Probleme wegen dem Besitz einer solchen CD bekommen oder sie euch gar entwendet werden, besteht unbedingt darauf, dass sie euch zurückgegeben wird. Lasst euch nichts gefallen und hört einfach mal rein!« heißt es auf Kameradschaftsseiten.